Literatur
Fontanes lymphatische Blondinen: Auf der Suche nach einer vergessenen Wortbedeutung
Zur Zeit rekonvaleszent, habe ich reichlich Zeit, im Bett oder Sessel ruhend Fontanes Wälzer Der Stechlin zu hören, kraftvoll-sensibel vorgetragen von Hans Paetsch. Im Kapitel 7 des anfangs stark männerlastigen Romans unterhalten sich drei junge adlige Herren, Woldemar, Rex und Czako, über eine Prinzessin, die einen Bürgerlichen namens Katzler geheiratet hat. Woldemar hat ihr gerade einen Besuch abgestattet und berichtet:
„Eigentlich ist sie nicht hübsch, Blondine mit großen Vergissmeinnichtaugen und etwas lymphatisch; auch wohl nicht ganz gesund. Aber sonderbar, solche Damen, wenn was…
“Pankraz, der Schmoller” oder Schmollende Männer einst und jetzt
Vorgestern Nacht hörte ich mir, schlafgestört wegen Jetlag, Gottfried Kellers Novelle „Pankraz der Schmoller“ an, vorzüglich gelesen von Reiner Unglaub. Der Text weckte in mir zahlreiche Assoziationen zur aktuellen politischen Lage und faszinierte mich so sehr, dass ich ihn mir tagsüber, in etwas wacherem Zustand, gleich noch einmal angehört habe.
Zeit der Handlung: erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, Ort: eine Kleinstadt in der Schweiz. Der 14jährige Pankraz lebt mit seiner 12jährigen Schwester Estherchen bei seiner Mutter, einer armen Witwe: „Der Sohn war ein unansehnlicher Knabe von…
Enzensbergers “tückische Tellerminen”
Ich hielt Enzensberger immer für einen scharfsinnigen Essayisten und feinsinnigen Poeten. Nun hat er sich plötzlich doch, wenn auch in gespreizter Prosa, als ganz gewöhnlicher Mann und dumpfsinniger Macho geoutet.
Die Vorgeschichte: Mitte Mai wurde Professor Siegfried Mauser, 61, angesehener Pianist, Komponist, Leiter des Salzburger Mozarteums und ehemaliger Rektor der Münchner Musikhochschule im Gasteig, für schuldig befunden, zwei seiner Kolleginnen an der Hochschule sexuell genötigt zu haben: „Das Amtsgericht München sah es […] als erwiesen an, dass Mauser die beiden Frauen 2009 und…
Verführer mit der Angel: Über „Die Forelle“ von Schubert und Schubart
Am 4. März hatte ich eine Lesung in Aalen, Baden-Württemberg. Frau hatte mich gebeten, auch ein paar Sätze zu dem berühmten Sohn der Stadt, Christian Friedrich Daniel Schubart, beizusteuern. Meine Lesung war nämlich Teil der Veranstaltungsreihe „wortgewaltig“ zu Ehren Schubarts und zwecks Promotion des wohldotierten Schubart-Literatur-Preises, den Aalen alle zwei Jahre vergibt.
Ich recherchierte also ein wenig zur Geschichte des Preises, zur Jury und den PreisträgerInnen, und natürlich zu Schubart selber. Schnell fand ich zu meiner Freude heraus, dass die derzeitige Jury paritätisch…
Das Weib schweige in der deutschen Literatur!
Frauenbild
Aus der Stadtbibliothek brachte ich mir Heinz Ludwig Arnolds „Gespräche mit Schriftstellern“ mit - die beiden ersten von insgesamt drei MP3-CDs. Auf einem Cover ist Arnold im Gespräch mit Böll, auf dem andern mit Rühmkorf zu sehen. 40 Stunden Gespräche aus den Jahren 1970 bis 1979. Damals lebten Ingeborg Bachmann, Ingeborg Drewitz, Marieluise Fleißer, Christa Reinig, Mascha Kaleko und Marie Luise Kaschnitz noch - wie gerne hätte ich ein dreistündiges Gespräch mit ihnen gehört, wie wir es in Arnolds Sammlung etwa mit Frisch oder Dürrenmatt serviert bekommen. Aber Fehlanzeige. Mit…