Sie sucht sie, er sucht er
aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Sechsunddreißigste Lektion.
Wir wissen schon lange, dass es nicht leicht ist, über Frauen zu schreiben, uns fehlen einfach die Worte.
Vieles haben wir bereits zurechtgerückt; wir haben die Ratsfrau, die Amtfrau und die PhysikerInnen; statt Wenn man sein Kind stillt sagen wir heute Wenn frau ihr Kind stillt, und das Pronomen frau steht sogar seit 2006 im Duden (30 Jahre hat’s gebraucht!).
Über die passenden Pendants zu Bauherr (Baufrau?) und Schirmherr (Schirmfrau?) wird noch diskutiert.
Kaum diskutiert wird der Mangel an “weiblichen Formen” in der deutschen Sprache, obwohl doch die weiblichen Formen angeblich so beliebt sind.
Nehmen wir die Überschriften in Partnerschaftsanzeigen: Er sucht sie, Sie sucht ihn, Sie sucht sie, Er sucht ihn. Nur wenn eine Frau eine Frau sucht, bleiben die Formen sich gleich (wie in diesem Satz, den Sie grade lesen). Nicht so, wenn ein Mann einen Mann sucht. Sie sucht sie heißt es, aber nicht Er sucht er.
Wird ein Femininum dekliniert, kommen wir auf ganze zwei Formen: Die Frau, der Frau, der Frau, die Frau
Der Mann bekommt hingegen vier Formen, damit ist er für alle Ausdrucksprobleme gerüstet: Der Mann, des Mannes, dem Manne, den Mann.
Nun werden manche gutmütigen Frauen wieder ausrufen: "Na und? Was soll daran schon schlimm sein?" Schlimm wird der Mangel an Formen genau dann, wenn ich darüber reden möchte, wie Frauen miteinander umgehen, was sie miteinander alles unternehmen. Aber dieses schöne Thema ist nicht erwünscht; jedenfalls kommt es in der hohen und niedrigen Literatur offenbar so selten vor, dass es sich in Wörterbüchern, die ihre Belege aus dieser Literatur entnehmen, nicht niedergeschlagen hat:
Als ich 1983 das Duden-Bedeutungswörterbuch analysierte*, kam ich zu dem betrüblichen Schluss, dass die Grundregel dieses Werks lautet: Frauen kümmern sich um den Mann und die Kinder - mit Frauen haben sie nichts zu tun. Männer dagegen hatten in dem Werk wenig mit Frauen zu tun, hauptsächlich gingen sie mit Männern um, im Guten (er lieh ihm sein Fahrrad) wie im Bösen (er haute ihm ein Ohr ab). “Sie zeigte ihm Ansichtskarten von Berlin” lese ich da als Beispiel für den korrekten Gebrauch von Ansichtskarte. "Sie zeigte ihr Ansichtskarten" - sowas kommt auf 80 Seiten (Umfang des Buchstabens A) nicht vor. Überhaupt kommen niemals zwei Frauen in einem Satz vor, bis auf dieses Beispiel: Sie fuhr anstelle ihrer Schwester mit (Beispielsatz für das Wort anstelle). Die armen Schwestern kommen in dem Satz zwar gemeinsam vor, unternehmen aber wieder nichts zusammen!
Seit den siebziger Jahren aber gibt es sie, die Literatur von Frauen über Frauen, und der Mann ist immer noch eine beliebte, aber nicht wie ehedem notwendige Zutat.
Frauen, die über Frauen schreiben, stellen fest, dass die fehlenden weiblichen Formen das Schreiben erheblich behindern können. Joey Horsley und ich geben gerade Band 2 unserer (geplanten) Tri- oder Tetralogie Berühmte Frauenpaare heraus. Selten stößt frau auf so viele Sätze mit dem hässlichen diese wie bei dieser Thematik, nur damit die Beziehungen nicht im Kuddelmuddel enden.
Hatte Irma nach der Silvesterfeier noch Zweifel daran, ob ihre Gefühle für Gabi nicht einseitig wären, war sie sich jetzt deren Gefühle sicher. Diese stand zu ihrer Liebe und schien keine Probleme damit zu haben.
Sprachlich viel einfacher sind da Heterobeziehungen:
Hatte Jan nach der Silvesterfeier noch Zweifel daran, ob seine Gefühle für Gabi nicht einseitig wären, war er sich jetzt ihrer Gefühle sicher. Sie stand zu ihrer Liebe und schien keine Probleme damit zu haben.
Oder nehmen wir diese Idee:
Niemand kannte ihn so gut wie sie. Niemand kannte er so gut wie sie. Niemand kannte er so gut wie ihn. Niemand kannte ihn so gut wie er. Niemand kannte sie so gut wie ihn. Niemand kannte sie so gut wie sie.
Nur beim letzten Beispiel bleibt es völlig im Dunkeln, welche der beiden “sie” die andere so gut kennt. Ich könnte Bände erzählen über diese Problematik, die sich erst dann im vollen Maße auftut, wenn wir über Frauen schreiben wollen. Die deutsche Sprache stellt uns dafür zu wenig “weibliche Formen” bereit.
Matthias Behlert, der kühne Pionier für eine gerechte Sprache, hat das Problem meines Wissens als erster erkannt und auch gleich zu lösen versucht**: Er meint, dass alle deutschen Substantive wie folgt dekliniert werden sollten:
Die Frau, der Frau, dem Frau, den Frau Die Mann, der Mann, dem Mann, den Mann Die Kind, der Kind, dem Kind, den Kind.
Tja. Durchschlagend, aber gewöhnungsbedürftig, ich gebe es zu.
••••••••••••••• * Pusch, Luise F. 1984 [1983]. "'Sie sah zu ihm auf wie zu einem Gott'. Das DUDEN-Bedeutungswörterbuch als Trivialroman", in: Pusch, Luise F. 1984. Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik. Frankfurt/M. edition suhrkamp 1217. S. 135-144. ** Behlert, Matthias. 1998. Die Häsis und die Igelin: 15 Grimmsche Märchen, überarbeitet und in entpatrifiziertes (gerechtes) Deutsch übertragen. Mit einer Erläuterung. Unveröff. Ms., Hier online als Pdf-Datei. style="padding:5px;" width="150" height="244" />
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2 Kommentare
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27.07.2009 um 16:00 Uhr fctberlin
Ich finde es beim Schreiben eines (!) Blogs auch immer wieder auffällig, dieses Fehlen von Deklinationsmöglichkeiten - ich schrieb in DEM Blog - also ist es plötzlich wider allen Versuchen wieder männlich (also entsprechend “DER Blog” - ok - da könnte es auch noch heißen, dass ich in DEN Blog schrieb - wer passt heutzutage schon noch ganz genau auf?) - es ist ein Versuch, zumindest dort etwas zu ändern, wo es möglich scheint - auch wenn es (!) nahezu unmöglich scheint. Ist vielleicht eine Variante, mal einen Blogbeitrag dazu zu schreiben? {nachdenklich-dreinblick] - da war doch heute was? Ja. Danke für die Anregung!
27.07.2009 um 14:18 Uhr Oliver
In meinen Romanen überwiegen weibliche Hauptpersonen, bei einer personalen Erzählsituation. In der Kombination dürfte das - bei Büchern, die von Männern stammen - eher selten sein. Man ist der Meinung, dass ich zum einen E-Literatur, zum anderen U-Literatur verfasse. In meiner U-Literatur äussert sich die Heldin wie folgt (standarddeutscher Text, im Gegensatz zu meinen schweizerdeutschen Kommentaren): “Früher durfte man als Frau nicht seinen Namen behalten. Was heißt seinen, ihren! Man musste ihn hergeben, an seine Stelle einen anderen setzen, sich begrifflich auslöschen. Man weiß nicht mehr, wer es gewesen ist, und nicht mehr, wer es ist. Doch, man weiß, es ist die Frau des ...” Jemand unterbricht sie, aber sie spricht weiter: “Lass mich ausreden. Früher durfte sie nicht ihren Namen behalten, aber viel perverser ist, dass sie heute ihren Namen behalten darf und ihn doch nicht behält. Sind diese Tussis völlig krank im Kopf? Warum geben sie ihren Nachnamen her, wenn sie ihn behalten dürfen?” Zum Glück ist meine U-Literatur ein Thema der E-Sekundärliteratur, genauer der nächsten Auflage der “Struktur der modernen Literatur”, wodurch sie sozusagen rehabilitiert wird. Auf einer anderen Ebene fehlen uns übrigens keineswegs die Worte. Der Thesaurus von Word findet zum “Mädchen” Synonyme wie “Pflänzchen”, “Bluse” und “Besen”. Viel weniger poetisch geht es beim “Jungen” zu. Der Thesaurus ist halt auch nur ein Mann.