(Dr. Shirin Ebadi; عبادی شیرین [persische Schreibweise]; Šīrīn ʿAbādī; Shirin Ibadi)
geboren am 21. Juni 1947 in Hamadan
iranische Rechtsanwältin und Menschenrechtskämpferin, Friedensnobelpreisträgerin
75. Geburtstag am 21. Juni 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Hunderttausende von Menschen, in der Mehrzahl Frauen, belagerten im September 2003 den Flughafen von Teheran, um Shirin Ebadi zu begrüßen, die bekannteste Menschenrechtsaktivistin des Landes, die für ihre Arbeit gerade mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war. Die begeisterte Menge (»DAS ist der Iran« hatte eine junge Frau auf ihr Plakat geschrieben) symbolisierte, wovon Ebadi zutiefst überzeugt ist: Ein demokratischer Wandel im Iran kann nur friedlich und von innen herbeigeführt werden – und nicht durch die von den USA seit Jahren angedrohte militärische Intervention. Ihren Nobelpreis widmete sie daher allen für Gleichberechtigung eintretenden Frauen der islamischen Welt.
Shirin Ebadi, aufgewachsen in einer gebildeten und liberal eingestellten bürgerlichen Familie, hatte 1965 in Teheran ihr Jurastudium begonnen. Damals kamen iranische Studentinnen noch im Minirock und mit toupierten Haaren in die Vorlesungen. Mit 23 trat sie ihre erste Stelle als jüngste und bald auch bekannteste Richterin am Teheraner Gericht an.
Wie die meisten Intellektuellen, die von der Prunksucht des Schahregimes und den Übergriffen der Geheimpolizei »Savak« angewidert waren, begrüßte sie 1979 die islamische Revolution Khomeinis. Schnell wurde ihr aber klar, daß »diese Revolution ihre Schwestern fressen könnte«. Das neue Strafrecht orientierte sich an 1400 Jahre alten islamischen Prinzipien, »Tugendkomitees« sorgten mit brutalen Methoden für die Einhaltung der neuen Bekleidungsvorschriften – ein Rückfall in die Zeit der totalen Kontrolle über Töchter und Ehefrauen. 1980 wurde Ebadi, ebenso wie alle ihre Kolleginnen, aus dem Richteramt entlassen, sie wurde zur Schreibkraft beim Gericht degradiert. Monatelang erschien sie jeden Tag pünktlich in ihrer Dienststelle, weigerte sich aber, die ihr zugewiesene Arbeit zu übernehmen.
Mit dem Angriff von Saddam Husseins Truppen auf die iranischen Ölfelder wurde der »Märtyrertod« zur alles beherrschenden Staatsdoktrin, der sich Millionen von Oppositionellen nur durch die Flucht ins Ausland entziehen konnten. Ebadi blieb im Land, versuchte durchzuhalten, auch ihren beiden kleinen Töchtern zuliebe, denen sie ein Leben im Exil ersparen wollte.
Erst 1992 durfte sie wieder als Anwältin arbeiten, verteidigte unter Verzicht auf ihr Honorar Regimegegner und deren Angehörige und brachte besonders grausame Fälle von Frauen- und Kindesmisshandlung an die Öffentlichkeit. Mit ihrem 1994 gegründeten Kinderschutzbund kämpfte sie u.a. dagegen, dass Kinder bei einer Scheidung grundsätzlich dem Vater zugesprochen werden – eine Regelung, die viele Frauen dazu zwingt (denn welche Mutter wird ihr Kind freiwillig verlassen?), in leidvollen Eheverhältnissen auszuharren. Mit Publikationen und Gesetzesinitiativen versuchte Ebadi, Gleichberechtigung von Frauen innerhalb des islamischen Rechtssystems durchzusetzen: »Nicht die Religion ist die Fessel der Frauen.«
Im Auftrag der kleinen Gruppe weiblicher Parlamentsabgeordneter erarbeitete sie einen Gesetzentwurf für ein »mit dem Islam verträgliches« Familienrecht — die Vorlage wurde abgelehnt, so dass die Iranerinnen weiterhin die Erlaubnis ihres Mannes (!) brauchen, um sich scheiden zu lassen.
Wie gefährlich ihr politisches Engagement ist, musste Ebadi mehrfach am eigenen Leib erfahren. In den Gerichtsunterlagen zum Mord an dem Ehepaar Forouhar, regimekritischen Intellektuellen, entdeckte sie auch ihren Namen auf der Liste des Todeskommandos. Im Sommer 2000 wurde sie verhaftet und verbrachte schreckliche Wochen im berüchtigten Evin-Gefängnis, nachdem sie Beweise veröffentlicht hatte, dass die gewaltsamen Aktionen gegen Studenten im Vorjahr – es hatte mehrere Tote und Tausende von Verletzten gegeben – auf Veranlassung von zwei der bekanntesten Mullahs im Land durchgeführt worden waren.
Während die iranische Regierung die Verleihung des Nobelpreises an ihre prominenteste Gegnerin zunächst mit Schweigen überging, mehren sich in den letzten Jahren die Repressalien. Ebadis Büro in Teheran, von ihrer Menschenrechtsorganisation als Versammlungsort genutzt, wurde geschlossen, die Nobelpreismedaille und -urkunde beschlagnahmt, ihr Bankkonto mit dem Preisgeld gesperrt. Nach der umstrittenen Wiederwahl des Präsidenten Ahmadinedschad im Juni 2009 kehrte Ebadi von einer ihrer zahlreichen Auslandsreisen aus Angst vor Verhaftung nicht wieder in den Iran zurück, seitdem wird sie durch Angriffe gegen ihr nahestehende Menschen – die Methode aller totalitären Systeme – unter Druck gesetzt: Ihre Mitstreiterin Narges Mohammadi, die in ihrer Abwesenheit den Menschenrechtsverein leitete, wurde verhaftet, ebenso Ebadis Schwester. 2010 musste sich ihr Mann, der Elektroingenieur Javad Tavassolian, der sich nie politisch engagiert hatte, die Aktivitäten seiner Frau aber immer unterstützte, im staatlichen Fernsehen von Ebadi distanzieren, sie sei eine »schlechte Gattin« und »politisch fehlgeleitet«.
Doch Shirin Ebadi gibt nicht auf. Immer wieder setzt sie sich für iranische Oppositionelle, wie die ohne Begründung inhaftierte Anwaltskollegin Nasrin Sotoudeh, ein und ermahnt die Weltöffentlichkeit, über dem iranischen Atomkonflikt die Menschenrechtsverletzungen des Regimes nicht zu vergessen
Verfasserin: Andrea Schweers
Zitate
»Mein größter Feind ist die eigene Angst.«
Links
The Nobel Foundation (2003): The Nobel Peace Prize 2003 – Shirin Ebadi. Mit Link zur Autobiografie. (Link aufrufen)
DNB, Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Shirin Ebadi. Publikationen. (Link aufrufen)
Ebadi; Shaikh, Shirin et al. (2004): Gewalt, Politik und Menschenrechte. Shirin Ebadi im Gespräch mit Nermeen Shaikh. 8. Juni 2004, New York. In: polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 5 (2004). Übersetzung aus dem Englischen von Bertold Bernreuter. polylog e.V. (Link aufrufen)
Schwarzer, Alice (2011): Interview mit Shirin Ebadi. Geschäfte gehen vor Menschenrechten. In: EMMA, Frühling 2011. (Link aufrufen)
sueddeutsche.de (2011): Interview mit Schirin Ebadi – »Ein Analphabet zählt mehr als eine Ministerin«. Interview: Johannes Aumüller und Lilith Volkert. 14.07.2011. (Link aufrufen)
Universität Tübingen (2005): Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi in Tübingen. 5. Weltethosrede am 20. Oktober 2005. Mit Abb. des Redemanuskripts, Fotos der Veranstaltung und Videoaufnahme der Rede. (Link aufrufen)
Welt online (2009): Repressalie: Iran nimmt Schirin Ebadi Friedensnobelpreis ab. 27.11.2009. (Link aufrufen)
Wunderlich, Dieter (2008): Shirin Ebadi (Biografie) (Link aufrufen)
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Literatur & Quellen
Quellen
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Ebadi, Shirin; Moaveni, Azadeh (2006): Mein Iran. Ein Leben zwischen Revolution und Hoffnung ; die Autobiografie der Friedensnobelpreisträgerin. (=Iran awekening
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Laue-Bothen, Christine (Hg.) (2004): Harenberg – Das Buch der 1000 Frauen. Ideen, Ideale und Errungenschaften in Biografien, Bildern und Dokumenten. Redaktion: Ulrike Issel und Ingrid Reuter. Mannheim. Meyers Lexikonverlag. ISBN 3-411-76099-0.
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Weiterführende Literatur
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Ebadi, Shirin (2011): The golden cage. Three brothers, three choices, one destiny. 1. Aufl. Carlsbad, Calif. Kales Press. ISBN 9780979845642.
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Ebadi, Shirin; Moaveni, Azadeh (2006): Iran awakening. From prison to peace prize ; one woman's struggle at the crossroads of history. London. Rider. ISBN 1846040140.
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Gruber, Lilli (2009): Tschador. Im geteilten Herzen des Iran. 1. Aufl. PeP eBooks. ISBN 3453600533.
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Hubbard-Brown, Janet (2007): Shirin Ebadi, champion for human rights in Iran. New York, NY. Chelsea House. (Modern peacemakers) ISBN 9780791094341.
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Lichter, Ida (2009): Muslim women reformers. Inspiring voices against oppression. Amherst, N.Y. Prometheus Books. ISBN 1591027160.
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Melach, Anna (2010): … wie aber führt man Frieden? Menschen, die die Welt verändern ; Bertha von Suttner, Mahatma Gandhi, Geschwister Scholl, Martin Luther King, Mutter Teresa, Frère Roger, Nelson Mandela, Betty Williams, Mairead Corrigan, Oscar Romero, Der Dalai Lama, Wangari Maathai, Pater Georg Sporschill, Rigoberta Menchú Tum, Daniel Braenboim, Shirin Ebadi. Innsbruck. Tyrolia-Verl. ISBN 9783702230937.
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Price Davis, Anita; Selvidge, Marla J. (2006): Women Nobel Peace Prize winners. Jefferson, NC. McFarland & Co. ISBN 0786423994.
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Stiehm, Judith Hicks (2006): Champions for peace. Women winners of the Nobel Peace Prize. Lanham, Md. Rowman & Littlefield. ISBN 9780742540262.
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