Hilde Domin und ihr Bremsklotz
In der letzten Woche habe ich Marion Tauschwitzs Hilde-Domin-Biographie gelesen, die den vielsagenden Untertitel trägt: „Dass ich sein kann, wie ich bin“.
Das Buch ist inkl. Anhang über 600 Seiten stark - dass ich es trotzdem fast in einem Zug durchlas, liegt einerseits an der Kunst der Biographin, andererseits an dem aufwühlenden Stoff: dem „Jahrhundertleben“ der Hilde Domin von 1909 bis 2006. Die Langlebigkeit war auch nötig, möchte frau - nur scheinbar unsinnigerweise - hinzufügen, denn Domin wurde von ihrem tyrannischen Gatten, dem Kunsthistoriker und verhinderten Dichter Erwin Walter Palm, dermaßen ausgebeutet und aktiv behindert, dass sie ihren ersten Gedichtband erst 1959, mit fünfzig Jahren, veröffentlichen konnte. In dem Alter hatten andere große deutsche Dichterinnen - Bachmann, Droste, Kolmar - ihr Lebenswerk bereits vollbracht. Sie hatten nicht geheiratet.
Domins Verleger fand, es sei marketingtechnisch ungünstig, ein Erstlingswerk als Fünfzigjährige herauszubringen, deshalb machte mann die Dichterin kurzerhand drei Jahre jünger. Sie wurde dann ja allmählich doch noch berühmt und im Alter immer berühmter, so dass die gewaltigen Ehrungen zu ihren runden Geburtstagen immer einer Frau galten, die in Wirklichkeit schon drei Jahre älter war. Der Irrtum wurde erst zu ihrem 90. Geburtstag aufgeklärt.
Was die Lektüre der Tauschwitz-Biographie so faszinierend, aber auch schwer erträglich macht, ist die Geschichte der 56jährigen Ehe zwischen Hilde Domin und Erwin Walter Palm, der der Meinung war, seine Ehefrau habe nicht zu dichten, sondern ihm zu dienen, nicht nur als Bettgefährtin und Haushälterin, sondern auch als wissenschaftliche Assistentin und Agentin. Zeit seines Lebens setzte sie sich für ihn ein, aber als sie einmal ihn brauchte, nach dem Tod ihrer geliebten Mutter, blieb er lieber auf Reisen. In der Situation, als Jüdin im Exil, vom Mann im Stich gelassen, entdeckte sie endlich ihre wahre Heimat, das Wort.
Als Erwin Walter Palm ihre Gedichte erstmals sah, war er klug genug, deren Rang zu erkennen, auch zu erkennen, dass seine Frau ihm überlegen war - und dafür musste sie bestraft werden.
Der erbitterte Kampf darum, wer in dieser Ehe schöpferisch tätig und erfolgreich sein durfte und wer zu dienen hatte, prägte die Zeit von 1950 bis zu Palms Tod 1988: „Erwin Walter Palm ertrug es nicht, dass seine Frau Gedichte schrieb - ‚als ob die Katze auf einmal Eier legte.‘ Wollte sie schreiben, so sollte sie das in einer ‚Menstruationshütte‘ tun; ihr Wunsch zu schreiben, galt ihm als ‚unrein‘, die Dichtkunst sollte Männerdomäne bleiben.“ (S. 221)
Die Frage, warum Hilde Domin sich das alles und obendrein die zahlreichen Seitensprünge und Bordellbesuche ihres Gatten bieten ließ, beschäftigt die Leserin beständig, wird aber nicht zufriedenstellend beantwortet. Vielleicht kann sie nicht beantwortet werden. Oft genug wollte Erwin Walter Palm aus der Ehe aussteigen, oft genug blieb er monatelang auf sogenannten Forschungsreisen. Aber Hilde Domin ließ ihn nicht los; sie klammerte. Einmal heißt es: „‚Erwin ist einer der zehn gebildetsten Menschen auf der Welt‘, pflegte Hilde Domin zu sagen, 'das Leben mit ihm war nie langweilig.‘ Und das schätzte sie.“ Ein andermal erfahren wir: „Die Schlüsselerkenntnis hatte sie bereits 1952 formuliert - und sie schien weiterhin Bestand zu haben: ‚Die Crux besteht darin, zum Teil, dass wir aus dem Quälen und Gequältwerden Gefühle beziehen, die zwar terribel, aber erotisch ergiebig sind. Die Angst, die wir voreinander haben, ist eine wahre Plage, aber irgendwo deliziös.‘“ (S. 408)
Hilde Palms Pseudonym Domin wird meist auf ihr Exilland, die Dominikanische Republik, und deren Hauptstadt Santo Domingo zurückgeführt. Tauschwitz vermutet überdies eine Anspielung an den Schauspieler Friedrich Domin, den Hilde Domin in München, wo sie längere Zeit lebte, kennengelernt haben dürfte. Nicht erwähnt wird die in die Augen springende Identität mit dem lateinischen Wortstamm domin-, wie in domina, dominus und dominare (dominieren).
„Pauvre petit [armer Kleiner]“, so beginnt eine der erschütterndsten Notizen Hilde Domins an ihren Mann, „bitte, bitte: Die Frage ist doch verkehrt. Es gibt doch keine Wahl zwischen meinem Werk und Dir. Mein Werk, alles was ich tun muss, das bin doch ich. Du sagst doch auch nicht: ‚Komm zum Frühstück ohne Arme. Entscheide Dich zwischen mir und Deinen Armen.‘ Du weißt doch, dass dies so ist. Sei nicht traurig, es gibt ja keine Wahl. Jeder ist, der er ist. Ein Dichter zu sein ist nichts Schlechtes. Du weißt es doch. H.“ (S. 375f)
Er wird ihr zugestimmt haben, dass ein Dichter zu sein nichts Schlechtes ist. Aber sie ist eine Dichterin! Als sie einmal Lust äußert, ein Theaterstück zu schreiben, sagt er: „Dann werf ich dich endgültig raus.“ Sie hat keins geschrieben.
Die Unterwürfige mag sich unterwerfen so viel sie will, sie ist die Stärkere, sie dominiert trotzdem, nicht nur ihren schwächlichen Tyrannen, sondern am Ende sogar die extrem frauenfeindliche, intrigante bundesdeutsche Literaturszene.
Es sollte einmal eine Geschichte der Ehefrauen im Exil geschrieben werden, die ihre Männer, monströse Bremsklötze, durchfütterten, ja buchstäblich am Leben erhielten und dafür ihre eigenen Projekte aufgaben oder hintanstellten. Sie nahmen jegliche Art von Arbeit an, um dem Göttergatten seine intellektuelle Arbeit weiter zu ermöglichen, da er sich für alles andere zu schade war. Für Erwin Walter Palm waren sogar Umzugsarbeiten unter seiner Würde. Er zog jeweils ins Hotel, bis seine zierliche Frau alles zu seiner Zufriedenheit erledigt hatte!
In so einer Sammlung über Frauen im Exil, die den Laden schmissen, und ihre Männer, die einfach nur schmissen, dürften z.B. die Gatten von Katia Mann, Mascha Kaleko, Helene Weigel und Karola Bloch nicht fehlen. Aber die Palme hat sich eindeutig Erwin Walter Palm verdient.
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3 Kommentare
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12.04.2011 um 13:55 Uhr Amy
Allein zu sein gilt für viele Menschen als Makel. Sich einsam fühlen kann frau/man auch in der Zweisamkeit oder in einem Pulk von vielen Menschen. Aber das bewusst gewählte Alleinsein bedeutet nicht automatisch Einsamkeit. Ich sehe das als eine Art Freiheit: `Allein sein ohne
Einsam zu sein.`
Die alleinige Glückseligkeit in der Zweisamkeit zu suchen, wird uns schon von Kindesbeinen an eingetrichtert mit dem Ziel , u.a. sich früh zu binden, Ehe- und Familienpflichten nachzugehen.
Häufig voller Aufopferung, Selbstaufgabe und das Zurückstecken eigener Wünsche, Bedürfnisse und (wie oben beschrieben) Missachtung der eigenen Talente. Viele Frauen im Patriarchat konnten/können nicht ihr eigenes Leben leben / sondern das Leben des `Anderen`.
http://www.zeitjung.de/MENSCHEN/artikel_detail,5428,Alleinsein-lernen.html
12.04.2011 um 10:08 Uhr Anonyma
http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_ss_i_0_34?__mk_de_DE=ÅMÅZÕÑ&url=search-alias=stripbooks&field-keywords=norwood+wenn+frauen+zu+sehr+lieben&sprefix=norwood+wenn+frauen+zu+sehr+lieben
Der Untertitel, “Die Sucht gebraucht zu werden” sagt mehr aus.
Aber: ist das (in dem Fall) nur psychisch?
Ich werde weder das Buch noch etwas von Hilde Domin lesen; aufopfernde Frauen, und Leute, die eines qualvollen Todes sterben, haben mir nichts zu sagen.
Also Frage: gibt es Spuren von Gewalt in der Kindheit?
Wir Überlebenden von langjähriger Gewalt spalten uns in eine Mehrheit, die nicht allein sein kann, und eine Minderheit, die viel Alleinsein BRAUCHT.
Natürlich behaupte ich, dass letztere die schlimmere Diskriminierung erleben heutzutage.
11.04.2011 um 21:50 Uhr Amy
Ob das überhaupt Liebe ist, sich einem `Bremsklotz` fast bis zur Selbstaufgabe unterzuordnen? Eventuell Gefallen finden an den stetigen Liebes-Qualen? Das ist fast schon masochistisch? Es gibt ein Buch, die Sucht geliebt zu werden bzw. “Wenn Frauen zu sehr lieben”.
Ob Hilde Domin an der Sucht unbedingt `lieben und geliebt zu werden` kränkelte?
Auch Alma Schindler (Mahler-Werfel), Komponistin, Musikschriftstellerin ,bekam von ihrem Bremsklotz zu hören “Die Rolle des Komponisten fällt… mir zu, Deine ist die der liebenden Gefährtin.. Du musst dich nur bedingungslos hingeben, Dein zukünftiges Leben ganz nach mir ausrichten…” Und sie gehorchte, aber doch widerstrebend, gab ihre Karriere auf. Und emigrierte später nach Amerika , beeinflusste und inspirierte einen weiteren Künstler, organisierte sein Leben und seinen Ruhm (Fembio).
Daran erinnerte sie sich wohlwollend und gottergeben: “Gott vergönnte mir, die genialen Werke unserer Zeit zu kennen, ehe sie die Hände ihrer Schöpfer verließen. Und wenn ich für eine Weile die Steigbügel dieser Ritter des Lichts halten durfte, so ist mein Dasein gerechtfertigt und gesegnet.”
Schrecklich , diese rührige Selbstaufgabe, wo die Komponistin selbst Opfer wurde, wenig Raum zur eigenen Entfaltung fand und dadurch in ihrem künstlerischen Metier auf Ruhm und persönliche Entfaltung verzichten musste. Männer waren und sind für viele Frauen auch heute noch gut funktionierende `Bremsklötze`..
Judy Chicago: Frauen in der Kunst ” Es sind jedoch zu wenig Männer bereit zu akzeptieren, dass sie eine ganze Menge von Frauen und deren Kunst lernen können. Eine Erklärung für diese Verweigerungshaltung liegt vielleicht darin, dass es für viele Männer einfach schwierig ist, sich einer anderen Sichtweise zu öffnen, zumal sie dann auch anerkennen müssten, dass die Universalität der Perspektive, die von männlicher Kunst allzu oft in Anspruch genommen wird, in Wirklichkeit eine von männlicher Erfahrung geformte und deshalb zwangsläufig begrenzte Sicht der Welt ist. Sie basiert im allgemeinen auf dem Privileg, in einer männlich dominierten Welt Mann zu sein.”