Fembio Specials Frauen aus Wiesbaden Gisela Kessler
Fembio Special: Frauen aus Wiesbaden
Gisela Kessler
geboren am 31. Dezember 1935 in Frankfurt am Main
gestorben am 14. Mai 2014 in Nürnberg
deutsche Gewerkschafterin
10. Todestag am 14. Mai 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
„Ich will arbeiten und kämpfen, dort, wo das Leben ist“. Nach diesem Lebensmotto baute Gisela Kessler als Frauensekretärin der Industriegewerkschaft Druck und Papier die Frauenarbeit in ihrer – traditionell eher frauenfeindlichen – Gewerkschaft auf und sah hierbei die Frauenemanzipation im sozialen Kontext, oder herausfordernder formuliert: im Zusammenhang mit der Klassenfrage.
Vor allem ist ihr Name verbunden mit der Solidaritätsbewegung für die „Heinze-Frauen“ und ihren jahrelangen Kampf um gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, der von 1978 bis zum abschließenden Urteil 1981 bundesweit Aufsehen erregte:
Nachdem entsprechende Forderungen an die Geschäftsführung ergebnislos geblieben waren, klagten 29 Frauen des Fotolabors Heinze in Gelsenkirchen auf gleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit, wie sie auch die Kollegen verrichteten. Mittels eines liegen gebliebenen Lohnstreifens war ans Tageslicht gekommen, dass die Männer einen übertariflichen Zuschlag von bis zu 1,50 DM auf den Grundlohn erhielten, während die Frauen nur auf 19 Pfennig kamen – bei einem Stundenlohn von 6,- DM kein Pappenstiel.
Gisela Kessler nahm sich der Sache an, versprach die Unterstützung der IG Druck und Papier und beschwor die betroffenen Frauen zusammenzuhalten und die Sache durchzuziehen. Das war keineswegs selbstverständlich, denn die Solidarität unter den Beschäftigten war zunächst nicht besonders ausgeprägt – weder unter den Frauen selbst und schon gar nicht seitens der männlichen Kollegen. Nicht einmal von ihren eigenen Männern zu Hause bekamen sie Rückendeckung, denn die fanden es natürlich, dass Männer mehr verdienten als Frauen; sie seien schließlich die Ernährer. Der Arbeitgeber argumentierte, er müsse Männern mehr zahlen, denn für 6,- DM seien diese auf dem Arbeitsmarkt nicht zu haben.
Das Landesarbeitsgericht folgte der Argumentation des Arbeitgebers, stellte die Vertragsfreiheit über den Schutz vor Diskriminierung und wies somit die Klage ab. Gisela Kessler machte den Kollegen klar, dass ein gleicher Lohn für gleiche Arbeit auch in ihrem Interesse läge, damit Frauen nicht länger als Lohndrückerinnen missbraucht werden können. An die Familien der Frauen appellierte sie, sich unter dem Motto Mütter, Väter, Töchter, Söhne – kämpfen für die gleichen Löhne hinter den Klägerinnen zu versammeln. Sie organisierte bundesweite Unterschriftenaktionen, die von 45.000 Menschen unterzeichnet wurden, Solidaritätsadressen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen sowie Demonstrationen, darunter am 6. September 1981, zwei Tage vor der Urteilsverkündung des Bundesarbeitsgerichts, eine große Solidaritätskundgebung mit über 7.000 TeilnehmerInnen in Kassel. In letzter Instanz ging der Sieg schließlich an die Heinze-Frauen – nach Gisela Kesslers eigenem Bekunden eine Sternstunde ihrer gewerkschaftlichen Arbeit: „Dieses Urteil beweist, dass sowas geht für Frauen: Zu klagen, durchzuhalten, Recht zu bekommen. Wichtiger aber als das Urteil selbst ist die öffentliche und politische Diskussion, ist die ganz unglaubliche Solidarität, die entstanden ist. Die hat mitgeholfen, dass Lohndiskriminierung endlich wieder ein Thema ist.“
Heute wird dieser Prozess als einer der bedeutendsten Arbeitskämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik gesehen – damals animierte er gleich mehrere weibliche Belegschaften unterschiedlicher Branchen, ebenfalls gleiche Bezahlung einzuklagen.
Geboren Ende 1935, lernte Gisela Kessler in ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main Kontoristin bei der Deutschen Bundespost. „Mein Vater war Nazi und blieb einer, auch nach dem Krieg und der Scheidung von meiner Mutter. Die Schulbildung war Mist.“ Das Verhältnis zu ihrer Mutter war wie zu einer Freundin: Als sie 1965 von einer Fortbildung zurückkam und ihrer Mutter eröffnete, sie sei schwanger, sagte diese nur: „Wenn du nicht heiraten willst, machen wir das mit dem Kind.“ So wurde Gisela Kessler eine der ersten freiwillig allein erziehenden „ledigen Mütter“ – mit der Unterstützung durch ihre eigene Mutter, mit der sie bis zu deren Lebensende zusammen wohnte und die sie zweieinhalb Jahre pflegte.
Zur Gewerkschaft kam sie, nachdem sie zur Jugendvertreterin beim Frankfurter Fernmeldeamt 1 gewählt und zu einem Seminar eingeladen wurde: „Es gefiel mir. Das ergibt sich dann so.“ Später wurde sie stellvertretende Personalratsvorsitzende bei der Deutschen Bundespost. Nach einem Jurastudium an der Akademie der Arbeit in Frankfurt arbeitete sie von 1967 bis 1971 beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Wiesbaden als Rechtsschutzsekretärin. In dieser Position vertrat sie Hunderte von ArbeitnehmerInnen vor Arbeitsgerichten und hielt Seminare über Rechtsfragen an den Fortbildungsstätten verschiedener Einzelgewerkschaften. Schließlich bekam sie einen Anruf aus Stuttgart, aus der Zentrale der IG Druck und Papier, ob sie als Frauensekretärin für den Hauptvorstand kandidieren wolle.
Zunächst wollte sie nicht. Sie hatte weder Ahnung von Frauenpolitik noch von der Druckindustrie. Hinzu kam, dass das Druckgewerbe eine straff organisierte und sehr männerdominierte Branche war, in der sich Drucker und Schriftsetzer für die Elite der Facharbeiter hielten.
Letztlich stimmte sie zu, aber die Sache war noch nicht in trockenen Tüchern, denn nun stand ihr ihre DKP-Mitgliedschaft im Wege – flächendeckend sollten Kommunisten aus den Gewerkschaften entfernt werden. „Mit Parteipolitik im engeren Sinn hatte ich nichts zu tun, bin nicht als Fahnenträgerin aufgetreten, habe nichts Konspiratives gemacht, sondern normale Gewerkschaftsarbeit.“ Trotzdem wurde sie vom Verfassungsschutz beobachtet und mehrmals im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Auf Vorschlag eines Landesvorstands ihrer Gewerkschaft sollte ihr nur noch das Gehalt bezahlt, aber keine Arbeit mehr gegeben werden. Dies ließ sich aber die kämpferische IG Druck und Papier nicht bieten; stets wurde Gisela Kessler mit großen Mehrheiten wiedergewählt, zuletzt als stellvertretende Vorsitzende dieser Gewerkschaft, die als Einzige einen solchen Konflikt durchstand.
Ihre neue Aufgabe lernte sie von der Pike auf: Sie besuchte Betriebsversammlungen, referierte über Arbeitsrecht, spürte Frauenprobleme in den Betrieben auf und startete die Aktion gerechte Eingruppierung, ein Einstieg in das Thema Lohngerechtigkeit für Frauen. Dabei musste sich Gisela Kessler auch gegen nicht wenige ihrer Gewerkschaftskollegen durchsetzen, die Frauen nicht für voll nahmen. Schließlich waren die frauendiskriminierenden Lohngruppen in den Tarifverträgen festgeschrieben – Tarifverträge, denen die verhandelnden Gewerkschafter zugestimmt hatten.
Die gewerkschaftliche Praxis war seit Beginn der Gewerkschaftsbewegung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durchweg frauenfeindlich gewesen („was die Frauen mehr an Lohn bekommen, nehmen sie uns weg“). So befürworteten Gewerkschaften und die nahezu ausschließlich männlichen Betriebsräte die Verdrängung der Frauen von ihren Arbeitsplätzen zugunsten der heimkehrenden Männer sowohl nach dem Ersten als auch (in Westdeutschland) nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst der Arbeitskräftemangel der „Wirtschaftswunderzeit“ brachte den DGB dazu, sich zumindest verbal zur Frauenerwerbsarbeit zu bekennen.
Somit war es kein leichtes Unterfangen, die Frauenarbeit in der Gewerkschaft aufzubauen. Gisela Kessler ermutigte Frauen, sich an ihrem Arbeitsplatz für ihre Belange selbst zu engagieren und für den Betriebsrat zu kandidieren, statt darauf zu warten, dass sich „Funktionäre“ für sie einsetzen. Andererseits sollten Betriebsräte und Gewerkschafter sich daran gewöhnen, nicht mehr stellvertretend für die Frauen zu sprechen, sondern mit ihnen. Gisela Kessler bemühte sich um den Brückenschlag zwischen gewerkschaftlicher Frauenarbeit und feministischer Bewegung.
Mit Aufkommen der Frauenbewegung in den Siebzigerjahren wurde manches leichter, aber es gab auch Reibungspunkte. Die Gewerkschaftsfrauen wurden nicht gerade als Speerspitze des Feminismus wahrgenommen. Für den Geschmack der „Autonomen“ pochten diese zu sehr auf die Zusammenarbeit mit den Männern und scheuten die Konfrontation mit ihnen. Ohnedies galten Gewerkschaften in erster Linie als Sachwalter männlicher Interessen.
Gisela Kessler hing der sozialistischen Theorie der Frauenemanzipation an, nach der die Erwerbsarbeit der Frauen Voraussetzung für ihre Emanzipation ist, da es ohne die ökonomische Unabhängigkeit vom Mann keine Gleichberechtigung geben könne. Zugleich ging es ihr um die Überwindung der gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse „im Großen“ – ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, ohne Gewalt und ohne Krieg – und zwar nicht unter den oder gegen die Männer, sondern mit ihnen. Nicht zufällig war sie auch in der Friedensbewegung aktiv; u.a. gehörte sie zu den ErstunterzeichnerInnen des „Krefelder Appells“ gegen die Stationierung von Pershing II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa.
Gisela Kessler wollte vor allem Verbesserungen für die Frauen in der Arbeitswelt, denn sie fand: Die Menschen sind nicht nur in Geschlechter, sondern auch in Klassen aufgeteilt; Frau-Sein bedeute in verschiedenen Schichten unterschiedliches. In der autonomen Frauenbewegung wurde (und wird) die Klassenfrage hingegen kaum thematisiert.
Ein besonderer Dorn im Auge waren ihr die Teilzeitarbeitsplätze, bei denen viele Betroffene nicht einmal eine Renten- oder Arbeitslosenversicherung hatten, aber mit einem höheren Kündigungsrisiko rechnen mussten. Den Arbeitgebern, die ihr vorhielten, viele Frauen wollten ja nur Teilzeit arbeiten, schleuderte sie entgegen: „[Sie] sagen uns in aller Dreistigkeit: Die Frauen ‘wollen‘ Teilzeit, die Frauen wollen Arbeit auf Abruf, die Frauen wollen Arbeit unter der 440-DM-Grenze. […] Schauen Sie doch mal ins Leben, wie das Leben aussieht. Unzählige Frauen wollen nicht, sondern ‘müssen‘ dieses Zeugs annehmen, weil eben keine Vollzeitarbeitsplätze da sind oder weil sie nur so Familie und Beruf unter einen Hut kriegen.“
Ihr Alternativvorschlag lautete: Einführung der 35-Stunden-Woche mit einem Sieben-Stunden-Tag für alle, später die 30-Stunden-Woche mit einem Sechs-Stunden-Tag, jeweils bei vollem Lohn. Dabei sollte die Arbeitszeitverkürzung nicht lediglich das freie Wochenende verlängern – so wie es sich viele männliche Mitstreiter wünschten – sondern die tägliche Arbeitszeit kürzer werden, auch damit „Männer endlich das Recht auf Arbeit in Haushalt und Kindererziehung“ wahrnehmen könnten. Die Unternehmerverbände kämpften hingegen für den Acht-Stunden-Tag, als sei er ein Naturgesetz. Sie lancierten Meinungsumfragen mit angeblichen Mehrheiten gegen die 35-Stunden-Woche und propagierten angesichts der beginnenden Massenarbeitslosigkeit die „neue Mütterlichkeit“. Für Gisela Kessler ein „Irrsinn“: Bei steigenden Arbeitslosenzahlen müssten die Arbeitszeiten verkürzt und nicht verlängert werden, das geböten nicht nur ökonomische Erwägungen, sondern auch die Beziehungen innerhalb der Gesellschaft.
Sie organisierte spektakuläre Aktionen wie 1988 das Tribunal gegen Flexibilisierung und ungeschützte Arbeitsverhältnisse in Wiesbaden. Unter dem Motto „Wir Frauen kochen schon lange, jetzt machen wir einen Auflauf“ schrieb sie das „Drehbuch“ mit echten Zeuginnen aus der Nachtarbeit und professionellen Sachverständigen. Sie selbst trat als Anklägerin gegen die Unternehmerverbände und die Regierung Kohl auf. Das Event dauerte fünf Stunden, und 4.000 ZuschauerInnen saßen im Saal.
Nach 20 Jahren als Frauensekretärin im Hauptvorstand der IG Druck und Papier – später der IG Medien – wurde sie 1992 stellvertretende Vorsitzende der IG Medien und bekleidete dieses Amt bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand 1995. Noch einige Jahre lang hatte sie ein Büro in der Stuttgarter Zentrale und setzte ehrenamtlich beratend die Betriebsarbeit fort. „Ich konnte auch ohne Funktion und große Rolle.“ Den Hang zur Selbstdarstellung und das Streben nach persönlicher Macht, auch in den Gewerkschaften, sah sie stets kritisch.
Später zog sie nach Fürth, in die Nähe ihres Sohnes. Damit war allerdings kein Leben im Schaukelstuhl verbunden: Nach der rot-grünen „Agenda 2010“ war sie 2005 Mitgründerin der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) und gehörte zum bayerischen Landesvorstand. Nach der Fusion mit der PDS zur Partei DIE LINKE 2007 wurde sie Vizevorsitzende des Ältestenrates. Ihre Ziele umriss sie wie folgt: „Wir treten für ein Bündnis mit allen politischen Kräften und Personen ein, die sich für die Erhaltung und den Ausbau des Sozialstaates und für ein gerecht finanziertes Gemeinwesen einsetzen“, und: „Schließlich sind wir herausgefordert, rechtsradikaler Propaganda und ausländerfeindlichen Parolen endlich den Boden zu entziehen. Ihnen muss zu allererst das Handwerk gelegt werden.“ Sie bedauerte allerdings, dass Solidarität als Grundverhalten „verdampfe“, durch soziale Erpressung, Spaltung und Vereinzelung, und dass insbesondere jüngere Leute ihre Ellbogen ausführen, „als hätten sie Rasierklingen drin“. Dennoch: „Träumen vom Erfolg unseres Projekts ist nicht verboten, aber all unsere Träume müssen ihre Wurzeln in der Realität haben.“
(Text von 2017)
Verfasserin: Christine Schmidt
Zitate
Ausgehend vom betrieblichen Konflikt müssen sie [= die Frauen] lernen, daß der betriebliche Konflikt kein Schicksalsschlag ist, sondern daß es sich in Wahrheit um gesellschaftliche Konflikte handelt. (1972)
Krisensituation bedeutet ja nicht nur Verlust an Arbeitsplätzen, sondern auch Veränderung des Bewußtseins. Da spricht man dann wieder von den Doppelverdienern, wirft den Frauen vor, sie arbeite nur für den Luxus, oder sie seien schuld an der Jugendkriminalität. Der Wind bläst uns ins Gesicht. (1982)
Aus der Erfahrung wissen wir, daß uns die Kämpfe auch für Auseinandersetzungen zu Hause stärken. […] Sie [= die Frauen] haben erkannt, daß sie auch etwas für sich selbst wollen. Sie werden sich weniger als bisher damit abfinden, daß sie tagsüber dem „großen Chef“ zu dienen haben und abends der „kleine Chef“ die Füße auf den Tisch legt. (1985)
Wer dem einen was geben will, muß dem anderen was nehmen, da führt kein Weg dran vorbei. (1985)
Es ist nur ein Teil der Wahrheit, Quotierung zu fordern und nicht gleichzeitig um das Recht auf Arbeit für alle zu kämpfen. (1986)
Kapital und Kabinett haben sich alles genommen, insbesondere das Kapital. Sie nennen sich großspurig Arbeitgeber und nehmen uns in Wirklichkeit die Arbeit weg. Ihr habt Millionen Menschen die Arbeit genommen. Ihr stehlt den Mädchen und Jungen, die noch alles vor sich haben, ihre Perspektive für die Zukunft. Ihr nehmt den Frauen Jahr für Jahr 40 Milliarden Extraprofit aus den Taschen mit Lohndiskriminierung. Ihr nehmt Euch die menschenunwürdige Leiharbeit. Ihr habt uns die gesundheitsschädliche Nachtarbeit aufgedrückt. Ihr zwingt uns in familienzerstörende Schichtarbeit. Ihr nehmt Euch versetzte Arbeitszeiten. Ihr macht Gesetze für befristete Arbeitsverhältnisse mit sozialer und persönlicher Unsicherheit, bis die Menschen sich selbst nicht wiedererkennen. Ihr treibt vor allem Frauen in die ungeschützten, geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. Ihr habt Euch alles genommen, was diese kapitalistische Produktion braucht. Und auf diese Torte kommt keine weitere Sahne mehr. Jetzt ist Ende der Fahnenstange! (1988, aus dem „Tribunal gegen Flexibilisierung und ungeschützte Arbeitsverhältnisse“)
Hören Sie auf, fangen Sie wieder Ihr Palaver an vom Untergang der deutschen Wirtschaft? Wir setzen unser Interesse nach mehr Freizeit gegen Ihr Interesse nach mehr Profit. (1988, aus dem „Tribunal“)
Es stimmt schon: Die Unternehmer haben Schwierigkeiten mit der Kapitalverwertung. Aber deshalb haben wir doch noch lange keinen Grund, in den Betrieben uns auf ihre Kostensenkungsstrategien einzulassen; geschweige denn, mit ihnen darüber zu wetteifern. (1988, aus dem „Tribunal“)
Was sind denn das für gesellschaftliche Kräfte, die angeblich nicht mehr überleben können, wenn nicht Millionen abhängig beschäftigter Menschen nur noch in ungeschützten, in instabilen Arbeitsverhältnissen ihren Lohn und ihr Brot verdienen können? (1988, aus dem „Tribunal“)
Und dann Kohl – na ja – was sagt er denn schon? Er bewundert die Frauen, wenn sie zu Hause bleiben. Darauf kann man eigentlich nur noch mit Karl Marx antworten, der schon 1854 sehr weitsichtig formulierte: Es steht dem Menschen nicht an, mit einem Kohl vorlieb zu nehmen, wenn er edlerer Gewächse teilhaftig werden kann. (1988)
Durch unsere Arbeit, durch unsere Ideen, unser Denken und Handeln ist der gesellschaftliche Reichtum erst zustande gekommen. Wir, die abhängig Beschäftigten, schaffen die Werte, wir dürfen aber nicht über sie verfügen. Deshalb haben wir gesagt, beim Kampf um mehr Lohn und um Lohngleichheit geht es um mehr als ein paar Pfennige; es geht gleichermaßen um das Selbstbewusstsein der arbeitenden Menschen. (2004)
Wegen ihres aufrechten Ganges, ihrer Streiks und ihrer Kampfbereitschaft wurde diese Industriegewerkschaft Druck und Papier nicht selten als „marxistische Kaderorganisation“ beschimpft. Na und? Kopf hoch! Weiter geht’s! Frauen, macht auch mit! (2004)
Marktradikalismus und anhaltende Deregulierung führen zu einer Brutalisierung der sozialen Beziehungen unter den Menschen. Solidarität verdampft immer mehr unter den neoliberalen Verhältnissen. Konkurrenz, Egoismus und Ellenbogenprinzip sollen zur Richtschnur des individuellen und gesellschaftlichen Handelns werden. (2004)
„Wir Frauen müssen doppelt kämpfen, einerseits mit allen Lohnabhängigen zusammen gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Sozial- und Demokratieabbau und gegen Krieg – andererseits mit den Frauen zusammen gegen soziale, sexuelle und kulturelle Unterdrückung des weiblichen Geschlechts.“ (2008)
Wie sieht es aus mit der Erwerbstätigkeit von Frauen? Da gibt es einen erheblichen Zuwachs an prekären Arbeitsverhältnissen: Leiharbeit, Zeitarbeit, befristete Beschäftigung, erzwungene Teilzeitarbeit, Mini- oder Midi-Jobs, von Hartz IV ganz zu schweigen. Für immer mehr Menschen wird die Existenzsicherung unter Vorbehalt gestellt. […] Sechs Millionen Menschen können nicht mehr von ihrer Arbeit leben; die Arbeits- und Rentenzeit wird verlängert statt verkürzt, Kinderarmut grassiert; Beruf und Familie sind für viele nicht vereinbar. (2014)
Links
http://www.zeit.de/1982/36/der-wind-blaest-von-vorn/komplettansicht
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/man-braucht-hande-und-kopf
http://www.kommunisten.de/attachments/5018_gisela_kessler_druck+papier_4_2005.pdf
https://www.marx21.de/08-03-2013-frauenbewegung/
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14344456.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/933281.arbeiten-und-kaempfen-gisela-kessler-ist-tot.html
Literatur & Quellen
Becker, Christine: Allein hätte keine durchgehalten. Urteil im Heinze-Prozess. In: Lenz, Ilse (Hg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung. Wiesbaden 2008 , S. 175–177 (VS Verlag für Sozialwissenschaften)
Dobberthien, Marliese: Frauenarbeit. Zwischen Chance und Diskriminierung. In: Pusch, Luise F. (Hg.): Feminismus – Inspektion der Herrenkultur. Frankfurt a. M. 1983, S. 421–448 (Suhrkamp)
Kaiser, Marianne (Hg.): Wir wollen gleiche Löhne! Dokumentation zum Kampf der 29 „Heinze“-Frauen. Reinbek bei Hamburg 1980 (rororo aktuell)
Kessler, Gisela: Frauen im Arbeitskampf. In: Achten, Udo et al. (Hg.): Arbeitskampf um Arbeitszeit. Perspektiven gewerkschaftlicher Zukunft in flexibler Arbeitswelt. Marburg 1985, S. 33–40 (Verlag Arbeiterbewegung und Gesellschaftswissenschaft)
Kessler, Gisela: …und SIE bewegt sich doch! Frauen in den Betriebsräten (Hg. Industriegewerkschaft Druck und Papier). Stuttgart 1985
Kessler, Gisela (Red.): Tribunal: Gegen Flexibilisierung und ungeschützte Arbeitsverhältnisse. Betroffene klagen an (= Schriftenreihe der Industriegewerkschaft Druck und Papier, H. 50). Stuttgart 1988
Kessler, Gisela: Wir lassen die Teilzeitkräfte nicht im Regen stehen… (Hg. Industriegewerkschaft Druck und Papier). Stuttgart 1989
Kessler, Gisela: Keiner schiebt uns weg! – Der Kampf der Heinze-Frauen. In: Müller, Dorothea et al. (Hg.): Das Wunder von Hörste. Vom Bergheim Hörste über das Heinrich-Hansen-Haus zum Institut für Bildung, Medien und Kunst. Hamburg 2004, S. 206–209 (VSA-Verlag)
Kessler, Gisela: Gegen die Enteignung des sozialen Eigentums und die Zerstörung der Demokratie. In: Sozialismus, H. 12, 2004, S. 28f
Kessler, Gisela & Gruber, Ruth (Hg.): Pfiffig, solidarisch, selbstbewußt – so haben wir gekämpft! Frauen in der IG Druck und Papier (= Allgemeine Schriftenreihe der IG Druck und Papier, H. 52). Stuttgart 1988
Müller, Henrik & Achenbach, Marina: Gisela Kessler (1935 – 2014). In: Bleicher-Nagelsmann, Heinrich et al. (Hg.): Vom deutschen Buchdruckerverband zur Einheitsgewerkschaft ver.di. Berlin 2016, S. 58–61 (Archiv der ver.di)
Pinl, Claudia: Das Arbeitnehmerpatriarchat. Frauenpolitik der Gewerkschaften. Köln 1977 (Kiepenheuer & Witsch)
Pinl, Claudia: Viel Trost und wenig Taten – Die Frauenpolitik der Gewerkschaften (1978). In: Lenz, Ilse (Hg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung. Wiesbaden 2008 , S. 160–165 (VS Verlag für Sozialwissenschaften)
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