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Susanne Meyer-Büser (Hgn.): Die andere Seite des Mondes: Künstlerinnen der Avantgarde. DuMont 2011
Acht Klassikerinnen der Avantgarde Von Annette Bußmann
Rund 60 Jahre ist es her, da erhielt Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ Einzug in deutsche Buchhandlungen. Doch nur wenige Wochen ist es her, da eröffnete die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (K20) eine Ausstellung zu acht Avantgardistinnen der 1920er/30er Jahre - und nannte sie „Die andere Seite des Mondes“. Wie zeitgemäß ist es, eine Künstlerinnen-Ausstellung unter das Label „des anderen“ zu pressen, den männlichen Künstler also unverändert als Eichmaß der Dinge zu verwalten? Wer die sehenswerte, von Susanne Meyer-Büser kuratierte Ausstellung verpasste, findet die Antwort im ebenso gedeihlichen Katalog.
Dass Kuratorin und Katalogherausgeberin Susanne Meyer-Büser acht der inzwischen bekanntesten Avantgardistinnen der Zwischenkriegszeit - erstmals in dieser Konstellation – und unter dem Blickwinkel „des anderen“– gegenüberstellt, hat einen guten Grund: Die Konfrontation mit Sophie Taeuber-Arp, Hannah Höch, Sonia Delaunay, Dora Maar, Florence Henri, Claude Cahun, Germaine Dulac und Katarzyna Kobro soll „den Blick auf die historische Avantgarde … erweitern“ und um „neue Facetten … bereichern“. Schließlich halte sich hartnäckig die Meinung, so Marion Ackermann, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein Westfalen, „Künstlerinnen seien nicht so bedeutend, das Werk von nicht so hoher Qualität wie das der männlichen Kollegen.“ Sympathisch erdverbunden zeigt sich Ackermann obendrein in ihrer Prognose, die „andere Seite des Mondes“ werde den „tradierten Blick auf die Kunst“ kaum korrigieren. Denn der Frauen-Exklusions-Kanon bestätige sich beständig von selbst, da „die einst so radikale Moderne“ immerzu in „breitenwirksamen, affirmativen Schauen gefeiert“ werde.
So desillusioniert, wenn nicht resigniert, Ackermanns Standpunkt scheint, so sehr trifft sie damit ins Schwarze: Im deutschsprachigen Raum führen seit Jahrzehnten - durchaus gut besuchte - Ausstellungen den weiblichen Anteil der Kunstgeschichte vor Augen, zuletzt in Mannheim „Entdeckt! Rebellische Künstlerinnen in der DDR“. Im Grunde aber bilden die meisten Paralleluniversen zum Mainstream-Kunstbetrieb. Dieser nämlich kauft oder preist Künstlerinnen-Exponate ungebrochen selten, es sei denn, die Biographie lässt sich so prägnant vermarkten wie die von Frida Kahlo oder Paula Modersohn-Becker. Und so schieben Gesamtschauen zu Epochen und Bewegungen Künstlerinnen unverändert gerne in Exotinnen-Nischen, obwohl beispielsweise Kunstzeitschriften der Weimarer Republik eine andere Sprache sprechen: Künstlerinnen waren hier merklich präsenter.
In puncto Androzentrismus verheißt das kommende Ausstellungsjahr kaum Linderung: Die großen publikumswirksamen Retrospektiven verbeugen sich meist vor Künstlern – vor Raffael, Gerhard Richter, Edvard Munch. Künstlerinnen-Schauen aber - etwa zu Dörte Clara Wolff, genannt „Dodo“, bleiben kleineren Häusern vorbehalten. Nicht anders der Kunstmarkt: Unbeirrt hofiert er Frauen auf der Leinwand, selten dahinter: Die Top Thirty der teuersten Gemälde bilden dutzendfach Frauen ab. Gemalt aber wurden die Topseller ausnahmslos von Männerhand. Spitzenreiter der Liste war lange Zeit Jackson Pollock, dessen Gattin Lee Krasner ein für Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts paradigmatisches Leben fristete: Als eine der wichtigsten Abstrakten ExpressionistInnen wurde sie über Jahre nicht bloß von der Alkoholsucht des Ehemanns, sondern auch von einem Kunstbetrieb gebremst, der sie ausschließlich als „Mrs. Pollock“ wahrnahm. Dieses Ehefrauen-Stigma zählt zu den unerschütterlichen Grundfesten der Kunsthistoriographie, wie u.a. Renate Bergers Anthologie „Liebe Macht Kunst. Künstlerpaare des 20. Jahrhunderts“ (2000) lehrte.
Im Windschatten der Patriarchen Auch bei den Avantgardistinnen der „anderen Seite des Mondes“ fällt die fremdverordnete Windschatten-Existenz sogleich ins Auge: Das Gros war mit Künstlern liiert - Sophie Taeuber-Arp, Hannah Höch, Sonia Delaunay, Dora Maar und Katarzyna Kobro. Und allesamt wurden sie – mal mehr, mal weniger - von der Kritik in den Schatten des Partners gezerrt. Zeitlebens und posthum. Besonders hart traf es die surrealistische Fotografin Dora Maar. Seit sie Pablo Picasso zugetan war, schwieg die Kunstszene ihr bis dahin hochgelobtes Œuvre rundweg tot, reduzierte sie auf die Existenz der (qualvoll verlassenen) Liebhaberin. Klug kontrapunktiert Karoline Hille diese Gewichtung in ihrem lesenswerten Katalogbeitrag zu Maar: Sie präsentiert das Œuvre einer hochpolitischen Künstlerin, vergleicht es mit den Arbeiten der großartigen, politisch nicht minder aktiven Gender-Switcherin Claude Cahun. Picassos Namen lässt Hille wohlbedacht nur beiläufig am Ende fallen. Dass Claude Cahun, Florence Henri und Germaine Dulac dem Schicksal des permanenten Dezimiertwerdens entkamen, hatte übrigens einen frappant banalen Grund: Sie liebten Frauen. Meistens zumindest.
„Wir müssen sehen, viel sehen, alles sehen, was Frauen bisher in der Kunst gearbeitet haben“ lautete 1977 die kämpferische Parole des Bandes „Künstlerinnen international. 1877-1977“. Auch Meyer-Büsers 288 Seiten starker Katalog ist eher bild- als textlastig geraten: Knappe Künstlerinnen-Biographien und Essays erläutern Werdegang, Verflechtungen, Parallelen und Dissonanzen zwischen den acht Künstlerinnen. Im Mittelpunkt aber stehen stattliche 200 Farbabbildungen. Diese Gewichtung ist gelungen. Verhilft sie den Künstlerinnen doch zu einer größeren Bildpräsenz und den LeserInnen zu einem unvoreingenommenen Einblick in die ungeheure Experimentierfreude der Achterriege. Fast überflüssig scheint da der omnipräsente Hinweis der fünf Katalog-AutorInnen, es handele sich bei den acht Auserkorenen nicht um mediokre Mitläuferinnen, sondern um international anerkannte Pionierinnen.
DADA tanzen Das Multitalent Sophie Taeuber-Arp ist mit den meisten Abbildungen vertreten, ihre exzeptionelle Vielseitigkeit daher am schlüssigsten nachzuvollziehen. Taeuber-Arp brachte nicht nur den Tanz in den Zürcher Dadaismus und füllte vom Kunstgewerbe-Lehrerinnen-Gehalt den knurrenden Magen ihres wirtschaftlich oft angeschlagenen Gatten Jean Arp. Sie brillierte obendrein als Malerin, Zeichnerin, Collagistin, Weberin, Stickerin, Bau-, Garten- und Marionettenkünstlerin. Angesichts des Entstehungszeitpunkts ihrer Kreise, Quadrate und Rasterstrukturen, die sie in Textilien einarbeitete bzw. auf Papier und Leinwand brachte, mögen manche sich die Augen reiben: Sie schuf sie 1915/16 - zwei Jahre bevor Theo van Doesburg und Piet Mondrian ihr vielbeschworenes „Manifest I“ (1918) der „De Stijl“-Gruppe niederschrieben. Taeuber-Arps und Jean Arps Innengestaltung des Straßburger Café „Aubette“ (1926/27) fehlt heute in kaum einer Konstruktivismus-Monographie. Was fehlt, ist allein ihr Name: Das Café wird meist einzig Theo van Doesburg zugeschrieben.
Weiße Mäuse züchtete die russisch-stämmige Katarzyna Kobro und war nebenher kaum minder schöpferisch. Sie ist die einzige in Deutschland weniger bekannte Künstlerin des Bandes. In Osteuropa indes gilt sie längst als ganz große Konstruktivistin: Ihre aus Industriematerialien gefügten, mitunter an hauchdünne Fäden gehängten Objekte revolutionierten die Kunstgeschichte. Sie zählen zu den frühesten Beispielen kinetischer Skulptur. Seit 1921 fertigte Kobro sie – zwei Jahre bevor das in unseren Breiten als Non plus Ultra der Moderne zelebrierte Bauhaus hochoffiziell „Kunst und Technik“ zur neuen Melange erklärte.
Begegnungen im Ostseesand Laut Meyer-Büser war ein exzellent funktionierendes Netzwerk unabdingbar für den Erfolg aller acht Avantgardistinnen. Schließlich besaßen Frauen damals keine „gesellschaftlich-historisch geprägte Plattform in Gestalt von Akademien, Kunstvereinen und Künstlergruppen“, die sie automatisch hätte bekannt machen können. Der Katalog enttarnt manch selten genannte Verbindungslinie zwischen den Künstlerinnen. Fast alle kannten sich – sei es bloß namentlich oder, weil sie sich, wie Sophie Taeuber-Arp und Hannah Höch, eine Woche lang „im feinen Sand der Ostseeküste“ (Ralf Burmeister) rekelten.
„Dada hängt mir zum Hals raus“, raunzte Hannah Höch angeblich, als ihre Dada-Collagen in den 1970ern wiederentdeckt wurden. Im Grunde aber können ihre bzw. die Arbeiten ihrer Kolleginnen niemals langweilen. Viel zu geistreich, gender- und gesellschaftskritisch, kurzum einfach viel zu inspirierend sind sie. „Unter dieser Maske ist eine andere Maske. Ich werde niemals aufhören, alle diese Gesichter abzuziehen“, schrieb Claude Cahun 1930 in ihren autobiographischen „Nichtigen Bekenntnissen“. Meyer-Büser und Ackermann rehabilitieren seit vielen Jahren Künstlerinnen – und lüften daher nicht minder unermüdlich Masken. Hierfür und für diesen lesenswerten Katalog ist ihnen ausdrücklich zu danken.
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