Empfehlungen Trude Fleischmann: Der selbstbewusste Blick. Hatje Cantz 2011
Trude Fleischmann: Der selbstbewusste Blick. Hatje Cantz 2011
Pikante Akte
VON ANNETTE BUSSMANN
Entrückte Promigesichter und alabasterhafte Frauenakte machten Trude Fleischmann zur meistgedruckten Wiener Atelierfotografin der 1920/30er Jahre. Dann kamen die Nazis und Fleischmann floh nach New York. Erst kürzlich ist der erste große Katalog erschienen - und thematisiert gern verschwiegene Seiten.
„Wen oder was sie nicht mochte“, notierte Fleischmann-Monograph Hans Schreiber 1995, habe sie „ohnehin nicht fotografiert“. Demnach war Trude Fleischmann (1895-1990) verdammt großherzig: Von der antiurbanen Milchkuhidylle bis zur schnieken Szene-Bar, von der Frauenrechtlerin Rosa Mayreder bis zum erzkonservativen Bundeskanzler Ignaz Seipel pickte sie ihre Motive aus einem Tohuwabohu ungleicher Gesinnungen. Allein die bei der Foto-„Bohème“ der Zwischenkriegszeit beliebten, armutsromantisch verklärten Obdachlosen fehlen - zumindest inzwischen. Denn Fleischmann, Katholikin mit jüdischen Wurzeln, zerstörte 1938, als sie vor den Nazis von Wien nach New York floh, beinahe ihr gesamtes Fotoarchiv. Was genau sie von der Ersten Republik Österreichs ablichtete, wird ein Geheimnis bleiben. Ebenso ihr Privatleben. Von ihrem Freund Peter Modley als „Mystery Lady“ tituliert, hielt sie Privates verschlossen - sogar über den Tod hinaus: Ihr Nachlass schlummert, fein säuberlich vor der Öffentlichkeit abgeschirmt, in den USA, wo sie, hochbetagt und gehörlos 1990 starb.
Trude Fleischmann mit ihrer Kamera im Atelier, Wien 1929 (Annie Schulz © Courtesy Fritsch Antiquariat Wien)
Skandal in der Vitrine Seit rund 20 Jahren rühmt die Fachwelt Fleischmanns Werke als „visual landmarks“ (Marion Krammer) der Fotogeschichte. Doch erst jetzt, seit der ersten großen Retrospektive im Wiener Wien Museum (27.01. bis 29.05.2011), steht ein umfassender Katalog in den Regalen der Buchhandlungen. Herausgegeben von den Wiener Ausstellungs-KuratorInnen Anton Holzer und Frauke Kreutler, leuchtet er uns in frauenbewegtem Lila den Untertitel „Der selbstbewusste Blick“ entgegen. Und argwöhnisch fragt frau sich, warum. Wirkt doch die ins Cover gezwängte Tänzerin Claire Bauroff reichlich unentspannt - nackt wie sie ist, marmorhaft geölt, mit hochgekrampften Schultern und retuschiert-schlafzimmerigem Stummfilmdiven-Blick. Frauke Kreutlers Kapitel „Skandal in Berlin“ klärt auf. Das Bild gehört zu einer Aktserie, die, als unsittlich verschrien, Fotografin und Tänzerin schlagartig bekannt machte: 1925 landeten die Aufnahmen in der Vorschauvitrine des Berliner Admiralspalastes. Doch die Polizei konfiszierte sie flugs. „Stein des Anstoßes“, ergänzt Kreutler, war nicht der Tatbestand der Aktfotografie. Diese geisterte seit Geburt des Fotoapparats durch die Hinterzimmer. Prekär war vielmehr, dass „die ‚pikanten‘ Stellen“, wie Kreutler sie nennt, entgegen damaliger Gepflogenheit nicht mit Papier überklebt wurden. Unerhört schien zudem, dass sich eine Fotografin und eine Tanzkünstlerin von Rang selbstbewusst erdreisteten, einen unverhüllten Körper zum Kunstwerk zu erklären. Die Doppelmoral jener Zeit billigte Nacktheit bestenfalls anonymen Varieté-Girls zu. Die allerdings hüpften in frappant großer Zahl über die Bühnen. Bauroff und Fleischmann wollten keinem Voyeurismus dienen. Ihr Ja zum freien Körper wurzelte in der Lebensreformbewegung. Und die war, wie Kreutler absolut zutreffend betont, nicht minder doppelmoralisch: Einerseits wetterte sie gegen die Korsettprüderie des 19. Jahrhunderts, andererseits gegen die Auswüchse einer „schamlosen, weil erotisch konnotierten Nacktheit“, schreibt Kreutler .
Promikult und Bergrausch Fleischmanns Leben birgt Stoff für ein Heldinnen-Epos: Sie zählte zu den ersten Fotografinnen, die 1920 im Zentrum Wiens ein eigenes Atelier eröffneten und sich offiziell zum Akt bekannten. Rasch gehörte sie zu den meistzitierten PortraitstInnen einer entrückt blickenden Wiener Kunst- und Theaterwelt. Und nachdem die Deutschen 1938 Österreich okkupierten, glückte ihr ein ungewöhnlich schneller Neubeginn in New York. Gottlob verkneifen sich die Katalog-AutorInnen dennoch eine Hagiographie: Bewusst thematisiert Anton Holzer ihre theatralischen, unrühmlichst dem „Heimatstil“ verwandten Bergszenen. Seit 1929/30 schuf sie sie. Holzer ärgert, dass sie „gerne unter den Tisch gekehrt“ würden, wenn Fleischmann als „Repräsentantin der Moderne“ herhalten solle. Ihren Nebenjob im Sektor Heimatschwulst - parallel hielt sie an Progressivem fest - wertet er als Anpassung an das zusehends reaktionärer geratende Österreich. Es habe nach antiurbanem Pathos gelechzt. Bemerkenswert, dass die vorgestrigen Auftraggeber/innen dabei - wenngleich nur anfangs - offenkundig auch FotografInnen ehemals jüdischen Glaubens berücksichtigten.
Mondsüchtige mit Widersinn Der Katalog leistet einen überfälligen Beitrag zur Geschichte der Wiener Zwischenkriegsfotografie. Nur mitunter will frau leise kontern: Vertraten die Fotografinnen jener Tage tatsächlich einen „meist innovativen Stil“, wie Astrid Mahler schreibt? Eine wissenschaftlich profunde Untersuchung, die das bestätigt, existiert bislang nicht. Leider. Huldigt diese Sicht nicht exakt dem Innovationsdogma, das Herausgeber Anton Holzer zu bekämpfen versucht? Wirkt zudem, wie Holzer glaubt, eine Bergszene in einer Zeitschrift wirklich weniger patriotisch, bloß weil der Falz des Heftes sie mittig schneidet? Geht Holzer am Ende - trotz gegenläufiger Ankündigung - mit Fleischmanns heiklem Heimat-Chichi nicht ähnlich wohlwollend ins Gericht wie seine VorgängerInnen? Ein wenig unglücklich geraten ist obendrein eine winzige Formulierung im Vorwort. Hier schreibt der Direktor des Wiener Wien Museums Wolfgang Kos, Fleischmann sei „als Jüdin 1938 aus Wien vertrieben“ worden. Wäre es hier nicht feinfühliger gewesen, mit Fleischmanns religiöser Vergangenheit ähnlich differenziert umzugehen, wie Marion Krammer es im selben Band leistet: Sie schreibt, Fleischmann habe 1923 dem Judentum den Rücken gekehrt und sei zu unbekanntem Zeitpunkt zum Katholizismus konvertiert.
Fleischmann hätte für einen Flug zum Mond ihr Leben gegeben, steht im Katalog. Zum Glück verließ sie die Erde erst mit 94 Jahren. Zurück blieb ein wunderbar widersprüchliches Werk, über das sich jetzt - dank Katalog - trefflich streiten lässt.
Holzer, Anton / Kreutler, Frauke (Hgn.): Trude Fleischmann: Der selbstbewusste Blick. Hatje Cantz 2011 deutsch/englisch, 200 Seiten, 139 Abbildungen 39,80 Euro
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