Das Geschrei der Männer(presse): Gezielte Desinformation in Sachen Europarat und Sprachpolitik?
von Luise F. Pusch
Diesen Artikel schrieb ich auf Einladung der EMMA für ihr Herbstheft 2010. Er wurde von der EMMA leicht redigiert - hier lesen Sie das Original:
Dieser Tage löste eine Empfehlung des Europarats zum Thema “Kampf gegen sexistische Stereotype in den Medien” ein hysterisches Medienecho aus. Eine typische Schlagzeile (Berliner Umschau am 3.9.):
„Europarat dreht völlig durch. Vater und Mutter sollen weggegendert werden … und jetzt durch Elter1 und Elter2 ersetzt werden. Wie kommt man bloß auf so eine irrsinnige Idee?“
Tatsache ist, dass der Europarat diese “durchgedrehte” Forderung gar nicht gestellt hat. Vielmehr handelt es sich um frei erfundene Vorschriften, die der Schweizer “Blick” (entspricht der Bildzeitung) bereits im Juni dem Stadtrat von Bern unterstellte: „Sprach-Irrsinn: Weder Vater noch Mutter – Beamte sollen künftig ‘Das Elter’ sagen“ (blick.ch am 4.6.10). Zahllose andere Blätter haben es im Juni einfach nachgebetet, und jetzt wieder.
Und was hat der Berner Stadtrat mit dem Europarat zu tun? Gar nichts - außer dem Reizthema geschlechtergerechte Sprache.
Der Stadtrat von Bern verabschiedete im Juni einen sehr vernünftigen Leitfaden gegen sexistischen Sprachgebrauch. Die Schweizer Boulevardpresse griff das Thema im Sommerloch dankbar auf: “Die ganze Schweiz lacht über den politisch korrekten Blödsinn” (Blick, 15.6.) Der Köder wurde dem Publikum hingeworfen, und es reagierte prompt mit endlosen Kommentaren.
Die promovierte Germanistin und langjährige Schweizer National- und Europarätin Doris Stump ist in der Schweiz bekannt als engagierte Befürworterin einer geschlechtergerechten Sprache - und wurde ebenso prompt mit den “lächerlichen Vorschlägen aus Bern” assoziiert: “Diese SP-Frau hat uns den «Zebrastreifen» verordnet” titelte “Blick”. Sie hatte an den Berner Empfehlungen gar nicht mitgewirkt.
Wohl mitgestaltet, ja initiiert, hat sie die Europaratsdebatte über die “Bekämpfung sexistischer Stereotype in den Medien”. Ich wurde im März 2009 als Expertin zur Anhörung nach Paris eingeladen, trug dort vor und hörte mir die erschütternden Vorträge der Medien-Expertinnen aus Frankreich, Belgien und Kanada an.
Unsere Beiträge gingen in die in diesem Sommer verabschiedeten Empfehlungen ein (googeln Sie “Resolution 1751” und “Recommendation 1931”).
Die Resolution gegen den Sexismus in den Medien kam den Medien gerade recht zum Losprügeln. Da Doris Stump in den Empfehlungen als Initiatorin der Debatte genannt wurde, suchte mann im Internet und wurde sofort fündig: Hatte doch Doris Stump schon im Juni mit ihren “hirnrissigen Sprachforderungen” (die wie gesagt niemand gestellt hatte) schon so schön Anstoß erregt. Das konnte mann doch nun einfach noch einmal auflegen.
Gute Frauenpolitik erkennt frau am Geschrei der Männer - der Satz gilt nach wie vor. Die unflätigen Anwürfe der Presse stammen überwiegend von Männern. Der einzige vernünftige Artikel stammt von einer Frau, Birgit Holzer von der Märkischen Allgemeinen am 4.9.10.
Um herauszubekommen, wie “Blick” auf die Idee kam, die Wörter “Mutter” und “Vater” sollten offiziell durch “das Elter” ersetzt werden, habe ich mir die Empfehlungen im Original angeschaut. Die Recherche war sehr einfach, sie dauerte etwa 10 Minuten, denn die umstrittenen Empfehlungen stehen alle im Internet.
Erstens: In dem kurzen “Sprachleitfaden: Geschlechtergerecht formulieren” aus Bern kommt das Wort “Elter” nicht vor.
Zweitens: Für diejenigen, die es genauer wissen wollen, gibt es eine Broschüre von 192 Seiten (googeln Sie “Sprachleitfaden Bern”, dort finden Sie beide Versionen zum Runterladen, die kurze und die lange).
In der Broschüre werden viele linguistische Fachbegriffe anhand von Beispielen erläutert. So auch der Begriff “geschlechtsabstrakt” (den ich übrigens 1980 selbst erfunden habe): Als Beispiele werden in der Broschüre u.a. genannt: Person, Mitglied, Waise, Elternteil, Elter (mit Zusatzvermerk: selten). Auf der nächsten Seite heißt es: “Geschlechtsabstrakte Formen sind zurückhaltend zu verwenden, denn im Gegensatz zu Paarformen wirken sie oft unpersönlich und distanzierend.” (S. 27)
M.a.W., das Wort “Elter” wird nicht etwa vorgeschrieben, es wird nicht einmal empfohlen, sondern von seinem Gebrauch wird abgeraten.
Wie mann darin eine Vorschrift erkennen konnte, die Wörter “Mutter” und “Vater” zugunsten von „Elter“ abzuschaffen, ist mir unerfindlich. Es kann sich eigentlich nur um ein böswilliges Missverständnis und gezielte Desinformation handeln. Hetze gegen Feministinnen ist ein beliebter Sport der Männerpresse. Das Volk wird von dem Rest der Empfehlungen, in die jahrelange empirische Forschung und komplexe Erwägungen internationaler Expertinnen eingegangen sind, dann gar nichts mehr wissen wollen - zu seinem eigenen Schaden, denn die Empfehlungen sollen die Lage der Menschen verbessern und uns aus unseren Geschlechtsrollengefängnissen heraushelfen.
Es sind Empfehlungen, wie der Sexismus der Medien zu bekämpfen wäre - kein Wunder, dass die männerdominierten Medien um sich schlagen und die Bewegung im Keim ersticken wollen. Dass die Medien entschlossenen feministischen Widerstand verdienen, haben sie wieder einmal bewiesen.
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