Romantische Korsage
Am Samstag gerade frisch aus Boston zurück, ging ich zu Aldi, um meinen Kühlschrank wieder aufzufüllen. Ich kaufte, nachdem ich mir im Sommer wieder zu viele Gin & Tonics und Kartoffelchips gegönnt habe, allerlei Gesundes, Äpfel, Zwiebeln, Kartoffeln, Tomaten, Gurken und Zucchini.
Zum Schluss kam ich am Wühltisch mit Schwerverkäuflichem vorbei und blieb an einem kleinen würfelförmigen Pappkarton hängen. Er war schon ziemlich zerknautscht und abgegriffen, ein rosa Kleidungsstück hing heraus. Es handelte sich um eine “romantische Korsage”, erfuhr ich durch den Karton-Aufdruck. Neugierig geworden, las ich weiter:
Verspielte Korsage im trendigen Romantik-Look. 3-fach verstellbarer Haken-Ösen-Verschluß im Rückenteil.
Irgendwo habe ich neulich gelesen, dass die Leute die angeblichen Eigenschaften einer Sache, die ihnen suggeriert werden, auch zuverlässig an der Sache entdecken.
Einen “seidigen Schokoladenpudding” oder ein “saftiges Steak” fanden die Testpersonen eindeutig seidiger bzw. saftiger und wohlschmeckender als einen bloßen “Schokoladenpudding” oder ein schlichtes “Steak”, obwohl die Speisen identisch waren. Also passen Sie gut auf sich auf! Sonst kommen Sie am Ende demnächst von Aldi mit einer blöden Korsage nach Hause, nur weil Ihnen verspielt oder romantisch zumute war. Wirkliche Probleme könnten Sie kriegen, wenn Sie Ihre Liebste oder Ihren Liebsten bitten, verspielt an den Haken und Ösen herumzunesteln und Ihnen romantisch aus der Schnürbrust herauszuhelfen. Die werden sich ja kaum wieder einkriegen können.
Nachdem nun der Pornoschick schon bei Aldi angekommen ist und auch uns biedere Hausfrauen erfassen soll, ist es Zeit, sich über Sinn und Zweck solcher Damenoberbekleidung mal wieder Gedanken zu machen.
Mit Haken und Ösen im Rückenteil wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Taillen der Damen der guten Gesellschaft eingeschnürt, ähnlich wie zur gleichen Zeit die Füße der Chinesinnen aus gutem Hause eingebunden wurden. Die Füße verfaulten dabei, die Frauen konnten nur noch mühsam humpeln. Und die westlichen Frauen mit den Wespentaillen konnten nicht mehr richtig atmen, wurden bleichsüchtig und fielen reihenweise in Ohnmacht. Ihre Organe verschoben sich und wurden widernatürlich nach oben oder nach unten gepresst. Manche starben, weil sich die eingeschnürten Rippen in ihre Lungen bohrten.
Die Frauenbewegung machte Schluss mit dem mörderischen Schnür-Unsinn und befreite in einem jahrzehntelangen Kampf die Frauen aus ihren Korsetten und Korsagen. Dafür handelte sie sich den Ruf ein, sie sei “lustfeindlich” und modemuffelig, um noch die freundlicheren Bezeichnungen zu wählen.
In einer Welt, die uns Wörter wie “Lustmord” beschert, ist “lustfeindlich” wohl ein Synonym für gesunden Frauenverstand.
Seit Madonnas SM-inspirierten öffentlichen Auftritten im BH und Korsett ist es Mode geworden, die Unterwäsche außen zu tragen. Die Grenzen zwischen Mode, Pornographie und Prostitution verwischen sich (mehr dazu bei Sheila Jeffreys, Beauty and Misogyny). Das geht bis hin zu Aldi, wer hätte das gedacht.
Aber die Frauen haben offenbar ihren gesunden Frauenverstand noch gut beisammen und machen nicht mit. Als ich heute, drei Tage später, wieder bei Aldi war, lag das Teil (ein Ladenhüter vom Juli) noch immer unverkäuflich da, zusammen mit fünf weiteren unverkäuflichen “romantischen Korsagen”.
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27 Kommentare
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05.10.2009 um 16:09 Uhr Anne
Auch die kommende modesaison frühjahr/sommer 2o1o liegt voll im trend ” unterwäsche nach aussen zu tragen”, der sog. lingerie-look für die frau. Dank Jean Paul Gaultier wird frauen nun das tragen von unterwäsche als oberbekleidung angeboten ;
bustier, BH, corsage und slip somit im tagestauglichen outfit von verhärmten, magersüchtigen frauen marionettenhaft und im einheitsschritt auf dem laufsteg vorgeführt.
“G-Punkt” : So lautet das schaumotto von Gaultier für SEINE kommende frühjahr/sommermode 2010.
Einige modemacher scheinen spass daran zu haben, frauen in “Korsage” zu zwängen - führen sie(wie üblich) stilgerecht nach männl. logik/geschmack im laufgitter vor ...
30.09.2009 um 15:06 Uhr Anne
Danke @ Dürr - ja niemand aus der herrenkultur schreit auf, sie wünschen sich doch frauen nach ihren vorrangigen sex. vorstellungen in pornografie/prostitution/medienwelt u.m. Hier können sie weibl. menschen formen, manipulieren, kaufen und zur animation der männl. unterleibsgesteuerten triebabfuhr benutzen. Dabei lassen sie auch nichts unversucht, um frauen mit ins `boot` zu holen als alibifunktion, reden ihnen ein , dass männl. verhaltensmuster auch frauen zugute kommen ...:-( Damit hat mann frauen wieder bildhaft `eingeschnürt`, halt wie in eine `Korsage`...
Um etwas abzuschweifen, wie wurde die bundeskanzlerin zu beginn ihrer polit. karriere von der männerpresse mit häme überschüttet, weil z.b. frisur und kleidung die ` männl. optik` störte. Inzwischen in `Korsage/Klamotte` gepresst, direkt angepasst dem mainstream ist auch herr Wagner von der BZ voll des lobes: “Sie (bundeskanzlerin) sind mehr als Alice Schwarzer. Sie sind eine Walking-Women. Eine Frau, die an der Seite ihres Mannes arbeitet. Diese tollen Frauen an der Seite ihrer Männer lieben wir.”
Schön, dass die BZ inzwischen auch sprachlich etwas dazugelernt hat - herr Wagner/BZ spricht nicht mehr von Kanzlerschaft, sondern von Kanzlerinnenschaft. Ein himmelweiter unterschied!
Wie bei den europa-weltmeistarinnen im fussball möchte mann sich in väterlicher manier mit erfolgreichen frauen ein wenig sonnen ...
liebe grüsse v. Anne
29.09.2009 um 23:03 Uhr Duerr
@Anne: Interessant die Argumentation gegen den Frauenfussball in den 50er Jahren. Wie sich die Herren doch soooo schnell um die Frauenseelen und -körper sorgen, wenn sie Konkurrenz wittern. Schon damals gab es Pornografie (nur nicht so offen). Und immer, wenn ihnen etwas Konkurrenz von Frauenseite entgegenkommt, wird gleich nach mehr Fraulichkeit (Anmut)gerufen. Wenn Frauen ihren Körper nach sexistischen Männerwünschen zur Schau stellen, reklamiert keiner, im Gegenteil, sie schreien nach mehr! Oder hat jemand einen dieser, ach so edlen Frauenbeschützer, schon gehört, wie er gegen Pornografie und Frauenhandel protestiert(e)??!! (Die waren doch nicht alle katholisch, oder?)
lg Duerr
29.09.2009 um 18:48 Uhr Mirabella
Es wird doch niemand gezwungen corsagen zu kaufen oder zu tragen. Sowas kommt eigentlich eher selten vor, denn wenn frau eine corsage oder ein korsett mit Qualität will, so findet sie diese gewiss nicht bie Aldi und in dem Preisniveau.
Ich selbst habe ein Schnürkorsett, dass ich nicht täglich trage, mich also auch nicht körperlich dadurch veränder. Aber ich fühl mich wohl darin und mag es - einfach für mich.
Über Geschmäcker lässt sich bekanntlich streiten und nicht alles war früher immer schlecht! (der Zwang und die damit verbundene körperliche Veränderung aber auf jeden fall!)
20.09.2009 um 11:08 Uhr San
Was mich wirklich frustriert an diesem Artikel ist, dass Frau Pusch bei Aldi einkaufen geht.
Wie kann eine emanzipatorische Frau so was machen?
Und die amazon Verlinkung nervt auch! Sorry!
11.09.2009 um 22:51 Uhr Anne
@ Duerr - frau und mann eher ein ungleiches paar ;-))
Stimmt und männlein klingt erst einmal so nach hagebutte, wie i.d. kinderlied `ein männlein steht im walde` zuerst angedacht… wirklich sehr charmant! Selbst der walbulle wird männlein genannt und männlein machen heisst doch im positiven sinne, sich auf den hinterbeinen aufrichten? auch sehr charmant.
Und so gelang inzwischen den männl. honorationen der quantensprung, die dt. fussballfrauschaft vom bügelbrett über ein kaffeeservice als siegprämie bis hin zum silbernen lorbeerblatt `aufsteigen` zu lassen .
Zur info, weil wieder typisch mann, im jahre 2oo4 erntete herr Sepp Blatter (fifa-präs.) saftige kritik von spielerinnen- und frauenverbänden, weil er gefordert hatte, dass die sportbekleidung der fussballspielerinnen ” femininer ” gestaltet werden sollte - diese massnahme sollte neue geldgeber, etwa a.d. kosmetik- und modeweindustrie anlocken.
Wie haben die ehrwürdigen honorationen doch inzwischen dazugelernt: noch ende der 5oer jahren stellte der bundestag des DFB in berlin zum frauenfussball wie folgt fest:
“Im kampf um den ball verschwindet die weibliche anmut, körper und seele erleiden unweigerlich schaden und das zurschaustellen des körpers verletzt schicklichkeit und anstand.” Die folge, der DFB nahm seine frauen in schutzhaft und verbot ihnen fussbal zu spielen.
Eine wichtige vorkämpferin mit grossen anteil für den frauenfussball ist frau Hannelore Ratzeburg (einzige frau im männerclub DFB-vorstand-präsidium)
Grüsse an die schweizer berge :-)
11.09.2009 um 20:49 Uhr Duerr
@anne: Frau und Mann heisst doch das Paar, oder? Also Fräulein und Männlein! Das “Männlein” ist als Antwort auf Fräulein zu geben und das Wort bleibt künftig den “Uebermenschlein” im Hals stecken…
Zu den FRauen im Fussball: Es musste ja die Kanzlerin kommen und von den deutschen FussballweltmeisterINNEN öffentlich reden, bis das -unwillig zwar, aber immerhin - endlich zur Kenntnis genommen wurde. Was Männer nie begreifen werden, ist, dass Grösse eben mit Länge nichts zu tun hat! Drum wird auch in Zukunft der GynäkologE von seinen PatientEN schwadronieren…
Duerr
11.09.2009 um 14:12 Uhr fraulenzen
Huch, Spiderman, eine Mann aus Stahl, flog schon früh als `Windhose` mit Akrobatenkostüm durch die Gegend; eine überzeugende Persiflage auf den Übermenschen aus Stahl lieferte in den 6oer Jahren das Wunderwarzenschwein (Wonder Wart Hog) mit gleichen Eigenschaften wie die männliche comic-Figur.