Fragen über Fragen
Kein Platz für die wichtigen Fragen bei „Wer wird Millionär?“
Vergangenen Montag wurden bei „Wer wird Millionär?“ wieder Promis gegrillt. Wie mir aus gut unterrichteten Kreisen geflüstert wurde, gab’s diesmal sogar für Feministinnen was zu sehen. Überzeugen Sie sich selbst. Zuerst hatte Anke Engelke mit einer Frage zu kämpfen, die direkt von feministischer Sprachkritik inspiriert schien:
In welcher Berufsgruppe lag der Anteil männlicher Beschäftigter in den letzten Jahren bei knapp unter 5 Prozent: A) Kassierer B) Kita-Betreuer C) Friseure D) Apotheker
Engelke beantwortete die Frage schließlich korrekt mit „Kita-Betreuer“. Was niemanden interessierte war die Frage: Wenn es doch über 95% Frauen sind - warum heißen die dann nicht „Betreuerinnen“?
Geschenkt. Wir wollen hier nicht kleinlich werden. Oder größenwahnsinnig. Es gibt nun mal Fragen, auf die niemand kommt. Meist sind das die feministischen.
Nur Engelke, die einzige Frau unter den Promis, schaffte es über die 125-Euro-Frage hinaus, sogar bis zur Eine-Million-Euro-Frage. Die lautete:
Was hat die gebürtige Düsseldorferin Luise Rainer, die 2014 im Alter von 104 Jahren gestorben ist, zweimal hintereinander gewonnen?
A. Den Chemie-Nobelpreis
B. Die Miss-World-Wahl
C. Den Schauspiel-Oskar
D. Das Wimbledon-Tennistournier
Engelke vermutete, es sei die Miss-World-Wahl, irgendwas Obskures Anfang der dreißiger Jahre. Alles andere hätte sie ja wohl schon irgendwann mal hören und also jetzt wissen müssen. Falsch! Hätte Engelke mich als Expertin angerufen, hätte ich ihr locker zu einer weiteren halben Million verhelfen können. Na, vielleicht nächstes Mal! Ich helfe in dem Laden allerdings erst dann aus, wenn er sich „Wer wird Millionärin?“ nennt.
Jauch und Engelke krausten die Stirnen um die Wette. Jauch: „Wenn die eins von den Sachen gewonnen hat, hätt ich’s wissen müssen. Ich hab den Namen noch NIE gehört.“
Schließlich las er ungläubig die Antwort auf seinem Bildschirm und verkündete dann: „Die hat tatsächlich zweimal hintereinander den Oscar gewonnen, und zwar als beste Hauptdarstellerin, einmal in einem Musical, und einmal hat sie eine chinesische Bäuerin gespielt.“
Auch das Publikum hatte noch nie von Luise Rainer gehört. Sehr seltsam. Immerhin ist sie die einzige Deutsche, die jemals den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle gewonnen hat, und das gleich zweimal, 1936 für „The Great Ziegfeld“ und 1937 für „The Good Earth“ nach dem Roman von Pearl S. Buck. Warum schmückt sich Deutschland nicht mit ihr, wie mit Max Schmeling, der 1936 Joe Louis besiegte, den berühmtesten Boxer der Welt, der als unschlagbar galt?
Wikipedia über Schmeling: „gilt bis heute als einer der populärsten Sportler Deutschlands.“
Für Luise Rainer dagegen dürfte das Gegenteil gelten: „bis heute eine der (in Deutschland) unbekanntesten deutschen Schauspielerinnen von Weltruf“.
Engelke und Jauch nahmen es kopfschüttelnd hin, dass sie es nicht gewusst hatten, und das Publikum auch nicht. Niemand überlegte auch nur kurz, woran das wohl liegen mochte. Mich aber interessierte diese Frage, und ich beantwortete sie mir mit: „Es sind die dreißiger Jahre, die Nazis sind an der Macht, vermutlich war Luise Rainer Jüdin. Schmeling dagegen nicht. Rainers Erfolg in den USA wird vor den Deutschen verborgen, während Schmelings gleichzeitiger Erfolg an die große Glocke gehängt wird. Und die Glocke tönt weiter, bis heute.“ Meine Vermutung wurde durch eine kurze Recherche im Internet bestätigt.
Schmelings Sieg „wurde von der NS-Propaganda politisch missbraucht als 'Beweis für die Überlegenheit der arischen Rasse'. In den Kinos wurde auf Weisung Hitlers der Kampf unter dem Titel 'Max Schmelings Sieg – ein deutscher Sieg' vorgeführt.“ (Wikipedia)
Rainers Sieg, sogar der Doppelsieg, wurde hingegen totgeschwiegen. Zu peinlich einfach, dass es ausgerechnet eine Jüdin zu diesem internationalen Triumph gebracht hatte. Wie bei der jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann musste verhindert werden, dass eine jüdische Deutsche die „arische“ deutsche Frau demütigt.
Jauch, seine KandidatInnen, sein Publikum und auch die Journalisten, die über sein Quiz berichteten, wissen bis heute über eine der erfolgreichsten deutschen Schauspielerinnen nur das, was Hitler und Goebbels dem deutschen Volke vor 80 Jahren zu wissen gestatteten: Nichts. Und da sie noch nicht einmal neugierig sind und nachbohren, wieso Luise Rainers Triumph ihnen und allen anderen bis heute so völlig entgehen konnte, werden sie auch so bald nicht schlauer werden. Es sei denn, sie lesen diese Glosse.
PS: Gretel Bergmann, die im April 101 Jahre alt wurde, und Luise Rainer, die 104 Jahre alt wurde, lebten beide rund achtmal länger als das Tausendjährige Reich. Ätsch!
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(Dank an Andrea Schweers für den Hinweis auf die „Kita-Betreuer-Frage“. Sie hat dazu selbst einen Kommentar geschrieben.)
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Interview mit Luise Rainer zu ihrem 100. Geburtstag (Englisch)
Zum Tod von Luise Rainer, Dez. 2014 (Dank an Anne Beck für die Links)
Ausführlicher biogr. Artikel über Rainer (Wikipedia, Englisch)
Besonders interessant in unserem Zusammenhang die Querelen um den Boulevard der Stars in Berlin. Auch Luise Rainer war für einen Stern vorgeschlagen worden, wurde aber von der Jury abgelehnt und schließlich doch aufgenommen. So kam die emigrierte Jüdin doch noch zu einem Stern. Welch bittere Ironie auch in dieser unrühmlich absolvierten späten Anerkennung.
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27 Kommentare
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06.06.2015 um 14:21 Uhr rittiner & gomez
ja der erfolg der “falschen” menschen, macht immer wieder “richtigen” menschen bauchweh.
06.06.2015 um 14:19 Uhr Lena Vandrey
Die Idee, bei Herrn Jauch zu sitzen und Luise als Expertin zu haben, ist verführerisch. Wir haben diese Sendung lange nicht mehr gesehen, vor allem wegen der ordinären KandidatInnen und des johlenden Publikums. So konnte ein Metzger sagen, in Bordellen gäbe es billiges Fleisch, was als eine unerhörte, dialektische Leistung bewundert wurde… Bei den Telefon-Jokern stellten wir fest, dass Frauen IMMER Männer zu Rate ziehen, welche sich so gut wie immer irren. Auch gibt es Fragen, die sich fürs Telefon nicht eignen, zu lang! Diese Frage hier wäre für Luise sehr einfach gewesen, Statistik gehört zur feministischen Forschung, für andere aber nicht, die Frage ist tückisch lang, und es hätten auch die KassiererInnen sein können. Ob Anke Engelke von der Existenz feministischer Forschung etwas weiß, ob Herr Jauch fembiographies kennt?
Luise Rainer war mir durchaus ein Begriff, aber nicht von deutscher Seite her, sondern von der Pariser Cinémathèque, in welcher die damalige Jugend Filme im Original sehen konnte und sich dementsprechend bilden. Eine Oskar-Preisträgerin entging uns nicht. Dass sie Jüdin war, JA! Aber Deutsche, NEIN! Heute wissen Leute, die im Institut National de l’Audiovisuel arbeiten, nicht, dass es eine Cinémathèque gibt. Das Wort nie gehört!
Und da kommen wir zum Knack-Punkt dieser Sendung: KandidatInnen und Publikum sind recht gewöhnliche Leute, dummdreist und verbohrt. Diese Auswahl trifft der Sender, bietet eine Drei-Groschen-Schau an und spart viel Geld! Unvorstellbar, wenn da Wissende und Kluge säßen, RTL ginge ja pleite! Und würde der Titel mit MILLIONÄRIN die Dinge ändern? Würden Frauen öfter gewinnen? Auffällig ist auch, dass bis dato Keine und Keiner Ziele und Projekte hatte mit dem gewonnenen Geld. Nur Unfug: Eine Hochzeit mit Kutsche, ein Teppichboden, Ferien. Ein Buch schreiben, den Armen helfen, Medizin studieren, einen Preis in Gynäkologie stiften, ein Tierheim öffnen, das gibt es nicht! Wir haben eines Tages aufgegeben, weil uns der Ekel packte! Und dieser Herr Jauch in seiner wohlgefälligen Eitelkeit ist unerträglich! Armes, reiches Deutschland!
06.06.2015 um 13:34 Uhr Joey Horsley
Danke, Luise, für diese wichtige Glosse – da hast du uns mit deinem frauenbiographischen Wissen, deiner scharfsinnigen Recherche und deiner kritischen Analyse wieder mal aufgeklärt und zum Denken angeregt!
Nicht nur Deutschland hat solche politisch peinlichen Wissenslücken – letzte Woche hat Präsident Obama zwei Soldaten für ihre selbstlosen Heldentaten im ersten Weltkrieg posthum geehrt. Der eine war Schwarzer, der andere Jude. Beide wurden wegen Diskriminierung zu Lebzeiten übergangen:
“President Barack Obama posthumously bestowed the Medal of Honor on two World War I veterans whose heroic acts nearly 100 years ago went unrecognized in an age of discrimination. Sgt. William Shemin and Pvt. Henry Johnson were recognized with the nation’s highest military decoration for saving their comrades on French front lines.”
http://www.pbs.org/newshour/bb/righting-wrong-nearly-100-years-later-two-soldiers-receive-medal-honor-posthumously/