Leo Tolstoi über Donald Trump
Den folgenden Text schrieb Leo Tolstoi vor rund 150 Jahren:
Ein Mann ohne Überzeugungen, ohne feste Gewohnheiten, ohne Traditionen […] wird durch die, wie es scheinen möchte, seltsamsten Zufälle […] vorwärtsgeschoben und […] an eine hervorragende Stelle befördert.
[…] Die wie Aufrichtigkeit aussehende Lügenhaftigkeit und die glänzende, selbstbewusste Beschränktheit dieses Menschen bringen ihn an die Spitze […]. Die […] Unlust der Gegner, sich auf einen Kampf einzulassen, seine knabenhafte Dreistigkeit und Zuversichtlichkeit verhelfen ihm zu […] Ruhm. Eine zahllose Menge sogenannter Zufälle kommt ihm überall zustatten. […]
Jenes Ideal von Ruhm und Größe, das darin besteht, dass man keine der eigenen Taten für sittlich schlecht hält, sondern im Gegenteil auf jedes Verbrechen, das man begangen hat, stolz ist, indem man ihm eine unbegreifliche, übernatürliche Bedeutung beilegt, dieses Ideal, das in Zukunft für diesen Menschen und seine Gefolgsleute der Leitstern sein soll, gelangt […] zu schrankenloser Ausbildung. Alles, was er tut, gelingt ihm. […] Als er, schon völlig betäubt von den Verbrechen, die er mit solchem Glück begangen hat, auf seine Rolle wohl vorbereitet, ohne jeden sichtbaren Zweck nach P. kommt, hat jene Zersetzung der republikanischen Regierung, die ihn ein Jahr vorher hätte vernichten können, nun gerade den höchsten Grad erreicht, und seine Anwesenheit kann, da er dem Parteitreiben fernsteht, ihm jetzt nur zu weiterem Aufsteigen behilflich sein.
Er hat keinen bestimmten Plan; er fürchtet alles; aber die Parteien klammern sich an ihn und verlangen seine Mitwirkung.
Er allein mit seinem Ideal von Ruhm und Größe, […] mit seiner unsinnigen Selbstvergötterung, mit seiner Dreistigkeit im Begehen von Verbrechen, mit seiner wie Aufrichtigkeit aussehenden Lügenhaftigkeit, er allein ist imstande, das, was geschehen soll, auf sein Gewissen zu nehmen.
Er ist nötig für den Platz, der seiner wartet, und darum wird er, fast ohne dass er es gewollt hätte, trotz seiner Unentschlossenheit, trotz aller Fehler, die er begeht, und trotzdem es ihm an einem Plan mangelt, in eine Verschwörung hineingezogen, deren Zweck die Usurpation der höchsten Macht ist, und diese Verschwörung wird von Erfolg gekrönt.
Man drängt ihn in eine Sitzung der Machthaber. Erschrocken will er fliehen […] ; er redet sinnlose Dinge, die ihn hätten ins Verderben stürzen müssen. Aber die Machthaber […] , früher so scharfsinnig und stolz, sind jetzt, in dem Bewusstsein, dass ihre Rolle ausgespielt ist, noch verlegener als er und reden in ganz anderer Weise, als wie sie hätten reden müssen, um die Macht in Händen zu behalten und ihn zu vernichten.
Ein »Zufall«, Millionen von »Zufällen« legen die Macht in seine Hände, und alle Menschen wirken, wie wenn sie sich verschworen hätten, zur Befestigung dieser Macht mit. »Zufälle« machen die Charaktere der damaligen Machthaber … ihm gefügig […]
Sie haben sicher - trotz meiner raffinierten Aussparungen - längst gemerkt, dass hier von Napoleon die Rede ist. Deshalb zitiere ich nun Klartext:
»Zufall« und »Genialität« verleihen ihm den Sieg bei Austerlitz, und alle Menschen, nicht nur die Franzosen, sondern auch das ganze übrige Europa mit Ausnahme Englands, welches auch an den kommenden Ereignissen sich nicht beteiligt, alle Menschen erkennen nun »zufällig«, trotz ihres früheren Entsetzens und Abscheus vor seinen Verbrechen, seine hohe Stellung und den Titel, den er sich gegeben hat, und sein Ideal von Größe und Ruhm an, ein Ideal, das allen als etwas Schönes und Vernünftiges erscheint.
Als wollten sie einen Vorversuch machen und sich auf die bevorstehende Bewegung vorbereiten, streben die Westmächte zu wiederholten Malen in den Jahren 1805, 1806, 1807, 1809 nach dem Osten, mit immer stärkerer Wucht und wachsender Masse. Im Jahre 1811 fließt die Menschengruppe, die sich in Frankreich gebildet hat, mit den mitteleuropäischen Völkern zu einer einzigen, gewaltigen Gruppe zusammen. Gleichzeitig mit der Vergrößerung dieser Menschengruppe entwickelt sich die Kraft des an der Spitze dieser Bewegung stehenden Mannes, alles zu verantworten. In der zehnjährigen Vorbereitungszeit, die der großen Bewegung vorangeht, kommt dieser Mann mit allen gekrönten Häuptern Europas zusammen. Die gedemütigten Herren der Welt können dem sinnlosen napoleonischen Ideal von Ruhm und Größe kein vernünftiges Ideal gegenüberstellen. Wetteifernd suchen sie ihm ihre Nichtigkeit zu zeigen. Der König von Preußen schickt seine Gemahlin hin, damit sie die Gnade des großen Mannes erschmeichle; der Kaiser von Österreich erachtet es als eine besondere Huld, daß dieser Mensch die Kaisertochter in sein Ehebett nimmt; der Papst, der Hüter des Heiligtums der Völker, wirkt dienstbereit mit seiner Religion zur Erhöhung des großen Mannes mit. Nicht sowohl Napoleon selbst bereitet sich auf die Durchführung seiner Rolle vor, als vielmehr bereitet ihn seine ganze Umgebung darauf vor, die ganze Verantwortung für alles, was geschieht und noch geschehen soll, zu übernehmen. Jede seiner Handlungen, Übeltaten und unwürdigen Betrügereien, was er nur tut, alles nimmt in der Darstellung seiner Umgebung sofort die Form einer Großtat an. Das schönste Fest, das die Deutschen für ihn ersinnen können, ist die Feier der Schlacht von Jena und Auerstedt. Und nicht nur er ist groß, sondern groß sind auch seine Vorfahren, seine Brüder, seine Stiefsöhne und Schwäger. Es geschieht alles, um ihn der letzten Verstandeskraft zu berauben und ihn zu seiner furchtbaren Rolle vorzubereiten. Und da er selbst bereit ist, sind auch seine Streitkräfte bereit.
Soweit Tolstoi im Epilog zu "Krieg und Frieden", erster Teil, Kapitel 3. Ohne Auslassungen nachzulesen hier:
Als ich diese Passage kürzlich hörte, vorgelesen von dem fabelhaften Ulrich Noethen, dachte ich, Tolstoi rede über Donald Trump, so verblüffend und erschreckend waren die Parallelen zwischen den beiden Ungeheuern.
Napoleon ging schließlich unter an seinem Größenwahn, aber zuvor richtete er die damalige Welt fast zugrunde.
Ich hoffe, dass das Electoral College morgen das Richtige tut und Donald Trump abwählt.
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3 Kommentare
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20.12.2016 um 11:58 Uhr Amy
Auch Beethoven war zu Beginn ein glühender Verehrer Napoleons und hatte ihm (zitiert) die `Eroica` , seine dritte Sinfonie, mit einem schwungvollen getuschten Deckblatt gewidmet. Napoleon wird als Rassist und Massenmörder benannt - wie so viele andere vor und nach ihm . Auch Hitler verbeugte sich vor Napoleons Sarkophag. Sein erster Weg im eroberten Paris führte ihn in den Invalidendom. Wie wichtig, dass wir all diese Massenmörder und Kriegshelden , den ganzen HeldenEpos kritisch hinterfragen . 3,5 Millionen Menschen starben in den napoleonischen Kriegen. Die Spuren seiner Kriegslüsternheit und Gewalthandlungen sind auch hier im Mittelrheintal zu sehen. Es gibt den Begriff vom `Napoleon-Komplex`, wenn Männer Vorstellungen von Ruhm, Größe , Ehre mit Gewalt, Eroberung und dem unendlichen Leid für die Menschheit in Verbindung bringen. Es gibt sie immer wieder, sie sind keine aussterbende Spezies ; Mit Trump an der Spitze werden wir wohl auf diese Spezies erneut eingestimmt. Danke an Luise für diese klugen Hinweise, die wieder zum Nachdenken anregen. http://www.theeuropean.de/sebastian-sigler/10643-diktator-der-schlimmsten-sorte
19.12.2016 um 13:20 Uhr Lena Vandrey
Welch’ eine witzige Idee, Tolstoi über Trump reden zu lassen und damit Napoleon zu meinen. Das ist gekonnt !
Christa Reinig schrieb vormals, Napoleon sei eine Frau gewesen, was nicht verhinderte, dass seine Genitalie, eine kleine, verkröpelte Beule, unlängst in London versteigert wurde und durchaus Abnehmer fand. Die gleiche Reinig schrieb auch: “Die Menschen sind gar nicht so schlecht, aber ihre Götter sind furchtbar”. Eine peinliche Chose in dem Leben dieses Verbrechers und Massenmörders ist die Haltung Goethes. Aus Abscheu vor einem deutschen Nationalismus, (den er richtigerweise vorausgesehen hat), vergötterte er einen Kriminellen und Schlächter. Die großen Männer unter sich sind widerlich. Beide hatten wohl recht wenig Gewissen und etwas zu viel Talent. Wir können uns nun die Frage stellen, wie hat Goethe Hölderlin und Kleist und so viele andere geradezu vernichtet, um einem Verbrecher zuzudienen. Der Verbrecher befindet sich im Dom der Invaliden, und das ist ganz richtig so, denn es handelt sich bei Verbrechern um seelisches Gebrechen.
Ich will nun Napoleon nicht rechtfertigen, aber es gibt ein paar Sachen, die nicht so bekannt sind und es verdienen, bekannter zu werden. Einmal der Code Civil, sein Gesetzbuch, immer noch gültig, für Frauen aber gar nicht gut, weil alle Macht den Familienvätern zugestanden wird, und Frauen in Hosen sollen eingesperrt werden, das Ende des Gemetzels der Französischen Revolution, die Emigranten konnten zurückkommen ohne weitere Verfolgung, und das Zugeständnis der vollständigen Bürgerrechte an die Juden. Das hatte für Frankreich sehr positive Folgen, denn aus dem Rheinland kamen vermögende Leute, aus Weil, Trier, Worms, Speyer, u.a. Jeanne Weil, die Mutter von Marcel Proust, was ihrem Sohn erlaubte, eine Wohnung zu haben, mit Aufzug, Telefon, Badezimmer und Auto, also was viele Leute heute noch nicht haben. Die Juden empfanden Napoleon als einen guten Vater und fanden, dass sie es besser hatten unter den Franzosen als unter den Preußen. Irrerweise gibt es immer noch eine Dynastie von Prinzen und Fürsten Napoleon und Bonaparte, und einen Kult dieses Mörders.
Ja, ja, die Menschen sind gar nicht so schlecht, aber, aber ...
18.12.2016 um 17:42 Uhr Joey Horsley
Amazing parallels! For English-speaking readers, here’s a link:
http://www.gutenberg.org/files/2600/2600-h/2600-h.htm#link2HCH0339
However, in the English version these passages are found in Epilogue 1, CH 3.