geboren am 3. März 1939 in Boulogne-sur-Seine
französische Theater- und Filmregisseurin
80. Geburtstag am 3. März 2019
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Sie wuchs in einem Milieu auf, in dem das Kino allgegenwärtig war. Ihr Vater, ein russischer Emigrant, war Filmressigeur und -produzent. Ihre Mutter ist Engländerin. Während ihres Psychologiestudiums an der Sorbonne gründete Ariane Mnouchkine 1959 ein StudentInnentheater, aus dem das Theaterkollektiv Théâtre du Soleil hervorging. Schlagartig berühmt wurde Mnouchkine mit der LaiInneninszenierung von Arnold Weskers “The Kitchen” (La Cuisine), die von 63.400 ZuschauerInnen besucht wurde. 1970 wurde ihr die Cartoucherie, eine alte leerstehende Munitionsfabrik in Vincennes, zur Verfügung gestellt, die inzwischen mit ihren mehreren Bühnen zu einer kleinen Theaterstadt geworden ist. Dort lebt und arbeitet Mnouchkine mit ihrer Theatergruppe, die bis zu 60 SchauspielerInnen zählt. Eine traditionelle Ausbildung steht nicht unbedingt im Vordergrund: Sie fordert von den SchauspielerInnen, dass sie athletisch sind, tanzen und singen können und bereit sind, alle anfallenden Arbeiten im Theater zu leisten. Es wird gemeinsam gegessen, es besteht Gleichberechtigung bei der Arbeit und gleiche Bezahlung für alle. Den ZuschauerInnen werden von den SchauspielerInnen Rotwein und Brötchen serviert, Ariane verkauft Eintrittskarten und Theaterprogramme.
Für Mnouchkine hat das Theater den Auftrag, politische Aufklärung zu bewirken und die Historizität des Menschen sichtbar zu machen. Klaus Manns Roman “Mephisto” adaptierte Mnouchkine fürs Theater: “Ich wollte die Geschichte der Verantwortung des Künstlers erzählen, und was Schuld- und Komplizenschaft angesichts des Naziregimes bedeuten.” Aufsehen erregten ihre Inszenierungen über die Französische Revolution “1789” und “1793”. Die SchauspielerInnen spielten auf mehreren Bühnen, so dass sich das Publikum zum jeweiligen Geschehen hinbewegen musste.
Ob Mnouchkine griechische Tragödien von Aischylos und Euripides oder Stücke von Shakespeare und Molière zur Aufführung bringt, oder ob ihre Freundin Hélène Cixous für das Théâtre du Soleil eigens Stücke schreibt, immer wird ein politischer Bezug zur Gegenwart hergestellt. Am wichtigsten für Mnouchkine ist, dass die Texte, die zur Aufführung gelangen, Poesie enthalten, denn, wie sie einmal in einem Interview (die sie sehr selten gibt) sagte: “Die Poesie im Text bringt Poesie in die Körper und Gebärden der SchauspielerInnen.”
Mnouchkines Inszenierungen sind grandiose ästhetische Ereignisse, vor allem auch, weil sie mit Elementen des orientalisch-asiatischen Theaters arbeitet. Inspiriert ist sie von der Theatralik und Präzision des japanischen Noh und Kabuki, einem volkstümlichen Theater in übersteigert realistischem Stil, das Tanz und Pantomime enthält, sowie vom balinesischen getanzten Maskentheater (Topeng) und vom indischen Theater mit Tanz, Pantomime und Schattenspiel. Bedeutung haben für Mnouchkine außerdem das antike Theater, die Commedia dell'arte und Stanislawskijs Theorien über naturalistisches Theater.
Mnouchkine versucht nicht, asiatisches Theater zu kopieren, ihr Sinn für Dramaturgie bleibt bewusst westlich, doch fasziniert sie am asiatischen Theater die konkrete Beziehung zum Körper, zur Stimme, zur Bühne, zum Raum, zum Kostüm und zur Maske. Mnouchkine setzt in ihren Inszenierungen oft Masken ein: “Die Masken sind da mit einem furchtbaren und unausweichbaren Anspruch. Die Maske ist keine Schminke. Alles steht in ihrem Dienst. Sie denunziert den Schauspieler, falls er sie schlecht gebraucht. Masken haben eine Geschichte, eine Vergangenheit, eine Göttlichkeit. Es gilt, zu ihnen zu reisen…”. So Mnouchkine in einem ihrer Schauspiellehrgänge, die sie alljährlich gibt, zu denen aus aller Welt über tausend Bewerbungen eingehen, aus denen sie zweihundert persönlich auswählt.
Als Künstlerin und Linksintellektuelle engagiert sich Mnouchkine politisch weit über das Theater hinaus. So gründete sie mit Claude Lelouch im Juli 1979 einen internationalen Verein zur Verteidigung von Künstlern und Künstlerinnen, die Opfer von Willkür und Verfolgung wurden. Interventionen und Demonstrationen führten oft zur Freilassung gefangener KünstlerInnen, wie z.B. der kolumbianischen Pianistin Alba Gonzales Souza. Anhand der Prozessunterlagen inszenierte Mnouchkine in ihrem Theater den Prager Prozess gegen Vàclav Havel als Justizparodie. Dieses Stück wurde verfilmt und im Fernsehen gezeigt. Mit ihrer Kompagnie gastiert sie in der ganzen Welt. “Ich glaube an das Licht. Ich glaube an die Verzauberung. Ich glaube an die Anregung durch Schönheit, Licht, Hoffnung, Freude, Lachen, Tränen. Ich glaube an die Emotionen. Ich denke, dass sie die Vermittler von Gedanken sind und so Vermittler vom Leben. Sie sind Transformatoren von Intelligenz”, so Ariane Mnouchkine. Die Aufführungen im Soleil geben dafür täglich ein Beispiel.
Verfasserin: Sibylle Duda
Literatur & Quellen
Added, Serge: Mnouchkine, Arriane, in: Jacques Juillard und Michel Winock: Dictionnaire des intellectuels francais, Paris: Edition du Seuil 1996, S. 793-794.
Chollet, Mona: Interview mit Ariane Mnouchkine: Le théâtre aide à se mettre dans l'Histoire”, März 2000. Mit vielen weiterführenden Links zu Mnouchkine.
Féral, Josette (Hg.): Ariane Mnouchkine & das Théâtre du Soleil, (Montreal 1995), Berlin 2003, Alexander Verlag.
Wardle, Irving: An Artist's Response to Guilt and Complicity, in: THE TIMES vom 2. 4. 1986.
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