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geboren am 2. Juli 1873 in Saint-Mandé bei Paris
gestorben am 24. März 1968 in Washington DC
französische Drehbuchautorin und Regisseurin
150. Geburtstag am 2. Juli 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
1895 stellte Louis Lumière einem erschrocken-faszinierten Publikum in Paris seinen gerade entwickelten “Kinematographen” vor - mit Aufnahmen von heranrasenden Lokomotiven und Truppenparaden. Da war Alice Guy 22 Jahre alt und arbeitete als Sekretärin für Léon Gaumont im “Comptoir général de la photographie”, wo sie die Erprobung der verschiedenen neuen Filmapparate aus erster Hand erlebte. Sie fand, dass man mit dem neuen Medium noch etwas anderes machen könnte, als Pferde auf Rennbahnen und Prinzen auf Staatsbesuch zu dokumentieren - nämlich Geschichten erzählen. So schrieb sie ein Drehbuch und drehte in handgemalten Dekors und mit LaiendarstellerInnen aus ihrem Bekanntenkreis den ersten Spielfilm der Filmgeschichte.
Elf Jahre lang leitete sie danach das Gaumont-Spielfilmstudio, drehte Hunderte von Slapstickkomödien (Ich habe einen Maikäfer in der Hose), aber auch Kulturfilme von einer Reise nach Spanien, Aufnahmen von Tanz- und Opernszenen (mit parallelen Tonaufzeichnungen), filmte Stierkämpfe in der Camargue, Zigeunerlager, Pariser Elendsviertel und experimentierte mit Filmtricks wie Zeitlupe, Zeitraffer, Überblendungen u. Ä.
Für ihren größten Film Das Leben Jesu (1906) ließ sie 25 feste Bauten errichten und setzte 300 Komparsen ein - ein ernormer Aufwand. 1907 - da war sie immerhin “schon” 34 - heiratete sie den Kameramann Herbert Blaché und brach ihre überaus erfolgreiche Pariser Karriere ab. Mit Blaché ging sie im Auftrag von Gaumont in die USA, hatte aber auf Grund mangelnder Sprachkenntnisse große Eingewöhnungsschwierigkeiten. Gemeinsam gründeten sie eine eigene Filmgesellschaft, die “Solax”.
Guy drehte Cowboyfilme, Militärszenen, Literaturverfilmungen (Poe, Balzac) und einen erfolgreichen Film über Mädchenhandel (The Lure) - und brachte zwei Kinder zur Welt. Doch ihr Mann “entflammte für seine Hauptdarstellerin”, machte Schulden und war schließlich bankrott, sodass er 1920 die gemeinsame Filmgesellschaft verkaufen musste. 1922 folgte die Scheidung und Alice Guy kehrte “völlig entmutigt” und weitgehend mittellos mit ihren Kindern nach Frankreich zurück. Jahrelang versuchte sie, wieder im Filmgeschäft Fuß zu fassen (ihr fehlte das Startkapital), verdiente mühsam ihren Lebensunterhalt mit Kurzgeschichten, Märchen und Filmbesprechungen.
Nachdem ihre Tochter 1940 eine Stelle im diplomatischen Dienst der USA bekommen hatte, begleitete sie sie rund um die Welt zu ihren verschiedenen Einsatzorten. Mit 90 erlitt sie einen Schlaganfall, kehrte zusammen mit ihrer Tochter in die USA zurück und starb dort vier Jahre später, in der Nähe ihrer Kinder, in einem Sanatorium.
Sie drehte an die 500 Filme und gilt als “Erfinderin” des Spielfilms; trotzdem tauchte Alice Guys Name in den Filmgeschichten lange Zeit nur in Randbemerkungen auf, ihre Arbeiten wurden männlichen Kollegen zugeschrieben und für ihre Autobiographie einer Filmpionierin fand sie bis zu ihrem Tod keinen Verlag. Erst das Pariser Frauenfilmfestival 1974 zeigte wieder einige ihrer Filme, und die Festivalveranstalterinnen brachten 1976 Alice Guys Lebenserinnerungen heraus.
(Text von 1997)
Verfasserin: Andrea Schweers
Literatur & Quellen
Blaché, Roberta und Simone & Anthony Slide. 1986. The Memoirs of Alice Guy Blaché. Metuchen, NJ; London. The Scarecrow Press.
Guy, Alice. 1981 [1976]. Autobiographie einer Filmpionierin 1873-1968 [=Autobiographie d'une pionnière du cinéma]. Aus d. Frz. von Helma Schleif und Dagmar Hahn. Vorwort von Nicole–Lise Bernheim und Claire Clouzot. Münster. tende.
Lyon, Christopher & Susan Doll. Hg. 1986. The International Dictionary of Films and Filmmakers. Bd. 2: Directors / Filmmakers. London. St. James Press.
Raganelli, Katja. 1996. Alice Guy–Blaché (1873-1968): Hommage an die erste Filmemacherin der Welt. TV–Film. Produktion von Diorama Film GmbH im Auftrag des ZDF, in Zusammenarb. mit arte.
Slide, Anthony. 1977. Early Women Directors. South Brunswick; New York. A.S. Barnes & Co.
Werner, Paul & Uta van Steen. 1986. Rebellin in Hollywood: 13 Porträts des Eigensinns. Frankfurt/M.; Dülmen. tende.
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