Mit Vanille gen Italien
Aus: Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Fünfunddreißigste Lektion.
Zuerst bekam ich die Kopie eines Protestbriefs von Heide Göttner-Abendroth an den Wagenbach Verlag wegen des phallischen Titelbilds zu dem Buch: Vulva: Die Enthüllung des "unsichtbaren Geschlechts" von Mithu M. Sanyal:
Das sehr kundige Buch ist doch dem Thema "Vulva" gewidmet, darum verstehen wir nicht, wieso das unsichtbare Gechlecht, das Sie doch "enthüllen" wollen, sogleich wieder unsichtbar gemacht wird? Noch dazu durch eine dicken, großen Baumstamm, dessen sexuelle Analogie deutlich genug ist. Ein dicker "Penis" und eine kleine Frau mit unsichtbarer Vulva, von der nur die gespreizten Beine zu sehen sind. Sexistischer und frauenfeindlicher geht es wirklich nicht! Das Ganze erlaubt zudem die Assoziation an Vergewaltigung -- und das nach 30 Jahren feministischer Kritik an der Gewalt gegen Frauen.
Dann las ich einen Auszug aus dem Vulva-Buch in der neuen Emma. Hat mir sehr gut gefallen - wenn ich wieder in Deutschland bin, besorge ich mir das Buch, das bis dahin hoffentlich schon ein neues Titelbild bekommen hat.
Ich las dann noch einige Online-Interviews mit Mithu M. Sanyal, in denen sie erzählt, dass die “Vagina” der Vulva sozusagen die Schau gestohlen hat. Das liegt vielleicht an dem Erfolg von Eve Enslers Vagina-Monologen von 1998. Sie meint mit “Vagina” eindeutig nicht nur das “Loch da unten”, sondern, pars pro toto, die ganze Vulva mit allem Drum und Dran. Früher redeten wir deutschsprachigen Frauen ja - wenn überhaupt über die Gegend “da unten” - schamhaft von unserer “Scham”, die anatomisch gesehen exakt der “Vulva” entspricht. Nur, welche Frau, die auf sich hält, möchte sich heute wegen “untenrum” schon “schämen”? Feiern ist stattdessen angesagt, so wie Eve Ensler es vorgemacht hat. Und so kam auch hierzulande das tapfere Aussprechen des Wortes “Vagina” in Mode - ein Anglizismus wie so viele andere. In Seminaren, bei denen wir nach schöneren Wörtern für unsere “Scham” suchten, kam Vulva nicht an, nichtmal Vulkania (eine sinnige Fortentwicklung aus dem Scham- oder Venushügelchen). Den Frauen gefiel am besten Vagina, sie betonten es immer auf der ersten Silbe, was mir als Lateinerin widerstrebte, auch klingt es so sehr nach “vage” - aber meine Einwände fruchteten nichts. Dann doch lieber gleich Vanille. Wirklich, im Duden Herkunftswörterbuch (3. Auflage 2001!) finden wir unter “Vagina” - nichts, nur den Verweis: “s. Vanille”, und dort steht:
Vanille: [...] Das span. Wort (vainilla) bedeutet eigentlich “kleine Scheide; kleine Schote”. Es ist eine Verkleinerungsbildung zu span. vaina “Scheide; [Samen]hülse; Schote”, das aus lat. vagina “Schwertscheide; Scheide; Ährenhülse” stammt, aus dem auch Vagina “weibliche Scheide” entlehnt ist.
Nun wissen wir auch, woher der Vanilla-Sex seinen Namen hat.
Wie dem auch sei, worum es mir heute geht, das ist unser unaufhaltsamer Siegeszug “gen Italien”. Die männlichen Genitalien sind ja schon lange in Mode; phallisch schießt es immerfort aus allen Rohren. Nun ziehen wir also endlich nach, und das ist auch gut so. Oder vielleicht nicht?
Mit Judy Chicago, die am 20. Juli ihren 70. Geburtstag feiert, fing es vor 30 Jahren an. Die Dinnerparty mit ihrer Feier der großen Frauen der westlichen Geschichte durch üppig schwellende Vulven, serviert auf schön gestalteten Porzellantellern auf liebevoll handgearbeiteten Läufern (Läuferinnen?) - das war damals keine schlechte Provokation.
Knapp 20 Jahre später kam Eve Ensler mit ihren Vagina-Monologen. Die Vagina fing an zu sprechen und erzählte Grausliches und Wunderbares. Jedenfalls musste sie mühsam freigelegt werden, und wir waren erschüttert und hingerissen.
Seitdem überschlagen sich die Ereignisse und Bestsellerinnen: Letztes Jahr Charlotte Roches Feuchtgebiete, ein Jahr später schon Mithu Sanyals Vulva.
Nächstes Jahr kommt sicher die Klitoris endlich mal wieder dran und die Brust nebst Muttermilch. Und die armen Brustwarzen mit ihrem scheußlichen Namen hätten auch mal wieder mehr Aufmerksamkeit verdient. Manche sagen “Brustknospen” - aber da gibt es sicher noch besseres - Kreative vor!
Über die Menstruation habe ich auch schon ewig nix mehr gehört, (Die weise Wunde Menstruation erschien fast gleichzeitig mit der Dinner Party, Jutta Voss’ Schwarzmondtabu vor über 20 Jahren!). Auch Tampons haben noch keinen Platz an der Sonne. Und wie ist es mit dem Ausfluss, den Slipeinlagen und überhaupt den Windeln für Alt und Jung? - Gehört vielleicht alles zum Thema “Feuchtgebiete”, ich habe das Buch leider noch nicht gelesen.
Ja, es gibt viel aus der Scham-Ecke zu holen und mit Pomp zu feiern.
Vergessen wir bei all der Begeisterung über unsere wiederentdeckten und gründlich rehabilitierten Genitalien aber nicht unser wichtigstes und am besten verborgenes Sexualorgan: Das Gehirn.
Trotzdem hätte ich Virginia Woolfs Gehirn nur ungern auf einem schön gestalteten Porzellanteller serviert bekommen. Ob sie selber begeistert gewesen wäre, durch ihre Vulva, wenn auch nur symbolisch, vertreten zu werden - statt durch eins ihrer Werke?
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7 Kommentare
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27.07.2009 um 11:13 Uhr Katja
Ich nutze das Wort Vagina auch pars pro toto und finde, dass das auch sehr gut funktioniert. Zumal mensch sich ja ein Loch ohne die dazugehörigen Grenzen sowieso nicht vorstellen kann.
Außerdem kann meine kleine Tochter (2 1/2) das Wort Vagina gut aussprechen und ich hoffe, dass ich ihr damit einen Ausdruck an die Hand gebe, mit dem sie ihr gesamtes Geschlechtsteil den Rest ihres Lebens schamfrei und selbstbewusst benennen kann.
Dass unsere Tochter Vagina und Penis sagt, hat uns übrigens von anderen Müttern schon viel Kritik eingebracht, weil das nicht “kindgerecht” wäre. Seufz.
20.07.2009 um 00:19 Uhr Susanne
Am Wochenende haben mein Freund und ich uns eine schoene Umschreibung fuer Periode ausgedacht. Wir kamen auf Wisteria (die schoene Rankenpflanze, Chinesischer Blauregen) - abgeleitet vom Wort ‘hysteria’ von hystera = Uterus. Sie laesst sich schoen in Saetze einbauen: “How is your wisteria?” “My wisteria will be in full bloom” etc…
19.07.2009 um 13:44 Uhr Bettina
Interessante Diskussion zum Vulva Buch. Dass der Baum phallisch ist, hatte ich so noch nicht wahrgenommen. Obwohl ich es jetzt auch sehen kann. Aber nicht nur. Die Erdkraft, das Verwurzeltsein, das der Baumstamm zeigt ist für mich eine weibliche Kraft. Nicht alles, was aus der Vulva aufsteigt muss phallisch sein, oder? Ich habe selber erotische Photos von Bäumen gemacht, die sehr weiblich waren ... Danke für den Anstoß, Bettina
PS: das Buch gefällt mir übrigens sehr gut!
19.07.2009 um 13:23 Uhr Ellie
Statt ‘Brustwarzen’ sagen meine Partnerin und ich ‘Brustbeeren’
19.07.2009 um 13:04 Uhr Oliver
Die “Fäkalsprache” der “Feuchtgebiete” finde ich unproblematisch. Sie passt ja zum Inhalt, und mehr kann man von der Sprache eines Romans kaum verlangen. Unproblematisch ist vielleicht auch, dass das Buch literarisch nicht sehr interessant ist. Es ist unterhaltsam, und damit ist einer möglichen Anforderung Genüge getan. Es ist keine hohe Literatur, aber nicht deshalb, weil sich die Autorin in gewisse Niederungen und Vertiefungen begibt. Sondern weil Charlotte Roche andere grosse Begabungen hat. Gestört hat mich einmal, dass sie sich mit ihrer Heldin in eins gesetzt hat. Sie hat das später teilweise zurückgenommen, und trotzdem war sie da, die Vermischung der Ebenen. In meinem Blog gab es dazu einen “offenen Brief”, der auch als Kolumne in der Boulevardzeitung “Blick am Abend” veröffentlicht wurde: http://crazyprocesses.blog.de/2009/03/28/offener-brief-charlotte-roche-5848703/ ... Eigentlich ist es auch ein offener Brief an meine Studierenden, oder besser gesagt an meine Studentinnen und Studenten.
17.07.2009 um 22:01 Uhr Anne
Für mich enthüllt das phallische titelbild genau den missbrauch, den die vulva durch sexuelle männergewalt und manntasien häufig ausgesetzt ist - der frauenkörper als objekt jederzeit verfügbar zur sexuellen stimulanz, wie wir es kennen aus pornografie, prostitution, medienwelt etc. Vielleicht erhofft sich der verlag auch einen besseren verkaufsabsatz.
`Phallisch schiesst es aus allen rohren :-( `Machen wir`s den männern nach ? Nein danke!
Ich habe dieses buch noch nicht gelesen, weil das cover eigentlich abstossend auf mich wirkte - nicht `wertschätzend` - aber gerade Sanyal hat in einem interview kritisiert, dass in wirklichkeit z.b. in talkshows wenig wertschätzend über sex geredet wird: “Ich glaube, wir müssen die art, wie wir drüber reden, verändern`(Sanyal)- genau das schafft ihr buch. Es ist klug, lehrreich und unterhaltsam” (BR-online)
Nur wie verträgt sich das eigentlich mit der aufmachung ihres buches?
Wenig symphathie empfinde ich für Ch. Roches `feuchtgebiete` - sicherlich ist der intime körperbereich der am meisten aufmerksamkeit erhält und am häufigsten von negativen handlungen betroffen ist. Dennoch verstehe ich nicht, warum Roche sich in ihrem buch derartig einer fäkalsprache bedient - soll das etwa eine weibliche befreiung gegen gesellschaftliche Normen bedeuten? Nein danke, so nicht!
Aber dank an LFP für `Vanille gen Italien` (*/*) von Anne
17.07.2009 um 19:41 Uhr Oliver
Es fragt sich, wie das Ganze aussieht, wenn Herr Wagenbach die Bäume fällen lässt. Vielleicht kommt dann eine Frau zum Vorschein, die gar nicht so klein ist. Und dazu die bisher unsichtbar gebliebene Vulva. Und das ist dann auch wieder nicht recht. Wie auch immer, man kann das Cover auf diese Weise deuten. Aber genauso auf eine ganz andere. Und das sagt mir, dass es gar nicht so schlecht ist.