geboren am 12. Juli 1911 in Leipzig
gestorben am 21. Juni 2000 in Berlin
deutsche Schriftstellerin
110. Geburtstag am12. Juli 2021
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Die Schriftstellerin Johanna Moosdorf hatte bereits ein eindrückliches literarisches Werk veröffentlicht, als sie – 59 Jahre alt – dem Suhrkamp-Verlag 1969/70 ein Roman-Manuskript mit dem Titel »Sappho« zur Publikation anbot. Ihre beiden vorherigen Bücher »Nebenan« und »Die lange Nacht« waren dort veröffentlicht und die Autorin mit renommierten Literaturpreisen (Nelly-Sachs-Preis und Stipendium der Villa Massimo) ausgezeichnet worden. Doch der Suhrkamp Verlag lehnte die Publikation ab. Offensichtlich passte die selbstbewusste Darstellung lesbischer Liebe, verbunden mit der Kritik an patriarchalen Verhaltensweisen, nicht in sein literarisches Programm, denn 1970 war lesbische Liebe gesellschaftlich und literarisch noch tabu. Erst sieben Jahre später (im Jahr 1977) erschien der Roman unter dem abgeschwächten Titel »Die Freundinnen« in einer kleinen Auflage in der Nymphenburger Verlagsbuchhandlung. In der Zwischenzeit hatte sich die neue Frauenbewegung entfaltet und in vielfacher Weise Öffentlichkeit geschaffen – nicht zuletzt auch für lesbische Frauen.
Johanna Moosdorf jedoch hat bereits in den 1960er Jahren an diesem Text gearbeitet, in dem eine lesbische Liebesbeziehung bzw. die Sehnsucht danach im Zentrum steht. Verbunden mit der Darstellung dieser Liebe werden auch lesbische Spuren in der Geschichte aufgezeigt, sowohl in der positiven Bezugnahme auf Figuren im Matriarchat wie auch in der Unterdrückungs-Geschichte der Hexenverfolgung.
Johanna Moosdorf, 1911 in Leipzig geboren, war 1931 zum Studium nach Berlin gegangen, wo sie den jüdischen Intellektuellen Paul Bernstein kennenlernte, heiratete und gemeinsam mit ihm ein Heim für jugendliche Erwerbslose leitete. Sie entschied sich, Schriftstellerin zu werden, und schrieb die nächsten siebzig Jahre unbeirrt weiter, auch wenn die äußeren Umstände diesem Vorhaben immer wieder entgegenstanden. Die Publikation ihres ersten Gedichtbandes wurde 1933 verboten, die Jahre danach waren geprägt von schwierigen Lebensbedingungen: Die einzigen Lichtblicke waren die beiden Wunsch-Kinder, 1935 und 1937 geboren. Doch ihr Mann Paul Bernstein wurde als Jude ausgegrenzt, verfolgt und 1944 in Auschwitz umgebracht. Johanna Moosdorf floh mit den Kindern in die Tschechei und nach Kriegsende zurück nach Leipzig, wo sie einen Nervenzusammenbruch erlitt und längere Zeit im Krankenhaus verbringen musste, ehe ihr ein Neuanfang als Schriftstellerin möglich war. Sie lebte zusammen mit ihren Kindern und ihrer Jugendfreundin Grete Ebert bis 1950 in Leipzig. Dann verließ sie die neu gegründete DDR. Ihre beiden Kinder wanderten in den 1960er Jahren in die USA aus. Johanna Moosdorf blieb bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 in Westberlin.
Die ersten Bücher von Johanna Moosdorf erschienen nach dem zweiten Weltkrieg, als das Papier noch knapp war – 1947 der Gedichtband »Brennendes Leben« und der Roman »Das Bildnis«. In den ersten Romanen entsteht eine Spannung daraus, dass die Handlungsträger Männer sind, während die Empathie bei den Frauenfiguren liegt, so z.B. in »Flucht nach Afrika«. Ab Mitte der 1950er Jahre werden immer wieder die ungesühnten Verbrechen während der Zeit des deutschen Nationalsozialismus und die Auswirkungen auf das Leben nach dem Krieg zum Thema, besonders eindrücklich in den Romanen »Nebenan« (1961), in dem erstmals eine weibliche Hauptfigur auftritt und in »Die Andermanns« (1969), der den Konflikt eines Sohnes mit seinem als SS-Mörder schuldig gewordenen Vater zeigt.
Am wichtigsten war Johanna Moosdorf ihr letzter Roman »Jahrhundertträume«, den sie trotz schwerer Sehbehinderung mit 77 Jahren vollendet hat. Hier wird aus der Sicht einer Schriftstellerin sowohl die Ehe mit dem Intellektuellen Karl als auch die Liebesbeziehung mit der Journalistin Thilde erinnert. Von diesen beiden geliebten Menschen getrennt, fühlt sie sich doch innerlich zutiefst mit ihnen verbunden. Die Liebesbeziehungen erscheinen gleichwertig. Die Verbindung von Gegenwart, Erinnerung und Reflexion erzeugt die Vielschichtigkeit dieses Romans, der von der Literaturkritik kaum zur Kenntnis genommen wurde. Doch immerhin war auf der Basis des Verkaufserfolgs der Taschenbuchausgabe von »Die Freundinnen« (1987) die sofortige Publikation im Fischer Taschenbuch möglich. Johanna Moosdorf schrieb weiter und publizierte als über Achtzigjährige die Erzählungen »Die Tochter« und »Flucht aus der Zeit« sowie den Gedichtband »Fahr hinaus ins Nachtmeer«.
Obwohl Johanna Moosdorf während siebzig Jahren als Schriftstellerin gearbeitet und ein beeindruckendes literarisches Werk geschaffen hat, das alle Sparten umfasst (Roman, Erzählung, Hör- und Schauspiel, Essay, Gedicht), und obwohl sie seit den achtziger Jahren auch von jüngeren Leserinnen und Lesern geschätzt wird, hat sie in der deutschsprachigen Literaturgeschichte noch keinen angemessenen Platz gefunden. Immerhin ist in Berlin-Charlottenburg eine Bibliothek nach ihr benannt, an ihrem Wohnhaus eine Gedenktafel angebracht und ihr Nachlass dem Literaturarchiv übergeben worden.
Verfasserin: Madeleine Marti
Zitate
Bei aller Männlichkeits- und Patriarchatskritik eignete Johanna Moosdorf eine zutiefst humanistische Weltsicht, die keine Schwarzweißmalerei duldete. In »Jahrhundertträume« formulierte sie ihr Credo, die Vision eines Menschenwesens, das ›frei‹ wäre: »göttlich in seiner Doppelgestalt als Weib-Mann und Mann-Weib, nicht an Rollen gebunden, nicht in Grenzen eingeschlossen, die es nicht überschreiten durfte.« Und nicht zuletzt zeichnete sie in der Figur des Karl Meerstern in diesem Roman ein anrührendes Porträt ihres Mannes Paul Bernstein und schuf damit zugleich eines der bewegendsten und schönsten Männerbilder in der neueren Literatur.
(Regula Venske, Literaturwissenschaftlerin)
Links
Berlin.de (2008): Benennung der Johanna-Moosdorf-Bibliothek am 24.9.2008 (Link aufrufen)
Berlin.de (2010): Gedenktafel Johanna Moosdorf. Informationen zu Leben und Werk sowie Zitate auf den verlinkten Seiten. (Link aufrufen)
Deutsches Literaturarchiv Marbach: Nachlass Johanna Moosdorf (Link aufrufen)
Google-Buchsuche: Johanna Moosdorf (Link aufrufen)
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Johanna Moosdorf. Bücher und Medien. (Link aufrufen)
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Literatur & Quellen
Werke (mit Neuauflagen)
Romane
Moosdorf, Johanna (1947): Das Bildnis. Roman. Berlin. Dietz. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1952): Flucht nach Afrika. Roman. Freiburg im Breisgau. Klemm. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1953): Die Nachtigallen schlagen im Schnee. Roman. Frankfurt am Main. Büchergilde Gutenberg. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1955): Der Himmel brennt. Roman. Hamburg. Schröder. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1961): Nebenan. Roman. 1. - 5. Tsd. Frankfurt am Main. Suhrkamp. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1969): Die Andermanns. Roman. Stuttgart. Goverts. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1977): Die Freundinnen. Roman. München. Nymphenburger Verlagshandlung. ISBN 3-485-00326-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1989): Jahrhundertträume. Roman. Orig.-Ausg. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag. (Fischer, 4739 : Die Frau in der Gesellschaft) ISBN 3-596-24739-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1992): Die Andermanns. Roman. Neuausg. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag. (Fischer, 11191 : Die Frau in der Gesellschaft) ISBN 3-596-11191-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1994): Die Freundinnen. Roman. 36. - 37. Tsd. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag. (Fischer, 4712 : Die Frau in der Gesellschaft) ISBN 3-596-24712-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1995): Die Nachtigallen schlagen im Schnee. Roman. 1. Tsd. Bremen, Hamburg. Achilla-Presse. ISBN 3-928398-09-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Erzählungen und Novellen
Moosdorf, Johanna (1948): Nachspiel. Eine Novelle. Berlin. Lied der Zeit. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1948): Zwischen zwei Welten. 4 Novellen. Berlin. Neues Leben. (WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1957): Schneesturm in Worotschau. Novelle. 1. - 6. Tsd. Gütersloh. Bertelsmann. (Das kleine Buch, 96) (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1963): Die lange Nacht. Erzählung. 1. - 3. Tsd. Frankfurt am Main. Suhrkamp. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1991): Die lange Nacht. Erzählung. 1. - 2. Tsd. Oldenburg, Bremen. Achilla-Presse. ISBN 3-928398-02-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1991): Die Tochter. Geschichten aus vier Jahrzehnten. Orig.-Ausg. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag. (Fischer, 10506 : Die Frau in der Gesellschaft) ISBN 3-596-10506-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1993): Franziska an Sophie. Erzählung. Orig.-Ausg. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag. (Fischer, 11861 : Die Frau in der Gesellschaft) ISBN 3-596-11861-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1997): Flucht aus der Zeit. Erzählung. 1. Aufl. Bremen, Hamburg. Achilla-Presse. ISBN 3-928398-41-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (2001): Flucht aus der Zeit. Erzählung. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag. (Fischer, 14514 : Die Frau in der Gesellschaft) ISBN 3-596-14514-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Gedichtbände
Moosdorf, Johanna (1979): Sieben Jahr', sieben Tag'. Gedichte 1950 - 1979. Wiesbaden, München. Limes-Verlag. ISBN 3-8090-2153-9. (WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1983): Neue Gedichte. Sankt Michael. Bläschke. ISBN 3-7053-1827-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Moosdorf, Johanna (1990): Fahr hinaus in das Nachtmeer. Gedichte. Orig.-Ausg. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag. (Fischer, 10217 : Die Frau in der Gesellschaft) ISBN 3-596-10217-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Johanna Moosdorf. (1965) Nelly-Sachs-Preisträgerin, Dortmund 1963. Mit Beiträgen von Johanna Moosdorf, Berlin, Kyra Stromberg, Köln, Werner Warsinsky, Lünen und einer Johanna-Moosdorf-Bibliographie von Hedwig Bieber, Dortmund. Dortmund. Stadtbücherei. (Dichter und Denker unserer Zeit, 32) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Johanna Moosdorf. (1997) In: Busch, Alexandra (Hg.): Frauenliebe, Männerliebe. Eine lesbisch-schwule Literaturgeschichte in Porträts. Stuttgart, Weimar. Metzler. ISBN 3-476-01458-4 S. 296–299 (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Andreae, Mechthild (1964): Eine Westberliner Schriftstellerin. Gespräch mit Johanna Moosdorf. Dortmund. Kulturamt. (Dortmunder Vorträge, Reihe B, Heft 5) (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ewering, Cäcilia (1992): Frauenliebe und -literatur. (Un)gelebte (Vor)Bilder bei Ingeborg Bachmann, Johanna Moosdorf und Christa Reinig. Essen. Die Blaue Eule. (Literatur, 4) ISBN 3892064695. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Marti, Madeleine (1992): Hinterlegte Botschaften. Die Darstellung lesbischer Frauen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945. S. 146-177. Stuttgart. Metzler. ISBN 3-476-00856-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Venske, Regula (1987): Schriftstellerin gegen das Vergessen: Johanna Moosdorf. In: Stephan, Inge; Venske, Regula; Weigel, Sigrid: Frauenliteratur ohne Tradition? Neun Autorinnenporträts. Orig.-Ausg. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag (Fischer, 3783 : Die Frau in der Gesellschaft). ISBN 3596237831 S. 191–220. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
Bettina Flitner – Herzlichen Dank!
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