(Johanna Friederike Louise Dittmar)
geboren am 7. September 1807 in Darmstadt
gestorben am 11. Juli 1884 in Darmstadt
deutsche Schriftstellerin und Politikerin
140. Todestag am 11. Juli 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Eine kluge Frau – „Philosophin“ unter den Streiterinnen der 48er-Bewegung – ist Louise Dittmar, die Darmstädterin, deren schriftstellerisches Wirken in der Mitte ihres Lebens nur fünf Jahre umfasst. Für ihre Schriften über die Ehe, die Selbstbestimmung der Frauen und die „tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter“, über Religion und die Frage nach Gott sowie das wahre, hässliche Gesicht des „liberalen Bürgertums“ ihrer Zeit, und darüber hinaus für ihre Kommentare zum Theologen Lessing und Philosophen Feuerbach gilt das, was Louise Otto über Dittmars Frauenzeitschrift sagt: „Ich empfehle die soziale Reform allen denjenigen, die philosophische Schriften zu lesen pflegen. Sie andern zu empfehlen würde mir nichts nützen – denn sie würden sie doch nicht lesen – ich kenne das!“
Erstaunlich wenig wissen wir über die intellektuelle, scharfzüngige Kämpferin für die Republik gleicher, freier Menschen, Frauen wie Männer. Der direkte Nachlass hat die Kriegsläufe nicht überstanden und ihre zu kurze aktive Zeit hat sie früh in der reaktionären Borussia-Begeisterung der 1850er Jahre aus dem Bewusstsein verdrängt.
Ihre Werke haben in den wichtigsten Bibliotheken überdauert und die Forschung der letzten dreißig Jahre manches ans Licht befördert. Die Dittmars sind aus einer großherzoglich hessischen Beamtendynastie in Darmstadt. Oberfinanzrat Heinrich Karl und seine Frau Friedricke Caroline Dittmar hatten gemeinsam zehn Kinder. Die acht Söhne studieren, die ältere Tochter wird mit entsprechender Mitgift gut verheiratet, nur Louise Dittmar wird quasi als Alterspflege im elterlichen Haushalt mit einer relativ dürftigen offiziellen Bildung belassen. Die Ungleichbehandlung fördert früh ihren Gerechtigkeitssinn, ihren Wunsch nach Gleichbehandlung aller. Sie bildet sich – auch mit Hilfe der studierten Brüder – in vielen Wissensgebieten autodidaktisch; ihre Lieblingsdisziplinen sind Jura, Politik und Philosophie.
Durch die auch vom Nassauischen und von Darmstadt ausgehenden revolutionären Umtriebe im frühsozialistischen Geist nach dem Hambacher Fest rund um den Frankfurter Wachensturm, an dem 1833 ihr mit Georg Büchner befreundeter Bruder Georg beteiligt war, und die in der Familie diskutierten liberalen Ideen kommt sie früh auch mit der Philosophie Ludwig Feuerbachs in Berührung. Ein späterer Briefwechsel zwischen Louise Dittmar und Feuerbach, eine Publikation über ihn sowie lobende Bemerkungen Feuerbachs über ihre philosophischen Ideen zeigen die enge Affinität.
Erst nach dem Tod der Eltern 1840 hat Louise Dittmar Freiraum. Sie betreut weiterhin den Haushalt zweier ihrer unverheirateten, erfolgreichen Brüder und hat dabei genug Zeit, sich ihren eigenen Interessen zu widmen. Sie beginnt zu schreiben und verfasst, anders als ihre Zeitgenossinnen, die ihre progressiven oder gesellschaftskritischen Gedanken meist belletristisch in Novellen, Erzählungen und Romanen gestalten, überwiegend ernste, gut formulierte, oft umfangreiche Essays. Diese philosophischen Schriften zeigen eine Frühsozialistin und frühe radikale Frauenrechtlerin, der es um Gleichheit der Geschlechter und Selbstbestimmung von Frauen und Männern im privaten wie öffentlichen Raum geht. Dabei steht, wie auch in ihren Gedichten, die unter anderem Mitte 1848 in der Frankfurter „Reichstags-Zeitung“ von Robert Blum u.a. erscheinen und die sie in einer kleinen Sammlung 1849 veröffentlicht, die politische Freiheit jeder und jedes Einzelnen im Mittelpunkt, die nur in einer Republik mit freien Wahlen aller Bürgerinnen und Bürger zu verwirklichen ist.
Sie steht in brieflichem Kontakt mit Bayrhoffer über die gesellschaftlichen Voraussetzungen einer Demokratie, mit Feuerbach über philosophische Themen, mit Karl Fröbel über Mädchen- und Frauenbildung und die Gründung einer Hochschule für Frauen in Hamburg, und mit Blum über die aktuellen Ereignisse im Vormärz und des Jahres 1848, sowie mit den schreibenden Frauen ihrer Zeit über die Mitarbeit an ihrer Zeitschrift „Die soziale Reform“. Sie scheint auch nicht nur in Darmstadt und dem hessischen Umland gewirkt zu haben, wie ihre Teilnahme an einer durch Robert Blum ausgerichteten politisch-geselligen Veranstaltung in Leipzig 1848 zeigt.
Ein letztes Projekt ist ihre Zeitschrift „Die soziale Reform“, von der nur vier Hefte Anfang 1849 erscheinen. Sie findet wichtige BeiträgerInnen, wie Johanna Küstner, Claire von Glümer, Malwida von Meysenbug, Otto Weigand, Julius Fröbel sowie Louise Otto. Die Zeitschrift erscheint unter dem Titel „Das Wesen der Ehe nebst einigen Aufsätzen über die soziale Reform der Frauen“ im gleichen Jahr als Buch. Danach verstummt sie; es wird spekuliert, ob sie keine Verleger mehr gefunden hat. Grund für den persönlichen Rückzug dürfte allerdings das niederschmetternde Ergebnis aller Re formbemühungen mit der brutalen Erschießung Robert Blums, dem völligen Scheitern des Frankfurter Parlaments und der endgültigen Niederschlagung der Badischen Revolution, sowie die Emigration vieler demokratischer Intellektueller gewesen sein. Im Hintergrund scheint sie jedoch weiter an der Frauenbewegung beteiligt gewesen zu sein, wie eine Mitgliederliste im Rechenschafts-Bericht des Wiener Frauen-Erwerb-Vereins für 1869 zeigt, in dem unter ihrem Namen der deutlich höchste Mitgliederbeitrag eingetragen ist.
Schon von Zeitgenossen wird ihr „Das Wesen der Ehe“ als philosophische Schrift wahr- und ernstgenommen; das kleine Werk ist im „Handbuch der philosophischen Literatur der Deutschen“ bei Brockhaus 1850 aufgenommen und taucht in Schriftverzeichnissen über juristische Fachliteratur auf. Es bringt Gedanken, die erst an der Wende zum 20. Jahrhundert in der Literatur (Psycho- und Soziologie) diskutiert werden, und ist immer noch mit Gewinn zu lesen.
(Text von 2024 aus dem Buch “...immer Luise” von Siegfried Carl; mit freundlicher Genehmigung des Verfassers).
Verfasserin: Siegfried Carl / Christine Nagel
Louise Dittmar, von Christine Nagel (2008)
Links
Vahsen, Mechthilde. 13.01.2009. Louise Dittmar. Frauenbewegung. Bundeszentrale für Politische Bildung bpb.
Online verfügbar: https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/frauenbewegung/35306/louise-dittmar/ (23.04.24)
FrauenMediaTurm. Feministisches Archiv und Bibliothek. Louise Dittmar. (1807–1884) Meine Natur besteht im Widerstand gegen das Unrecht, nicht in der frommen Duldung des scheinbar Unvermeidlichen. Köln.
Online verfügbar: https://frauenmediaturm.de/historische-frauenbewegung/louise-dittmar-1807-1884/ (23.04.24)
Digitales Deutsches Frauenarchiv. Louise Dittmar. Berlin.
Online verfügbar: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/louise-dittmar (23.04.24)
Literatur & Quellen
Freund, Marion. 2004. „Mag der Thron in Flammen glühn!“ Schriftstellerinnen und die Revolution von 1848/49. Königstein/Ts.. Helmer
Nagel, Christine. 2005. „In der Seele das Ringen nach Freiheit“ - Louise Dittmar. Königstein/Ts. Helmer
Nagel, Christine. 2007. Die Radikaldemokratin Louise Dittmar (18O7-1884), in: Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49. Bleiber/Schmidt/Schötz (Hg.), S.49-90. Berlin. Fides.
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