Biographien Wera von Württemberg
(Wera Konstantinowna Romanowa, Großfürstin von Russland, Herzogin von Württemberg; Вера Константиновна, Великая княжна, герцогиня Вюртембергская)
geboren am 16. Februar 1854 in St. Petersburg
gestorben am 11. April 1912 in Stuttgart
russisch-deutsche Prinzessin
170. Geburtstag am 16. Februar 2024
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Biografie
»Das Kind ist schrecklich!«, findet Eveline von Massenbach, die Hofdame der Kronprinzessin und späteren Königin Olga von Württemberg. Das Kind heißt Wera Konstantinowna und ist mit seinen Geschwistern am Zarenhof aufgewachsen. Weras Eltern (Großfürst Konstantin, der Bruder des Zaren Alexander II., und Alexandra geb. Herzogin von Sachsen-Altenburg) werden nicht mehr fertig mit dem hyperaktiven, verhaltensgestörten Mädchen, das zudem jüngst durch einen Attentatsversuch auf seinen Vater traumatisiert worden ist, der als russischer Statthalter im aufständischen Polen amtiert. Wera soll in ruhigere Verhältnisse kommen, am besten unter ärztliche Aufsicht in ein Heim.
Doch stattdessen nimmt sich das kinderlose württembergische Thronfolgerpaar des schwierigen Mädchens an. Am 2. Dezember 1863 trifft die Neunjährige in Stuttgart ein. Sie glaubt, man wolle sie für immer von ihrer Familie trennen und wehrt sich gegen die neuen »Eltern«. Mit Händen und Füßen. »Wera hat der Kronprinzessin einen Fußtritt gegeben. Der Kronprinz musste sie schlagen. Die Kronprinzessin weint«, schreibt die Hofdame in ihr Tagebuch. Mit viel Geduld und Hingabe gelingt es Olga schließlich, Weras Vertrauen zu gewinnen. 1871 wird Wera adoptiert und ist jetzt Königstochter. Mit der Zeit verwandelt sich das »enfant terrible« in eine vorzeigbare Prinzessin, die sich standesgemäß verheiraten lässt.
Ihre 1874 geschlossene Ehe mit Herzog Eugen von Württemberg, dem zweiten in der Thronfolge, setzt die Tradition dynastischer Verbindungen zwischen den Häusern Romanow und Württemberg fort. Es ist eine politische Partie, aber eine glückliche Ehe. Wera, nach eigenem Bekunden keine lenksame Gattin, liebt ihren Mann und wird wiedergeliebt. Der 1875 geborene Sohn stirbt nach wenigen Monaten, 1876 kommen die Zwillingstöchter Elsa und Olga zur Welt. Ehe Herzog Eugens bekannte Neigung zu schönen Frauen zu Konflikten führen kann, stirbt er. Sein plötzlicher Tod im Januar 1877 gibt Anlass zu Spekulationen. Woran stirbt ein junger, schneidiger, allseits beliebter Kavallerieoffizier? Ein Reitunfall, ein Duell, eine Frauengeschichte, so wird gemunkelt. Offiziell ist er einer Rippfellentzündung in Folge einer verschleppten Erkältung erlegen.
Wera verheiratet sich nicht wieder, vielleicht weil der Witwenstand einer energischen, selbstbewussten Frau größere Unabhängigkeit gewährt als die Ehe. Eine Rückkehr nach Russland, außer zu gelegentlichen Familienbesuchen, lehnt sie ab. »Ach nein, dazu bin ich doch zu deutsch!« In der Tat ist Wera seit der Reichsgründung 1871 eine deutsche Patriotin und bringt das in ihren »vaterländischen Gedichten« zum Ausdruck, die heute als pathetischer Schwulst durchgehen müssen. Ihre Gelegenheitsgedichte und ihre Naturlyrik in der Tradition der Romantik hingegen können sich sehen lassen. Für die 1879 uraufgeführte Oper »Konradin von Schwaben« des Komponisten Gottfried Linder schreibt sie das Libretto.
Wera reist gern und viel und freut sich jedes Mal aufs Heimkommen. Sie hat in ihrer neuen Heimat Wurzeln geschlagen: »Was wäre anderswo aus mir geworden? Nach 18 Jahren sehe ich’s dankbar ein«, schreibt sie. Sie schätzt die gewachsenen menschlichen Bindungen, genießt die Spaziergänge »in der herrlichen Umgegend« und das rege Kulturleben der Schwabenmetropole.
Wera ist das, was man damals »leutselig« nennt: freundlich, ohne Herablassung. Es fällt ihr leicht, auf Menschen zuzugehen, und die Württemberger mögen die korpulente Herzogin im strengen englischen Kostüm, mit dem kurz geschnittenem Haar, dem Kneifer und der lauten Stimme. Obwohl monarchistisch gesinnt, ist Wera frei von Standesdünkel. Dass ihre Schwägerin einen bürgerlichen Arzt heiratet und dann sogar Sozialdemokratin wird, stört die Zaren-Enkelin nicht. »Prinz oder Doktor gilt gleich, wenn’s ein Ehrenmann ist«, findet sie. In einem pietistischen Bibelkreis, dem sie im späteren Leben angehört, lässt sich die »Kaiserliche Hoheit« ganz selbstverständlich »Schwester Wera« titulieren.
Obwohl die russisch-orthodoxe Herzogin im Geist schon lange vorher protestantisch ist, tritt sie erst 1909 offiziell zur evangelisch-lutherischen Konfession über. Und da in der Stuttgarter Vorstadt Berg eine Kirche fehlt, stiftet Wera eine, die »Heilandskirche«, deren Vollendung sie nicht mehr erlebt. Ihr letztes Lebensjahr ist von einem Nierenleiden überschattet, an dem sie am 11. April 1912 stirbt. Die üblichen Trauerreden hat sie sich verbeten - »keine Lobhudelein« verfügte sie in ihrem Testament.
Weras wichtigstes Betätigungsfeld war, neben der Erziehung ihrer Töchter, die Wohltätigkeit. Sozialfürsorge und Bildungswesen galten von jeher als die Bereiche, in denen Fürstinnen sich verwirklichen durften. Weras Großtante, Königin Katharina von Württemberg, leistete Beispielgebendes auf diesen Gebieten. Königin Olga folgte ihr darin. Und nach Olgas Tod setzte Wera das Werk ihrer Adoptivmutter fort.
Ihr selbst lagen ganz besonders ledige Mütter am Herzen, damals als »gefallene Mädchen« verpönt. Als auf dem Stuttgarter Bahnhof ein toter Säugling gefunden wurde, drängte es Wera zum Handeln. Sie wollte nicht warten, bis Gesetze zum Schutz mittelloser lediger Mütter erlassen würden oder bis genügend Spendengelder aufgebracht wären. Ohne Aufhebens zu machen verkaufte sie ihren Schmuck, was erst nach ihrem Tod publik wurde, und gründete 1908 die Stiftung »Zufluchtsstätten in Württemberg«. Schon ein Jahr später konnten zwei Häuser, »Weraheime« genannt, bezogen werden.
Das Stuttgarter Haus bot alleinstehenden schwangeren Frauen kurzfristig Obdach und Unterstützung. Aber auch Frauen, die Schutz vor einem gewaltsamen Ehemann suchten, wurden aufgenommen. Damit kann das Weraheim als erstes Frauenhaus Stuttgarts gelten, wie der württembergische Landeshistoriker Paul Sauer anmerkt. Ein weiteres Heim nahe Stuttgart (in Hebsack, Gemeinde Remshalden) gewährte Müttern und Kindern längerfristig Zuflucht und sorgte für Arbeitsmöglichkeiten. Außerdem wurden dort auch »gefährdete Mädchen« aufgenommen, d. h. aus dem Gefängnis, von der Straße, oder sie wurden von der Polizeifürsorge geschickt. Ob sie bleiben wollten, entschieden sie selbst. Und bis heute gibt es in Stuttgart ein »Weraheim« unter der Trägerschaft der von ihr gegründeten Stiftung, das alleinstehende, oft auch sozial benachteiligte und minderjährige Schwangere und Mütter unterstützt und sozialpädagogisch betreut. Dass es dort seit 2002 auch eine Babyklappe gibt, dürfte ganz im Sinn der Gründerin sein.
Verfasserin: Dorothea Keuler
Links
Landesarchiv Baden-Württemberg: Lebens-Wandel. Wera Konstantinowna, Großfürstin von Russland, Herzogin von Württemberg (1854-1912) Ausstellung im Hauptstaatsarchiv Stuttgart vom 9. März bis 27. Juli 2012 (Link aufrufen)
Evang. Heilandskirchengemeinde Stuttgart. Die Geschichte – Herzogin Wera von Württemberg (Link aufrufen)
Kirchliche Stiftung Zufluchtsstätten in Württemberg: Weraheim (Link aufrufen)
Wera Konstantinowna Liebesgedichte und Biographie. deutsche-liebeslyrik.de. (Link aufrufen)
Frühlingssonnenschein von Herzogin Wera von Württemberg. nddg.de. (Link aufrufen)
Wikipedia: Grand Duchess Vera Constantinovna of Russia. Umfangreicher als Eintrag in deutschsprachiger Wikipedia. (Link aufrufen)
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Literatur & Quellen
Durst-Benning, Petra (2010): Die russische Herzogin. Historischer Roman. Berlin. List. ISBN 978-3-471-35028-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Jena, Detlef (2009): Königin Olga von Württemberg. Glück und Leid einer russischen Großfürstin. Regensburg. Pustet. ISBN 3-7917-2228-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Lorenz, Sönke (1997): Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon. Stuttgart. Kohlhammer. ISBN 3-17-013605-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Sauer, Paul (2011): Wenn Liebe meinem Herzen fehlt, fehlt mir die ganze Welt. Herzogin Wera von Württemberg, Großfürstin von Russland; 1854 - 1912. 2. Aufl. Stuttgart. Markstein. ISBN 978-3-7918-8036-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Uhland, Robert (Hg.) (1987): Das Tagebuch der Baronin Eveline von Massenbach. Hofdame der Königin Olga von Württemberg. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz. Kohlhammer. ISBN 3-17-009245-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
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