Inspektion der Herrenkultur. Teil 1: Dresden
Am vergangenen Wochenende trafen sich sechs Feministinnen in Dresden. Drei von uns langjährigen Freundinnen, die Ende der achtziger Jahre noch alle in Hannover wohnten und von dort etliche feministische Projekte gestartet hatten, u.a. den Kalender Berühmte Frauen (1987ff) und die Trilogie Wahnsinnsfrauen (1992-99), waren im vergangenen Jahr 70 geworden, und das wollten wir gebührend feiern. Wir residierten fürstinnenlich im nach der Wende wieder aufgebauten Taschenberg-Palais und gingen zweimal in die Semper-Oper: zunächst in Verdis Otello (nach Shakespeare); auch das Libretto ist von einem Mann (Boito). Der Inhalt ist für jede Feministin eine Zumutung (aber welche Oper wäre das nicht?): Ein Mann glaubt lieber einem tückischen Untergebenen als seiner eigenen Frau und ermordet sie schließlich im Eifersuchtswahn.
Am 1. Mai besuchten wir die Konzertmatinee in der Semperoper. Christoph Eschenbach leitete die Sächsische Staatskapelle. Es wurden Stücke von drei Männern gespielt, Schumann, Staud und Brahms. Der Solist in Schumanns Cellokonzert war Leonard Elschenbroich.
Das männerlastige kulturelle Angebot der Stadt verdross uns zwar, aber wir nahmen es gutwillig hin, da alle ihre Sache hervorragend machten und wir in Feierlaune waren. Aber das feministische Herz darbte, obwohl in der Sächsischen Staatskapelle erfräulich viele Frauen mitspielen dürfen.
War nun vielleicht die weltberühmte Frauenkirche ein Ausgleich? Nicht wirklich: anders als in einem Frauenkloster trieben sich dort auch reichlich Männer herum.
Vor dem Rathaus, immerhin ein exponierter Platz, steht ein Denkmal für die Trümmerfrau. Dafür steht oben auf dem Rathausdach, der Trümmerfrau sozusagen haushoch überlegen, der Rathausmann in Gold; die Hand hat er wie zum Hitlergruß erhoben. Was er da soll, konnte uns der Mann von der Stadtrundfahrt nicht erklären.
Ebenfalls weltberühmt ist Dresdens „Gläserner Mensch“, von dem ich im Vorfeld immer wieder gelesen hatte - unbedingt müsste man sich den ansehen. Der Mann von der Stadtrundfahrt verkündete uns im Vorbeifahren: „Im Hygienemuseum befindet sich die berühmte Gläserne Frau - wohl die einzige Frau, die man völlig durchschauen kann.“ Das Publikum lachte höflich. Ich war völlig platt - dass dieser „Gläserne Mensch“ eine Frau war, hörte ich da zum ersten Mal. Der Stadtrundfahrtsmann hatte es auch wohl nur verraten, um seinen durchschaubaren „Witz“ anzubringen.
Dresden steht natürlich ganz im Zeichen Augusts des Starken, frau begegnet ihm auf Schritt und Tritt. Die Stadt, das Schloss, der Zwinger und zahlreiche andere Gebäude und Schlösser in der Umgebung sind voll von den Schätzen, die er ansammelte oder in Auftrag gab. Wir nahmen an einer Führung durch das Schloss teil und erfuhren dabei allerlei über die Mätressenwirtschaft Augusts, über hochhackige Schuhe (eine Erfindung der Männer, um ihre Waden kräftiger erscheinen zu lassen), breite Reifröcke (praktisch, um die Notdurft in den Schlossecken unter sich zu lassen, denn Toiletten gab es nicht. Die hätten wir in der Semperoper gebraucht, denn dort gab es auch (fast) keine Toiletten). Vor allem aber zeigte sich unser Museumsführer angetan von Augusts Hofjuwelier Johann Melchior Dinglinger, der für teures Geld einzigartige Kunstwerke geschaffen habe. Tatsächlich beeindruckten sie uns sehr. Was ich während der launigen Führung nicht erfuhr, wurde ein paar Tage später in einer nächtlichen MDR-TV-Sendung über Dinglinger en passant nachgeliefert: Der Mann zeugte (mindestens) 26 Kinder, viele von ihnen starben schon im Kindesalter. Damit überrundet er sogar seinen Zeitgenossen Johann Sebastian Bach, der es auf 20 Kinder brachte, von denen 11 früh verstarben. 1728 heiratete Dinglinger zum fünften Mal, alle vier Ehefrauen davor waren im Kindbett gestorben - der geniale Juwelier hatte neben seiner „besessenen Arbeit“ noch die Zeit gefunden, sie allesamt zu Tode zu schwängern. Wie es der fünften erging, verriet der Film nicht.
Das Taschenbergpalais wurde laut Wikipedia ursprünglich als Liebesgabe von August dem Starken für seine Mätresse Constantia von Cosel erbaut. Von dieser Mätresse, die 1713 in Ungnade fiel und verbannt wurde, wusste ich vor der Anreise nicht viel, und vor Ort hörte ich auch nichts über sie. Wieder in Hannover, holte ich Gabriele Hoffmanns Constantia von Cosel und August der Starke von 1984 aus dem Regal und erfuhr erst jetzt ihre haarsträubende Geschichte:
Neun Jahre umgab der König die Mätresse mit Pracht und Glanz, und sie war die mächtigste Frau in Sachsen. Dann stürzte sie, und er sperrte sie in eine Festung ein. Neunundvierzig Jahre lang lebte sie als Gefangene, von sechsundvierzig Soldaten bewacht, die Hälfte dieser Zeit in strenger Isolationshaft. Es gab keine Anklage, keinen Prozess, kein Urteil. […] Dreißig Jahre nach seinem Tod saß sie noch immer im Turm der Festung.
Ziemlich genau zweihundert Jahre zuvor war Johanna die Wahnsinnige etwa genau so lange eingesperrt worden. Peter der Große, Zeitgenosse des starken August, hatte sich auf dieselbe Weise seiner älteren Schwester Sofia Alexejewna entledigt und sie bis zu ihrem Tod eingesperrt. Der Prinzessin von Ahlden ging es ähnlich, nachdem sie es gewagt hatte, ihren Gatten durch einen Liebhaber zu kompromittieren. Von Fürsten wurde geradezu erwartet, dass sie sich Mätressen hielten. Tröstete sich die Fürstin mit einem Geliebten, kam sie auf Lebenszeit in den Turm.
Und was hatte die Cosel verbrochen? Das muss ich erst noch genauer erforschen. Wikipedia meint: „Die Vorhersage des politischen Scheiterns des sächsischen Kurfürsten durch Anna Constantia kränkte diesen Mann in seiner Ehre, erst recht, als ihre Warnungen sich bewahrheiteten.“
Gar nicht schön, was wir da über den starken August und seinen Hofjuwelier hören müssen. Selber schuld, wenn wir fragen: „Und was war mit den Frauen? Was haben wir Frauen von dem ganzen Zirkus?“ Ohne diese penetrante Frage wäre uns Dresden so heiter, strahlend und glanzvoll erschienen, wie es das Städtemarketing uns einreden will.
Trotzdem wollen wir uns nächstes Jahr wieder in Dresden treffen. Wir werden dann auf den Spuren der Cosel sowie Heinrich Schützens und seiner Ehefrau wandeln und die gläserne Frau durchschauen gehen. Über sie gibt es Erstaunliches zu lesen:
Ein Besuch im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden bedeutet vor allem eines: Spiel, Spaß und Spannung für Jung und Alt. Die gläserne Frau ist die wichtigste Bewohnerin dieser Ausstellung, denn diese zeigt uns, wie unser Körper innen aufgebaut ist.
Schön wär’s ja, wenn der menschliche Körper innen so aufgebaut wäre wie der einer Frau. Mutter Natur hätte sich eine andere Fortpflanzungsmethode ausgedacht. Frauen wären nicht im Kindbett gestorben. Johanna Dinglinger hätte nicht eine einzige Frau zu Tode gebracht. Auguste die Starke und Constantia von Cosel wären das Traumpaar ihres Jahrhunderts gewesen.
Die Reihe wird fortgesetzt.
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4 Kommentare
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22.05.2011 um 02:46 Uhr Roswitha Grisi-Huber
Liebe Frau Dr. Pusch,
Zu “Juana la loca” gibt es den wunderbaren Roman von Gioconda Belli “El pergamino de la seducción”, der ganz klar aufzeigt, dass Juana wohl nicht wahnsinnig war, sondern aus machtpolitischen Gründen für wahnsinnig erklärt wurde.
Mit freundlichen Grüssen
Roswitha
20.05.2011 um 23:33 Uhr Sabine
Dank dieses wunderbaren Beitrags habe ich am nächsten Tag, für den die Fahrt nach Dresden schon geplant war, mit ganz anderen Augen gesehen, wie August und die Gräfin in Form von sog. Vergnügungsdampfern häufig eng aneinander vorbeiglitten! Wem von beiden das wohl unangenehmer wäre! Selbstredend werden wir uns beim nächsten mal auf die Gräfin setzen…
09.05.2011 um 16:17 Uhr Gudrun Nositschka
Das sollte mich sehr wundern, wenn die gläserne Frau - im Gegensatz zum gläsernen Mann - im Hygenie - Museum nun vollständig ist und mein Protest nach der Wiedereröffnung 2004 erfolgreich gewesen wäre. Die Konstruktion stammt wohl aus Anfang der 20ziger Jahre und damals durfte eine Frau einfach keine KLITORIS besitzen. Diese musste als Sexualorgan ignoriert werden. Vielleicht kannten die männlichen Konstrukteure dieses Organ auch gar nicht. In einem Brief drängte ich die Museumspädagogik nach der Neueröffnung wenigstens eine Erläuterung zur fehlenden Klitoris anzubringen, sonst würde das fatal an die leider immer noch praktizierte sexuelle Verstümmelung von Mädchen und Frauen erinnern, ohne Antwort. Nach einem zusätzlichen unerquicklichen Telefonat mit der Museumspädagogin insistierte ich nicht weiter. Sorry. Bitte gebt mir Bescheid, falls sich wirklich im patriarchalen Denken des Museums und dieser Frau etwas geändert haben sollte.
08.05.2011 um 18:53 Uhr anne
die herrenkultur entledigte sich(unliebsamer) frauen in brutalster weise, wie z.b. heinrich VIII seine aufmüpfige, unwillige ehefrau anna boleyn aufs schafott schickte.
die arme cosel wurde zwar nicht geköpft - wenn es stimmt, bestand sie darauf, dass der schwache womanizer august sein eheversprechen ihr gegenüber einlöste; auch das wurde ihr zum verhängnis. einfach lächerlich, wie die männer sich mit der zahl ihrer nachkommenschaft selbst aufwerteten - als zeichen ihrer männlichkeit. dass frauen wie gebärmaschinen benutzt, ob freiwillig oder meistens unfreiwillig, zahlreiche zwangerschaften unter erschwerten umständen leisteten, war/ist ihnen keine rede wert. auch constantia von cosel wurde einfach vergessen:
“...als letzter kommandant verliess ein oberst francken die festung. aber constantia lebte immer noch, und noch immer war sie gefangen. alle mitspieler aus ihrer grossen zeit waren von der bühne abgetreten, ein licht nach dem anderen verloschen, und sie sass vergessen unter einer rußigen lampe.
es war niemand mehr da, der wollte , dass sie gefangen war, aber auch niemand, der die verantwortung auf sich zu nehmen wagte, die staatsgefangene zu entlassen, und so verwaltete die bürokratie sie weiter..” (auszug aus: die geschichte einer mätresse, gabriele hoffmann)
gäbe es eine andere fortpflanzungsmethode, wären mio frauen zwangerschaften und unendliches leid erspart geblieben - wir hätten keine überbevölkerung, keine sexualisierte gewalt gegen weibliche menschen, keine frauenverachtende kommerz. sexindustrie, porNOgrafie und (zwangs-)prostitution, keine herrenkultur….
“das glaubensbekenntnis des mannes lautet doch seit hunderten jahren `ich, ich, ich` - vom grossen feldherrn bis zum kleinen biertischstrategen dreht sich doch der ganze kosmos nur um sie selbst.” Inge Strobl