Biographien Raissa Gorbatschowa
geboren am 5. Januar 1932 in Rubzowsk, Sibirien
gestorben am 20. September 1999 in Münster
russische First Lady
25. Todestag am 20. September 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Raissa Gorbatschowa verblüffte Mitte der 1980er Jahre ihre Landsleute und die Medien des “kapitalistischen” Westens gleichermassen: Vor ihr waren die Gattinnen der sowjetischen Staatschefs kaum öffentlich in Erscheinung getreten. Mit Intelligenz und Charme gewann sie ab 1985 die Achtung der Welt, blieb jedoch aufgrund des altertümlichen Rollenverständnisses der Frau in der UdSSR zeitlebens umstritten.
Raissa war die älteste von drei Geschwistern der Eisenbahnerfamilie Titarenko. Ihre Jugend war von Entbehrungen geprägt. Sie erlebte den Terror des Stalinismus und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Mit siebzehn durfte sie aufgrund ausgezeichneter Schulleistungen die Moskauer Lomonossow-Universität besuchen, wo sie Philosophie und Soziologie studierte. Hier lernte sie ihren Mann Michail Gorbatschow kennen, den sie 1953 heiratete. Die beiden ergänzten einander perfekt.
Ab 1955 lebte das Paar in Stavropol, wo der Jurist Michail erst im Komsomol, dann für die Kommunistische Partei arbeitete und in deren Hierarchie stetig aufstieg. Raissa promovierte 1957 im Fach Soziologie und wies in ihrer Untersuchung unerschrocken auf die schlechte Lage der Kolchosbauern der Region hin. Sie hatte zu Fuss monatelang die Gegend durchwandert und die Menschen nach ihren Erfahrungen befragt. Später lehrte sie als Dozentin, u.a. an der Landwirtschaftlichen Hochschule Stavropol. 1957 gebar sie ihr einziges Kind, die Tochter Irina.
Raissa Gorbatschowa förderte und unterstützte die politische Karriere ihres Mannes, ohne dabei selbst in den Hintergrund zu treten. Michail wurde 1985 Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, 1990 russischer Präsident. Befragt, in welchen Angelegenheiten er sich mit seiner Frau berate, antwortete er offen: “In allen” - was bei vielen Traditionalisten der UdSSR nicht gut ankam.
Gorbatschow setzte Reformen in Gang, die unter dem Begriff “Perestroika” bekannt wurden, während Raissa sich um Repräsentation - auch und gerade im Ausland - bemühte. Weltgewandt und fremdsprachenkundig vertrat sie die neue Politik der Öffnung zum Westen. Wie ihr Mann hatte sie erkannt, dass der Freiheitswille der osteuropäischen Völker nicht mehr durch Zwang unterdrückt werden konnte. Zuhause kümmerte sich die First Lady Russlands, bis zum Fall des “Eisernen Vorhangs” 1989 manchmal als “Geheimwaffe des Kreml” betitelt, vor allem um Kinderfürsorge, Naturschutz und die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen.
Ein fehlgeschlagener Putsch im August 1991, bei dem die Gorbatschows unter Hausarrest gestellt wurden, untergrub Raissas Gesundheit. Boris Jelzin wurde der neue Machthaber im Kreml und strich seinem Vorgänger die Präsidentenrente. Die ehemalige First Lady erholte sich niemals vollständig von diesem Schock. Zwar arbeitete sie nach dem Rückzug aus der Politik unermüdlich für die 1991 gegründete Gorbatschow-Stiftung, die u.a. weltweite Projekte in Umweltschutz und Friedensforschung betreibt. Doch im Sommer 1999 wurde bekannt, dass Raissa an Leukämie litt. Auch die Behandlung durch SpezialistInnen in Münster half nicht mehr. Um ihren tatkräftigen Einsatz für die Natur zu würdigen, wurde postum eine neu entdeckte Orchideenart nach Raissa Gorbatschowa benannt.
(Original der gekürzten Fassung aus Pusch/Gretter, Berühmte Frauen: 300 Portraits, Bd 2)
Verfasserin: Anna Eunike Röhrig
Zitate
Ohne Raissa Gorbatschowa wären die friedlichen Revolutionen in Osteuropa und der Sowjetunion anders verlaufen.
(Frank Brandenburg, ein Freund der Familie Gorbatschow)
Raissa war zu sowjetischer Zeit über den Westen hereingebrochen wie eine unbekannte Naturgewalt. Sie hatte Lust auf Luxus und besaß erstaunliche Kenntnisse in der englischen Literatur. Sie entsprach in keiner Phase dem gängigen Klischee von der muskulösen Russin, die geradewegs aus der Traktorenfabrik kommt.
(Manfred Quiring, Berliner Morgenpost, 21. 9. 1999)
Literatur & Quellen
Gorbatschowa, Raissa. 1991. Leben heisst hoffen: Erinnerungen und Gedanken. Aus d. Engl. von Christa Broermann, Gabriele Burkhardt und Reinhard Tiffert. Bergisch Gladbach.
Lübbe. Jürgens, Urda. 1990. Raissa Gorbatschowa. Düsseldorf [u.a.]. Econ.
“Raisa Gorbachev, wife of the former Soviet President, Mikhail Gorbachev, died of leukaemia” [Nachruf]. The Times, 21.9.1999
Tichomirowa, Katja und Gisbert Mrozek. 1999. „Den Grauschleier weggezogen: Raissa Gorbatschowa ist tot“ [Nachruf], Berliner Zeitung, 21.9.1999.
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