Er kommt aus seines Vaters Schoß
Zu Weihnachten war ich bei meiner Familie in Gütersloh. Meine Schwester hatte ein Krippenspiel geschrieben und seit dem Herbst mit den KonfirmandInnen eingeübt. Es sollte als Teil des Gottesdiensts am Heiligabend uraufgeführt werden. Da wollte ich natürlich nicht fehlen.
Es waren ganz kurze Szenen, dazwischen bekam die Gemeinde viel Zeit zum Singen. Die Liedtexte wurden mit einem Beamer groß an die Wand geworfen, so dass alle leicht mitsingen konnten, auch wenn sie, wie ich, die Texte längst vergessen hatten.
Plötzlich hörte ich mich also singen
„Er kommt aus seines Vaters Schoß und wird ein Kindlein klein, er liegt dort elend, nackt und bloß in einem Krippelein.“
Während die Gemeinde unbeirrt weitersang, fragte ich mich mißmutig: „Er kommt aus seines Vaters Schoß“?? Was soll das denn heißen? Noch nie war mir dieser Unsinn aufgefallen. Und wie oft schon hatte ich ihn wiederholt, wenn wir zu Weihnachten um das Klavier herumstanden und mit meiner Mutter die alten Lieder sangen.
Im Krippenspiel war gerade vorgeführt worden, wie Maria sich schwanger zur Volkszählung nach Bethlehem geschleppt hatte und sie und Joseph nur deshalb noch einen Platz in einem Stall ergattert hatten, weil sie hochschwanger war. Sie gebar das Jesuskind in dem Stall und legte es in eine Krippe. „Er kommt aus seines Vaters Schoß“ - von wegen, er kam vielmehr eindeutig aus seiner Mutter Schoß, nicht einmal die Bibel lässt da Zweifel aufkommen.
Ich googelte später ein wenig herum und fand heraus, dass Text und Musik des Liedes „Lobt Gott, ihr Christen allzu gleich“ (Evang. Gesangbuch 27) von einem Zeitgenossen Luthers stammen, dem Lehrer und Kantor Nikolaus Herman aus dem Erzgebirge (ca. 1500-1561). „Seine Lieder, als deren Zielgruppe er vornehmlich die von ihm unterrichteten Kinder betrachtete, veröffentlichte er 1560 unter dem Titel Die Sonntagsevangelia über das Jahr in Gesänge verfasset für die Kinder und christlichen Hausväter.“ (Wikipedia)
Aha, die Kinder und christlichen Hausväter also. Hausmütter sind nicht gefragt. Das erklärt doch schon mal, wie Nikolaus Herman, wahrscheinlich ein Vorvater von Eva Herman, dazu kam, die Muttergottes auszublenden und ihr Kind „aus seines Vaters Schoß“ kommen zu lassen.
Nun bedeutet "Schoß" im Deutschen ja (mindestens) zweierlei:
[1] die beim Sitzen durch Unterleib und Oberschenkel gebildete Körperpartie [2] gehoben für den weiblichen Unterleib (Wiktionary)
Das Englische hat für diese beiden sehr verschiedenen Bedeutungen zwei Wörter parat: lap und womb.
Zugegeben, das Jesuskind wird gerne als Laptop, auf dem Schoß sitzend, dargestellt, aber auch da meist auf dem Schoß Mariens.
Das Jesuskind direkt aus dem Schoß des Vaters kommen zu lassen, war wahrscheinlich eine Spitze des frischgebackenen Protestanten Herman gegen den katholischen Marienkult. Oder einfach eine der vielen kolossalen Lügen, Big Lies (wie Mary Daly sie nannte), der kirchlichen Patriarchen.
An den Schoß des Vaters musste ich wieder denken, als ich eine Woche später die 25. Folge der TV-Serie „In Treatment“ sah. Kate, die Frau des Therapeuten Paul, beschwert sich in einer gemeinsamen Sitzung bei seiner Supervisorin Gina, dass Paul immer alles analysiere. Sie aber könne und wolle das nicht. „Wenn ich ein Kind gebäre, dann möchte ich, dass er da ist und meine Hand hält, aber ich will nicht über meine Gefühle reden. Es ist auch ganz unmöglich zu beschreiben, wie es sich anfühlt, ein Kind zu gebären. Eine Freundin hat einmal gesagt, nimm einen Schirm, stoße ihn in seinen Arsch, spann ihn auf und zieh - dann wird er schon verstehen.“
Beide Frauen lachen schallend. Paul kann gar nicht mitlachen. Offenbar will er lieber nicht wissen, wie es sich anfühlt, wenn das Kind wirklich aus seines Vaters Schoß kommt.
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22 Kommentare
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03.01.2011 um 17:59 Uhr EVelyn
@Amy
Ich widme mich in meinem Statement keiner soziologischen Analyse, und sei sie von Hedwig Dohm, sondern einer weiblichen Grunderfahrung, die übrigens auch mit der unentwegten männlichen libidinösen Weltverunreinigung nichts zu tun hat -also nichts mit von Männern zugefügtem Leid!
03.01.2011 um 15:56 Uhr Amy
@ Evelyn zur Mütterlichkeit
“Der Mütterlichkeit muss die Speckschicht der Idealität , die man ihr angeredet hat, genommen werden” Hedwig Dohm zum Mythos Mutterliebe als Naturtrieb. Aber das ist ein anderes Thema.
Wenn ich da z.B. an das Mutterkreuz denke, frage ich mich, wem zuliebe so manche Mütter/Väter
die große Kinderschar produziert haben?
Was noch so alles dem väterlichen Schoß entspringt / gefunden unter `Security Pants`, gleich sicher wie in Abrahams Schoß, grusel…
http://img519.imageshack.us/img519/8996/securepants6rp.jpg
03.01.2011 um 14:58 Uhr Rachel
am 4. Adventssonntag erlebte ich eine Predigt darüber, dass Joseph endlich mal “equal time” gewidmet müsse….. kotze kotze
03.01.2011 um 14:44 Uhr Anne
kämen die niedlichen kleinen aus dem schoß des vaters, gäbe es mit sicherheit keine überbevölkerung - so sind die geburtslasten weiblichen menschen vorbehalten. der egoismus vieler väter in der gier nach sexueller befriedigung bedeutet/e für viele frauen (ungewollte) zwangerschaften, häufig bis zu 2o, vorgesehen als gebärmaschinen. frauenhass pur zeigt sich mir in der bibelstelle `...ich werde sehr vermehren die mühsal deiner zwangerschaft, mit schmerzen sollst du kinder gebären - nach deinem mann wird dein verlangen sein, er aber wird über dich herrschen…`, die lüge von der erbsünde.
ja, wie sähe wohl diese bibelstelle aus, wäre der mann die heldin all der zwangerschafts-geburtslasten? gar nicht daran zu denken, wie häufig infolge von körperlicher gewalt und nötigung die lieben kleinen das licht der welt erblick(t)en, überhaupt nicht zur fräude der armen mütter.
halleluja, die schirmattacke wäre evtl. ein probates mittelchen für all die unholde:-( , die im namen des `väterlichen herrn` nicht nur aus abrahams schoß stammen. http://www.fembio.org/biographie.php/frau/frauendatenbank
03.01.2011 um 13:24 Uhr schamanca
[...Zugegeben, das Jesuskind wird gerne als Laptop, auf dem Schoß sitzend, dargestellt, aber auch da meist auf dem Schoß Mariens. ...]
und ich roll mich bei dem Satz ab. Wie soll ich das Bild je wieder aus meinen Kopf bekommen beim Anblick meines Lappis ;-)
Danke!!!
03.01.2011 um 08:12 Uhr Evelyn
Und hier ein Erklärungsversuch, warum Männer phantasieren, sie würden Kinder bekommen - aus einem männlichen Schoß: Er liegt in der Kargheit ihrer sexuellen Grunderfahrung.
Die weibliche und die männliche Erfahrung sind nämlich grundverschieden. Forschungen haben ergeben, dass das Lustempfinden der Frau dreimal so stark ist wie das des Mannes. Das weibliche Potenzial in der Sexualität hat eine ganz andere Reichweite als die des Mannes, wie die Fähigkeit zu multiplen Orgasmen und die weibliche Anatomie mit mehreren Lustzentren (Klitoris, Vagina, G-Punkt) offenbaren. Daraus kann unschwer geschlossen werden, dass die Erfahrungswelt der Frau von einer ganz anderen Intensität erfüllt ist als die des Mannes, denn sexuelle Lust ist nicht nur einfach irgendein Bestandteil eines ganzheitlichen Lebens, sie bestimmt zutiefst unsere Gefühlswelt und unser Bewusstsein. Die kärgliche sexuelle Erfahrung der Männer könnte ein Grund sein, warum sie erhebliche Probleme mit einer ausgewogenen Gefühlswelt haben. Sie sind ständig auf der Suche und wissen nicht wonach.
Während der Höhepunkt des Mannes mit einem kleinen Moment vorbei ist, wirkt das Lustempfinden der Frau nach. Die Frau ist es, die in der Sexualität und mit den Folgen von Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt den gesamten Zyklus des Lebens, das heißt das Lebensprinzip selbst, durchläuft: von der Erfahrung des sich Öffnens, der Hingabe, dem Kulminationsgeschehen und dem Erschaffen und Austragen neuen Lebens, ein kompletter Kreislauf –auch in energetischer Vollendung. Die Frau ist eingebunden ins Prinzip von Werden und Vergehen, eine weibliche Urerfahrung. Der Mann nimmt daran kaum teil. Sein kurzes sexuelles Vergnügen hat in seinem Sein wenig Nachhaltigkeit.
Das Wissen um den Zyklus des Lebens trägt jede Frau in sich, auch die kinderlose. Andernfalls würden kinderlose Frauen, die ein nicht-eigenes Kind auf den Arm bekommen, nicht mit mütterlicher Liebe reagieren.
Die Unterschiedlichkeit des sexuellen Erlebens von Frau und Mann spiegelt sich in der unterschiedlichen Sprache, die die Geschlechter für die Sexualität verwenden. Fülle und Kargheit finden darin ein unverwechselbares Dokument.