Fembio Specials Gruppenbild: Frauen mit Brecht Margarete Steffin
Fembio Special: Gruppenbild: Frauen mit Brecht
Margarete Steffin
(Margarete Emilie Charlotte Steffin; Grete Steffin; Margarete Juul [Ehename])
geboren am 21. März 1908 in Rummelsberg bei Berlin
gestorben am 4. Juni 1941 in Moskau
deutsche Schriftstellerin, Schauspielerin, Mitarbeiterin von Bertolt Brecht
115. Geburtstag am 21. März 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Die vielseitig begabte Grete Steffin, lange einfach als eine von vielen Mitarbeiterinnen und Geliebten Brechts bekannt, war selber Schriftstellerin, Übersetzerin und Schauspielerin, deren eigene Leistungen aber meist im Schatten des Meisters untergingen. Ihr immenser Anteil an Brechts Werk wird erst seit den 1990er Jahren annähernd richtig wahrgenommen (Hauck, Häntzschel 216). Darüber hinaus machte ihr unermüdliches Agieren als Sekretärin, kritische Lektorin, Literatur-Agentin, allgemeine Organisatorin und Dolmetscherin (sie konnte Russisch, Englisch, Französisch, Dänisch und Schwedisch und besaß mehr als Grundkenntnisse in Norwegisch und Finnisch) das autodidaktische ProletarierInnenkind zur unentbehrlichen Begleiterin Brechts im europäischen Exil. Mit dem Aufkommen des Stalinismus in Russlands hatte sie die Emigration der Brechtschen »Großfamilie« in die USA schon früh vorgeschlagen und emsig vorangetrieben, musste aber selbst in Moskau zurückbleiben, wo sie, schon seit Jahren tuberkulosekrank, am 4. Juni 1941 starb.
Margarete war die älteste Tochter von Johanna Steffin und August Steffin, einem Kutscher, später Fabrik- und Bauarbeiter. Im 1. Weltkrieg wurde August in die kaiserliche Armee eingezogen, und die Mutter musste in einer Munitionsfabrik Geld verdienen. Mit der jüngeren Schwester Herta wurde Margarete in den städtischen Hort gegeben, wo sie protestantisch-pietistische Wertvorstellungen vermittelt bekam. Anders als der Vater und trotz belastender Arbeit las Mutter Johanna gern und ging regelmäßig ins Theater, wenn politische Stücke auf dem Programm standen. In der Schule zeigte sich bald die ungewöhnliche Intelligenz der Tochter: Sie bekam einen Preis für eine Erzählung, und ihr einstündiges Theaterstück in Versen wurde in drei Schulen aufgeführt. Als die Lehrer dringend rieten, Margarete aufs Lyzeum zu schicken, erhob der Vater Einspruch: Sie sollte ihrer Klasse nicht als Intellektuelle »entfremdet« werden.
Margarete verließ die Schule mit 14 und wurde Laufmädchen bei den Deutschen Telefonwerken. 1924 begann sie eine Lehre als Kontoristin beim Globus-Verlag und gehörte »damit zum Heer der 1,2 Millionen weiblichen Angestellten in Deutschland…« (Hauck 12).
In klarer Opposition zu ihrem Vater bildete sich Steffin durch Abendkurse, Vorlesungen und fast besessene Lektüre trotzdem weiter. Die Arbeiterkulturbewegung wurde zu ihrer »höheren Schule« (Häntzschel). Sie schloss sich dem KPD-nahen ArbeiterInnensportverein »Fichte« an, lernte Russisch und wurde Mitglied des Fichte-Sprechchors. Bald trat sie als Rezitatorin in Sonntagsmatineen auf. 1931 spielte sie in den Roten Revuen mit und nahm in der Marxistischen Arbeiterschule Unterricht in Sprechtechnik bei Helene Weigel.
Mit 18 hatte sie auch ihren ersten festen Freund, Herbert Dymke, einen Büroangestellten aus der Fichte-Gruppe. Die beiden verdienten nicht genug, um zu heiraten, doch die Beziehung kriselte auch wegen Herberts Untreue. Steffin musste zweimal abtreiben, später beschrieb sie ihre erste qualvolle, von einem Apotheker vorgenommene Abtreibung in Gedicht und Prosa.
Im Frühjahr 1931 trennte sie sich von Dymke; ein paar Monate später lernte sie Brecht näher kennen. Bei der Uraufführung von Die Mutter am 17.1.1932 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm mit Weigel in der Titelrolle trat Steffin als Dienstmädchen auf. Sie arbeitete in der Theaterwerkstatt auch als Sekretärin. Bald wurde aus der Arbeits- eine intensive Liebesbeziehung.
Brecht war von Steffins Belesenheit, Kenntnissen in Literatur, Theaterpraxis und marxistischer Theorie beeindruckt, und als echtes ArbeiterInnenkind brachte sie ihm viel über den Klassenkampf bei, was er für seine Schriften und Stücke nutzen konnte. Sie wurde ihm auch bald in praktischen Dingen unersetzlich – auf diesem Gebiet war sie unermüdlich und sehr geschickt. Steffin fühlte sich von Brecht anerkannt und ernstgenommen, hoffte sogar zuerst auf eine ausschließliche, permanente Beziehung. (Er gab ihr einen Ring und bestand darauf, dass sie ihn trug.) Die beiden verbrachten 1932-33 viel Zeit miteinander; Berlin, Moskau, Ammersee, Tessin, Paris, Côte d’Azur (Sanary-sur-Mer) sind die Stationen ihrer Arbeits- und Liebeszusammenkünfte. Es war für Steffin eine Zeit intensivster körperlicher und emotionaler Beglückung: »Ich begann, mit ihm auch mich zu lieben« (K 202). Helene Weigel, zuerst resigniert, erwog im Frühjahr 1933 die Scheidung. Aber der polygame Brecht entschied sich für Weigel und seine Kinder und zog Ende Juni 1933 zu ihnen nach Dänemark, ohne Steffin aber loszulassen. Als er 1935 noch dazu die Dänin Ruth Berlau zur bevorzugten Geliebten machte, fühlte sich Steffin zutiefst verraten: »Ich liebe ihn so sehr, dass ich daran sterben werde.« (H 207).
(Text von 2007)
Steffins Gedichte, autobiographisch geprägte Schilderungen aus der ArbeiterInnenwelt und vor allem die Sonette an »bidi«, wie sie Brecht nannte, zeugen von großer Begabung. Ihre Kurzprosa handelt hauptsächlich von der proletarischen Kindheit und Jugend und anderen eigenen Erlebnissen, wie der Sanatoriumswelt oder dem dänischen Exil. Sie hat auch zwei Dramen für Kinder geschrieben. Das Sprachgenie übersetzte auch Werke russischer, dänischer (u. a. von Andersen-Nexø), norwegischer, und schwedischer AutorInnen. Im finnischen Exil erarbeitet sie mit Hella Wuolijoki ein Theaterstück, aus dem schließlich Brechts Puntila wird. Von alledem ist fast nichts zu ihren Lebzeiten erschienen.
Es ist bei Werken aus der »Firma Brecht« schwierig, Steffins Anteil zu erkennen, da kollektiv gearbeitet wurde und Brecht und vor allem spätere Verleger ihren Namen oft nicht mehr erwähnten. Bei dem Dreigroschenroman allerdings ist es aus Briefen und anderen Materialien klar, dass sie Entscheidendes beigetragen, korrigiert und stilistische Veränderungen vorgenommen hat. Brecht: »Im allgemeinen scheinst Du eben doch ein Meisterwerk verfasst zu haben, alter Muck. Besonders gerühmt wird Deine reine Sprache.« (Häntzschel 217).
Die Jahre mit Margarete Steffin sind Brechts produktivste Zeit; nach ihrem Tod klagt er: »zum erstenmal seit 10 Jahren arbeite ich nichts ordentliches…« (Journal, Eintrag vom 21.4.1942, zit. in Hauck 26). In den neuneinhalb Jahren ihrer Zusammenarbeit haben die beiden zehn Dramen vollendet, darunter Galilei, Der gute Mensch von Sezuan, Puntila und Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Die »kleine Lehrerin« hat auch wesentlich beigetragen zur Mutter Courage und war an der Bearbeitung der Gedichtsammlungen im Exil beteiligt, etwa der »Steffinschen Sammlung« (1942), für die sie die erste Auswahl traf.
Verfasserin: Joey Horsley
Zitate
Ich selbst möchte so gern auch produktiv sein, aber […] immer wenn ich etwas beginne, habe ich Angst, dass die Leute sagen werden, ich hätte es nicht selbst gemacht. Und deshalb höre ich wieder auf. Oder ich glaube, dass es nichts taugt. (Margarete Steffin in einem Brief an Knut Rasmussen vom 5.6.1940, zit. in Hauck 36, N92).
Mein General ist gefallen
Mein Soldat ist gefallen
Mein Lehrer ist weggegangen
Mein Schüler ist weggegangen
Mein Pfleger ist weg
Mein Pflegling ist weg.(Brecht nach Steffins Tod)
Grete Steffin – also ein Prachtkerl! Arbeitermädel aus Berlin … ungeheuer begabt – ganz erstaunliche Begabung, von einem glänzenden Geschmack in verfeinertsten literarischen Fragen, obwohl sie Autodidaktin war. Leider schwer tuberkulös; sie ist daran gestorben. Sie war die wertvollste Mitarbeiterin von Brecht. Ich muss sagen, dass Furcht und Elend des Dritten Reiches – diese Arbeitermilieus – ohne Steffin nicht hätten geschrieben werden können. Steffin vermittelte gewissermaßen durch ihre Mitarbeit dem Brecht die Kenntnisse von der Berliner Arbeiterschaft, in der Wohnküche. Das brauchte Brecht dingend.
(Hanns Eisler, gefunden auf www.kultur-freun.de/php/21/94/showTransitMoskau.php?kunstwerkId=353&praesentationId=94, nicht mehr online)
Links
Agra: ein Fotoalbum in Flickr. Bilder vom verlassenen Sanatorium bei Agra (Collina d'Oro/Tessin/Schweiz), in dem auch Steffin Patientin war.
Online verfügbar unter http://www.flickr.com/photos/rs-foto/sets/72157601606786661/, zuletzt geprüft am 25.05.2021.
Internet Movie Database: Margarete Steffin.
Online verfügbar unter http://www.imdb.com/name/nm1273118/, zuletzt geprüft am 25.05.2021.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Steffin, Margarete, 1908-1941. Veröffentlichungen.
Online verfügbar unter http://d-nb.info/gnd/119027615, zuletzt geprüft am 25.05.2021.
Kebir, Sabine (1999): Sexuell vernetzte Singles. Bert Brechts Briefe an Frauen geben Aufschluß über die Lebensweise einer Künstlergemeinschaft. In: Freitag, Nr. 7 vom 12. Februar 1999.
Online verfügbar unter https://www.freitag.de/autoren/sabine-kebir/sexuell-vernetzte-singles, zuletzt geprüft am 25.05.2021.
Luhr, Geret von: Lieber Doktor Benjamin. Stefan Hauck ediert Margarete Steffins Briefe an Walter Benjamin und andere berühmte Männer. Rezension. In: literaturkritik.de Nr. 12, Dezember 2000.
Online verfügbar unter http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=3174&ausgabe=200012, zuletzt geprüft am 25.05.2021.
Literatur & Quellen
Auf den Spuren Brechts im finnischen Exil. Brecht-Symposium in Helsinki und Iitti 1996. (1997)
Darin: Das dritte Rad am Thespiskarren. Margarete Steffin in Finnland / Stefan Hauck.
Helsinki. Teatterin Tiedotuskeskus. ISBN 951-96824-1-4.
(WorldCat-Suche)
Brecht, Bertolt (1998): Briefe 1. Briefe 1913 – 1936. Bearbeitet von Günter Glaeser. Unter Mitarbeit von Wolfgang Jeske und Paul-Gerhard Wenzlaff. Berlin, Frankfurt am Main. Aufbau; Suhrkamp. (Grosse kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, herausgegeben von Werner Hecht, Band 28) ISBN 3-518-40028-2.
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Brecht, Bertolt (1998): Briefe 2. Briefe 1937 – 1949. Bearbeitet von Günter Glaeser. Unter Mitarbeit von Wolfgang Jeske und Paul-Gerhard Wenzlaff. Berlin, Frankfurt am Main. Aufbau; Suhrkamp. (Grosse kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, herausgegeben von Werner Hecht, Band 29) ISBN 3-518-40029-0.
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Cohen, Robert (2013): Exil der frechen Frauen. Roman [über die Lebensgeschichten von Olga Benario, Maria Osten und Ruth Rewald]. E-Book. 1. Aufl. Berlin. Rotbuch. ISBN 9783867895620.
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Karir, Simran (2008): Der Liebescode. Zur poetischen Korrespondenz Bertolt Brechts und Margarete Steffins. Hochschulschrift über Liebessonette von Brecht und Steffin. Ann Arbor, Mich. UMI Diss. Services. ISBN 0612984532. (WorldCat-Suche).
Mehr dazu unter http://digitool.library.mcgill.ca/R/?func=dbin-jump-full&object_id=79953
Kebir, Sabine (Hg.) (2008): »Ich wohne fast so hoch wie er«. Margarete Steffin und Bertolt Brecht. Internationale Tagung aus Anlass des 100. Geburtstages Margarete Steffins. Berlin. Verl. Theater der Zeit. (Theater der Zeit, 65) ISBN 9783940737298.
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Ostmeier, Dorothee (2014): Poetische Dialoge zu Liebe, Gender und Sex im frühen zwanzigsten Jahrhundert. Else Lasker-Schüler, Peter Hille und Gottfried Benn, Lou Andreas-Salomé und Rainer Maria Rilke, Bertolt Brecht und Margarete Steffin. Bielefeld. Aisthesis. ISBN 9783849810368.
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Reiber, Hartmut (2008): Grüß den Brecht. Das Leben der Margarete Steffin. Berlin. Eulenspiegel. ISBN 978-3-359-02202-2.
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Reiber, Hartmut (2010): Grüß den Brecht. Das Leben der Margarete Steffin. Gelesen von Gina Pietsch. Regie: Dietrich Petzold. CD (MP3). Frankfurt, M. Libroletto. ISBN 9783940861054.
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Steffin, Margarete (2008): Margarete Steffin – Prosa Gedichte Briefe. Ute Kaiser (Stimme) und Achim Tang (Kontrabass). 1 CD (57 Min.). Köln. Nemu Records.
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Zinn, Gesa; Stanley, Maureen Tobin (2012): Exile Through a Gendered Lens. Women's Displacement in Recent European History, Literature, and Cinema. New York. Palgrave Macmillan. ISBN 9780230339996.
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Quellen
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Fuegi, John (1997): Brecht & Co. Biographie. Autorisierte erweiterte und berichtigte deutsche Fassung von Sebastian Wohlfeil. Hamburg. Europäische Verlagsanstalt. ISBN 3-434-50067-7.
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Häntzschel, Hiltrud (2002): Brechts Frauen. Reinbek. Rowohlt. 2003 (rororo, 23534) ISBN 3-499-23534-X.
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Kebir, Sabine (1987): Ein akzeptabler Mann? Streit um Bertolt Brechts Partnerbeziehungen. Berlin. Buchverlag Der Morgen. 1989. ISBN 3-371-00091-5.
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Silberman, Marc (Hg.) (1994): Focus Margarete Steffin. Beiträge teils deutsch, teils englisch. Madison. University of Wisconsin Press. (The Brecht yearbook, 19) ISBN 0-9623206-6-8.
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Steffin, Margarete (1991): Konfutse versteht nichts von Frauen. Nachgelassene Texte. Herausgegeben von Inge Gellert. Mit einem Nachwort von Simone Barck und einem dokumentarischen Anhang. Berlin. Rowohlt. ISBN 3-87134-032-4.
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Steffin, Margarete (1999): Briefe an berühmte Männer. Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Arnold Zweig. Herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Stefan Hauck. Hamburg. Europäische Verlagsanstalt. ISBN 3-434-50437-0.
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Mehr dazu unter http://www.gbv.de/dms/bs/toc/265592194.pdf
Steffin, Margarete; Töteberg, Michael (2001): Von der Liebe und dem Krieg. Hamburg. Europäische Verlagsanstalt. ISBN 3-434-50461-3.
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