Fembio Specials Bildhauerinnen und Keramikerinnen Cato Bontjes van Beek
Fembio Special: Bildhauerinnen und Keramikerinnen
Cato Bontjes van Beek
geboren am 14. November 1920 in Bremen
hingerichtet am 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee
deutsche Widerstandskämpferin
80. Todestag am 5. August 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Cato Bontjes van Beek war ein wildes, mutiges Mädchen. Dodo, wie Cato in der Familie hieß, lebt von Kindheit an intensiv. Wie in einem Zeitraffer – als hätte sie nicht genug Zeit für alles, was sie sich vorgenommen hat. Ihr Bruder Tim erinnert sich an ihr ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Sie sei immer für ihn eingesprungen und hätte sich sogar zu seiner Verteidigung mit anderen Jungs geprügelt. »Sie war unglaublich zäh, und sie hatte Muskeln«, erinnert er sich. Cato war die Anführerin im Ring der Kinder in Fischerhu-de. Sie bewegt Geschwister und Nachbarskinder zum Schwimmen, zu Sportwettkämpfen, Wanderungen oder Theateraufführungen. Sie war unglaublich lebenslustig, ja, lebenshungrig.
Es war keine Familie im herkömmlichen Sinne, in die das Mädchen Cato und ihre Geschwister hineingeboren wurden. Eher war es ein Familienclan, in dem die Erwachsenen in Fischerhude ihren künstlerischen Ambitionen nachgingen und die Kinder natürliche Freiräume für die eigene Entwicklung besaßen. 1918 verlieben sich in Fischerhude die schöne Ausdruckstänzerin Olga Breling und Jan Bontjes van Beek ineinander. 1920 wird ihre Tochter Cato geboren. Zwei Jahre später kam die Schwester Mietje und ein Jahr darauf Bruder Tim zur Welt. Die dreifache Mutter Olga gab das Tanzen auf und wurde Malerin und Bildhauerin. Der Vater Jan wurde später ein berühmter Keramiker. Catos Mutter Olga ist die jüngste von sechs Töchtern des Malers Heinrich Breling, Mitbegründer der Künstlerkolonie Fischerhude, und seiner Frau Amalie. Bontjes van Beek war deutscher Staatsbürger. Er wuchs als Sohn niederländischer Eltern in Uerdingen auf.
Catos Entwicklung wurde auch durch einen doppelten Glücksfall geprägt. Zum einen, dass sie zwei Schuljahre bei ihrer Tante Nelly und ihrem Onkel Jan Greve in Amsterdam verbringen konnte. Aus dem beschaulichen und sehr übersichtlichen Fischerhude in die Großstadt – das ist für eine Elfjährige eine große Erfahrung und hätte auch eine Gefahr sein können. Aber nicht für Cato. Sie blieb wie sie war. Aufgeschlossen, herzlich und neugierig auf das Leben. Tante und Onkel allerdings hatten ein braves Mädchen erwartet, keinen Wildfang. Es gab Schwierigkeiten. Doch Cato biss sich durch. Als sie nach Amsterdam ging, war sie elf Jahre alt und die Nazis noch nicht an der Macht.
Wieder zu Hause in Fischerhude waren sie an der Macht und auch dort waren die Folgen zu spüren. Aufmärsche und Fackelzüge, Fahnen und Uniformen, Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädchen. Aber all das Getöse konnte die Menschen im Haus der Bont-jes van Beek nicht beeindrucken. Die Kinder lachten aus vollem Hals, wenn ihre Mutter den Reichpropagandaminister Goebbels parodierte oder Adolf Hitler imitierte. An den Samstagvormittagen erhielten die Bontjes-Kinder, während die Hitlerjugend ihre Versammlungen abhielt, Extra-Unterricht in der Schule. Insgesamt fünf Kinder des Ortes erhielten den Sonderunterricht. Der Lehrer war zwar kein strammer Nazi, aber er hatte doch Bedenken und versuchte den Schülern klar zu machen, dass man nicht ewig gegen den Strom schwimmen kann. Catos Reaktion: Aber wir können es.
1933 war in jeder Hinsicht ein schweres Jahr für die Familie Bontjes van Beek, besonders für Olga. Im März starb ihre Mutter, und in den gleichen Monat fiel die Trennung von ihrem Mann Jan. Der zog nach Berlin, wo er dann die Architektin Rahel Weisbach heiratete und eine erfolgreiche Keramikwerkstatt aufbaute. Olga blieb in dem Haus in der Bredenau und konzentrierte sich auf die Malerei. Catos Eltern blieben in intensivem Kontakt, tauschten sich über die Kinder aus, die mit einem Male zwei Elternhäuser hatten.
Catos zweiter Glücksfall war ein sechsmonatiger Englandaufenthalt als Au-pair-Mädchen. Im Januar 1937 begann das Abenteuer. In dem Ort Winchcombe gefiel es ihr bei den Beesleys prächtig. Den Kontakt zu ihnen hatte Catos Tante Amelie Breling geknüpft. Die englische Sprache bereitete ihr, wie auch das Niederländische, nur wenige Wochen Schwierigkeiten. Die Familie kümmerte sich, nahm sie überall hin mit, und Mr. Beesley gab ihr sogar Fahrunterricht - und ein Kindheitstraum wurde wahr. Cato durfte das erste Mal in einem offenen Doppeldecker (mit)fliegen und, wie könnte es anders sein, sie überredete den Piloten einen Looping zu drehen. »Zum erstenmal im Leben in der Luft – Junge, Junge, das war schön […]«, schrieb sie nach Hause.
Und in ihren Briefen tauchte immer öfter der Name John auf. Die beiden unterhielten sich über Buddhismus und kamen sich auch sonst näher. Wie nahe, kann nur vermutet werden, aber der fünf Jahre ältere John Hall machte Cato den Abschied von der Insel nach sieben Monaten noch schwerer, als er ohnehin war. Ein reger Briefwechsel kam in Gang.
Im Herbst des Jahres ging sie nach Berlin. Sie wohnte bei Jossie und Hans Schultze-Ritter. Die Tante war Komponistin und der Onkel Musikpädagoge. Sie sollten sich nach dem Wunsch von Catos Mutter um ihre Ausbildung kümmern. Dabei schwankte Cato zwischen Fliegerin, Schauspielerin, Keramikerin und Globetrotterin.
Ihre hochfliegenden Pläne ließen sich nicht gleich verwirklichen. Zuerst sollte sie eine kaufmännische Ausbildung machen und dann sehe man weiter. Ohne Murren willigte Cato ein. Sie konnte sehr schnell zur Realität umschalten.
Als Trost schloss sie sich der NS-Frauensegelgruppe Berlin an und erhielt schließlich vom Nationalsozialistischen Fliegercorps ein Flugbuch. Dass es sich um eine NS-Organisation handelte, nahm Cato in Kauf. Sie wollte fliegen! Und außer der puren Mitgliedschaft zollte sie der Organisation keinen weiteren Tribut. An ihre Schwester Mietje schrieb sie: »Ich werde ja doch immer meine eigenen Wege gehen. Da kann mir ja doch keiner was wollen. Wenn ich nun Fliegerin werden will, so werde ich es auch. Wenn ich doch lieber Schiethustapeziererin werden will, so werde ich es auch«.
Eine praktische Ausbildung in Bremen folgte. Die Ausbildung im Ingenieurbüro Heyse & Eschenburg beflügelte sie nicht gerade, aber sie wusste, dass sie eine vernünftige Grundlage brauchte, um später in der Keramikwerkstatt ihres Vaters tätig zu sein, wie es jetzt ihr Plan war.
Und dann, ein Jahr nach der quälenden Trennung von der Insel, der große Lichtblick: John Hall, der englische Freund, besuchte sie in Fischerhude. Cato fieberte seiner Ankunft entgegen. Als er endlich da war, begeisterte er alle Frauen um Cato. Mutter Olga und Schwester Meme waren sehr angetan von dem Engländer. We are engaged – Wir sind verlobt, erklärten Cato und John unisono. Der Krieg sollte, wie so viele andere, auch sie trennen.
1940 lebte Cato mit Mietje in Berlin bei ihrem Vater und war noch immer ungebrochen und mutig. Mit Rali, wie die zweite Frau ihres Vaters gerufen wird, verstehen sie sich gut. Mietje besucht eine Schule für Graphik und Buchdruck und Cato ist bei ihrem Vater in der Werkstatt. Aber auch sie kam nicht um den Reichsarbeitsdienst (RAD) herum. Im April 1940 fuhr sie in das RAD-Lager Blaustein, Kreis Rastenburg, Ostpreußen. Es war ein heißer Sommer und die Arbeit war hart.
Wegen einer Entzündung am Bein konnte Cato bereits im September nach Berlin zurückkehren. Sie lernte nun schnell neue Freunde kennen, auch den Lyriker Heinz Strelow. Mit ihm verbindet sie bald eine enge Freundschaft. Strelow kam aus einer kommunistischen Familie, die auch Kontakt zu den Brelings und Bontjes van Beeks in Fischerhude hatte. Aber auch alte Freundschaften blieben ihr wichtig: Heute Abend ist Helmut Schmidt bei uns. Seit Jahren wieder einmal in Zivil, schrieb sie ihrem Bruder. Schmidt brach nach diesem Besuch den Kontakt zu ihr ab, weil er die Gefährlichkeit ihres Tuns erkannte. Er sagte darüber: »Einmal lud sie mich zu einer großen Fete in eine Alt-Berliner Wohnung am Kaiserdamm ein. Es waren wohl an die 40 Leute da, und es wurde ungeheuer abfällig, sogar hasserfüllt über die Nazis geredet. Dabei kannte mich da außer Cato keiner – ich hätte doch auch ein Agent der Gestapo sein können! Ich hatte Cato während des Krieges gewarnt, dass das, was sie machte, zu gefährlich sei. Aber ich war nicht energisch genug, das habe ich mir später vorgehalten.«
Cato und Mietje wussten, wann französische Kriegsgefangene mit der S-Bahn transportiert wurden. Oft warteten sie zusammen auf das Klappern der Holzpantinen. Sie mischten sich geschickt unter diese und tauschten Zettel aus. Auch Zigaretten, Seife, Streichhölzer oder Nähgarn wechselten auf diese Weise den Besitzer. Das bereits war »Hochverrat«. Ob sich die jungen Frauen dessen bewusst waren? Im Herbst 1941 lernte Cato durch ihren Vater Libertas Schulze-Boysen kennen, eine sehr gut aussehende, blonde Frau. Sie führte Cato in den Freundeskreis um ihren Mann Harro ein. Der Jurist und Offizier im Luftfahrtministerium und Arvid Harnack, Ökonom und Oberregierungsrat, bilden das Zentrum einer aktiven Widerstandsgruppe. Cato, von Libertas zur Mitarbeit aufgefordert, war Feuer und Flamme. Sie half mit, ein sechsseitiges Flugblatt zu entwerfen, das zum Umsturz aufruft. Dieses Traktat wird an hunderte von Leuten verschickt. Es fällt der Gestapo in die Hände, was für viele Menschen das Todesurteil bedeutet.
Doch im Frühjahr 1942 ahnt das noch niemand. Schon gar nicht Cato. Sie ist zu diesem Zeitpunkt glücklich verliebt. Ihr neuer Freund heißt Heinz Strelow. Durch Cato kommt auch er in die Gruppe, die später vom NS-Regime zur »Roten Kapelle« gezählt wird. Heinz hält deren Aktivitäten für waghalsig und hochgefährlich. Bald danach verlassen er und Cato die Gruppe, auch weil ihnen der aggressive Führungsstil von Harro Schulze-Boysen nicht passt. Da wissen sie noch nicht, dass die Gestapo sie bereits im Visier hat. In der Urteilsbegründung wird später stehen, dass ihre gemeinsame Wohnung angeblich konspirativen Zwecken gedient habe. Dort sollen sie mit anderen die Flugblattaktionen besprochen haben.
Noch einmal wird Cato drei schöne Wochen verbringen. Dass es die letzten Ferien ihres jungen Lebens sein werden, ahnt sie nicht. Im Sommer 1942 wandert sie drei Wochen im Böhmerwald und Bayrischen Wald. Meist ist sie alleine unterwegs, sechs, sieben Stunden am Tag marschiert sie ihrem nächsten Ziel entgegen und wird langsam ruhiger. Ihrer Mutter schreibt sie, dass sie wieder Gras und Erde gerochen habe, »ich sehne mich nach einer ruhigen Zeit«. Die sollte ihr nicht mehr vergönnt sein.
Cato Bontjes van Beek - Ein Dokumentarfilm from Blubb-Films on Vimeo.
Am 20 September, morgens um acht Uhr 1942, klingelt die Gestapo an der Haustür von Jan Bontjes van Beek am Kaiserdamm 22. Cato und ihr Vater werden verhaftet und getrennt abgeführt. Mit ihnen fast alle anderen um Schulze-Boysen und Harnack. Im Polizeigefängnis am Alexanderplatz ist Cato in Untersuchungshaft. Ihr Vater hatte Glück und wird nach drei Monaten wieder entlassen. Ihre Schwester Mietje wurde nicht festgenommen. Für die Familie gilt nun, Cato aus dem Gefängnis herauszubekommen. Niemand, selbst Cato nicht, rechnet zu Anfang mit mehr als ein paar Jahren Zuchthaus.
Olga Bontjes van Beek hält sich nun häufig in Berlin auf. Sie will Cato so nahe wie möglich sein. Sooft sie darf, besucht sie ihre Tochter, bringt ihr frische Wäsche und Nahrungsmittel. Im Dezember 1942 bereits wurde der Prozess gegen das Ehepaar Schulze-Boysen, das Ehepaar Harnack, gegen Hans Coppi und sieben andere geführt. Chefankläger war einer der schlimmsten Kettenhunde Hitlers, Obergerichtsrat Manfred Roeder. Bis auf Mildred Harnack und Erika von Brockdorff wurde gegen alle Angeklagten die Todesstrafe verhängt. Die beiden Frauen erhielten zunächst Zuchthausstrafen. Im Januar 1943 wurden aber auch sie zum Tode verurteilt.
Cato erfuhr von diesen Urteilen. Und hofft weiter. Im Gefängnis mag sie jeder, auch die Aufseher. Laut sagte sie die 16 Gedichte auf, die sie auswendig konnte, pfiff und sang Melodien, die durch die dicken Mauern des Polizeigefängnisses drangen, und übte ihre Gymnastik. Niemand hinderte sie daran. Ab 15. Januar 1943 dann sollte das Reichskriegsgericht über neun Angeklagte, unter ihnen Heinz Strelow und Cato Bontjes van Beek, verhandeln. In der sogenannten Verhandlung, die Urteile standen längst fest, ließ sich Roeder über die unmoralische und dekadente Lebensweise von Cato und Heinz aus, der noch in Hamburg verheiratet war. Am 18. Januar wurden sieben Angeklagte zum Tode verurteilt. Cato wegen Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats und zur Feindbegünstigung. Cato erwartet eine schnelle Urteilsvollstreckung, wie es ja auch im ersten Prozess der Fall war. Und diese klare Erkenntnis macht sie völlig ruhig. »In mir ist eine Liebe zu Euch und zu allen übrigen Menschen. Ich bin völlig frei von Groll oder gar Hass«, schreibt sie ihrer Mutter.
Unermüdlich schreibt sie nun Briefe. Sie hatte doch noch so viel zu sagen. Catos Familie, Verwandte und Freunde schreiben Gnadengesuche, versuchen in diesem Frühjahr mit allen Mitteln, die Vollstreckung des Urteils hinauszuzögern. Zeit gewinnen, das war das wichtigste. Cato ihrerseits schreibt ein Gnadengesuch für ihren Freund Heinz Strelow. »Ein Mensch, der solche Gedichte schreibt kann niemals den Materialismus bejahen und darum auch kein Kommunist sein«, argumentiert sie schlau. Und sie schreibt in dem gleichen Brief, dass sie selbst keine Gnade erwartet, wenn nicht auch Heinz Strelow verschont würde. Umsonst. Am 13. Mai 1943 wurde Heinz Strelow durch das Fallbeil hingerichtet.
Reichsmarschall Hermann Göring empfahl als vorletzte Instanz für Gnadengesuche im Falle der Cato Bontjes van Beek eine Umwandlung der Todesstrafe in eine »angemessene Freiheitsstrafe«. Hitler folgte Görings Empfehlung nicht.
Tim Bontjes van Beek war inzwischen an der Ostfront. In jedem Brief fragte er …»wie geht es meiner armen Dodo?« Auch er schreibt ein Gnadengesuch, direkt an die Kanzlei Hitlers. Dann bekommt er überraschend Heimaturlaub. Cato erfährt es kurz vor ihrem Wiedersehen. »Sie weinte bitterlich, als sie mich sah. Und ich konnte sie kaum erkennen, weil sie so aufgedunsen war durch die Wassersuppen. Ich kämpfte mit den Tränen und konnte kaum sprechen«.
Tim Bontjes van Beek sieht seine Schwester Cato nach diesem Tag am 18. Juli 1943 nie wieder. Cato war inzwischen in das Frauengefängnis an der Barnimstraße verlegt worden. Kein gutes Zeichen. Die Angst machte sich wieder breit. Am 24. Juli darf Mietje Cato besuchen. Sie beschreibt den Besuch ihrer Mutter: »[…] Und dann wurde Cato hereingeführt, in Pantinen, Socken und einem grauen Kittel. Und die Wärter waren dabei, ich bekam keine Luft. ›Wie lange schaffst du das noch?‹ Cato sagte: ›Bis dahin…!‹ und zeigte auf die Binde an ihrem Arm, auf der die Buchstaben ›TK‹ standen – ›Todeskandidat‹.«
Der 5. August 1943 war ein schöner Sommertag, mit einem Himmel, wie Cato ihn liebte. Blau mit wenigen Wolken. Mit 13 anderen Mädchen und Frauen wurde sie nach Plötzensee gefahren. Cato begriff. Zu Pfarrer Ohm sagte sie: »Nun ist es soweit«. Dann verlangte sie drei Briefe zu schreiben. Pfarrer Ohm verließ sie, um nicht zu stören. Als er wiederkam, zeigte sie ihm lächelnd ihren tintenbeklecksten Finger. Sie hatte an ihre Geschwister Tim und Mémé und an ihre Mutter Olga geschrieben. Um 16.45 Uhr bat sie den Pfarrer, mit ihr das Abendmahl zu feiern. Gegen 19 Uhr betritt sie die Richtstätte. Sie hat noch 40 Minuten zu leben, bevor sie vom Scharfrichter zum Fallbeil geführt wird. Aufrecht und ohne zu zögern sei die zweiundzwanzigjährige Cato Bontjes van Beek in den Tod gegangen, ganz so, wie sie es sich vorgenommen hatte, beschreibt Hermann Vinke in seinem Buch die Szene.
Anhand der überlieferten Protokolle konnte rekonstruiert werden, dass die Hinrichtungen im Dreiminutentakt erfolgen. Cato Bontjes van Beek musste als Vorletzte um 19.42 Uhr ihr junges Leben dem Unrechtsstaat hingeben. Mit ihr starben an diesem Tag 13 junge Frauen und drei Männer. Hilde Coppi war eine der Frauen. Ihr Sohn Hans war acht Monate, als sich seine Mutter unter das Fallbeil legen musste. Liane Berkowitz wurde erst wenige Tage zuvor Mutter eines Mädchens. Auch für sie gab es keine Gnade.
Für Cato Bontjes van Beek gibt es keine Schublade. Sie war keine politische Widerstandskämpferin, keine religiöse und auch keine intellektuelle. Sie war mutig, schon als Kind. Und sie hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Vielleicht zog sie ihre Kraft aus ihrer Empathie den Menschen gegenüber.
Am 5. August 1943 starben ab 19 Uhr im Dreiminutentakt folgende Frauen und Männer durch das Fallbeil: Stanislaus Wesolek, Emil Hübner, Dr. Adam Kuckhoff, Frida Wesolek, Ursula Goetze, Maria Terwiel, Oda Schottmüller, Rose Schlösinger, Hilde Coppi, Klara Schabbel, Else Imme, Eva-Maria Buch, Anni Krauss, Ingeborg Kummerow, Cato Bontjes van Beek, Liane Berkowitz.
Nach dem Mauerfall
Sophie Scholl kennen alle. Aber Cato Bontjes van Beek? Oder all die anderen, deren Namen nicht in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gedrungen sind. Ideologische Verblendung verhinderte es. Erst nach der Wende 1990 näherte man sich der Wahrheit. 1991 hat sich das Gymnasium in Achim bei Bremen in Cato Bontjes van Beek Gymnasium umbenannt und ein Archiv über sie eingerichtet. In Fischerhude wird mittlerweile an sie erinnert.
Die Legende vom angeblich monströsen KGB-Spionagering »Rote Kapelle« wurde in der Bundesrepublik jahrzehntelang gepflegt - das passte in die Zeit des Kalten Krieges. Doch was hatten sie wirklich getan? Sie hatten Plakate an Hauswände geklebt: »Das Nazi-Paradies. Krieg-Hunger-Lüge-Gestapo - Wie lange noch?«, hatten Flugschriften per Post verschickt. Sie hatten Juden geholfen, NS-Verbrechen dokumentiert, »Feindsender« abgehört und Angehörige über den Verbleib ihrer kriegsgefangenen Söhne und Männer informiert. Die Widerstandsgruppe hielt auch Kontakt zu einem Agenten der sowjetischen Botschaft in Berlin und warnte vor dem Angriff auf die Sowjetunion. 1941 erhielten sie ein Funkgerät, um Informationen über den Kriegsverlauf nach Moskau zu funken. Es funktionierte nur kurz. Einen einzigen Testspruch konnten sie absetzen: »Tausend Grüße allen Freunden!«
Cato Bontjes van Beek selbst hat lediglich an besagtem Traktat mitgearbeitet und Flugblätter verteilt. Die Aktionen zusammen mit Mietje auf den S-Bahnhöfen zugunsten der französischen Kriegsgefangenen waren der Gestapo nicht bekannt und somit auch kein Anklagepunkt.
Noch Ende der 1980er Jahre stritt man in Westdeutschland darüber, ob die »Rote Kapelle« in die Ausstellung der staatlichen Gedenkstätte Deutscher Widerstand aufgenommen werden sollte. In der gewesenen DDR galten ihre Mitglieder als antifaschistische Helden.
Späte Rehabilitation
Olga Bontjes van Beek hat zwölf Jahre lang gegen das Land Niedersachsen prozessieren müssen, um 1999 die Rehabilitierung ihrer Tochter zu erreichen. »Schade, daß ich nichts auf der Welt lasse als nur die Erinnerung an mich«, hat Cato in ihrem letzten Brief an ihre Mutter geschrieben.
Verfasserin: Jürgen Zimmer
Zitate
Ihre Schwester Mietje schrieb später über ihre Kindheit: »Wir waren als Kinder wie Hühner. Wir gingen ein und aus, und wenn die Erwachsenen sich unterhielten, durften wir zuhören. Wir kriegten schon früh die politischen Diskussionen mit. Es wurde selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir das schon richtig machten. Und wir konnten uns dazugesellen oder es lassen. Wir hatten alle Freiheit auf unserer Seite, wenn wir aber Hilfe brauchten, war unsere Mutter Olga natürlich da«.
Der junge Wehrpflichtsoldat und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt schrieb in Zeit Online am 28. Mai 2003 über Cato: »Ich bin ihr nur wenige Male begegnet, aber ich erinnere sie als überaus temperamentvoll, vielseitig interessiert und voller Unternehmungslust. Jedoch war es nicht sie, auch nicht ihre Schwester Mietje, die mich damals als jungen Soldaten öfter am Wochenende nach Fischerhude gezogen hat, sondern vielmehr ihre Mutter Olga. In deren gastfreundlichem kleinen Haus atmete man die Luft der Musik, der Malerei, der Keramik. Für mich ist […] vor allem das Bontjes-Haus in der Bredenau ein Innbegriff der Freiheit geworden – so erinnere ich sie bis heute«.
Mietje Bontjes van Beek schrieb später über ihre gefährliche Aktionen auf den S-Bahnhöfen: »Beim Aussteigen konnte man es immer einrichten, sich unbeobachtet unter die Gefangenen zu mischen. Die musste stets sehr schnell geschehen und dauerte nur ein paar Sekunden. Der Zug hielt an, man ließ einige Leute aussteigen, wartete kurz und sprang aus dem Abteil auf den Bahnsteig, wo die Gefangenen bereits vorüberzogen. Mit gespielter Eile drängelte man sich durch einen Trupp, übergab einen Zettel oder nahm blitzschnell einen Brief entgegen und hastete dem Ausgang zu«.
Im Gefängnis am Alexanderplatz schrieb Cato an den Mitgefangenen Rainer Küchenmeister über ihren Prozessausgang: »Von der Liebe zu den Menschen habe ich in meinem Schlußwort gesprochen. Es war mir ja auch nie zuvor so klar, wie sehr ich Deutschland liebe. Ich bin ja keine Kommunistin. Rainer, als ich wusste, jetzt kannst du noch etwas sagen, um dein Leben zu retten, da gab es keine Politik mehr für mich, sondern einzig und allein stand vor mir das Bild, daß es nur eines gibt, und das ist die Liebe der Menschen untereinander. Ich bin kein politischer Mensch, ich will nur eines sein, und das ist: ein Mensch. Nennt man dies nun: dem Tod ins Auge sehen. Es verpflichtet zu so vielem. Ich habe nicht um mein Leben gebettelt. Rainer, da hat der Mensch gezeigt, was er ist – nicht bei der Beweisaufnahme, sondern bei seinem Schlusswort. Ich werde das nie vergessen – sollte ich leben bleiben, jedes andere Urteil ist mit egal. Nur leben will ich, leben, leben!«
Links
Die Gedenkstätte Plötzensee. Die Rote Kapelle. Mit Fotos und Dokumenten.
Online verfügbar unter https://www.gedenkstaette-ploetzensee.de/totenbuch/recherche/person/bontjes-van-beek-cato, zuletzt geprüft am 20.07.2023.
Mietje Bontjes van Beek - Familie.
Online verfügbar unter https://www.mietjebontjesvanbeek.com/familie, zuletzt geprüft am 25.07.2023.
Andresen, Geertje (2012): Reichskriegsgericht - Brutal und zynisch. In: Der Freitag, 26.08.2012.
Online verfügbar unter https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/brutal-und-zynisch, zuletzt geprüft am 20.07.2023.
Aviva-Berlin.de (2010): Cato - ein Dokumentarfilm von Dagmar Brendecke.
Online verfügbar unter https://www.aviva-berlin.de/aviva/Found.php?id=142932, zuletzt geprüft am 20.07.2023.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Cato Bontjes van Beek. Bücher und andere Medien.
Online verfügbar unter https://d-nb.info/gnd/119171996, zuletzt geprüft am 20.07.2023.
Schmidt, Helmut (2003): Widerstand: »Nur eins sein – ein Mensch«. Rezension. In: DIE ZEIT Nº 23/2003. Nur mit Account vollständig zu lesen.
Online verfügbar unter http://www.zeit.de/2003/23/P-Cato/komplettansicht, zuletzt geprüft am 25.07.2023.
Stolpersteine in Berlin: Cato Bontjes van Beek.
Online verfügbar unter http://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/3688, zuletzt geprüft am 20.07.2023.
Track, Lara: Cato Bontjes van Beek - Als junge Frau im Widerstand. Ausführliche Biografie mit Links und Bildern. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.
Online verfügbar unter https://www.lpb-bw.de/v-beek-8-20130, zuletzt geprüft am 25.07.2023.
Literatur & Quellen
Neuerscheinungen ab 2020
Bontjes van Beek, Cato; Vinke, Hermann (2020): “Leben will ich, leben, leben”. Die junge Frau, die gegen die Nazis kämpfte und ihr Leben ließ. 1. Auflage. München. Elisabeth Sandmann. ISBN 9783945543801.
(Suche in Almuts Buchhandlung | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Vinke, Hermann (2021): Cato Bontjes van Beek. Ein Porträt. Ottersberg. Atelier im Bauernhaus. ISBN 9783960450818.
(Suche in Almuts Buchhandlung | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ältere Publikationen
Bedürftig, Friedemann (2005): Lohnende Bekanntschaften. Die etwas anders Großen des 20. Jahrhunderts. Berlin. Vorwärts-Buch. (Wissen) ISBN 3866020627. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Beermann, Gerrit (1995): Jüdisches Leben in Achim. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Achim. Cato-Bontjes-van-Beek-Gymnasium. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bei der Wieden, Brage und Lokers, Jan (Hg.) (2002): Lebensläufe zwischen Elbe und Weser. Ein biographisches Lexikon. Stade. Landschaftsverb. der Ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden. ISBN 3-931879-08-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bontjes van Beek, Mietje (1998): Verbrennt diese Briefe! Kindheit und Jugend in der Hitlerzeit ; 1922 - 1945 ; Fischerhude, Berlin, Allgäu. Fischerhude. Verl. Atelier im Bauernhaus. ISBN 3-88-132607-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Flügge, Manfred (1996): Meine Sehnsucht ist das Leben. Eine Geschichte aus dem deutschen Widerstand ; Dokumentar-Roman. 1. Aufl. Berlin. Aufbau-Verl. ISBN 3-351-02347-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Geyken, Frauke (2014): Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler. 1. Aufl. München. Beck. ISBN 3-406-65902-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Rosiejka, Gert (1986): Die Rote Kapelle. »Landesverrat« als antifaschistischer Widerstand. 1. Aufl. Hamburg. Ergebnisse-Verl. (Ergebnisse, 33) ISBN 3-925622-16-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Vinke, Hermann (2013): Cato Bontjes van Beek. Ein Porträt. Erw. und aktualisierte Neuausg., 1. Aufl. Zürich. Arche. ISBN 978-3-7160-2696-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Quellen
Archiv Gymnasium Cato Bontjes van Beek in Achim bei Bremen.
Bundeszentrale für politische Bildung Online verfügbar unter http://www.bpb.de/, abgerufen am 14.10.2014.
Kluge, Heidelore (1994): Cato Bontjes van Beek. »Ich will nur eins sein und das ist ein Mensch« ; das kurze Leben einer Widerstandskämpferin ; 1920 - 1943. 2. Aufl. Stuttgart. Urachhaus. 1995. ISBN 3-8251-7003-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Vinke, Hermann (2003): Cato Bontjes van Beek. »Ich habe nicht um mein Leben gebettelt« ; ein Porträt. Zürich. Arche. ISBN 3-7160-2313-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wikipedia: Cato Bontjes van Beek. Online verfügbar unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?oldid=132036087, abgerufen am 14.10.2014.
Bildquellen
Obere Bildcollage, ganz rechts, 2. Abb. von oben: Aus: Regina Griebel, Marlies Coburger und Heinrich Scheel, Erfasst? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Eine Foto-Dokumentation. Hg. In Verbindung mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Halle/Saale: audioscop 1992
Untere Fotocollage, Foto oben rechts: © Nachlass Katja Meirowsky
Alle anderen Abbildungen: © Archiv S. Bontjes van Beek, Fischerhude
Herzlichen Dank an Saskia Bontjes van Beek für die Hinweise zu den Fotos.
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