Fembio Specials Künstlerinnen und Kunstförderinnen der GEDOK Mary Wigman
Fembio Special: Künstlerinnen und Kunstförderinnen der GEDOK
Mary Wigman
geboren am 13. November 1886 in Hannover
gestorben am 18. September 1973 in Berlin
deutsche Tänzerin, Choreographin und Tanzpädagogin
50. Todestag am 18. September 2023
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Die vom Tanz Besessene hieß eigentlich Karoline Sofie Marie Wiegmann und wurde 1886 in Hannover geboren. Ihre Eltern wohnten in der Schmiedestraße 33, hatten dort ein Nähmaschinen- und Fahrradgeschäft… Der nicht weit entfernte Hauptbahnhof mit ein- und ausfahrenden Zügen weckte in Marie Wiegmann, die schon als Kind Mary genannt wurde … schon früh Sehnsucht nach Reisen und Erlebnissen.
(Wiegel)
Im Herbst 1919 wird Mary Wigman in Hamburg zum ersten Mal von einem deutschen Publikum als neue große Tänzerin gefeiert. Sie ist fast 33 und wird sich in den folgenden Jahren international als Schöpferin und Vermittlerin einer eigenständigen Kunst etablieren: des Ausdruckstanzes.
1910 verläßt sie Hannover, wo sie aufwuchs, in der Hoffnung, an der Schule für Rhythmische Gymnastik in Hellerau bei Dresden etwas von ihren bislang unspezifischen Wünschen nach Selbständigkeit und KünstlerInnentum verwirklichen zu können. Sie schließt die Ausbildung erfolgreich ab, die Visionen von großer, aus dem eigenen Rhythmus und Impuls entstehender Bewegungskunst aber erfüllen sich nicht.
Auf dem Monte Verità in Rudolf von Labans “Schule für Kunst” erfährt sie 1913 endlich die Wahrheit: “Es war, als käme ich nach Hause! […] dies wunderbare Gefühl, mit dem ich dastand und plötzlich unter der Diktatur eines Trommelrhythmus glücklich und selig war.” Um dieses Glücksgefühls der Erfüllung willen wird Mary Wigman ihr Leben lang Krankheiten, seelische Krisen und wirtschaftliche Not auf sich nehmen.
Ihr Sendungsbewußtsein ist ebenso groß wie ihr künstlerisches Genie und ihre Arbeitsdisziplin: “Ich wollte mehr! Und stürzte mich in die Erarbeitung der tänzerischen Technik, … [die] für den neuen, den freien Tanz noch gar nicht existierte”, erzählt sie im Rückblick.
Die unbeugsame Ausdauer, die sie im künstlerischen Suchen und Schaffen bewies, stehen in nicht leicht verständlichem Widerspruch zu ihrer Haltung gegenüber dem Nazi-Regime. Sie erlebt die Aufmärsche des “Dritten Reiches” anfangs als bewundernswerte Massenchoreographien – Wigman weiß um den notwendigen Gestaltungswillen und Organisationsaufwand. Durch ihre Beziehung zu Hanns Benkert, später einer der führenden Rüstungsindustriellen der NS-Kriegswirtschaft, wird sie geschützt und beeinflußt. Aber ab 1941, nachdem Benkert sie verlassen hat, erleidet sie als Vertreterin der “entarteten Kunst” – wenn auch im Vergleich zu ihren verfolgten KollegInnen und SchülerInnen geringe – Repressionen: Sie verliert ihre Tanzschule in Dresden, ihre Arbeit wird beschnitten und behindert. Doch eine politische Stellungnahme zu diesen Jahren gibt es von ihr nicht, auch nicht nach Kriegsende, das sie in Leipzig erlebt.
Als sich allerdings ein zweites Mal eine Ideologie ihrer Berühmtheit und ihrer Kunst bedienen will, entzieht sie sich und geht 1949 nach Westberlin. Dort stirbt sie 1973 fast 87jährig und hinterläßt eine nun schon nicht mehr “neue” Tanzkunst, die weiter wirkt.
(Text von 1997; für FemBio aktualisiert von Luise F. Pusch)
Verfasserin: Katharina Möller-Weitz
Zitate
Neu ist, wie sie den Raum schafft und beherrscht. Mit wenigen klaren Bewegungen gibt sie die Dimensionen an. Es scheint, als ob sie den Raum, in dem sie tanzt, aus der Leere herausreißt.
(Deutsche Allgemeine Zeitung, 1920er Jahre)
Mary Wigman … was, during the 1920s and '30s, the most highly regarded modern dancer and choreographer in Central Europe and one of the principal reasons for the ascendancy there of MODERN DANCE over classical ballet until the end of World War II.
(The Academic American Encyclopedia (Electronic Version). 1996. Danbury, CT. Grolier)
[…] Darauf tanzte die Frau den wilden Tanz der Lust, der alle Fesseln sprengte und alle Grenzen überschritt. Der König verhüllte sein Haupt: “Dafür mußt du sterben, Weib!” Und die Sklavinnen brachten den schwarzen Schleier des Todes. Aber die Tänzerin achtete seiner nicht und tanzte über ihn hinweg den Tanz des Leides […]
(Tanzgedicht zu “Die sieben Tänze des Lebens” von Mary Wigman, 1921)
Ich sehe sie noch vor mir, wie sie plötzlich vom äußersten Ende des gelben Saals auf mich zuraste, zwei Paukenschlegel ergriff und auf mich losging. Vor Schreck rutschte ich blitzschnell unter den schützenden Flügel und harrte des Donnerwetters. Mary hämmerte mit den Paukenschlegeln auf den Flügel ein, raste dann tobend wieder weg, kam erneut zurück und fiel mit dramatischer Geste vor mir auf die Knie, ich saß derweil noch immer unter dem Flügel. Mit liebkosender Stimme flehte sie: “Madonna, verzeih mir”.
(Aleida Montijn (1908-89), Komponistin und zeitweise Klavierbegleiterin Mary Wigmans, in ihren Erinnerungen (1988))
Welch ein Wahnsinn … Als einzige Frau unter Männern! Männer, die nur das eine kennen, das Kommando, dem blindlings gefolgt wird. Jeder Einwand, jeder Zweifel beiseite geschoben, als lästig, ja als fragwürdig in der Grundhaltung angesehen.
(Mary Wigman)
Männer! – die 100prozentigen – mein Gott, man kann sie lieben, aber man müßte sie hassen! Und man braucht sich nicht zu wundern, daß Krieg über der Erde ist.
(Mary Wigman)
Mary Wigmans Gesicht war mir ein Erlebnis - die hohen Backenknochen, der große Mund, die hohe, klare Stirn, das Getriebene im Ausdruck, diese Trance, in der sie ihre Tanzideen empfing und gestaltete, eine Entrücktheit, die sie nicht vergessen ließ, daß hinter der Berufung der Beruf stand und von ihr verlangte, mit beiden Beinen, bis zur kleinen Zehe, fest auf der Erde zu stehen. Ich hing mit meinem ganzen Wesen an ihr. Das waren die Tänze, von denen ich einst geträumt hatte. [...] Und was für eine Komödiantin diese Mary Wigman sein konnte, wenn sie wollte! Wie maßlos komisch sie mit einem Fingerschnippen zu persiflieren verstand! Und wie göttlich erhaben sie - gleich allen modernen Tänzerinnen - über das Geld war! Ich sehe sie vor mir, wie sie in mächtigen Töpfen dicke Suppen kochte, um ihre hungrigen, mageren Schülerinnen zu füttern. Ich höre ihr tiefes Triumphlachen, wenn sie sich ein widerspenstiges Publikum gewonnen hatte.
(Vicki Baum in ihrer Autobiographie Es war alles ganz anders, über ihre Zeit in Hannover 1917-23)
Literatur & Quellen
Fritsch-Vivie, Gabriele. 1999. Mary Wigman in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg. rororo monographie.
Karina, Lilian & Marion Kant. 1996. Tanz unterm Hakenkreuz: Eine Dokumentation. Berlin. Henschel.
Klein, Gabriele. 1994. Frauen Körper Tanz: Eine Zivilisationsgeschichte des Tanzes. München. Heyne.
Loesch, Ilse. 1990. Mit Leib und Seele: Erlebte Vergangenheit des Ausdruckstanzes. Berlin. Henschel.
Lorenz, Karl. 1994. Wege nach Hellerau: Auf den Spuren der Rhythmik. Kleine sächsische Bibliothek 5. Dresden. Hellerau Verlag.
Montijn, Aleida. 1988. Nachrichten an K.G.: Erinnerungen einer Komponistin. Kassel. Bärenreiter.
Müller, Hedwig. 1986. Mary Wigman: Leben und Werk der großen Tänzerin. Weinheim; Berlin. Beltz.
Sorell, Walter. 1986. Mary Wigman. Wilhelmshaven. Heinrichshofen.
Partsch-Bergsohn, Isa & Harold Bergsohn. 2003. The Makers of Modern Dance in Germany: Rudolf Laban, Mary Wigman, Kurt Jooss. Princeton, NJ. Princeton Book Company Publ.
Wangenheim, Annette von. 2003. Tanz unterm Hakenkreuz. TV-Dokumentarfilm, 45 min. Köln. WDR.
Wiegel, Rosemarie. 1991. “Mary Wigman (1886-1973: Eine Frau, die ihre Schritte selbst bestimmte”, in: Hiltrud Schroeder. Hg. Sophie & Co.: Bedeutende Frauen Hannovers. Hannover. Fackelträger. S. 173-185.
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