Lesben im Fußball und überall
Die Fußball-WM nähert sich ihrem Höhepunkt und Ende. Gestern haben wir hier in Boston per Internet das Spiel Deutschland gegen Japan gesehen und heftig mit den deutschen Spielerinnen getrauert. Heute sahen wir Brasilien gegen die USA - den spannendsten Fußballkrimi der Geschichte. Joey fieberte für ihr Land, ich für Brasilien, einfach weil es die Sache noch spannender macht, wenn wir uns für verschiedene Teams engagieren - von meiner Seite aber auch aus Verehrung für Marta, das Fußballwunder. Aber Abby Wambach und Hope Solo bewundere ich auch sehr, und eigentlich fand ich, Marta und Abby hätten nicht gegeneinander spielen sollen, weil eine ja verlieren musste, und das konnte doch den vielen Fans von beiden nur das Herz zerreißen.
Anyway, wir haben alles überstanden und sitzen schon wieder an der Arbeit. Gleich nach dem Spiel Deutschland gegen Nigeria wollte ich natürlich eine Glosse über Lesben im Fußball schreiben, aber Bastian Sick kam mir mit seinen Sicksismen dazwischen. Ich wurde bereits aus Leserinnenkreisen gemahnt, mich doch bitte zu der nigerianischen Lesbendiskriminierung und der lahmen Reaktion der FIFA zu äußern. Voilà:
Zunächst mal: Wen oder welche interessiert denn die Frage, ob eine Spielerin nun lesbisch ist oder nicht, noch nach so einem Jahrhundertspiel wie dem eben zwischen USA und Brasilien? Jedenfalls spielten weder Abby noch Marta mit Makeup (wie Bajmaraj) oder Nagellack (wie Kulig). Also sind sie wohl beide Lesben, oder? Aber Marta hat einen Pferdeschwanz, wie fast alle Brasilianerinnen. Also doch keine Lesbe? Aber sie spielt in einem US-Team, da müssen alle mindestens einen Pferdeschwanz tragen, um mit den langen Haaren gegen den Lesbenverdacht anzuarbeiten. Denn sonst gibt es weniger Werbeeinnahmen. Aber Abby setzt sich einfach darüber hinweg.Ach wer soll sich denn da noch auskennen. Über Lesben im Fußball ist seit dem Spiel gegen Nigeria schon viel Kluges gesagt worden, ich will das hier nicht wiederholen.
Die Lesben wollen demnach schon, dass die Lesben in der Nationalelf sich outen, damit wir aller Welt zeigen können: Seht her, wir Lesben sind auch was wert. Sehr verständlicher Wunsch. Genau so wie „die Deutschen“ Weltmeister werden wollen oder wenn ein Deutscher Papst wird, stolz ausrufen „Wir sind Papst“. Na dann kann ja nix mehr schiefgehen.
Also diese Sache mit dem Fanwesen und der Selbstvergrößerung durch Idole, die „wie wir“ sind oder „aus demselben Land wie wir“ ist komplex und allgemein menschlich.
Wir sollten also das Problem offensiv angehen statt defensiv à la „Don’t ask, don’t tell“ oder „die sexuelle Orientierung ist Privatsache und geht niemand was an“. Denn wie ich an anderer Stelle schon ausgeführt habe, ist „das Privatleben“ keineswegs Privatsache, sondern gesellschaftlich vorgeschrieben. Nur wenn ich die Vorschrift erfülle und das „richtige (heterosexuelle) Privatleben“ zum öffentlichen Vorzeigen habe, gibt es kein hämisches Gerede und Gemunkel und einen kräftezehrenden Stressfaktor weniger.
Warum wehren Männer sich so vehement gegen den Frauenfußball, dass sie ihn erst verbieten und dann, nachdem das Verbot aufgehoben ist, als Lesbenfußball diffamieren? Für mich ist das ja eher ein Ehrenprädikat, aber das sehen nicht alle so, besonders die Werbebranche nicht, und um die geht es ja hier. Kurz: Es geht um Geld und knappe Ressourcen. Sollte der Frauenfußball populärer werden, wird die Werbebranche entsprechend mehr investieren wollen - Geld, das dem Männerfußball verloren geht. Das Schreckgespenst Lesbe hat schon immer geholfen, ängstliche Frauen von Tätigkeiten fernzuhalten, die mehr Spaß machen als Kinderhüten, den Haushalt zu besorgen und den Gatten oder Freund rundum zufrieden zu stellen. Früher galten Frauen, die studieren wollten, als Mannweiber. Und erst Frauen, die in die Politik wollten. Oder zu Gericht sitzen. Oder von der Kanzel predigen.
Mann hat das Problem mit der weiblichen Konkurrenz schon immer mittels des Schreckgespensts Mannweib/Lesbe zu lösen versucht, in der Regel sehr erfolgreich, weil die Frauen mitgespielt haben. Der Mann definierte einfach alle MENSCHLICHEN Tätigkeits- und Interessengebiete als MÄNNLICH bis auf die Pflege des Haushalts, der Kinder und des Gatten - und schon hatte er alle Ressourcen für sich gepachtet.
Das Schreckgespenst Lesbe schadet ALLEN Frauen. Denn jede Frau, und sei sie noch so hetero, kann - solange das Schreckgespenst lebt und mächtig abschreckt - als Lesbe diffamiert und so ganz leicht aus dem Rennen um die knappen Ressourcen gedrängt werden. ALLE Frauen täten also gut daran, Lesben zum bewunderten Vorbild zu erheben oder sich als Lesben zu outen, um aus dem Schreckgespenst Lesbe eine ganz normale Frau zu machen, wie du und ich und Marta, Abby, Birgit, Nadine, Kim und Lira. Erst dann gibt es eine gleichberechtigte Konkurrenz um SponsorInnengelder und alle anderen Vergünstigungen, die die Männer lieber nicht mit uns teilen würden.
Ende der siebziger Jahre waren wir schon mal fast soweit, und die Schwulen beneideten uns glühend um die Solidarität zwischen Frauen, ob Lesbe oder Hetera. Inzwischen ist uns durch raffinierte Machopropaganda viel Terrain verloren gegangen, das es schleunigst wiederzuerobern gilt.
Diese Fußball-WM ist ein guter Anfang. Und wenn bei der nächsten WM die Lesben in der deutschen Nationalelf nicht mehr so gestresst werden durch den Kampf mit dem Stigma „Lesbe“, haben sie alle Kräfte für ihre fabelhaften Ballkünste frei, und „wir“ werden ganz bestimmt Weltmeista.
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12 Kommentare
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11.07.2011 um 21:12 Uhr Amy
Deutliche Worte zur Diskriminierung kamen auch einmal von der bekannten Fechterin Imke Duplitzer “Lesbische Sportlerinnen werden diskriminiert.”
http://www.welt.de/sport/article1258409/Lesbische_Sportlerinnen_werden_diskriminiert.html
@ Lena Vandrey: Eine schöne Idee, `Frauenpaar-Eistanz` auch als sportliche Disziplin.
Typisch die Medienschelte, die über das Fußball-Frauen-Team niederprasselt.
Das Team sollte jetzt mental aufgebaut und nicht noch medial zerlegt werden. Und Herr Beckenbauer als Medien-Licht-Gestalt prophezeit schon ein wiederkehrendes Desinteresse am Fußball.
Zeugnis einer unmenschlichen Gesellschaft, in der nur Siege/Erfolge zählen? und VerliererInnen abgestraft werden…
11.07.2011 um 16:10 Uhr Lena Vandrey
Zum Sport überhaupt:
Es gibt keinen guten und keinen schlechten Geschmack,es gibt nur Geschmack an der Sache. Wer sich für Massen-Veranstaltungen interessiert, kann zu Recht fordern, dass sie auch von Frauen bestückt werden. SchweiB, Tränen, Schreie, Tritte: das ist, wie ihr wollt.
Es gibt aber auch anderes: die maskierten Fechterinnen in ihrer tanzenden Intellektualität verkörpern das A-Sexuelle; die Skispringerinnen fliegen wie Riesenvögel durch die Luft; die Eistänzerinnen zeichnen ihre Voluten und heben die Schwerkraft durch die Sprünge auf; die Reiterinnen in ihrem amazonischen Können bilden ein Ganzes mit ihrem Pferd, eine Sport-Version, für die sich hauptsächlich Mädchen interessieren. Und das Schachspiel als Geistes-Sport, als Gehirn-Akrobatik. Alle diese Disziplinen, eher Akrobatik denn Sport, wie Reden, Schreiben, Malen, Bildhauern. Nur: WER kann sich das leisten? Das alles wird als elitär betrachtet, es ist für wenige da.
Ich kann nicht umhin, an Leni Riefenstahls Film über die Olympischen Spiele zu denken und an die Black-Panthers, die dem Publikum ihre Faust zeigen, um ihren Sieg politisch zu bedeuten.
Ob lesbische Sportlerinnen es ihnen nachahmen könnten? Das möchte ich fürs Erste bezweifeln.
Als Anekdote: Monique Wittig und Sande Zeig schrieben eine “Kladde für ein Wörterbuch der Geliebten”. Die deutsche Fassung hieB “Lesbische Völker”, schlecht übersetzt von “Lesbian Peoples”. Es gibt keine lesbischen Völker und kann keine geben, aber lesbische Leute, die gibt es. Es sind Individuen, auch und gerade in einer Gruppe in unauflösbarer Identität.
Aber vielleicht geschieht doch einmal ein Wunder: der Frauenpaar-Eistanz! Dann würde ich für sie “fiebern”, gleichgültig, woher sie kommen!
11.07.2011 um 15:11 Uhr Amy
Ja, alle Frauen täten gut daran, Lesben zum bewunderten Vorbild zu erheben… Diese Aktion hätten unsere Fußballspielerinnen anlässlich dieser WM nutzen können, anstatt die Playboy-Aktion als Gegenbeweis des vom Patriarchat inszenierten Schreckgespenst LESBE zu unterstützen.
Fußball ist auch ein Sport der Frauen mit lesbischer Identität. Und gerade sie sind es, die sich in den frühen Jahren der Fußballgeschichte mit Ausdauer und Mut der Häme und Abwertung des `Weiblichen` durch die patriarchale misogyne Männerdominanz entgegengesetzt haben. Der inter/nationale Sportbetrieb ist ebenso ein politischer Faktor und steht für Toleranz, gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus etc.
Rebellische Fauen, wie auch Lesben und Feministinnen waren/sind unerwünscht. Deshalb auch wichtig, gegen die `spachliche` Nichtbeachtung oder Undeutlichkeit des Identitäts-Begriffes “Lesbe, Lesbisch-sein” vehement anzugehen.
Das Wort Lesbe nicht meiden (schafft die Lesbe ab), sondern auch öffentlich darauf bestehen. Der Hintergründe des Stigmas (Mannweib) ist die älteste Diskriminierung der Welt, und die heisst Misogynie. Lesben waren/sind für die Männerwelt auch unbequeme Frauen.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Elke Amberg schreibt i.d. Taz über die kaum vorhandene Präsenz von Lesben in den Medien, die Vorteile der Schwulen und die Reduktion auf Mutterrollen und gutes Aussehen. Der Begriff `lesbisch` in den Medien ist offenbar noch stark tabuisiert. Lesben werden in der Presse nicht benannt, sie kommen als gesellschaftliche Gruppe also nicht vor. Sie werden selten zitiert und stehen fast nie im Mittelpunkt des Textes. Es sei denn, sie sind Mütter. Auch dann heisst es nicht `lesbische` Frauen, sondern ´zwei Mütter` oder `Regenbogenfamilie`. (zitiert TAZ v. 17.6.2o11)
Wir Frauen sollten stolz sein auf unsere vielen weiblichen Vorbilder (Lesben, Feministinnen, Emanzen etc./hier bei FemBio sichtbar und gewürdigt). Das Stigma aber hält sich weiterhin, obwohl sich doch viele sympathische Frauen des öffentlichen Lesbens als Frauen mit lesbischer Identität geoutet haben (Anne Will, Shamim Sharif, Ellen DeGeneres, Ulrike Folkerts, Jodie Foster, Maren Kroymann, Martina Navratilova u.v.m.)
Die brasilianische Weltfußballerin Marta wurde zur Vorkämpferin f.d. Aufbau des `Fußballs`. Erst ab ca. 2007 änderte sich etwas für die Frauen im Männer-Fußball-Musterland Brasilien. Eine Gesellschaft, die den Machismo weithin verinnerlicht hat und in der Fußball spielende Frauen auch von Frauen diskriminiert werden. Brasilianische Fußballspielerinnen sind keine Profis und können kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten; Fußballspielerinnen gelten als Lesben (also doch ein Ehrenprädikat).
Offiziell sind Diskriminierungen wie Sexismus, Rassismus zwar verboten. Aber Vorurteile nach wie vor präsent. Erst kürzlich stoppte die konservative Regierung eine Aufklärungskampagne (Film) in den Schulen über die Lesben- und Schwulenfeindlichkeit. Noch bis in die 1980er Jahre wurden in Brasilien Frauen von dieser Sportart ausgeschlossen.
Auch der Männerverein FIFA sollte endlich Flagge zeigen und sich zur Regenbogenfahne bekennen bzw. für alle sichtbar die Lesbenflagge hissen…
http://www.zeit.de/karriere/beruf/2011-06/lesben-diskriminierung-karriere/seite-1
11.07.2011 um 11:23 Uhr Lena Vandrey
“Für mein Land zu fiebern” - könnte ich nicht, denn ich habe keines.
Im Sport finde ich Frauen sympathisch, wenn sie so erscheinen - und unsympathisch, wenn sie Selbsthass, Frauenhass und Angepasstsein willig verkörpern.
Für Lesben sollte es heiBen: Weder Gott noch Göttin, weder Herr noch Herrin!
Lesben sollen sich als solche bekannt geben - wenn sie es können. Eine Pflicht kann es nicht sein.
Denken wir an die französische Tennisspielerin Amélie Mauresmo. Ihre Gegnerin bezeichnete sie als Mannweib, Kerl, Typ, und ganz Frankreich zeigte sich darüber empört. Mauresmo saB im Fernsehen, wallende, offene, nachblondierte Haare, geschminkt und in hellblauer Seide. Unter den zärtlichsten Blicken der Moderatorin wurde sie gewissermaBen nationalisiert. Die groBe Nation raffte sich den neuen Tennis-Star.
Dann gab es eine PR-Aktion sondergleichen: Amélie und Freundin auf den Covers der gröBten Magazine. Das wird sie eines Tages bedauern, sagte ich.
Und sie tat es. Liebesgeschichte vorbei, und inzwischen die Karriere auch.
Mauresmo mit Gaulschwanz, mutig, weil ehrlich und unerfahren, ist ein Niemand geworden. Ob Lesbe oder nicht interessiert die Leute nicht mehr, die da Idole konstruieren, diese Eintagsfliegen auf einem Sockel, die da herunterpurzeln und je höher, desto tiefer fallen.
Dass Lesben Idole brauchen wie anscheinend alle Welt, und sie sich lieber im Körperlichen denn im Geistigen suchen - warum nicht? Einfacher ist es auf jeden Fall und so gar nicht anstrengend.
Martina Nawratilowa hatte viele Lesben-Fans. Weil sie Lesbe war, nicht wegen USA oder der Tschechei. Lesbian peoples are international.
In den Spielkämpfen der Nationen werden sie anders sozialisiert und müssen entweder ihre Identität im Ankleideraum lassen - oder sie besonders betonen. Mehr Forderungen an Lesben, mehr Stress - was für ein Leben!
Aber keine Sorge: sie sind ja die Stärksten, diese Androgynen, die Amazonen.
Und das wollen die Nationen: Gladiatorinnen!