Fembio Specials Künstlerinnen und Kunstförderinnen der GEDOK Mechtilde Lichnowsky
Fembio Special: Künstlerinnen und Kunstförderinnen der GEDOK
Mechtilde Lichnowsky
(Mechtilde Christiane Marie Gräfin von und zu Arco-Zinneberg [Geburtsname]; Mechtilde Fürstin Lichnowsky [erster Ehename]; Mechtilde Peto [zweiter Ehename])
geboren am 8. März 1879 auf Schloß Schönburg im Rottal (Niederbayern)
gestorben am 4. Juni 1958 in London
deutsche Schriftstellerin, Komponistin und Zeichnerin
145. Geburtstag am 8. März 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
»Wenn man schon, leider, ein Mädchen sein muß, dann lieber wenigstens das in Vollkommenheit«, sinniert Christiane (in Kindheit, 1934) in der Kirche. Und auch im letzten der drei autobiographischen Romane (Der Lauf der Asdur, 1936) kommt sie wieder, die Unzufriedenheit mit dem eigenen Geschlecht.
Mechtilde Christiane Marie ist das dritte Kind des Grafen Maximilian von und zu Arco-Zinneberg und seiner Frau Olga, geb. Freifrau von Werther. Eine solche Herkunft verpflichtet. In der Klosterschule des Sacré Coeur-Ordens in Vorarlberg erhalten Mechtilde und ihre Schwester Helene die standesgemäße Erziehung. Von 1892 bis 1896 sind sie dort, schätzen die Bildung, lehnen sich jedoch mit allen möglichen Mitteln gegen die Bevormundung auf. Leise und in Andeutungen schildert Lichnowsky in Kindheit auch die erste Verliebtheit Christianes – in eine Ordensschwester – und wie diese im Keime erstickt wird. Im Internat wird die französische Sprache gepflegt, später kommt Englisch hinzu.
1904 heiratet Mechtilde den 19 Jahre älteren Fürsten Karl Max Lichnowsky, Gutsbesitzer und Diplomat. Das Paar lebt mit den drei Kindern auf den Schlössern Grätz und Kuchelna. Ein erstes Buch veröffentlicht Mechtilde Lichnowsky nach einer Ägyptenreise 1912. Die Reaktionen auf Götter, Könige und Tiere in Ägypten sind unterschiedlich. Wenn Helene urteilt, »in gewissem Sinne ist das Buch zu intim für die Öffentlichkeit«, schreibt Carl Sternheim in einem Brief vom 11. Mai 1913, er lese darin Sätze, »die niemand selbst gemacht zu haben verschmähen würde«. Mechtilde Lichnowsky bemerkt gegenüber ihrem langjährigen Brieffreund Hermann Graf Keyserling, dass sie manches ändern möchte, »unerhörte Stilschweinereien z. B., die mich rasend machen«.
1928 stirbt der Ehemann. Mechtilde Lichnowsky zieht an die französische Riviera nach Cap d’Ail. Sie schreibt – Romane, Gedichte, Stücke, Aufzeichnungen zu Sprache und Sprachproblemen, ein Briefwechsel verbindet sie während beinahe zwanzig Jahren mit Karl Kraus. Und sie zeichnet. 1937 heiratet sie ihren Jugendfreund Ralph Hardin Peto, sie wird Britin. Die Kriegsjahre verbringt sie in Deutschland, interniert und unter Polizeiaufsicht, getrennt von ihrem Mann, den sie nicht mehr sehen wird – er stirbt am 3. September 1945. Im Sommer 1946 lässt sich Mechtilde Lichnowsky in London nieder, hier bleibt sie bis zu ihrem Tod am 4. Juni 1958. Als letztes Werk erscheint 1958 Heute und vorgestern, das mit den Sätzen beginnt:
»Der Schreibtisch ist der Hafen, wo sich alles abspielt, was den Schriftsteller, in diesem Falle mich, Tag und Nacht beschäftigt.«
Verfasserin: Liliane Studer
Zitate
Eine Schriftstellerin wie die Fürstin Mechtilde Lichnowsky, deren hoher Stand ein weiteres, ähnlich geartetes Hindernis für offene Beurteilungen war, hatte es in dieser Hinsicht besonders schwer. Sie wollte, dass man ihre Bücher, nicht sie selbst rezensierte. Die Klischees und trivialen Sensationen, auf die ihre Kritiker, auch in wirklich positiv gemeinten Besprechungen, zurückgriffen, verärgerten die Schriftstellerin stets aufs Neue. »Frau – Dame – Fürstin – möchte ich gern an einem kleinen Spieß übers Feuer halten«, schrieb sie 1914 in solchem Zusammenhang.
(Petra Wilhelmy-Dollinger in: Die Berliner Salons. Mit historisch-literarischen Spaziergängen. Berlin. de Gruyter. ISBN 3-11-016414-0, S. 377)
Die schöne Querulantin
Lohnenswert scheint auch die Wiederentdeckung von Mechtilde Lichnowsky. Einerseits Repräsentantin der alten, feudalen Zeit, empfand sie sich zugleich als Vertreterin der Moderne. Ihrem adligen Ehemann, der als »aristokratischer Sozi« galt und schon im Kaiserreich wegen mangelndem Patriotismus in Ungnade gefallen war, stand sie in nichts nach. Die Dreißigerjahre verbrachte die Botschaftergattin, erfolgreiche Schriftstellerin und Feuilleton-Journalistin im französischen Exil. Als sie 1939 einen Deutschland-Besuch macht, verbietet die Gestapo der schönen Querulantin die Ausreise, die sich daraufhin auf die Familiengüter zurückzieht, ohne aber das Schreiben aufzugeben. Nach dem Krieg, als Mechtilde Lichnowsky längst in London lebt und zusehends vereinsamt, erscheint »Worte über Wörter«, eine Sprachkritik, die mit Victor Klemperers legendärer »Lingua Tertiae Imperii« verglichen worden ist.
(Ansgar Warner in: Fräuleinwunder blieb vergessen. Buchbesprechung. In: taz vom 05.05.2008.)
Lichnowsky, Mechtilde Fürstin von, geb. Gräfin von und zu Arco-Zinneberg, * 8.3.1879 Schloß Schönburg, Niederbayern, † 4.6.1958 London; Grabstätte: Brookwood/Surrey. – Erzählerin, Lyrikerin, Dramatikerin.
Nach einer frühen, auf Drängen der Familie aufgelösten Verlobung mit dem engl. Militärattaché Ralph Harding Peto heiratete die Urururenkelin Kaiserin Maria Theresias 1904 den schlesischen Fürsten Karlmax Lichnowsky. Mit ihm lebte L. auf seinen Gütern in Schlesien, in Berlin u. 1912-1914, nach der Berufung des Fürsten zum dt. Botschafter, in London, wo sich unter L.s Leitung die dt. Botschaft zu einem Treffpunkt engl. Intellektueller u. Aristokraten entwickelte. Nach dem Tod des Fürsten 1928 ließ L. sich aus gesundheitl. Gründen an der Riviera nieder. Dort begegnete sie dem früheren Verlobten wieder, den sie 1937 heiratete. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte L. unfreiwillig in Deutschland, weigerte sich als entschiedene Gegnerin des NS-Regimes jedoch, der Reichsschrifttumskammer beizutreten u. veröffentlichte zehn Jahre lang nicht. Die Nachkriegsjahre bis zu ihrem Tod verlebte sie zurückgezogen in London.
L. war eine sehr vielseitige Autorin. Zu ihren bekanntesten Werken zählen so unterschiedl. Bücher wie das Tagebuch einer Ägyptenreise im Jahr 1911 (Götter, Könige u. Tiere in Ägypten. Mchn. 1912), die Satiren Der Kampf mit dem Fachmann (Wien Lpz. 1924. Neuausg. Mchn. 1978) u. die sprachästhetischen Reflexionen in Worte über Wörter (Wien 1949), in denen L. die Verflachung der Sprache kritisiert. In dem Schauspiel Gespräche in Sybaris (Wien 1946) entwickelt L. in der Bearbeitung eines antiken Stoffes, aber mit deutlich aktuellen Bezügen, ihre Theorie vom sozialen Sinn des Ästhetischen, von einer auch als moralische Instanz notwendigen Kultur des Schönen. In den Jahren der Weimarer Republik verfaßte L. mehrere, z. T. autobiographisch gefärbte Romane (Kindheit. Bln. 1934. Neuausg. Ffm. 1984. Der Lauf der Asdur. Wien 1936), die sozialkritisch das Leben in den gehobenen Gesellschaftsschichten zur Zeit der Jahrhundertwende beleuchten. Das Krisenbewußtsein der literar. Moderne u. ihr gebrochenes Verhältnis zu Sprache u. Wirklichkeit haben in diesen Romanen keinen Niederschlag gefunden. Trotz verschiedener Neuausgaben ihrer Bücher muß L. heute als weithin Vergessene gelten.
(Rita Mielke, in: Killy, Walther (Hg.) (1990): Literaturlexikon. Band 7 – Autoren und Werke von A bis Z. Kräm – Mas. Gütersloh: Bertelsmann Lexikon Verlag. ISBN 3-570-04677-X. S. 263-244.)
Links
Deutsches Literaturarchiv Marbach: Lichnowsky, Mechtilde.
Online verfügbar unter https://www.dla-marbach.de/cgi-bin/aDISCGI/kallias_prod/lib/adis.htm?ADISDB=PE&ADISOI=00026096, zuletzt geprüft am 16.05.2023.
Eichberger, Florian von: Worte in Briefen. Zwei Karl-Kraus-Briefausgaben: an Mechtilde Lichnowsky und Annie Kalmar. literaturkritik.de.
Online verfügbar unter http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=4095&ausgabe=200109, zuletzt geprüft am 16.05.2023.
Google Buchsuche: Mechtilde Lichnowsky. Bücher von und über Lichnowski, teilweise Volltextanzeige.
Online verfügbar unter http://books.google.de/books?lr=&num=100&as_brr=0&q=mechtilde+lichnowsky, zuletzt geprüft am 16.05.2023.
Häntzschel, Hiltrud (2011): Literaturlandschaft Bayern: Mechtilde Lichnowsky - Schriftstellerin. BR.de, 03.09.2011.
Online verfügbar unter https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/bayerisches-feuilleton/mechtilde-lichnowsky-haentzschel100.html, zuletzt geprüft am 16.05.2023.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Lichnowsky, Mechtilde von, 1879-1958. Literatur von und über Lichnowsky.
Online verfügbar unter https://d-nb.info/gnd/118572601, zuletzt geprüft am 16.05.2023.
Literatur & Quellen
Werke
Lichnowsky, Mechtilde von (1915): Ein Spiel vom Tod. 9 Bilder für Marionetten. Leipzig. Wolff. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1916): Gott betet. Leipzig. Wolff (Der Jüngste Tag, 56). (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1917): Der Stimmer. Mit einer Einleitung von Brian Keith-Smith; Briefwechsel und Rezensionen. Lewiston, NY. Mellen, 2000 (German women writers, 13). ISBN 0-7734-7859-0. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1919): Der Kinderfreund. Schauspiel in 5 Akten. Berlin. Reiss. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde (1921): Geburt. Liebe, Wahnsinn, Einzelhaft. Wien. Löcker, 2008. ISBN 978-3-85409-492-0. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1924): Der Kampf mit dem Fachmann. Mit einem Nachwort von Peter von Haselberg. München. Matthes und Seitz, 1978 (Kultur-Kuriosa, 10). ISBN 3-88221-010-9. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1926): Halb & Halb. Ein Bilderbuch für Große. 30 Zeichnungen und Verse in Zweifarbendruck. Wien. Jahoda & Siegel. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1928): Das Rendez-vous im Zoo. Querelles d'amoureux. Mit Zeichnungen von Fritz Fischer. Herausgegeben von Friedhelm Kemp. München. Kösel, 1981. ISBN 3-466-10147-6. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1930): An der Leine. Roman. Herausgegeben von Friedhelm Kemp. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1985 (Fischer, 5857). ISBN 3-596-25857-X. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1934): Kindheit. Roman. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verl., 2000 (Fischer, 14855 : Großdruck). ISBN 3-596-14855-3. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1935): Das rosa Haus. Novelle. Hamburg. Marion von Schröder. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1935): Delaïde. Roman. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1984 (Fischer, 5386). ISBN 3-596-25386-1. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1936): Der Lauf der Asdur. Roman. Herausgegeben von Friedhelm Kemp. München. Kösel, 1982. ISBN 3-466-10148-4. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1946): Gespräche in Sybaris. Tragödie einer Stadt in 21 Dialogen. Wien. Gallus-Verl. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1949): Worte über Wörter. Wien. Berglandverlag. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1953): Zum Schauen bestellt. Esslingen. Bechtle. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von (1958): Heute und vorgestern. Mit einem Porträt und mehreren Zeichnungen der Autorin. Wien. Berglandverlag. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Lichnowsky, Mechtilde von; Kraus, Karl (2000): Briefe und Dokumente. 1916 – 1958. Herausgegeben von Friedrich Pfäfflin und Eva Dambacher in Zusammenarbeit mit Volker Kahmen. Marbach am Neckar. Deutsche Schillergesellschaft (Marbacher Katalog, 52 : Beiheft 3). ISBN 3-933679-23-0. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Ott, Ulrich (Hg.) (1993): Mechtilde Lichnowsky. 1879 – 1958. Bearbeitet von Wilhelm Hemecker. Mit Beilage Die Dackeln und die Schlange von Mechtilde Lichnowsky. Marbach am Neckar. Deutsche Schillergesellschaft (Marbacher Magazin, 64/1993). ISBN 3-929146-04-5. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Pfäfflin, Friedrich (Hg.) (2001): »Verehrte Fürstin«. Karl Kraus und Mechthilde Lichnowsky. Briefe und Dokumente. 1916 – 1958. Herausgegeben von Friedrich Pfäfflin und Eva Dambacher in Zusammenarbeit mit Volker Kahmen. Göttingen. Wallstein. ISBN 3-89244-476-5. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Weiterführende Literatur
Emonts, Anne Martina: Mechtilde Lichnowsky. Sprachlust und Sprachkritik. Annäherung an ein Kulturphänomen. Würzburg. Königshausen & Neumann. (Epistemata : Reihe Literaturwissenschaft, 651) ISBN 978-3-8260-3912-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Jürgs, Britta (2002): Wie eine Nilbraut, die man in die Wellen wirft. Portraits expressionistischer Künstlerinnen und Schriftstellerinnen. Poträtiert wird u. a. Mechtilde Lichnowsky, die Frühexpressionistin. Grambin. Aviva. ISBN 3-932338-04-9. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Karl, Michaela (2004): Bayerische Amazonen. 12 Porträts. Enthält: Mechthild Lichnowsky. Die kluge Fürstin. Regensburg. Pustet. ISBN 3-7917-1868-1. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Wilhelmy-Dollinger, Petra (2000): Die Berliner Salons. Mit historisch-literarischen Spaziergängen. Berlin. de Gruyter. ISBN 3-11-016414-0. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
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