Kleiner Mann
Zum ersten Advent gab es ein Familientreffen bei meinen Geschwistern in Gütersloh. Außer Joey und mir waren die beiden Töchter meiner Schwester angereist, die eine aus München mit ihrer Tochter Lisa, 12 Jahre, die andere aus Lübeck mit ihrem Sohn Jonathan, 15 Monate. Zuletzt gesehen hatte ich ihn vor über einem halben Jahr; inzwischen toddelte er schon mutig durch die Gegend, setzte sich zwischendurch auf den Hosenboden, rappelte sich hoch und toddelte weiter, breitbeinig und mit seitlich ausgestreckten Armen wegen der Balance.
Ich ertappte mich dabei, dass ich ihn öfter mit „Na, kleiner Mann?“ ansprach, worauf er mich anstrahlte und weitertoddelte.
Wieder zu Hause, machte ich mir Gedanken über diese merkwürdige Anrede, die mir mehrfach rausgerutscht war. Hatte ich nicht in meiner Glosse "Das Hemdchen" vor einiger Zeit gemäkelt:
Ein Hemdchen macht die Frau zum Baby, zur Kindfrau. “Kindmann”? Gibt es nicht. Stattdessen haben wir den Sohnemann. “Tochterfrau?” Gibt es nicht. Die Lücken in unserem Wortschatz zeigen froh die Richtung an: Der Sohnemann soll sich schon als Hemdenmatz stark fühlen wie ein Mann, das Töchterchen aber soll am besten ewig Kind bleiben und noch als erwachsene Frau im “Hemdchen” ihre “atemberaubende Schönheit” zu Markte tragen.
Soweit die gängige feministische Interpretation dieser Lücke in unserem Wortschatz. Es gibt aber auch noch eine andere Sicht der Dinge.
Als Lisa noch klein war, waren wir natürlich hingerissen von ihr, und obwohl sie viel Ernst und Würde ausstrahlte, fiel es mir nicht ein, sie mit „Na, kleine Frau?“ anzureden.
Inzwischen dämmert es mir, weshalb wir da diese Barriere haben. Eine Frau ist einfach etwas völlig anderes als ein noch so würdevolles kleines Mädchen, Stichwort „Echte Frauen haben Kurven“. Ein ausgewachsener, glattrasierter Mann hingegen unterscheidet sich von einem „kleinen Mann“ tatsächlich nur durch die Größe, mal rein optisch-gestaltmäßig gesehen.
Mit der Anrede „kleiner Mann“ habe ich also nur der Ähnlichkeit zwischen erwachsenen Männern und kleinen Jungs Rechnung getragen. Zum Verwechseln ähnlich sind sie, wie auch die Rede vom „Kind im Manne“ bezeugt. Das „Kind in der Frau“ ist von grundsätzlich anderer Art, es flutscht alsbald heraus, während das „Kind im Manne“ verharrt.
Diese feministisch-linguistische Betrachtung hat mich wieder mit mir ausgesöhnt. Oder meinetwegen auch ausgetöchtert.
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6 Kommentare
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01.01.2011 um 15:43 Uhr Amy
Zynisch oder gerecht ? “Little Boy” - im übertragenen Sinne `Kleiner Mann` - so wurde sogar die schrecklichste Vernichtungswaffe d. Menschheitsgeschichte `liebevoll` benannt.
Kriegsspiele, Kriegsschlachten, Greueltaten, Vernichtung und Zerstörung gehört/en schon immer zur Domäne des `Kleinen Mannes`...
http://www.sueddeutsche.de/politik/atombombe-little-boy-der-grosse-zerstoerer-1.982727-7
Heute im Computerzeitalter berauschen sich die Jungs am Töten per Mausklick. Computerkriegsspiele transportieren militärische Denkweisen und Wertesysteme und tragen damit zur Militarisierung der Gesellschaft bei.In den meisten Computerkriegsspielen treten Männer vorwiegend als Helden bzw. zähe Kämpfer auf, während Frauen - sofern sie im Spiel vorhanden sind - durch ihre Kleidung und Verhalten oft als Sexsymbole oder einfach nur hilflos dargestellt werden. Die Verstümmelung des menschlichen Körpers übt scheinbar eine Faszination vor allem auf Jungen aus. Teil der Faszination ist es zu beweisen, wie abgebrüht die `Kleinen Männer` doch sind.
In der Tat `Männer sind ein Bremsklotz`in der menschlichen Evolution, wenn sie daran gefallen finden.
Weblink: Töten per Mausklick - Computerkriegsspiele - Ralf E. Streibl
30.11.2010 um 18:46 Uhr Gerhard Schöfl
Interessanterweise sind in meiner (österr.-steirischen) Mundart sowohl die Anreden “kloans Wei” als auch “kloana Mo” ziemlich gängig. Wir titulieren unsere 2-Jährige dauernd so. Haben MundartsprecherInnen andere Bilder von ausgewachsen “Weibaleit” und “Monaleit” im Kopf als SprecherInnen des Standarddeutschen, frag ich mich da.
GS
30.11.2010 um 12:04 Uhr ingrid steinmeister
ja, das stimmt. ein kleiner mann ist stark, eine kleine frau ist feminin, sexy, denkt man und frau.
gruß
ingrid
29.11.2010 um 18:37 Uhr Anne
das kind im manne v. eugen roth:
“bekanntlich kommt das kind im weib durch das gebären aus dem leib. da aber sich das kind im manne nicht solcherarts entfernen kann, ist es begreiflich, dass es bleibt und ewig in ihm lebt und leibt.”
diese krönung der schöpfung war immer schon wild darauf, sich auch den kindlichen spieltrieb (sport) insb. im mannesalter mit lorbeerkranz und titel zu vergolden - da wird mann aus einem fussballSpieler zum kaiser, zur lichtgestalt - autofahrer der formel 1 in ihren spielzeugautos zum kurven-gott oder zu göttlichen propheten usw. - und die männer der presse- und medienwelt mischen hier ordentlich mit, schwelgen in superlativen, sobald ihre fussball/spielenden halbgötter i.d. bundes-treterliga zuschlagen.
der grössenwahn und narzissmus all der `kleinen männer` nahm/nimmt auch heute noch pathologische züge an…
ich frage mich, wozu sind die eigentlich gut?
http://manbabies.com/images/96.jpg
28.11.2010 um 21:41 Uhr Evelyn
Die ewig kindliche Ausprägung des Mannes zeigt sich in seiner ganzen Persönlichkeitsentwicklung. Ist euch schon mal aufgefallen, dass Männer sich bis ins hohe Alter pausenlos mit ihren Männerspielen beschäftigen? Mit Fußball, Autorennen, Boxen, Wetten, Kartenspielen und Pornographie als besondere “Spielerei”? Dazu kommen die heute so beliebten Computerspiele, die meisten natürlich gewaltträchtig. Menschen, die nicht einmal für eine gewisse Zeit aus der Ernthaftigkeit des Lebens Schlüsse ziehen können, sind überhaupt nicht in der Lage, erwachsen zu werden. Ihnen fehlt schlichtweg Verantwortungsbewusstsein. Ich beobachte - leider - in meiner männlichen Verwandtschaft genau dieses pausenlos, gleich, um welches Alter es sich handelt. Das Kind im Manne behindert die ganze Gesellschaftsentwicklung, dies ist mir durch meine jüngsten Studien klar geworden. Männer sind ein Bremsklotz der menschlichen Evolution - auch Frauen, die mit Männern zusammenleben, werden dies nicht leugnen können!
28.11.2010 um 20:57 Uhr Dürr
Ha, liebe Luise, dieses seltsame Kind “im” Manne wäre ja für Frauen kein Problem, wenn es denn das Kind wäre, das aufrichtig, konzentriert, begeistert, hingebungsvoll und unbelastet die Welt entdeckte. Blöd ist nur, dass jene Sorte, die landläufig Männer genannt werden, meistens nur zeugungsfähige männliche Menschen sind, aber des Mannes ist da wenig zu finden. Und da machen die ganz Grossen dieser Welt zu den Normalbürgern keinen Unterschied: Sie bauen etwas auf und hauen es - kaum vollendet - wieder zu Klump - und heulen dann Rotz und Wasser, dass das Spielzeug kaputt ist. Die zeugungsfähigen männlichen Menschen nennen das dann Krieg, und männlich. Und da sie auch immer todsicher massenhaft Mammis haben, die sie trösten und wieder aufpäppeln und das Spielzeug wieder flicken, wiederholt sich das seit ca. 5000 Jahren. Erwachsene Männer sind rar wie Mondgestein. Sie wollen immer alles sofort und wenn Mutti nicht spurt, “täubelen” (dt.: zornig toben und/oder in eine Ecke verkriechen und nicht mehr auf Ansprache reagieren) sie, quängeln, hauen etwas zusammen usw., grad wie ein Vierjähriger. Die meisten sind sowieso psychisch dort stehen geblieben.
Schweizerfrauen pflegen ihren Stand so zu umschreiben: Ich habe drei Kinder und einen Mann… Das kleine Mädchen wird zur Frau, auf jeden Fall. Durch ein Kind meist früher, ohne Kind spätestens Ende der Dreissiger. Tja, und dann beginnt die grosse Angst vor den Frauen bei all jenen Männekens, die eben noch “kleine Männchen” sind und immer ein Mammi hatten, das Bubi Bobo bläst, das kaputte Spielzeug flickt, tröstet, hätschelt… und sie haben auch nie die Notwendigkeit, ein Mann zu werden. (Wobei ev. noch zu definieren wäre, was ein Mann wäre…)
lg
Dürr