Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich
geboren am 2. Mai 1901 in Ulm
gestorben am 8. Juni 1988 in Wil, Sankt Gallen
Schweizer Juristin und Feministin
35. Todestag am 8. Juni 2023
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Am 7. Februar 1971 wurde in der Schweizer Verfassung das aktive und passive Wahlrecht der Frauen verankert. Erst dann. Und bis heute noch nicht einmal in allen Kantonen. Dass aber immerhin 1971 eine Verfassungsänderung stattfand, ging in ganz entscheidendem Maße auf die Aktivitäten des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht zurück, dessen Präsidentin Lotti Ruckstuhl in den Jahren 1960 bis 1968 war.
Lotti Ruckstuhl wuchs in Südafrika auf, wo sie durch ihre Mutter mit der Problematik des Frauenstimmrechts schon als Kind vertraut gemacht wurde. Sie ging in die Schweiz, studierte Jura in Zürich und erlebte, dass bei Gericht nur Personen mit aktivem Bürgerrecht (d.h. stimmberechtigte Bürger) befördert wurden – also nur Männer. Sie suchte sich daraufhin einen anderen Beruf, wurde aber erst Ende der 1940er Jahre politisch aktiv, als sie dem Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht beitrat.
1959 fand die erste eidgenössische Abstimmung zum Frauenstimmrecht statt und bescherte den Frauen eine Niederlage. Viele Schweizerinnen, z.B. die Landfrauen, waren selber gegen das Stimmrecht (auch später noch lauteten Wahlkampfparole: „Männer, helft uns Frauen gegen die totale Verpolitisierung!“ und „Lasst uns aus dem Spiel!“) und trugen so zu der Niederlage bei.
1960 wurde Lotti Ruckstuhl Präsidentin des Verbandes und kämpfte mit großem Engagement durch Pressearbeit, Organisation von „Frauenpodien“ (Diskussionsforen) und in der „Stiftung für staatsbürgerliche Erziehung und Schulung“ (SAFFA) für das Stimmrecht der Frauen.
1962 trat die Schweiz dem Europarat bei, obwohl in dessen Statut die Einhaltung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, zu denen natürlich auch das Stimmrecht gehört, verlangt wird. Lotti Ruckstuhl und der Vorstand ihres Verbandes protestierten umsonst. 1963 wurde immerhin der Beitritt der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention aus ebendiesen Gründen zurückgestellt. Es sollten noch etliche Jahre vergehen, ehe das Stimmrecht erreicht war. Lotti Ruckstuhl blieb Präsidentin bis 1968 und setzte ihre Kraft auch für die Überwindung anderer Ungerechtigkeiten in der schweizerischen Gesetzgebung ein: Sie erreichte die erleichterte Einbürgerung der Kinder von Schweizerinnen, die mit Ausländern verheiratet sind, erreichte, dass der jeweils andere Gatte einem Abzahlungsgeschäft zustimmen muss und dass Geburtsgebrechen in die Invalidenversicherung aufgenommen werden. Für ihr Engagement erhielt sie 1978 den Ida-Somazzi-Preis „in Anerkennung für ihren außerordentlichen Einsatz zugunsten der Menschenrechte im weitesten Sinne“.
(Text von 1990)
Verfasserin: Christiane Schreiter
Links
Historisches Lexikon der Schweiz HLS: Ruckstuhl, Lotti
Literatur & Quellen
Ruckstuhl, Lotti. o.J. (1986). Frauen sprengen Fesseln: Hindernislauf zum Frauenstimmrecht in der Schweiz. Unter Mitarbeit von Lydia Benz- Burger. Bonstetten. Interfeminas Vlg.
Ruckstuhl, Lotti.1976. Die Schweizer Frau - ein Chamäleon? Vom Wechsel ihres Namens und Bürgerrechts. Bengen. Interfeminas Vlg.
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