geboren am 6. März 1906 in Mainz
gestorben am 14. September 1997 in Göttingen
deutsche Architektin
25. Todestag am 14. September 2022
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
„Die Baustelle war immer meine große Liebe“, bekannte die Architektin Lucy Hillebrand über 80jährig. Sie wuchs in einem künstlerisch interessierten, toleranten Elternhaus in Mainz auf. Als Jugendliche bekam sie Unterricht in Harmonischer Gymnastik, einer Vorläuferin des Ausdruckstanzes. Die Raumerfahrung im Tanz war ein entscheidender Impuls für ihren Berufswunsch – ebenso wie die Begegnung mit zeitgenössischer Kunst, den Gemälden Alexej Jawlenskys. Hier spürte sie den Ansatz zu ihrer eigenen Welt: Reduktion aller Formen auf das Wesentliche, das Fixieren von Bewegungsabläufen mittels einer Raumschrift und die Konkretisierung in Architektur.
Schon während ihres Studiums, das sie als Meisterschülerin von Dominikus Böhm an den Kölner Werkschulen beendete, zeigte sich ihr außergewöhnliches Talent. Sie gewann Wettbewerbe und erhielt erste Aufträge.
Als jüngstes Werkbundmitglied hatte sie 1928 eine Arbeitsbegegnung mit Kurt Schwitters in Hannover, der sie dem Bauhaus-Grafiker Robert Michels in Frankfurt empfahl. Als eine der allerersten freischaffenden Architektinnen in Deutschland gründete sie dort ihr erstes Atelier und arbeitete u. a. mit dem Bund „Das Neue Frankfurt“ zusammen. Heirat und Mutterschaft, hinderten sie nicht an der Ausübung ihres Berufes. Sie nahm ihre kleine Tochter einfach mit auf die Baustellen.
Nach dem Krieg und der Zerstörung ihrer beiden Ateliers in Frankfurt und Hannover baute sie sich in Göttingen eine neue Existenz auf. In der Nachkriegszeit war sie eine der ersten Architektinnen, die Aufträge für öffentliche Bauten erhielt. Als Vorreiterin in der Gestaltung neuer Raumformen, z.B. für Schulen, hinterfragte sie Raumhierarchien, die Macht manifestieren und entwickelte emanzipatorische Gegenentwürfe.
Die Architektin sah sie als „Transformatorenstation“, die für die Bedürfnisse der zukünftigen NutzerInnen und die Anforderungen der umgebenden Landschaft das passende Bauwerk gestaltet. Beeindruckend in der Reduktion auf das Einfache ist die Dünenkirche auf Langeoog beispielhaft für ihre Bauten. Plandirigismus und Prestigedenken lagen ihr fern. Sie schuf impulsgebende Räume, die die Entfaltung und die freie Entscheidung des Individuums, aber auch Kontakt ermöglichen sollten.
Durch ihre große Bereitschaft, immer wieder neu zu lernen, sich nie mit Vorgedachtem zufrieden zu geben und sich mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen auszutauschen, entstanden viele interdisziplinäre Kooperationen. Bis ins hohe Alter blieb sie schöpferisch-utopische Künstlerin und Fragenstellerin, die kühne Raumkonzepte vorstellte, z.B. im Entwurf für ein Museum der Weltreligionen als Beitrag zur Weltausstellung der Architektur in Sofia (1989). Ihrer dienenden Grundhaltung, mit der sie die Aufgabe über die eigene Person stellte, entsprach, dass sie für sich selbst nie ein Haus gebaut hat.
(Text von 2006)
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Lesetipp (zugehöriges Buch siehe Literaturangaben!)
Edeltraud Haselsteiner: DIE ARCHITEKTIN Lucy Hillebrand. Expose (PDF-Datei, 168 KB, 8 Seiten)
Verfasserin: Beate Ahr
Literatur & Quellen
Deutsches Architekturmuseum Frankfurt. Sammlung der Arbeiten Lucy Hillebrands im Archiv.
Haselsteiner, Edeltraud (2009): DIE ARCHITEKTIN Lucy Hillebrand. Ein interdisziplinärer Dialog über RAUMSCHRIFTEN als Weg zur sozialen Gestaltung von Räumen. Saarbrücken. Suedwestdeutscher Verlag fuer Hochschulschriften. ISBN 978-3-8381-0303-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hillebrand, Lucy. 1990. Bauen als Impuls und Dialog. Hg. u. bearb. von Christian Grohn. Berlin. Gebr. Mann.
Hillebrand, Lucy. 1983. Zeit-Räume der Architektin Lucy Hillebrand. Hg. Dieter Boeminghaus. Stuttgart: Krämer.
Hoffmann, Klaus. 1985. Lucy Hillebrand – Wege zum Raum. Göttingen. Fotografie-Verlag.
Maasberg, Ute & Regina Prinz. 2004. Die Neuen kommen! Weibliche Avantgarde in der Architektur der zwanziger Jahre. Ausstellungskatalog. Hg. Stadt Dessau. Hamburg. Junius.
Pevsner, Nikolaus, Hugh Honour & John Fleming. 1992. Lexikon der Weltarchitektur (3. Auflage), S. 742.
Schlagheck, Irma. 1988. Lernen und etwas zum Lernen zurücklassen. Serie: Hüter der Moderne (5). In: art 1988 H.2, S. 80-87.
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