Wörter retten
Wörter retten
von Helke Sander. Mit einem Kommentar von Luise F. Pusch
Vor einigen Wochen war in den Zeitungen zu lesen, dass Frauke Petry das Wort „völkisch“ neu beleben wolle.
Die Reaktion blieb nicht aus: Im Fernsehen war bald zu sehen, wie Katrin Göring-Eckardt mit Beben in der Stimme das Wort als eindeutig nazistisch bezeichnete.
Nun kann ich mir zwar momentan keinen in irgendeiner Weise vernünftigen Satz mit „völkisch“ vorstellen. Aber möglicherweise formuliert wirklich einmal jemand einen Gedanken, bei dem die Verwendung Sinn macht.
Ich erinnere mich an einige Diskussionen in den siebziger Jahren, in denen mit gleichem Nachdruck wie dem K. G.-E.s gefordert wurde, keine Volkslieder mehr zu singen, weil sie ebenfalls mit den Nazis in engste Verwandtschaft gebracht wurden. Das hat sicher dazu beigetragen, dass heute kaum mehr Kinder singen und wenn, keine Volklieder.
Das Wort VOLK ist ebenfalls umstritten. Bejubelt wurde es 1989 von der damaligen BRD, als es zum Wort des Widerstands gegen einen verhassten Staat wurde. „Wir sind das Volk“ wurde anders als 26 Jahre später rückhaltlos anerkannt. Damals trug ein Demonstrant ein Schild, auf dem zu lesen stand „Ich bin Volker“. Das war eine schöne Ironisierung und gleichzeitig rückte es die Identifizierung mit dem „Volksganzen“ etwas ins rechte Lot. Noch unangefochten behaupten sich die Bezeichnungen „Magdeburger Volksstimme“ (gegründet 1890), Volkswagen, Volksverhetzung, volksnah, und auch hier wieder ironisierund „VolXküche“.
Ein paar Wochen später brachte sich der EU-Kommissar Herr Oettinger mit dem Wort Schlitzaugen für AsiatInnen ins Gespräch. Das war natürlich im höchsten Maß politisch unkorrekt, ähnlich wie die Wörter Patriot, Negerkuss, Mohrenkopf, Muselmann, Krüppel, Behinderte dies inzwischen sind.
Viele dieser Wörter haben klar eine koloniale Vergangenheit und hatten vermutlich in den Anfangszeiten auch einen diskriminierenden Beigeschmack. Negerkuss und Mohrenkopf haben sich aber mit der Zeit auch in der Bedeutung geändert und haben, wenn überhaupt noch verwendet, einen eher zärtlichen Ton angenommen. Weil sich aber Menschen mit dunkler Hautfarbe dadurch diskriminiert fühlen können, werden sie auch kaum mehr verwendet. Andere Wörter sterben einen langsamen Tod, und wir werden, sollten wir sie hier und da noch hören, geradezu wehmütig. Empfindsam ist so ein Wort. In ihm liegt Ruhe, Langsamkeit, Nachdenklichkeit.
Aber zurück zum Anfang: Besonders die Grünen sind offenbar immer sofort dabei, wenn es gilt, jemanden sprachlich als nicht-politisch korrekt zu entlarven.
Ich habe allerdings noch nie gehört, dass sie ihre eigenen Worthülsen mal analysieren würden.
Besonders beliebt ist der Ausdruck „Wertegemeinschaft“. Diese Wertegemeinschaft teilen wir angeblich alle mit unseren westlichen Verbündeten, aber auf keinen Fall mit den Russen. Stimmt das?
Richtig ist, dass in den USA die „Bill of Rights“ schon 1791 verabschiedet wurde und Russland in seiner ganzen Geschichte noch niemals eine demokratische Verfassung hatte. Allerdings vertragen sich die in den USA noch immer praktizierte Todesstrafe nicht mit bundesrepublikanischen Werten (eher mit russischen), die BRD betreibt keine Foltergefängnisse in anderen Ländern, allerdings ist sie die Ausgangsbasis für den Drohnenkrieg unserer Verbündeten.
Als Gorbatschow die Sowjetunion zum Einsturz brachte und damit gleichzeitig wesentlich die Wiedervereinigung auslöste, da träumten viele davon, dass Russland bald zur EU gehören würde und die vielen kulturellen Beziehungen, die sich während einer langen und schmerzhaften Geschichte entwickelt hatten, einen neuen Rahmen bekommen würden. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. In vielen alten Sowjetrepubliken rund um Russland steht die Nato.
Russland ist sicher kein Hort der Demokratie. Aber die Russen haben gewiss andere Sorgen, als Polen und die baltischen Länder zu überfallen, und die vom Westen unterstützte korrupte Ukraine ist auch kein harmloser Nachbar. Leider höre ich von Frau K. G-E. dazu nichts.
Wider besseres Wissen wird die Politikverdrossenheit beklagt. Dabei sind es diese aufgeblähten Besserwissereien, die uns viele PolitikerInnen verleiden. Für den Ausdruck „Verantwortung übernehmen“ wäre auch eine Untersuchung fällig. Nie wird damit ins Konkrete gegangen. Ist damit immer noch gemeint, unsere Freiheit am Hindukusch zu verteidigen?
Also, lassen wir doch Frau Petry mal Sätze mit „völkisch“ bilden. Die können dann analysiert werden. Bis dahin gilt hoffentlich immer noch der Satz Rosa Luxemburgs von "der Freiheit der Andersdenkenden“.
Im Übrigen empfehle ich zum größeren Verständnis der deutschen Sprache und den Möglichkeiten ihrer Verballhornung die Sprach-Glossen von Luise Pusch, in denen sie solche wirklich kritikwürdigen Unwörter wie „verpartnern“ aufspürt und deren stillem Siegeszug durch die Behörden ständig fast allein etwas entgegensetzt.
Helke Sander
Kommentar von Luise F. Pusch
Danke für das Kompliment am Schluss, liebe Helke. Ich teile Katrin Göring-Eckardts Meinung über das Wort völkisch und höre auch bei Negerkuss und Mohrenkopf keinen "zärtlichen Ton". Ich finde, diese Wörter müssen nicht gerettet werden und können ruhig aus dem Vokabular verschwinden.
Als Kinder dachten wir uns nix bei Negerkuss und Mohrenkopf, es gab ja keine anderen Bezeichnungen dafür, und wir haben sie gern gegessen. Für uns waren es echte Leckerbissen, die wir selten genug geschenkt bekamen. Heute, gut 60 Jahre später, habe ich sowohl über die "Leckerbissen" als auch über die Bezeichnungen für sie meine Meinung gründlich geändert. Die Leckerbissen finde ich ziemlich ungenießbar - und die Wörter auch. Du aber hast offenbar andere Assoziationen. Für dich überwiegt vielleicht mehr die "zärtlich-nostalgische" Erinnerung an seltene Gaumenfreuden der Kindheit.
Wörter nehmen den Geschmack ihrer Umgebung an. Meine Lieblingsbeispiele dafür sind die Wörter lebenslänglich und lebenslang, die beide dasselbe bedeuten, aber in unterschiedlichen Kontexten vorkommen. Lebenslänglich tritt meist zusammen mit Zuchthaus oder Gefängnisstrafe auf. Deshalb reden wir bei Freundschaften oder Ehen nicht gern von lebenslänglich, sondern lieber von einer "lebenslangen Freundschaft/Ehe". Durch die Verwendung des Wortes lebenslänglich bekäme die Ehe den Beigeschmack eines Gefängnisses. Und so sprechen wir denn ironisch durchaus davon, dass zwei "miteinander verheiratet sind, und zwar lebenslänglich".
Völkisch verdankt seinen unerträglichen Beigeschmack dem Vorkommen im Titel des Nazi-Hetzblattes "Völkischer Beobachter". Ursprünglich sollte völkisch nur das "fremdländische" Wort national ersetzen, denn viele Nazis hassten "fremdes Wortgut" und "arisierten" es hemmungslos. Hitler war da eher gelassen. Seine Ideologie hieß Nationalsozialismus und nicht völkischer Sozialismus. Zu fragen wäre, weshalb die Wörter national und sozialistisch noch heute geduldet werden - um in Deinem Bilde zu bleiben: überlebt haben.
Aber "Das ist ein weites Feld, Luise", würde der alte Briest dazu sagen.
3 Kommentare
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12.12.2016 um 18:02 Uhr Lena Vandrey
Liebe Luise,
Wir haben uns sehr gefreut, über Deinen spannenden Lebensweg noch einiges zu erfahren.
Was die “Negerküsse” betrifft, so stand im Hof unserer “Volks-Schule” eine Bude, in welcher dieses arg giftige Zeug den Kindern angedreht wurde, zu zehn Pfennig das Stück. Es gab aber keine rassistischen Bemerkungen deswegen, Harry Belafonte war ja unser großer Star. Miese Kommentare galten eher der Tatsache, dass ich ein wenig groß geraten war mit dem Satz : He da, langes Hemd, wie ist die Luft da oben ? Viel zu kleine, gebrauchte Kleidung erlaubte diesen Spott. Ansonsten waren wir Russkis und Polaks. Was nun den Begriff “Neger” angeht, so gibt es das Wort nicht mehr, und ich fragte mich schon seit langem, was denn aus dem Konzept “Négritude” des Dichters Leopold Senghor wohl geworden ist. Die Feststellung einer Identität kann nicht rassistisch sein. Das lachende Konterfei eines Schwarzen auf dem Getränk “Banania” ist ebenfalls verschwunden, während es “Die lachende Kuh” vom Schmelzkäse immer noch gibt, trotz aller Verbrechen an eben dieser Kuh. Wer wird in der Sprache ausgegrenzt und warum ?
Von Alice Schwarzer lernte ich den Ausdruck “Heteroschnallen”, nicht gerade politisch korrekt. Aber sie sagte: Was willst du, die Sprache geht eben weiter, und ein Zwerg im Fernsehen ließ uns wissen : Wir sind Zwerge und sonst gar nichts, Ihr sagt doch auch Riese ...
Was auf der Strecke bleibt, ist die Phantasie des “Volks-Mundes”. Es gab ja einmal jemanden, der sagte, wir sollten auf eben diesen Mund schauen. Und dann, noch eines, nämlich, dass korrekt gesprochen wird und unkorrekt gedacht. Die Gedanken sind frei ... Stimmt das eigentlich noch ?
Ein Schriftsteller, der für einen anderen schreibt, heißt weiterhin ein “Neger” im Französischen .........
12.12.2016 um 13:16 Uhr Lena Vandrey
@ Helke Sander
Vielen Dank für den guten Text über das “Völkische, Volk und Völker”.
Noch in den Siebzigern schrieben MONIQUE WITTIG und SANDE ZEIG ein kleines Lexikon über Mythologie und Mystik von Frauen. Der Verlag Frauenoffensive beauftragte Gabriele Meixner und Verena Stefan, die Übersetzung herzustellen. Der Original-Titel hieB “BROUILLON POUR UN DICTIONNAIRE DES AMANTES”, “Amantes” in diesem Falle eindeutig weiblich, und nicht wie “Geliebte” oder “Lover” zweideutig. Nun stellte sich heraus, dass Gabriele Meixner sehr wenig Französisch konnte und Verena Stefan gar keines. Sie übersetzten also aus dem Amerikanischen. Da heißt das Buch “LESBIAN PEOPLES” und dementsprechend nennen sie ihre Übertragung “LESBISCHE VÖLKER”. Ich habe mich wahrhaftig gekloppt, damit das nicht geschieht und wollte mein Bild für das Cover zurückziehen. “Lesbian Peoples” scheint mir auch eher “Lesbische Leute” zu meinen als “Völker”. Trotz aller Anstrengungen, inbegriffen von Seiten der Autorinnen, erscheint dieses Buch unter diesem Titel, noch dazu in einer debilen Kinderschrift. Ich sollte die Übersetzung nachlesen, was sich als unmöglich erwies, da ich keine Anglistin bin, sondern Romanistin. Ebenfalls hatte ich verlangt, dass mein Name aus dem Buch verschwindet. Es ist halt so, dass das Politische das Poetische ermorden kann.
Die “Lesbischen Völker” wurden ein Flop, wie alle anderen Wittig-Übersetzungen dieser zwei Beiden. Eine Freundin versteckte die “Lesbischen Völker” hinter ihren Kochbüchern und den Biographien von Curd Jürgens und Klaus Kinski, damit ihre kleine Tochter sowas nicht sieht. Leider kannte ich derzeiten Luise nicht, vermutlich hätte es sie interessiert, und Helke Sander war mir ein Begriff für andere Dinge. Im Übrigen handelt es sich in diesem Fall um eine absolute Feigheit und das mutwillige Zerstören von genialen Ideen. Wittig hatte ja schon ihren Satz geschrieben über “Lesben, die keine Frauen sind”. Wie hätten also diese “Lesbischen Völker” ausgesehen? Berühmte Sätze gibt es dreie: Gertrude Stein für “Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose”, Simone de Beauvoir für “Wir werden nicht als Frau geboren” und Monique Wittig für “Nein, Lesben sind keine Frauen”. Aber sie werden bestimmt als Lesben geboren und sind also “völkisch”...
Auf dem Cover ist mein Bild der “Heu- und Schlangenträgerin” zu sehen unter dem Titel “Die Erlaubnisse der Ernte”. Jott, war ich blöd, aber jetzt geht es besser… Vielen Dank, Helke!
12.12.2016 um 13:15 Uhr Amy
Prima und wichtige Gedanken zum Thema Wörter retten. Ich möchte dazu sagen, dass Menschen auch schnell in den Verdacht geraten können, politisch unkorrekt zu handeln und im Nu die Rassismus- oder Nazikeule geschwungen wird, sobald sie Begriffe wie Mohrenkopf, Negerküsse , Schwarze, Zigeuner etc. benennen. Süßes Essbares gibt es heute noch in den Bäckereien , z.B. unter dem Begriff Amerikaner, Kameruner (ein ungefüllter Pfannkuchen/Zur Zeit des deutschen Kaiserreiches war Kamerun von 1884 bis 1919 deutsche Kolonie und etwa aus dieser Zeit kennt man auch dieses Gebäck. Das lässt den Schluss zu, dass mit diesem Krapfen die deutschen Soldaten unter den schwierigen klimatischen und versorgungstechnischen Bedingungen eine nahrhafte Wegzehrung erhielten /zitiert) Ich erinnere mich an die Kindheit, als wir Kinder auf der Straße mit Begeisterung Völkerball spielten. Die Amerikaner galten als unsere Befreier , aber auch sie wurden in den frühen 1970er Jahren aufgrund ihrer AußenPolitik äußerst kritisch beäugt, sogar gehasst. Der Begriff Amerikaner hatte keinen süßen, sondern einen fahlen Beigeschmack? Wie ich gelesen habe, war es zu DDR-Zeiten mitunter verboten , das Gebäck Amerikaner zu nennen, es wurde in Ammon-Plätzchen ausgeschildert.
Dann gibt es noch die Begriffe `Zigeuner - Zigeunermusik, Zigeunerjazz etc.` Zitiert: Wikipedia: Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entwickelte sich eine Perspektive im Sinne von „Volk“ und „Rasse“, die sich im 19. Jahrhundert zunehmend verfestigte. Zugleich mit einer diskriminierenden kam eine ebenfalls abgrenzende romantisierende Sichtweise auf, die negative Stereotype positiv umwertete. Die gewichtigeren nationalen und internationalen Interessenvertretungen der Roma lehnen die Anwendung des Begriffs auf Roma wegen der stigmatisierenden und rassistischen Konnotationen ab. Sie sehen das Wort im Kontext einer langen Verfolgungsgeschichte, die im nationalsozialistischen Genozid kulminierte.”
http://www.stern.de/panorama/sinti-und-roma—darf-man-heutzutage-zigeuner-sagen—6188408.html
Interessant sind auch die Gedanken von Luise zu den Wörtern wie lebenslänglich, lebenslang. Lebenslang verheiratet zu sein, bedeutete früher für viele Frauen sicherlich in etwa wie lebenslänglich im EheJoch gefangen zu sein. Viele Menschen halten eine lebenslange Beziehung gar nicht aus. Vor dem Traualtar oder in der Kirche hieß es früher bei der Vorstellung von einer lebenslangen PartnerInschaft : Bis dass der Tod uns/euch scheidet. Das empfinde ich ähnlich wie lebenslänglich eingesperrt zu sein.
Danke an Helke Sander und Luise F. Pusch für ihre klugen Hinweise.