Was ist ein Damenstudent?
Meine Freundinnen Anna und Gertrud schickten mir aus Wien einen merkwürdigen Sprachfund. Am 27. Januar findet zum 59. Mal der Wiener Korporationsball statt, zum letzten Mal in der Wiener Hofburg.
Dazu schreibt Die Presse, Wien:
Seit 43 Jahren gehört der Wiener Korporationsball zum Repertoire der Wiener Hofburg: Immer am letzten Freitag im Jänner treffen sich dort vor allem schlagende Couleurstudenten, darunter etwa Mitglieder der vom DÖW [Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands] als rechtsextrem eingestuften Burschenschaft Olympia, zum Tanz. Eine Veranstaltung, die sich selbst als antifaschistisch definierenden Organisationen seit jeher ein Dorn im Auge ist.
Nun tanzen die Burschenschafter bzw. schlagenden Couleurstudenten aber nicht nur miteinander, sondern es sind auch Damen zugelassen. Das entnehmen wir der Preisliste für die Eintrittskarten: Es gibt Damenkarten und Herrenkarten, die beide dasselbe kosten, nämlich 72 EUR. Also wozu dann die Unterscheidung in Damen- und Herrenkarten, wenn nicht einmal die schöne alte Regel gilt: „Frauen und Kinder die Hälfte“? Stellen Sie sich vor, Sie gingen ins Theater oder Konzert und bekämen dort je nach Geschlecht Damen- oder Herrenkarten!
Gibt diese Geschlechtertrennung bei den Karten schon Rätsel auf, so wird es bei den Studenten noch putziger. Da unterscheidet die Preisliste des WKR (Wiener Korporationsring) nämlich zwischen Damenstudenten auf der einen und Herrenstudenten auf der anderen Seite. Wieder zahlen beide Gruppen dasselbe, und zwar 30 EUR.
Von „Damenstudenten“ habe ich noch nie gehört, und meine Freundinnen Anna und Gertrud auch nicht. Nicht einmal Google kennt das Wort.
Was haben wir uns unter einem Damenstudenten vorzustellen? Ein Jurastudent studiert Jura, ein Musikstudent Musik. Demnach studiert der Damenstudent Damen und der Herrenstudent Herren? Aber wir sagen doch „Frauenstudien“ und nicht „Damenstudien“. Und zeitgemäß eher "Geschlechterforschung" bzw. "Gender Studies".
Neben den Frauenstudien kennt unsere Sprache auch das „Damenstudio“, wo frau sich unbehelligt ihrer Fitness widmen kann. Trotzdem sind die Kundinnen eines Damenstudios keine „Damenstudenten“.
Oder ist es eher so wie mit der Damen- und der Herrentoilette? Die Damentoilette und der Damenstudent sind für Damen da, und auf der Herrentoilette kümmern sich Herrenstudenten um die Herren?
Vielleicht hat der WKR auch einfach nur Mühe mit dem neumodischen sprachlichen Gendern und will nur ausdrücken, dass die „Herrenstudenten“ Herren sind und zugleich Studenten, und die „Damenstudenten“ Damen und ebenfalls Studenten?
Diese Interpretation läge einerseits nahe, andererseits fragt frau sich, weshalb sie dann nicht einfach Studenten und Studentinnen schreiben.
Das mag mit anderen eigentümlichen Sprachgepflogenheiten der Korpsstudenten zusammenhängen. Wenn sie ausstudiert haben, heißen sie nicht etwa Ehemalige oder Alumni, sondern „Alte Herren“. Und die Korpsstudentinnen – ja, die gibt es inzwischen auch - werden nach dem Studium „Hohe Damen“. Außerhalb der schlagenden Verbindungen sind sonst eher „alte Damen“ und „hohe Herren“ gebräuchlich, aber die Burschenschafter mögen es offenbar andersrum lieber.
Ich nehme an, für diese „hohen Damen“ und „alten Herren“ sind die hochpreisigen „Damenkarten“ und „Herrenkarten“ gedacht. Und da sie so viel blechen müssen, haben sie wohl einen Anspruch auf ein wenig persönliche Aufmerksamkeit, gewährt von Damenstudenten und Herrenstudenten. Jede Dame bekommt einen Damenstudenten zugewiesen und jeder Herr seinen Herrenstudenten. Nur so ergibt die pingelige Zuweisung der Eintrittskarten nach dem Geschlecht einen Sinn: Damit alles seine paarweise Ordnung hat.
Es ergibt sich überdies ein Bild raffinierter Nachwuchsförderung: Die Alten zahlen mehr als das Doppelte und bekommen dafür netten Kontakt mit der schneidigen männlichen Jugend. Wie es mit dem Kontakt zur lieblich-weiblichen Jugend aussieht, bleibt einstweilen unklar.
Bekannt ist ja, dass schlagende Verbindungen Männerbünde sind. Frauen haben da sowieso nichts zu suchen. Sollen sie doch ihre eigenen Verbindungen gründen, und manche tun das auch. Aber es wird für einen „normalen“ Ball wahrscheinlich kaum genügend Damen geben. Es könnte also auch so sein, dass die „Damenstudenten“ Drag Queens sind: Studenten, die Damen darstellen. Dann wäre das sogar eine halbwegs passende Bezeichnung: Es sind tatsächlich nur Studenten da, aber die einen kommen als Herren und die andern als Damen. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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10 Kommentare
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05.12.2011 um 00:35 Uhr anne
prima glosse! einfach nur abschreckend und auch lächerlich all die rituale und zeremonien i.d. sog. burschenschaften…
lt. internet-recherche zu einem artikel “laß dich nicht keilen - alte herren und junge burschen sind wieder auf `fuxenjagd` (keilen)” heisst es zu
korporationen und frauen: ...gerade in den corps ist es üblich, bei einigen veranstaltungen “damen” zuzulassen, freilich ohne ihnen irgendwelche mitsprache- oder entscheidungsrechte zu gestatten. die scheinbar ehrerbietige anrede “dame” und die freigiebige verteilung von zweifelhaften komplimenten wie z.b. “schönes geschlecht” sind überreste eines peinlich pathetischen benimmregelwerks, das das verkorkste frauenbild der verbindungsstudenten nicht kaschiert, sondern unterstreicht.
schließlich ist es ein zeichen von männlichkeit , daß ein “aktiver corpsbruder (..) meist auch eine gattin, die positiv zum corps steht, hat.” (aachener corps albingia, werbeheftchen ende der achtzigerjahre).
vorherrschend ist noch immer das argument “eine integration des weibl. geschlechts würde als fremdkörper wirken, einem freundschaftsbund hinderlich (1983 in einer deutschen corpszeitschrift). zitatende
darüber hinaus gab oder gibt es noch den begriff “damenflor” im bereich der studentenverbindungen , “damen”, die regelmäßig als gäste einer verbindung auftreten. (wiki)
http://www.planet-wissen.de/politik_geschichte/organisationen/studentenverbindungen/index.jsp
04.12.2011 um 21:38 Uhr Dürr
Lange nicht mehr so herzlich gelacht, liebe Luise! Hab Dank! Im Uebrigen würde ich die Schlussfolgerung den schlagenden Herren lieber nicht von Angesicht zu Angesicht vortragen wollen, wären diese doch - fast so wie Fussballer und deren Fangemeinde - ziemlich aufgebracht über solcherlei Vermutungen und Unter-Stellungen…
lg
Dürr