Bücher Berühmte Frauen: 300 Porträts
Berühmte Frauen: 300 Porträts
Berühmte Frauen 300 Frauen
Sprache: Deutsch Broschiert - 383 Seiten - Insel, Frankfurt Erscheinungsdatum: März 1999 Auflage: 5., Aufl. ISBN: 3458169490
-- Vorwort:
Die Weltgeschichte ist nichts anderes als die Biographie großer Männer. (Thomas Carlyle, 1841)
Es geht nicht darum, daß die Frauen noch mehr Leistungen zu erbringen haben, sondern vielmehr darum, daß die Leistungen von Frauen endlich sichtbar gemacht, wahrgenommen und erinnert werden. (Rita Süssmuth in einer Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Politeia" im Bonner Frauen–Museum am 9. November 1998)
Frauenemanzipation ist ohne genaue Kenntnis der Frauengeschichte nicht möglich. (Gerda Lerner)
Was wir hier stolz präsentieren, ist das erste Lexikon bedeutender Frauen aller Epochen und Länder auf dem heutigen Stand der Forschung in deutscher Sprache.
Gibt es nicht schon genug Frauenbücher? Wozu denn nun noch ein frauenbiographisches Lexikon?
Dazu eine kleine Geschichte, eine von vielen: Ende 1998 bekam ich (LFP) ein Fax von der Frauenbeauftragten einer norddeutschen Stadt, ich möge ihr bitte umgehend Kurzbiographien von einigen Physikerinnen zurückfaxen. Der Bauausschuß der Stadt wollte nämlich vier neue Straßen nach Physikern benennen, und sie kämpfte nun um Physikerinnen-Benennung. In der Stadt gab es unter 280 Straßen bis dahin keine einzige, die nach einer Frau benannt worden war. Anfang 1999 kam die Erfolgsmeldung: Die Straßen wurden benannt nach Marie Curie, Agnes Pockels, Lise Meitner und Maria Goeppert–Meyer.
Bei der nächsten Gelegenheit brauchen Frauenbeauftragte nur im Beruferegister unseres Lexikons unter "Physikerinnen" (oder "Ärztinnen" oder "Fliegerinnen" oder was sonst gerade gefragt ist) nachzusehen - schon haben sie die nötige Information.
Diese Geschichte macht u.a. deutlich, daß wir alle noch immer, selbst nach 30 Jahren Frauenbewegung, unter einer Umweltverschmutzung besonderer Art zu leiden haben: Unsere Umgebung ist patriarchal durchseucht; die Verantwortlichen wie die Betroffenen merken es meist nicht einmal und müssen buchstäblich "mit der Nase darauf gestoßen werden", daß dies für Frauen eine Zumutung ist und daß etwas geändert werden muß.
Auf die Frage, warum Frauen in der herrkömmlichen Geschichtsschreibung und daher auch bei der herrkömmlichen Benennung von Straßen usw. nicht vorkommen, gibt es im wesentlichen drei Arten von Antworten:
Altväterliche Variante: Die Frauen haben eben zur Geschichte und zur Kultur nichts Erwähnenswertes beigetragen. Sie sind zu passiv und zu doof dazu. Überdies paßt die Anmaßung schöpferischen Tuns nicht zu der vornehmsten aller Aufgaben – Mutterschaft - für die Gottvater und Mutter Natur gerade die Frau ausersehen haben.
Altmütterliche Variante: Die Frauen haben zur Geschichte und zur Kultur nichts Erwähnenswertes beitragen können, weil die Sorge für Mann und Kinder ihnen keine Zeit für solche Kinkerlitzchen ließ.
Feministische Variante: Die Frauen haben zur Geschichte und zur Kultur im selben Maße beigetragen wie die Männer, aber die männliche Geschichtsschreibung hat den weiblichen Beitrag entweder trivialisiert oder marginalisiert oder "vergessen". Aus einer verzerrten Wahrnehmung der Realität kann natürlich nichts Gutes erwachsen. Aber ganz abgesehen von dieser Binsenweisheit ist es auch wichtig für unsere psychische Gesundheit, daß wir wahrgenommen werden. Die Psychologie spricht hier von "Spiegelung".
Wenn ein Kind nicht "gespiegelt" wird, keine Aufmerksamkeit für seine Freuden, Leiden und Leistungen bekommt, kann es sich nicht entwickeln. Es erkrankt an Hospitalismus und verkümmert seelisch, selbst wenn für alle körperlichen Bedürfnisse gut gesorgt wird.
Das vorliegende Lexikon spiegelt uns, indem es unsere Geschichte und Leistung würdigt. Und es liefert die notwendige Information für weitere Spiegelungen aller Art, für Gedenkveranstaltungen, Gedenkmünzen, Sondermarken usw.
Unsere Herrenkultur spiegelt normalerweise nur Männer wider; sie erhalten so routinemäßig die Botschaft, daß sie bedeutsam und wichtig sind. Die Frauen erhalten die entgegengesetzte Botschaft, daß sie nämlich nicht der Rede wert sind.
Die meisten Menschen denken, sofern sie über die fehlende positive Spiegelung von Frauen in unserer Kultur überhaupt nachdenken, in altväterlichen Bahnen: "Frauen haben wohl nichts geleistet, sonst würden sie ja gewürdigt." Die wenigsten machen sich klar, daß der Zusammenhang zwischen öffentlicher Würdigung und Leistung komplizierter ist. Die jeweils herrschende Klasse würdigt diejenigen, die ihr lieb und teuer sind, vorzugsweise also sich selbst und ihresgleichen. Die herrschenden Klassen können wechseln. Karl–Marx–Stadt heißt heute wieder Chemnitz, Leningrad heißt heute wieder St. Petersburg.
So wechseln zwar die Herrschenden, aber Männer sind es allemal. Erst heute erleben wir, in der wichtigsten sozialen Bewegung des Jahrhunderts, daß das herrschende Kollektiv der Männer – jedenfalls in den Industrienationen – sich wandelt und allmählich vom Sockel geholt wird von Frauen, die das Spiel durchschaut haben und es nicht mehr mitmachen. Die Erforschung und Sichtbarmachung der weiblichen Seite der Geschichte ist ein wesentlicher Teil dieser Arbeit, denn, um noch einmal die große US–amerikanische Historikerin Gerda Lerner zu zitieren: "... die bisher aufgezeichnete und interpretierte Darstellung der Vergangenheit der Menschheit [ist] nur partiell und lückenhaft, weil sie die Vergangenheit der Hälfte der Menschheit übergeht, und sie ist verzerrt, weil sie die Geschichte nur aus dem Blickwinkel der männlichen Hälfte der Menschheit wiedergibt."
Zwar trägt seit etwa zehn Jahren die beharrliche Zusammenarbeit etablierter Frauenorganisationen mit feministischen Forscherinnen und Aktivistinnen auch bei uns erste Früchte: Es gibt Lehrstühle und Forschungszentren für feministische Geschichtsforschung, zahlreiche Städte haben – oft mithilfe der Datenbank "Bedeutende Frauen international" – eindrucksvolle Bücher über berühmte Töchter der Stadt herausgegeben; in immer mehr Städten gibt es feministische Stadtrundgänge - und Briefmarken und Geldscheine zeigen uns nun auch große weibliche Persönlichkeiten; Intercity-Züge tragen auch die Namen großer Frauen durch alle Bundesländer und ins Ausland. Aber andere Länder, besonders England und die USA, sind den Deutschen hinsichtlich des "Frauen–präsent–Machens" und in der frauenbiographischen Forschung Jahrzehnte voraus.
Bei uns sind in den letzten 15 Jahren eine Reihe wichtiger Speziallexika erschienen, über Philosophinnen, Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Rebellinnen - aber nichts Umfassendes. Da will unser Nachschlagewerk eine erste Hilfe sein, so wie es seit 1987 auch der Kalender "Berühmte Frauen" ist, aus dessen biographischen Artikeln zu den sogenannten "Frauen der Woche" dieses Buch entstand.
Seit es den Kalender gibt, wurden wir – Herausgeberinnen des Lexikons und der Suhrkamp Verlag – von den BenutzerInnen immer wieder gebeten, die bisher entstandenen Kurzbiographien doch in einem Sammelwerk zusammenzufassen, so daß bei Informationsbedarf nicht immer sämtliche Kalender der vergangenen Jahre durchgesehen werden müssen. Was wir hier nach 13 Jahren vorlegen, erfüllt diesen Wunsch nur halb: Vorerst haben wir nur die Hälfte der Biographien neu herausgebracht. Wenn das Lexikon genügend Interesse findet, werden weitere Bände folgen...
Aus der Tatsache, daß unser Lexikon aus dem Kalenderprojekt hervorgegeangen ist, erklären sich einige seiner Besonderheiten: Der Kalender will, anders als herkömmliche Lexika, nicht nur informieren, sondern auch fesseln – unbedingt soll er beim Lesen und Anschauen Freude machen. Sie können das Lexikon also auch einfach durchlesen wie einen Schmöker – ja das geplante Sammelwerk lief bei uns von Anfang an unter dem Namen "Schmöker". Die Kalender–Mitarbeiterinnen bekamen von uns keine Anweisungen zur einheitlichen Gestaltung ihrer biographischen Texte. So spiegeln sich in den verschiedenen Biographien auch sehr unterschiedliche Temperamente und Akzentsetzungen der Biographinnen (eine z.B. fand es jeweils mitteilenswert, wenn die berühmte Frau besonders tierlieb war...). Für Abwechslung ist also gesorgt!
Wenn Sie beim Durchlesen des Schmökers eine sinnvollere Reihenfolge als die alphabetische bevorzugen, helfen Ihnen diverse Register im Anhang. Anhand des chronologischen Registers können Sie allgemeine Frauengeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart studieren, oder Sie erlesen sich mithilfe des Beruferegisters die weibliche Geschichte eines Berufsstandes oder mithilfe des Länder-Registers die Frauen–Geschichte einzelner Nationen.
Sie werden sich vielleicht wundern, daß ausgerechnet die bekanntesten Frauen – sagen wir Bachmann, Monroe oder Callas – die kürzesten Biographien abbekommen haben. Das liegt daran, daß es für bekannte Frauen Bildmaterial in Fülle gibt – und so ließen wir im Kalender in diesen Fällen auf dem knapp bemessenen Raum oft eher Bilder sprechen als Worte. Der Schmöker enthält Porträts von überwiegend sehr bekannten Frauen – und wenn es nicht so unfeministisch ware, würden wir, (gestützt auf die Erfahrung von 13 Jahren oft schwierigster Auswahl–Entscheidungen für die Aufnahme in die Kalender) glatt von der Erstellung eines neuen Kanons sprechen, etwa so: "Unter diesen 300 Frauen finden Sie an die 200 der 400 wichtigsten Frauen der Geschichte". Sie können über die meisten dieser Frauen auch woanders nachlesen, und zu diesem Zweck sind bei jeder die fünf wichtigsten Quellen angegeben, in denen Sie weitere Quellen finden werden. In einem gewöhnlichen Lexikon aber werden Sie nicht darüber informiert, wie diese Frauen wirklich gelebt haben. Wenn z.B. große Frauen von Männern behindert, benachteiligt, mißbraucht, gequält oder gar ermordet wurden, so erfahren Sie das in anderen Lexika meist nicht. Wenn die Frauen lieber mit Frauen als mit Männern zusammen lebten, so wird das in den gängigen Lexika in der Regel "diskret" übergangen. In unserem feministisch inspirierten Lexikon werden aber solche biographischen Fakten mindestens genau so wichtig genommen wie alle anderen. Diese sorgfältige und konsistente Ergänzung bzw. Korrektur der von Männern tradierten Frauen–Bilder durch neue, feministisch relevante Informationen und feministisch motivierte Wertungen unterscheidet unser Lexikon von fast allen anderen (Ausnahmen: einige der bereits erwähnten Spezial–Lexika).
Ein weiterer wichtiger Unterschied zu herkömmlichen Lexika ist die entschieden frauenbewußte Sprache der Artikel. Typisch sind Formulierungen wie "Mahalia Jackson ging mit vier SängerInnen auf Tournee" oder "Gwen Johns zunächst berühmterer Bruder Augustus hat immer behauptet, sie sei die bessere Malerin (nicht: "der bessere Maler", bloß weil Augustus Maler war!) oder "Anna Freud verfaßte Klassikerinnen der Psychoanalyse" (warum sollte eine Frau auch "Klassiker" verfassen?!) Wenn Sie das Buch als Nachschlagewerk benutzen, werden Sie sich manchmal wundern, weshalb die eine oder andere bekannte Frau fehlt, während eine andere, vielleicht weniger wichtige, aufgenommen wurde. Sie finden Königin Anne von England, aber nicht Königin Elizabeth I. Oder Sie finden Susan B. Anthony, eine der beiden führenden Frauen der US–amerikanischen Stimmrechtsbewegung - aber es fehlt ihre Mitstreiterin Elizabeth Cady Stanton. Diese Lücken ergeben sich aus der speziellen Kalender–Herkunft des Lexikons. Elizabeth I. ist für den Kalender 2003 vorgesehen (ihr 400. Todestag) und Stanton für den Kalender 2002 (100. Todestag). Im Laufe der Jahre werden – wenn Sie wollen - all die "fehlenden" großen Frauen noch an die Reihe kommen und in den Folgebänden dieses Lexikons gewürdigt werden.
Frankfurt/Main, im Januar 1999 Susanne Gretter und Luise F. Pusch
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