Die Unterschriftenliste für Polanski
von Helke Sander
Mal abgesehen davon, dass ich niemandem wünsche, Insasse eines amerikanischen Gefängnisses zu werden und mir auch nicht zutraue, darüber zu befinden, welche Strafe nach 30 Jahren angemessen wäre, war für mich am eindrucksvollsten bei der schnellen Unterschriftenaktion deutscher Regisseure für Polanski, in der sein Vergehen nicht mit einen Satz erwähnt wurde, dass dadurch ein Schlaglicht auf die immer noch selbstverständliche und gleichzeitig unbewusste Ideologie männlicher Überlegenheit geworfen wurde. Die Betonung liegt hier auf unbewusst. Das ist aber nicht entschuldigend gemeint, denn von Frauen verlangt man auch, dass sie sich im Lauf der Zeit neuere Erkenntnisse zu eigen machen, wenn sie nicht für blöd gelten wollen. Die gleichen Leute, die hier unterschrieben haben, haben sich meist im Lauf der Jahre schon kritisch zu Rechtsextremismus geäußert, und sie würden weit von sich weisen, Frauen zu Objekten zu degradieren, aber sie tun es ununterbrochen. Diese Unterschriftenliste empfinde ich heute, nach über 40 Jahren Frauenbewegung, als mindestens genauso skandalös wie ihren Anlass.
(Unterschrieben haben: Wim Wenders und Tom Tykwer, Tilda Swinton. Pedro Almodóvar, Monica Bellucci, David Lynch, Ettore Scola, Martin Scorsese, Fatih Akin, Volker Schlöndorff, Woody Allen u.a.)
Sie merken es nicht mal, dass sie die Öffentlichkeit, die sie weitgehend selber repräsentieren, immer wieder mit viel Nachschub an männlicher Überlegenheitsideologie versorgen.
Die Vergewaltigung durch Polanski an dem jungen Mädchen überhaupt öffentlich in Frage stellen zu lassen, liegt auf der gleichen Linie wie eine Szene im neuen Almodovar-Film „Zerrissene Umarmungen“, wo gleich am Anfang des Films der ältere blinde Regisseur der jungen Frau, die ihn über die Strasse nach Hause geführt hat, eine Selbstbeschreibung entlockt, und sie es schon nach fünf Minuten mit dem bekannten anwachsenden Gestöhne der Frau in der tausendfach im Kino gesehenen Manier auf dem Sofa treiben. Offenbar kann ein Mann erotisch noch so unattraktiv sein, er wird immer inszenieren, dass ihn per se jede Frau unwiderstehlich findet und selber daran glauben.
Dazu passt dann auch, dass Filme von Frauen immer rarer werden. In der Bewerbung um den europäischen Filmpreis 09 sind es sechs von 48, die es in die engere Auswahl geschafft haben. In den Filmschulen sind die Geschlechter mehr oder weniger im Gleichgewicht. Wo bleiben all diese Frauen?
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24 Kommentare
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11.10.2009 um 12:57 Uhr thinkpunk
Finde den Hinweis, dass manche Dinge einfach gelernt gehören, sehr interessant. Das ist ein Punkt, den ich in bisherigen Diskussionen zum Thema noch nicht so deutlich formuliert gesehen hab. Speziell für Männer mit soviel Macht und Vorbildfunktion als Filmemacher und Darsteller haben die Pflicht ihre Äußerungen in Bezug auf Vergewaltigung auf einen ähnlich aufgeklärten Stand zu bringen wie zum Thema Rechtsextremismus.
Was ich allerdings an der Petitionsliste noch viel erschreckender finde, sind die ganzen Frauen, die unterschrieben haben. Speziell Tilda Swinton und Emma Thompson, die sich in Bezug auf andere ‘heikle’ Themen (Schlankheitszwang für Schauspielerinnen, Jugendwahn Hollywoods etc.) durch kritisches Denken hervorgetan haben und öffentlich Stellung bezogen haben.
11.10.2009 um 12:54 Uhr Anastasius Grün
Sie unterschreiben gegen Rechtsextremismus, sie Unterstützen mit ihrer Unterschrift einen mutmaßlichen Sexualstraftäter. Sie unterschreiben ohne nachzudenken. Was sind deren Unterschriften denn eigentlich noch wert? Für mich nichts.
11.10.2009 um 12:44 Uhr Sebastian Mraczny
Du hast recht.
11.10.2009 um 11:15 Uhr Gabi Stummer
Mich stößt ab, dass berühmte Menschen sich für Polanski einsetzen. Allein der Bekanntheitsgrad ist doch kein Kriterium für ein wertschätzendes Verhalten gegenüber Frauen. Zwei möchte ich gerne herausdeuten und auf deren Frauenbild hinweisen. Woody Allen, mir scheint,dass einfach vergessen ist, dass er wegen Kindsmissbrauch und aufgrund der Heirat seiner Adoptivtochter, kritikwürdig ist und Tom Tykwer, der in seinem Film eine Krankenschwester einen Patient befriedigen lässt. Bei T.T. geschieht es ja “nur” im Film, was W.A. täglich vorlebt.
Wer geht in die Filme dieser Männer?
Was erwarten wir von diesen Männern, was erwarten wir welches System sie stützen?
11.10.2009 um 10:13 Uhr Hazel Rosenstrauch
Wichtig finde ich, was oben von Anne gesagt wird: die Signalwirkung, die von der Verteidigung des “Kavalierdelikts” ausgeht. Heute kam gerade die Nachricht über das türkisch-armenische Abkommen, wie wäre es für die Herren Filmemacher, wenn man ihnen sagt, ach, der Mord an den Armeniern liegt fast 100 Jahre zurück, das ist kein Thema mehr. Ich schätze Polanski, ich wünsche ihm auch kein Gefängnis, aber ich hätte mehr Respekt - auch für seine Kunst - wenn er z.B. seine Reue durch entsprechendes Engagement gegen männliche Gewalt mit seiner Prominenz unterstützen würde.
Hazel
10.10.2009 um 23:47 Uhr Christa Stahel
Heike Sanders Protest kann ich nur unterstützen. Grossartige Leistungen auf dem Gebiet der Kunst rechtfertigen oder entschuldigen keine Straftat, schon gar nicht die Vergewaltigung einer Minderjährigen. Auch Polanski soll seinen, einen fairen, Prozess bekommen.
10.10.2009 um 22:34 Uhr Monika Ganseforth
Ich bin froh, dass Helke Sander sich zu Wort gemeldet hat und unterstütze ihren Protest
Monika Ganseforth
10.10.2009
10.10.2009 um 22:28 Uhr Anne
Ich schliesse mich dem protest gerne an. Welche signalwirkung haben eigentlich die vielen Polanski-sympathiebekundungen aus der szene gegenüber jetzigen und zukünftigen sexuellen straftätern?
Unverantwortlich finde ich, mit erklärungsversuchen wie popularität, arbeitserfolge, vita eine sexuelle straftat abzumildern - schwamm drüber - die geschehnisse liegen ja 3o jahre zurück.
Das ist ein schlag ins gesicht gegenüber all den opfern von kindesmissbrauch, kinderpornographie, -prostitution - tatbestände, die in einem unerträglichen ausmass weltweit stattfinden.
Niemand von den sympathisanten interessiert(e) sich dafür, wie ein 13jähriges mädchen all die jahre mit der erinnerung an die vergewaltigung unter alkohol und drogen leben musste?
Unverständlich finde ich auch, dass Polanski damals in frankreich mit offenen armen aufgenommen wurde.
Aber auch hier findet momentan eine diskussion statt im fall des franz. kulturministers F. Mitterand und seiner vorliebe für bordellbesuche in Thailand. Hier geht es um den sexuellen verkehr mit minderjährigen. “Die verschwenderische fülle sofort verfügbarer jungs versetzt mich in begierde - all diese rituale des marktes für schöne jünglinge, des sklavenmarktes erregen mich gewaltig. Geld und sex ich bin im herzen meines systems.” Auszüge aus seinem buch über den sextourismus in Thailand “Das schlechte Leben”.
Der kulturminister ein verteidiger von Roman Polanski.