geboren am 7. August 1848 in New York City
gestorben am 6. März 1892 in London
US-amerikanische Tagebuchschreiberin; Schwester von William und Henry James
175. Geburtstag am 7. August 2023
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Alice James war eine hochbegabte Frau, die allerdings ihre Begabung nie entfalten durfte. Ihr Vater, der ihre Brüder auf die besten Schulen und Universitäten schickte, war der Überzeugung, daß Bildung der natürlichen Würde und Aufgabe der Frau nur schaden könne.
Alicens älteste Brüder (sie war die jüngste von fünf Geschwistern und das einzige Mädchen) wuchsen heran zu zwei der bedeutendsten Intellektuellen im Amerika der Jahrhundertwende: William James, weltberühmter Psychologe und Philosoph, und Henry James, weltberühmter Romancier.
Mit 13 Jahren erkrankte Alice James an Hysterie und sollte sich zeit ihres kurzen Lebens nicht mehr davon erholen; ab ihrem dreißigsten Lebensjahr war sie Vollinvalidin. Sie litt darunter, daß sie keine »richtige Krankheit« vorzuweisen hatte und frohlockte geradezu, als sie 1891 mit 43 Jahren unheilbar an Krebs erkrankte: »Dem der wartet wird gegeben! … Seit ich krank bin, habe ich mich nach irgendeiner handgreiflichen Krankheit gesehnt, egal was für einen fürchterlichen Namen sie haben mochte.«
Die moderne Hysterieforschung geht davon aus, daß die Hysterie junger Mädchen in der Regel eine Reaktion auf den sog. »sexuellen Mißbrauch« ist. Im Falle der ehrenwerten James-Familie ist dieser »ungeheuerliche« Vorwurf m.E. noch nicht erhoben worden – allerdings gibt es einige Tatsachen, die den Verdacht aufkommen lassen, daß hinter Alicens lebenslangem Elend auch ein solches Verbrechen stehen könnte, ähnlich wie bei Virginia Woolf.
Alicens ältester Bruder William James war seiner kleinen Schwester innigst zugetan; im Alter von 18 Jahren dichtete er für sie einen Herzenserguß in Sonettform, in dem es u.a. heißt: »Wenn ich dich, meine süße Alice, nicht zur Frau haben kann, muß ich mich im Meer ertränken.« Dieses Opus trug er stolz im Familienkreise vor – die kleine elfjährige Alice blieb stumm. Oder er schrieb ihr: »Du erscheinst mir von hier aus so wunderschön, so intelligent, so zärtlich, so ganz und gar das, was ein Bruder sich am meisten wünscht, so daß ich, wenn ich wieder zu Hause bin, mir nichts anderes vorstellen kann, als den Arm um deine Taille zu legen und dich zu bitten, mir bei allem was ich sage zuzustimmen …«
Mit 36 Jahren heiratete William – und Alice erlitt die schlimmste Nervenkrise ihres Lebens. Aber dieses Ereignis brachte auch in Alicens Leben die Wende – ihre Freundin Katharine P. Loring begann, sich mehr um die Kranke zu kümmern, und es entwickelte sich eine innige Beziehung zwischen den beiden. Sie hatten sich kennengelernt bei der ehrenamtlichen Arbeit für eine Frauenbildungsorganisation, der Society to encourage studies at home. Alice über Katharine: »Sie ist ein wundervolles Wesen. Sie besitzt die körperliche Überlegenheit, die den Mann von der Frau unterscheidet und gleichzeitig doch alle ausgesprochen weiblichen Tugenden. Es gibt nichts, was sie nicht kann, vom Holzhacken, Wasserziehen und Pferdezähmen bis zur Erziehung aller Frauen Nordamerikas.«
Gemeinsam ließen sie sich in London nieder, wo auch Bruder Henry James sein Junggesellenleben führte und sich bisweilen von dem Glück der beiden Frauen, die einander völlig zu genügen schienen, ausgeschlossen fühlte. Alice nahm leidenschaftlich Anteil am politischen und geistigen Leben ihrer Zeit und füllte in den letzten Jahren ihres Lebens ein Tagebuch mit persönlichen Reflexionen und scharfsinnigen Kommentaren zum Zeitgeschehen. Als William es zwei Jahre nach ihrem Tod von Katharine zugeschickt bekam, schrieb er an seinen Bruder: »Das Tagebuch hinterläßt einen einmaligen und tragischen Eindruck von persönlicher Stärke, die sich an nichts auslassen konnte.« Womit er im wesentlichen das übliche Schicksal weiblichen geistigen Strebens im 19. Jahrhundert genau erfaßt hat.
(Text von 1997)
Verfasserin: Luise F. Pusch
Zitate
Alice James’ Tagebuch [ist] ein Dokument weiblicher Geschichte zwischen Verzweiflung an sich selbst und Selbstbehauptung, eine Geschichte der Bescheidung und der Rebellion. […] Beiläufig und ungeformt enthält [es] die Lebenserfahrungen, die in den Dichtungen von Alicens berühmteren Schwestern, von Emily Dickinson bis Sylvia Plath, Form und Ausdruck gefunden haben.
(Gudrun Boch)
Literatur & Quellen
Boch, Gudrun. 1985. “Alice James (1848-1892): Aufzeichnungen einer Tochter und Schwester”, Pusch, Luise F. Hg. 1985. Schwestern berühmter Männer: Zwölf biographische Portraits. Frankfurt/M. Insel TB 796. S. 415-451.
James, Alice. 1982. The Diary of Alice James. Ed. Leon Edel. Harmondsworth. Penguin.
Lewis, R.W.B. 1991. The Jameses: A Family Narrative. New York. Farrar, Straus & Giroux.
Strouse, Jean. 1980. Alice James: A Biography. Boston. Houghton Mifflin.
Yeazell, Ruth Bernard. Hg. 1981. The Death and Letters of Alice James. Berkeley. Univ. of Calif. Press.
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