Menstruella und Menstruator
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Neunundvierzigste Lektion.
Ich lese gerade ein faszinierendes Buch über Menstruationspolitik von Chris Bobel, Direktorin des Women’s Studies Program an der Universität von Massachusetts in Boston. Das Buch trägt den Titel New Blood: Third-Wave Feminism and the Politics of Menstruation (Rutgers University Press, 2010). Bobel erzählt darin von “menstrual activists” wie der “Roten Brigade”, die Front machen gegen die Gefahren “weiblicher Hygieneprodukte” (FemCare), als da wären: Dioxinvergiftung, Mikrowunden, Pilzinfektionen, Endometriose, toxisches Schocksyndrom sowie der endlose Abfall, den Herstellung und Entsorgung von Einmalprodukten verursachen.
Das Buch ist so neu, dass es noch nicht übersetzt wurde - ich bezweifle auch, dass es ins Deutsche übersetzt werden wird, weil es bei uns (noch?) keine Menstrual-Aktivistinnen gibt. Oder habe ich da wieder was nicht mitgekriegt? Ich lasse mich gerne aufklären.
Wenn es aber übersetzt würde, bräuchte es dazu eine sehr kreative Übersetzerin. Das fängt mit dem Wort "FemCare" an. Auf meiner Lieblings-Übersetzungsseite Linguee finde ich als deutsche Entsprechung “Damenhygiene”. Wo ich grad mal dabei war, habe ich natürlich gleich nach den männlichen Pendants “Männerhygiene” und “Herrenhygiene” geforscht - aber die Wörter gibt es anscheinend nicht. Dass Männer so unreinlich sind, dass für spezifisch männliche Hygiene nicht mal ein Wort existiert, ist schon beklemmend, besonders wenn wir an den Gebärmutterhalskrebs denken, den die Papillomaviren an ihrem unhygienischen Stöpsel bei Frauen verursachen.
Die Dame verdankt der Damenhygiene-Industrie die Damenbinde. Der Herr aber trägt statt einer Herrenbinde seinen Binder. Die Sprache rund um die “weibliche Hygiene” ist voller Absurdität. Schon vor 28 Jahren musste ich in meiner allerersten Glosse feststellen: "Die Menstruation ist bei jedem ein bisschen anders" (Zitat Tamponreklame). Und vor 30 Jahren machte ich in einem Linguistikseminar eine Umfrage zu Sprache und Menstruation, mit Fragen wie: "Welche Ausdrücke benutzt du / deine Freundin / deine Mutter für den Tampon / die Menstruation, undsoweiter?". Folgendes kam heraus: Für den Tampon sagten manche "Stöpsel", eine Schweizerin “Bölzli”. Für die Menstruation: "Ich habe meine Tage / meine Regel / Periode / Monatsblutung." Wir stellten dazu fest, dass diese Ausdrücke wie Sätze über Krankheiten klingen: “Ich habe Durchfall / Parkinson / meine Tage / Migräne”. Eine sagte: "Ich blute." Das fand sie ehrlich und klar, besser als diese weichgespülte FemCare-Sprache von den kritischen Tagen.
Meine Mutter sagte voller Selbstverachtung: “Ich habe mein Gedöns” - fast so negativ wie das englische “the curse” (der Fluch). Das Wort "Gedöns" hörte ich dann jahrzehntelang nicht mehr, bis unser damaliger Ministerpräsident, der spätere Bundeskanzler Schröder, am Tag nach seinem Amtsantritt Frauenpolitik als Gedöns bezeichnete und das niedersächsische Frauenministerium abschaffte.
Das Wort, das mich in Bobels Untersuchung am meisten faszinierte, ist “menstruator”. So werden Menschen genannt, die “menstruieren” bzw. “ihre Tage haben”. Von “to menstruate” = menstruieren. Ich gehöre nicht mehr zu diesen Menschen, auch Schwangere, viele junge Sportlerinnen und magersüchtige Frauen nicht, wohl aber viele Männer (Transmänner). Dachten wir früher schlicht und altenfeindlich “Ich blute, also bin ich Frau”, so gilt diese Gleichung heute noch weniger als früher.
Für deutsche Ohren klingt "Menstruator" nach “Terminator” und also geradezu grotesk. "Die Menstruatorin?" Auch daneben.
Brauchen wir überhaupt eine Bezeichnung für eine Frau bzw. Person, die “ihre Tage hat”?
Eine schreibende Frau ist eine Schreiberin, eine lesende Frau ist eine Leserin, ähnlich haben wir Verkäuferinnen, Käuferinnen, Fahrerinnen, Malerinnen, Boxerinnen und Managerinnen. Warum haben wir kein Wort für eine Frau, die menstruiert? "Die Menstruiererin"??? Wir können es natürlich bilden und benutzen, aber komisch ist es schon, weil abgeleitet aus "der Menstruierer", der wenig sinnvoll wirkt, queering the binary hin oder her. Ähnlich seltsam wie "der Wöchner" und "der Lesbier".
Nach längerem Grübeln fiel mir "Menstruella" ein, abgeleitet aus "menstruell", wie in “prämenstruelles Syndrom” (PMS).
Obwohl entschieden postmenstruell, werde ich jetzt ganz promenstruell weiter in dem spannenden Buch lesen. Nächste Woche werde ich dann mehr über Menstruationspolitik als Schnittstelle zwischen zweiter und dritter Frauenbewegung wissen und hier eventuell kundtun.
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
25 Kommentare
Nächster Eintrag: Miegel und Seidel
Vorheriger Eintrag: Über den Autor
11.08.2010 um 09:29 Uhr Klaus
Apropos “Busenfreundin”, Almut ... was ist eigentlich das Pendant zur “Busenfreundin”?
“Sackkumpan”?
10.08.2010 um 12:09 Uhr adele meyer
Oh doch, liebe Luise. Es gab bereits in den 1970er Jahren “Menstrual-Aktivistinnen”, die in der damaligen Courage zum “gemeinsamen Bluten und mehr” aufgerufen haben. Diese seinerzeit blutjunge Bewegung hat ihr Monatsspektrum später um tagespolitische Ereignisse erweitert ...
Grüße Adele
10.08.2010 um 09:21 Uhr DrNI
Wie im Post schon angemerkt verdanken wir das Wort “Damenhygiene” wohl der Werbung, die kein analoges Wort “Herrenhygiene” braucht, weil Männer nicht nach Mondphasen blaue Flüssigkeit in Tampons hinein absondern (also der Werbung zufolge tun die Frauen das zumindest…).
Warum man daraus schließen mag, dass Männer es mit der Hygiene weniger genau nehmen, das wird mir wohl ein Rätsel bleiben. Weiter geht es dann auch hier in den Kommentaren mit dem Ekelbaron, der die Trennung zwischen gestyltem Äußeren und Hygiene nicht so recht hinbekommt. Man(n) kann sich morgens im Bad auch waschen ohne sich hinterher einen metrosexuellen Style aufzulegen. Das ist im Prinzip die Achselhaardebatte, da würden nicht nur Feministinnen sich wundern bis ärgern, wenn man sagen würde, Frauen mit Achselhaaren seien unhygienisch.
Sprache in der Werbung an sich ist ein interessantes Phänomen. Auch die Adjektive sind bemerkenswert: Produkte für Frauen sind oft “weich” und “sicher”, Produkte für Männer “präzise” und “stark”. Noch schlimmer wird es nur beim Männerfernsehen, also bei Schwerlasttransportdokus oder kriegsverherrlichender Ami-Propagandafilmchen auf DMAX. Da bekomme ich spontan Lust auf etwas Applied Linguistics – Wörter zählen. :-)
09.08.2010 um 20:23 Uhr Der Ekelbaron
Schöner Text… Eine Passage war mir dann aber doch zu “altfeministisch”:
“Dass Männer so unreinlich sind, dass für spezifisch männliche Hygiene nicht mal ein Wort existiert, ist schon beklemmend”
Besser:
“Dass Männer vom Patriarchat derart unhygienisch zugerichtet werden, dass für spezifisch männliche Hygiene nicht mal ein Wort existiert, ist schon beklemmend”
Es ist ja weniger Faulheit, als vielmehr die Tatsache, dass gepflegte Männer z.B. oft mit homophoben Attacken konfrontiert sind.
09.08.2010 um 13:59 Uhr Anne
weniger schönes bzw. typ. frauenabwertendes gibt die geschichte/abgerglauben über die menstruation herr:
“f.d. jüdische/christl. kirche war die
Menstruella unrein und wurde von jeglichen rituellen handlungen ausgeschlossen.”
und lustig geht es weiter (kulturgeschichte über die menstruation) “in der vergangenheit haben sich hauptsächlich männer m.d. wissenschaftl. bedeutung über die M. beschäftigt. für sie war der männliche kollege stets der ausgangspunkt der überlegungen und die frau das wesen, das von diesem abwich. häufig wurde sie auch als unfertiger mann angesehen. und aus diesem kontext heraus wurde die M. als etwas abnormales interpretiert , das auf die vermeintliche minderwertigkeit der frau hinweist.”
nicht nur die frage des körperkults, des vorgegebenen opt. frauenbildes wurde von den feministinnen der 70iger frauenbewegung kritisch hinterfragt, heftig bekämpft - sie haben sich frühzeitig gegen das damalige twiggy-modell (stöckchen) aufgelehnt, protestiert. und die kapital. marketingstrategien in werbung , medienwelt durchschaut .
ich wundere mich, wie sich junge frauen heute unpolitisch geben, fremd/bestimmen, manipulieren lassen. und sich dem diktat der mode-/sex-porno-industrie kritiklos unterwerfen - die übernahme dieses diktats auch noch als ihre freie entscheidung definieren. das frauenbild wird mehr zur kommerz. `ware` stilisiert. das selbstwertgefühl auf das äussere erscheinungsbild gepoolt - sei sexy, sei knackig, sei modisch perfekt, komplett durchgestylt, nackt/unbehaart bis ins kühle grab. von Ess-störungen, magersucht, zwangshandlungen, schönheits-operationen u.v.m. lässt sich in dieser globalisierten welt viel kapital schlagen.
dafür ernten die und wie sie gerne genannt werden `altfeministinnen` häufig häme oder werden diffamiert (siehe J.Seeliger zum artikel über A. Schwarzer, taz) - ich würde sagen, die kritik vieler `femi-omis` ist auch heute angebracht und aktuell wie zuvor. feminismus altert nicht.
feminismus soll `sexy` sein - nur, wenn frau unter den begriff `sexy` googelt ,zeigt sich das reinste lockmittel für männer - die frauenkörper wie üblich als mittel zum zweck. es zeigt wie junge frauen in model-castings-shows, sex-and-the-city-vorgaben sich unbedingt sexy geben sollen. hier wird bewusst ein frauenbild geschaffen, an dem ganze industriezweige sehr gut verdienen, denn mann braucht frischfleisch , junge kundinnen, junge `Ware`.. nun, und auch hier ist die `menstruation samt menstruella` eher fehl am platz? für ihren kampf um unabhängigkeit, gegen die herrenkultur hat frau allzeit viel bluten müssen.
http://www.sozialismus.info/?sid=918
09.08.2010 um 07:36 Uhr Stephanie
Hallo,
bei der Frage nach einer deutschen Vertreterin für “menstrual Aktivismus” muss ich sofort an Charlotte Roche denken - nicht nur wegen “Feuchtgebiete”, sondern weil die Frage nach Körperkult und damit einhergehend auch Hygiene ja bereits zu Anfang ihrer Viva-Karriere wichtig war (sie rasierte sich anfangs nicht unter den Achseln, was zu Turbulenzen führte).
Damit hätte ein Verlag, der sich für die Übersetzung entscheidet, doch keine schlechten Chancen auf dem Markt, oder?
Viele Grüße
Stephanie
08.08.2010 um 22:14 Uhr Almut
Liebe Luise,
durch die Busenfreundinnen (http://www.busenfreundinnen.net), die Frauen endlich zu passenden BHs verhelfen und dadurch viel für ihr Wohlbefinden, z.B. zur Befreiung von Komplexen, Rücken- und anderen Beschwerden tun, habe ich sehr viele Informationen zu Mooncups (Links, Erfahrungsberichte usw.) erhalten und benutze sie seit einiger Zeit mit großer Begeisterung: Wenn frau sich mit der Handhabung vertraut gemacht und das passende Modell gefunden hat, ist es eine echte Befreiung.
Liebe Grüße
Almut
08.08.2010 um 16:18 Uhr Anne
liebe luise - du bist nicht nur hin- sondern auch sehr mitreissend :-) und bringst wieder etliche feministische vorsorgeregeln an die frau!
männerhygiene kennt die suchmaschine nicht, nur unter männl. hygiene rät google zur `sexualhygiene` , ein wenig `kondominantes verhalten`. hinzu natürlich seitenweise vorstellungen zu `männerDüften` - doch damit lassen sich syndrome, probleme, symptome übertünchen ...
aber bleibt wieder rund um die verhütung, die schwangerschaft, die hygiene, die vorsorge, die impfung (schon mit 12 jahren), die gesundheit alles an den frauen hängen?
besorgniserregend ist, lt. umfrage hat die jugend zu mehr als 80 prozent z.b. von chlamydien-infektionen nie etwas gehört. mio frauen sind mit sexuell übertragbaren krankheiten, infektionskrankheiten, aids geschlagen - risikofaktor mann!
sogar die zigaretten-werbung warnt mit dem hinweis “rauchen kann tödlich sein.” gleiches gilt für ungeschützten sex, ungenügende männl. hygiene. frauen sind doppelt betroffen, zu viele hygiene-produkte mit chemischen zusätzen machen krank, wirken nicht nur im unterleib zerstörend.
und ein tampon bzw. eine tamponella kann beim einverleiben neben TSS lästig und schmerzhaft sein.
die heutige sexualisierte, kapitalistische porno-konsum-gesellschaft führt zur abstumpfung, eine schwächung von empathie und einfühlungsvermögen und nur noch zur eigenen bedürfnisbefriedigung. sexueller leistungsdruck in cliquen führt viele mädchen zu ungewollten, frühen sex. handlungen.
NEIN zu sagen, scheint nicht mehr gewünscht? letztendlich ist sie die Dumme! kaum dem kindesalter entwachsen, müssen sich mädchen schon mit der pillen-einnahme anfräundinnen, impfen lassen. promiskuität, S/M-praktiken, pornographie wird als zeitvertreib, vergnügen suggeriert. seitensprungkontakte, swinger-clubs, sex-urlaub sollen den alltag versüssen. wir tendieren selbst zum konsumartikel, zu unsicherheit, mangelndes selbstwertgefühl (menstruella), körperl. unbehagen, schönheits-operationen, mode-jugend-wahn durch den zwang zur anpassung, konformität.
überhaupt frau sollte besser frühzeitig “fraulenzen” mit liebevoller hinwendung zur ihrer natürlichkeit, zur frau .. so kann auch u.a. endlich schluß sein mit seinem ewigen schnorrgasmus, dem spermasochismus , den bruchstellen aus der herrenkultur und, und, und.
wow, hoffentlich erfahren wir bald mehr über die menstrualpolitik als schnittstelle zwischen zweiter und dritter frauenbewegung. in zeiten von mode-jugend-schönheitswahn und im konsum-porno-sex-rausch à la sex-and-the-city-bedürfnisse, sex sells zeigen sich gerade heute eine menge baustellen…
danke und llg Anne