Fembio Specials Berühmte Mathematikerinnen Hypatia
Fembio Special: Berühmte Mathematikerinnen
Hypatia
(Hypatia von Alexandreia; Hypatia Alexandrina; Hypatia von Alexandria)
geboren zwischen ca. 355 und 370 in Alexandria (Ägypten)
gestorben im März 415 in Alexandria (Ägypten)
griechische Mathematikerin, Astronomin und Philosophin
1600. Todestag im März 2015
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
An einem Tag im März, kurz vor Ostern des Jahres 415, wird in Alexandria die Gelehrte Hypatia von einem Trupp christlicher Mönche auf der Straße ergriffen und unter Schlägen in die Kirche Kaisarion geschleppt. Dort hacken ihr die Mönche mit Ziegelscherben (nach anderen Quellen: mit scharfen Muschelschalen) bei lebendigem Leibe das Fleisch vom Körper und bringen schließlich ihren blutüberströmten, zerfetzten und zerstückelten Leichnam an den heute nicht mehr nachweisbaren Ort Kinaron, wo er verbrannt wird.
Das grausige Ende einer der bedeutendsten Gelehrten der griechisch-römischen Antike – und nach Aussagen von HistorikerInnen der bis zu Marie Curie berühmtesten Wissenschaftlerin aller Zeiten – ist der Nachwelt durch Zeitzeugenberichte überliefert. Die Tatsache, dass ihr Name und ihr Wirken über Jahrhunderte jedoch nahezu vergessen waren, bis sie von Romanschriftstellern des 19. Jahrhunderts »wiederentdeckt« wurde, wirft Fragen auf: Warum und in wessen Interesse wurde Hypatia nach ihrem Tod ignoriert und »vergessen«? Wieso konnten nicht wenigstens ihre Schriften gerettet und bewahrt werden – ist das doch bei nahezu allen, sogar deutlich früher lebenden (männlichen) Denkern gelungen. Auch das Wenige, das von ihr überliefert ist, ist lächerlich wenig im Vergleich zu anderen antiken Denkern und Gelehrten.
Dieser Mangel an Quellen und belegbaren Fakten lädt dazu ein, über Hypatia als Person, als Wissenschaftlerin und Philosophin zu spekulieren und je nach Weltanschauung der Autorin oder des Autors zu bewerten oder für eigene Positionen zu vereinnahmen.
Alexandria wurde 331 vor unserer Zeitrechnung durch Alexander den Großen gegründet und planmäßig angelegt. Sie war eine prosperierende, wohlhabende Stadt, eine Weltstadt ersten Ranges. Schon bald nach der Stadtgründung waren eine Universität, das Museion, und die sagenhafte Bibliothek errichtet worden. Im Museion wurden, anders als an den Akademien des griechischen Mutterlandes, nicht nur Philosophie, Philologie und andere Geisteswissenschaften gelehrt, sondern auch Naturwissenschaften. Zudem wurden Forschungen auf dem Gebiet der Technik gefördert. Ihre Blüte erlebte diese Bildungs- und Forschungsstätte während der Zeit der ptolemäischen Herrscher, als sich hier die berühmtesten und namhaftesten Gelehrten versammelten. Am Museion wurden die ersten Leichen seziert, unser Kalender »erfunden«, geometrische Berechnungen angestellt, die Grundlagen des Buch- und Bibliothekswesens entwickelt, Homers Ilias für die Nachwelt kopiert, das Alte Testament ins Griechische übersetzt. Es wurde bewiesen, dass die Erde rund ist und ihr Umfang sowie die Entfernung zum Mond berechnet. Aber auch nach der Eroberung Ägyptens durch die Römer um 30 v.u.Z. blieb Alexandria Anziehungspunkt für die bedeutendsten Mediziner, Philosophen, Philologen, Mathematiker, Geographen und Astronomen ihrer Zeit, noch vor Athen, Rom oder gar Konstantinopel.
Zu der Zeit, als Hypatia in Alexandria lebt, gehört die Stadt noch immer zu den glanzvollen Metropolen der damaligen Welt, wenn auch das Museion seine herausragende Stellung mittlerweile verloren hat. Der größte Teil der alexandrinischen Bevölkerung setzt sich zusammen aus Griechen, die meist noch ihrer hellenischen Kultur und Religion anhängen, den Juden und den immer zahlreicher werdenden Christen. In all diesen Bevölkerungsgruppen zählen Frauen nicht viel; sie gehören zum Besitz der Männer und dienen bestenfalls als Gefäß für deren Kinder. Um so überraschender ist, dass sich – die unverheiratet bleibende – Hypatia an die Spitze der Gelehrten des Museions setzen kann.
Theon, Hypatias Vater, ist Grieche und lehrt als Mathematiker und Astronom am Museion. Über Hypatias Mutter ist nichts bekannt, außer dass sie früh starb. Theon lässt seiner Tochter die beste Ausbildung angedeihen. Möglicherweise reist sie zu Studienzwecken sogar nach Athen. Nach ihrer Rückkehr lehrt sie Mathematik, Astronomie, Philosophie und Mechanik. Obgleich es mittlerweile eigene Schulen für Hellenen, Juden und Christen gibt, unterrichtet sie Anhänger (allerdings keine Anhängerinnen) sämtlicher Religionen. Zu ihren Schülern und Bewunderern gehört auch Synesios, der spätere Bischof von Kyrene.
Neben ihrer Lehrtätigkeit verfasst Hypatia wissenschaftliche Werke. Das bedeutendste unter ihnen ist ein 13-bändiger Kommentar zur Aritmetica des Diophantos. Diophantos, der »Vater der Algebra«, hatte die Gleichungen mit ganzzahligen Lösungen entwickelt und arbeitete mit quadratischen Gleichungen. Erst ZahlentheoretikerInnen der Neuzeit haben diesem etwas Gleichwertiges beifügen können. Indem nun Hypatia Alternativlösungen vorschlägt, neue Problemstellungen formuliert und die diophantische Zahlentheorie kommentiert, zeigt sich ihre hohe wissenschaftliche Qualifikation. In einer weiteren, achtbändigen Abhandlung beschäftigt sich Hypatia mit den Kegelschnitten des Apollonius von Perga. Sie ist fasziniert von der Ellipse – eine Figur, die sich ergibt, wenn eine Ebene durch einen Kegel gelegt wird – und versucht damit, die unregelmäßigen Planetenumlaufbahnen zu erklären. Nach ihrem Tod geraten ihre Studien zu den konischen Kurven in Vergessenheit, bis 1200 Jahre nach ihr Johannes Kepler herausfindet, dass eine dieser Kurven die Bewegung der Planeten beschreibt.
Außerdem unterstützt Hypatia ihren Vater bei seinen Arbeiten. Theon hatte Euklids Elemente der Geometrie revidiert und verbessert; an der Revision ist Hypatia wahrscheinlich beteiligt. Diese bearbeitete Fassung wird noch heute benutzt. Zudem ist sie Mitautorin einer seiner Abhandlungen über Euklid und schreibt mindestens einen Band der Werke Theons über Ptolemäus, der um das Jahr 150 alles mathematische und astronomische Wissen seiner Zeit systematisch zusammengefasst hatte.
Hypatias Diagramme zu den Bewegungen der Himmelskörper könnten ein Teil dieses Ptolemäus-Werks sein oder aber eine selbstständige Arbeit. Zumindest übernimmt sie Ptolemäus‘ geozentrisches Weltbild nicht unhinterfragt – also die Auffassung, dass sich Sonne, Mond und Sterne um eine ruhende Erde drehen – welches bis ins 16. Jahrhundert die einzig akzeptierte Lehrmeinung bleibt. Stattdessen beschäftigt sie sich auch mit dem heliozentrischen Weltbild des griechischen Mathematikers Aristarchos. Aber ebenso wenig wie Aristarchos mehr als 600 Jahre zuvor kann sie oder können Kopernikus, Kepler und Galilei mehr als 1000 Jahre nach ihr unwidersprochen die Theorie verbreiten, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Das ist aus religiösen Gründen nicht opportun, und es droht mindestens ein Strafverfahren wegen Gotteslästerung. Erst 1822 erlaubt die päpstliche Glaubenskongregation grundsätzlich die Verbreitung des heliozentrischen Weltbilds.
Ihre Briefe an Synesios zeigen Hypatias Interesse für Mechanik: Sie enthalten zahlreiche Zeichnungen für verschiedene wissenschaftliche Instrumente, unter anderem für Astrolabien. Mit dieser Apparatur lassen sich Planeten- und Sonnenpositionen bestimmen sowie die Tierkreiszeichen und Aszendenten. Zwar ist dieses Gerät im Prinzip bereits bekannt, aber mit ihrer Weiterentwicklung, die aus zwei drehbaren Scheiben besteht, lassen sich Aufgaben der sphärischen Astronomie bearbeiten. Ferner werden Hypatia die Entwicklung eines Wasserstandsmessers, eines Wasserdestillierapparates und eines Hydrometers zur Bestimmung des spezifischen Gewichts von Flüssigkeiten zugeschrieben.
Weitaus bekannter und zu ihrer Zeit populärer als ihre naturwissenschaftlichen Arbeiten sind Hypatias philosophische Tätigkeiten. Sie wird auf den Lehrstuhl für platonische Philosophie berufen und erläutert in ihren Vorlesungen die Werke der bedeutendsten antiken Denker. Gerühmt wird ihre besondere Gabe, mit den Menschen zu sprechen und ihnen Wissen zu vermitteln. Von vielen ihrer ZeitgenossInnen wird Hypatia bewundert und verehrt. Ihr jüdischer Schüler Hesychius schreibt über sie: »Im Philosophentalar zog sie durch die Innenstadt und sprach für alle, die zuhören wollten, öffentlich über die Lehren des Platon oder des Aristoteles oder irgendeines anderen Philosophen […] Die Magistraten pflegten für die Verwaltung der Staatsgeschäfte zuerst ihren Rat einzuholen.«
In der Tat verkehrt Hypatia mit den politisch Mächtigen. Nicht nur ist sie Wortführerin der hellenischen Gemeinde und erteilt wie selbstverständlich dem Magistrat Ratschläge; sie ist auch Orestes freundschaftlich verbunden, dem römischen Statthalter in Ägypten und damit ranghöchsten Staatsvertreter. Der ist zwar Christ, aber tolerant gegenüber Anders- und Nichtgläubigen. Das bringt ihn in Gegnerschaft zu Kyrill, seit 412 Bischof von Alexandria und fanatischer Christ. Dieser will mit allen Mitteln das »rechtgläubige« Christentum verbreiten; auf seiner Liste stehen Juden, Heiden, »Pseudo-Christen« – wie nach seiner Meinung Orestes – und die verschiedenen christlichen Sekten. Mittels Intrigen und Gewalt schaltet er die unerwünschten Sekten aus oder bringt sie »auf Linie«. Auf seine Kappe gehen auch ein Mordversuch an Orestes sowie ein Pogrom an der jüdischen Gemeinde. Tausende von Jüdinnen und Juden werden aus der Stadt gejagt, ihre Häuser beschlagnahmt oder angezündet und ihre Synagogen zu Kirchen umgewandelt.
Zu Hilfe ist ihm der Mönchsorden der Parabalani, eine radikale, intolerante, asketische, größtenteils analphabetische Gemeinschaft. Ihre Aufgabe ist zuvörderst die Pflege der von Typhus, Cholera, Fleckfieber und anderen Seuchen heimgesuchten EinwohnerInnen der Stadt. Sie verstehen sich aber auch als Wortführer der Armen, für die sich sonst niemand interessiert, und schaffen es immer wieder, diese gegen Missliebige – vor allem Wohlhabende und Gebildete – aufzuwiegeln. Mit Fürsorge und Gewalt missionieren sie in ihren braunen Kutten für das Christentum: Wissen zählt nicht, sondern nur der Glaube. Hier ist Platz für die Armen, die Ungebildeten, die sozial Verachteten.
Aber nur begrenzt für Frauen, und für eine Frau wie Hypatia schon gar nicht. Als Griechin, als Anhängerin des wissenschaftlichen Rationalismus und aufklärerischen Bildungsguts, die sich weigert, ihre Ideale aufzugeben und Christin zu werden, befindet sie sich in zunehmender Gefahr. Für Kyrill ist diese unabhängige, gebildete, eigenständig denkende und handelnde Frau (!), die sich ohne Scheu in der Öffentlichkeit und unter Männern bewegt und mit ihrer Philosophie und Wissenschaft »heidnische Propaganda« betreibt, eine unerträgliche Provokation. Mit ihrer Ermordung durch die Parabalani werden mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der hellenischen Kultur und damit der griechischen Gemeinschaft wird ein endgültiger Schlag versetzt. Viele Gelehrte verlassen die Stadt; Alexandria verliert seine Bedeutung als ein führendes Zentrum der Bildung und Wissenschaft. Die Verkündung von Platons Philosophie findet mit dem Tod Hypatias nicht nur in Alexandria, sondern im ganzen Römischen Reich ihr Ende. Kyrill kann den innenpolitischen Machtkampf, auch um die weltliche Macht, für sich entscheiden: Orestes quittiert den Dienst und verlässt ebenfalls die Stadt. Der Frauenhass der christlichen Würdenträger bricht sich erstmals Bahn: Hypatia wird von HistorikerInnen als erstes Opfer des Glaubenswahns gesehen, der sich zu den späteren Hexenverfolgungen steigert.
Der Mord an Hypatia bleibt ungesühnt. Untersuchungen darüber, inwieweit er selbst in die Ermordung Hypatias verwickelt ist, weiß Kyrill durch Bestechung zu verhindern. Er lebt noch bis 444 und wird 1882 heiliggesprochen. Das reichhaltige Wissen der alten GriechInnen überlebt teilweise in Byzanz und später durch die islamischen Gelehrten. Der römisch-christliche Teil der Welt versinkt für die nächsten 1000 Jahre im wissensfeindlichen »finsteren« Mittelalter.
Verfasserin: Christine Schmidt
Zitate
Verteidige dein Recht zu denken. Denken und sich zu irren ist besser, als nicht zu denken. [Hypatia zugeschrieben]
Ich glaube an die Philosophie. [Hypatia zugeschrieben]
In Alexandria lebte eine Frau mit Namen Hypatia, die eine Tochter des Philosophen Theon war. Sie verfügte über eine so herausragende Bildung, dass sie sämtliche Philosophen ihrer Zeit ausstach. Ihre Lehrtätigkeit brachte sie an die Spitze der platonischen Schule, die sich von Plotin herleitet, und sie unterrichtete jedermann in allen Wissensgebieten, der danach verlangte. Den Behörden gegenüber trat sie freimütig und mit dem Selbstbewusstsein auf, das ihre Bildung ihr verlieh, und sie zeigte auch keine Scheu, sich in der Gesellschaft von Männern zu bewegen. Wegen ihrer außergewöhnlichen Intelligenz und Charakterstärke begegnete ihr nämlich jeder mit Ehrfurcht und Bewunderung. [Sokrates Scholastikos (ca. 380 – 440)]
Darf ich dich sehen, hören, huldige ich kniend, das Sternenhaus vor Augen, wo die Jungfrau wohnt. Denn auf zum Himmel weist dein Handeln und die Kunst, mit der du sprichst, erhabene Hypatia, du strahlendes Gestirn geistreicher Wissenschaft! [Palladas (um 400)]
Links
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Frauen-Informatik-Geschichte: Hypatia von Alexandria. Online verfügbar unter http://www.frauen-informatik-geschichte.de/index.php?id=24, abgerufen am 30.03.2015.
Hinke, Bella: Hypatia von Alexandria. Online verfügbar unter http://www.kaiserin.de/hypatia-von-alexandria.php, abgerufen am 30.03.2015.
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Oregon State University eCampus: Great Philosophers: Hypatia. Online verfügbar unter http://oregonstate.edu/instruct/phl201/modules/Philosophers/Hypatia/hypatia.html, abgerufen am 30.03.2015.
Wikipedia: Hypatia. Text wurde in Liste der exzellenten Wikipedia-Artikel aufgenommen. Online verfügbar unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?oldid=139599400, abgerufen am 30.03.2015.
Wolschner, Klaus: 415 – Mord an Hypatia. Online verfügbar unter http://www.medien-gesellschaft.de/html/hypatia.html, abgerufen am 30.03.2015.
WWU Münster, Fachbereich Physik: Hypatia von Alexandria. Online verfügbar unter http://www.uni-muenster.de/Physik/Studieninteressierte/Frauen/geschichte/hypatia_von_alexandria.html, abgerufen am 30.03.2015.
Zielinski, Sarah: Hypatia, Ancient Alexandria’s Great Female Scholar. Hg. v. smithsonian.com. Online verfügbar unter http://www.smithsonianmag.com/womens-history/hypatia-ancient-alexandrias-great-female-scholar-10942888/?no-ist, abgerufen am 30.03.2015.
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Literatur & Quellen
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Bildquellen
Ignite Tattva Viveka Wikipedia
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