Biographien Alma Siedhoff-Buscher
(Alma Buscher [Geburtsname])
geboren am 4. Januar 1899 in Kreuztal bei Siegen
gestorben am 25. September 1944 in Buchschlag bei Frankfurt/Main
deutsche Kunsthandwerkerin, Tischlerin, Möbeldesignerin
80. Todestag am 25. September 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Ein buntlackiertes, reformpädagogisch inspiriertes Kinderzimmer machte Bauhaus-Studentin Alma Siedhoff-Buscher 1923 bekannt. Rasch rangierte sie mit ihren Spielzeug- und Kindermöbel-Entwürfen unter der kläglich kleinen Zahl von Bauhäuslerinnen, die außerhalb der Weberei Erfolge verzeichnen durfte. Gleichwohl: Gegen ein bescheidenes Salär, ohne feste Anstellung, und mit unverhofft abruptem Ende.
»...ich habe nie Beziehung zum Faden gehabt«: Flucht aus der Bauhaus-Weberei
Irgendwann 1923, im entbehrungsreichen Jahr der Hyperinflation, nahm Bauhaus-Schülerin Alma Siedhoff-Buscher allen Mut zusammen: »Ich bitte ... um meine Entlassung aus der Weberei« (zit. n. AK, 2004, alle nachfolgenden Siedhoff-Buscher-Zitate ebd.), schrieb sie Direktor Walter Gropius – sie »habe nie Beziehung zum Faden gehabt«. Künftig wolle sie lieber in der Holzbildhauerei arbeiten. Den Brief schickte Siedhoff-Buscher nie ab. Und doch markierte er den Beginn einer außergewöhnlichen Kunsthandwerkerinnen-Karriere: Nur ein Jahr zuvor war sie, nach bestandenem Vorkurs, in die Webereiklasse zwangsverfrachtet worden. 1919 noch, unmittelbar nach Eröffnung der Weimarer Kunstschule, hatte Gropius seinen Studentinnen zwar bedingungslose Gleichberechtigung garantiert – die »alleinige Beschäftigung mit niedlichen Salonbildchen als Zeitvertreib« werde er »scharf bekämpfen« (zit. n. Baumhoff, 2008, S. 65). Letzten Endes aber kam bekanntlich alles anders. »Keine Experimente mehr«, tönte es 1921 aus direktoralem Munde. Mangels Muskelkraft sei das vermeintlich schwache Geschlecht »in den seltensten Fällen für die schweren Handwerke« geeignet (zit. n. Baumhoff, 2008, S. 66). Im streng bürgerlichen Glauben an eine quasi-genetische weibliche Fixierung auf Textilien hatten die »Bauhaus-Damen« fortan hinter riesenhaften Webstühlen Platz zu nehmen. Deren Bedienung allerdings bedeutete erst recht körperliche Schwerstarbeit, wie nicht nur Kommilitonin [url=https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/gertrud-arndt]Gertrud Arndt[/url] bitter beklagte.
Wohl wissend, dass sie keine Chance auf einen Ausbildungsplatz in der rein männlich besetzten Holzbildhauerei hatte, versuchte es Siedhoff-Buscher klugerweise durch die Hintertür: Sie wolle der Holzwerkstatt bloß als Gast dienen, erklärte sie. – Und das auch nur so lange, bis ihre frisch projektierten Objekte, »Kinderspielzeug, Lampen, Holz-Gebrauchsgegenstände«, perfekt seien und der »Industrie zur Weiterproduktion überlassen werden« könnten. Dabei argumentierte sie keinesfalls mit Luftschlössern: Zuvor in Berlin an der Reimann-Schule und der Staatlichen Lehranstalt des Kunstgewerbemuseums ausgebildet, legte die talentierte Handwerkerin direkt konkrete Pläne auf den Tisch – u.a. für ein Puppentheater. Finanziell notorisch klamm, konnte das Bauhaus rar gesäte Vorschläge dieser Art kaum ausschlagen und stimmte dem Wechsel ausnahmsweise zu.
»Nach der Ausstellung möchte ich weit fort«: Erfolgsdruck
Mit nur 24 Jahren, kurz nach ihrem Umzug in die Holzwerkstatt, erhielt Siedhoff-Buscher ihren bis heute meistzitierten Auftrag: Vom Fußboden bis zur Decke, vom Bett bis zum Schrank, sollte sie das Kinderzimmers des Weimarer »Hauses am Horn« ausstaffieren. Sie sah sich unter mächtigem Erfolgsdruck, denn das »Haus am Horn« war der Platzhirsch aller damaligen Bauhausprojekte. 1922/23 von Georg Muche als Wohnversuchshaus für die gehobene Mittelschicht projektiert – und heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes – verkörperte es die erste Bauhaus-Architektur, die jemals realisiert wurde. Das kleine, nach seinem Standort benannte Gebäude war als Höhepunkt der ersten Bauhaus-Ausstellung geplant. Nach ergiebigen Expressionismus-Exzessen unter das Motto »Kunst und Technik – eine neue Einheit« gestellt, sollte die Schau das Renommee der Kunstschule durchschlagend fördern und den Träger, die thüringische Landesregierung, tiefgreifend davon überzeugen, dass sie die Kunststätte zu Recht finanzierte. »Nach der Ausstellung möchte ich weit fort, nach Schweden oder nach Amerika«, konterte Siedhoff-Buscher im April 1923, sichtbar von Fluchtgedanken gezeichnet, vier Monate vor Ausstellungseröffnung. Zu Unrecht, wie sich herausstellte: Zwar hatten die Ausstellungsmacher manchen Seitenhieb wegzulächeln – »drei Tage Weimar und man kann auf Lebenszeit kein Quadrat mehr sehen«, frotzelte u.a. Paul Westheim (1923, zit. n. Fiedler 1999). Siedhoff-Buschers Kinderzimmer aber stieß auf einhellige Zustimmung und wurde u.a. von der Jenaer Firma Zeiss für den Betriebskindergarten angekauft. Der Raum galt schon deshalb als revolutionär, weil sich bis dahin kaum einE ArchitektIn an das Genre gewagt hatte: Bis zur Jahrhundertwende wurden Kinderzimmer sorglos mit ausrangierten Erwachsenenmöbeln zugestellt. Seither hatten ReformpädagogInnen zwar manch theorielastiges Gegenmodell entwickelt, konkrete gestalterische Maßgaben aber zumeist ausgespart.
Das Kinderzimmer im »Haus am Horn«
Markant konstruktivistisch animiert war Siedhoff-Buschers Entwurf für das »Haus am Horn«: Von Primärfarben konterkariert, war das karg-kubische, containerhafte Mobiliar mit stattlichen Weißflächen überzogen. Siedhoff-Buscher glaubte, Weiß steigere »die Farbfröhlichkeit« und damit die »Freudigkeit des Kindes – ein Machtfaktor in der Erziehung«. Die Möbel waren rundum multifunktional durchgestaltet und »wuchsen« kostengünstig mit dem Kinde: Die Wickelkommode konnte zum Schreibtisch, das Babybett zur Teenieliege, der Spielschrank mit Puppentheatertüre zum Bücherregal umgebaut werden. Der sogenannte Leiterstuhl war variabel einsetzbar als Wagen, Sitzbank, Leiter oder Stauraum. Bunte, abwaschbare Maltafeln komplettierten den Raum, auf den Siedhoff-Buscher bei Folgeaufträgen mehrfach rekurrierte. Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy erhob das Kinderzimmer zum Aushängeschild der gesamten Kunstschule: Zwar hatten sich die Weimarer AvantgardIstinnen die Verschwisterung mit der Industrie auf die Fahnen geschrieben. Realiter jedoch waren – bis auf diese Arbeit – die wenigsten Objekte industriell reproduzierbar und so sollte das Kinderzimmer aufgebrachte konservative Naturen beschwichtigen, die der Kunstschule nur allzu gern vorwarfen, nichts als alltagsuntaugliche, »›unverständliche‹ und ›auf den Kopf gestellte‹ Dinge« zu produzieren (László Moholy-Nagy 1924, zit. n. AK 2004, S. 54).
Schiffbauspiel und Wurfpuppe: Kinderspielzeug
»Es will nichts sein – kein Kubismus, kein Expressionismus, nur ein lustiges Farbenspiel aus glatten und eckigen Formen nach dem Prinzip der alten Baukästen« (zit n. ak, 2004, S. 29) umschrieb Alma Siedhoff-Buscher einen weiteren Bestseller, ihr sog. »Schiffbauspiel«. Um 1923/24 entworfen, ließ sie es in großer Ausführung mit 39 und in kleiner Ausführung mit 22 buntlackierten Bausteinen fertigen. Beide Versionen zählten rasch zu den erfolgreichsten Artikeln, die das Bauhaus jemals vertrieb und »zeitlos« wie sie scheinen, inzwischen wieder erhältlich sind. Kinderspielzeug war ein Lieblingsthema der Klassischen Moderne. Das Gros der Pläne gedieh jedoch nicht übers Entwurfsstadium hinaus. Siedhoff-Buscher dagegen führte ihre Ideen hartnäckig zur Produktreife, ließ sie seriell fertigen und meldete sie bisweilen – wie ihre sog. »Wurfpuppen« aus Bast und Chenillegarn – zum Patent. Nebenher malte und zeichnete sie. Und sie schuf u.a. ihr bekanntes »Bützelspiel« für Kleinkinder, ein platzsparend zusammenklappbares Puppentheater mit Stabpuppen (um 1922), frei variable Bühnenbilder für Kindertheater, Malfibeln für SchulanfängerInnen und fortschrittsmetaphorisch überlagerte Kran- und Schiff-Bastelbögen.
»keine äußerliche hemmung störe sie«: Siedhoff-Buscher und die Reformpädagogik
»Kinder sollten, wenn irgend möglich, einen raum haben, in dem sie das machen können, was sie wollen«, fand Alma Siedhoff-Buscher. »keine äußerliche hemmung« störe sie. »das mahnwort ›lass das‹« erklärte sie zum Tabu. Das Inventar eines Kinderzimmers sollte zum freien Spiel animieren, kindliche Kreativität und individuelle Vorlieben fördern, obendrein mit der geistigen und körperlichen Entwicklung wachsen. Ähnliche Leitbilder ersann sie für ihr Spielzeug: Die Schiffbauspiele sollten phantasiearmen Kindern den einfachen Schiffnachbau ermöglichen. Findigere dagegen, schrieb sie auf der Umverpackung, könnten daraus grenzenlose Wolkenkuckucksheime zimmern: Eine »Berg- und Talbahn, ein Tor, ein Tier und Vieles mehr«. Siedhoff-Buscher bewegte sich in augenfälliger Nähe zur Reformpädagogik, etwa Maria Montessoris (1870-1952), wollte sich jedoch verbal – zumindest von Friedrich Fröbel und Johann Heinrich Pestalozzi – markant abgrenzen: Deren Spiele seien »aus rein pädagogischen Überlegungen geschaffen« (Will, S. 43/44). Sie aber präge wahrhaft »freie Spiele«. – Spiele, die die kindlichen Sehnsüchte angeblich stärker berücksichtigten.
»Was nützt denn all die imposante Künstlergroßzügigkeit«: Himmelsstürmerin mit Bodenhaftung
Siedhoff-Buscher war eine glühende Anhängerin ihres Meisters Paul Klee. Laut Bauhaus-Forscherin Ulrike Müller glückte ihr neben Benita Koch-Otte die »konsequenteste und zugleich eigenständigste Umsetzung« Kleescher Ideen in Weimar. Nebenher wagte Siedhoff-Buscher, die stets vor einer »Eiseskühle des reinen Intellekts« warnte – ganz im Sinne des frühen Bauhauses – manchen Esoterik-Exkurs: Sie stand »Mazdaznan« nahe, der streng vegetarischen Lebensreform-Bewegung, die mittlerweile wegen ihres Antiafrikanismus in Verruf geraten ist. Mit Mazdaznan wollte sie Körper, Geist und Seele auf Einklang trimmen. Gleichwohl ließ sie von Anbeginn eine dezente Prise Distanz walten: Sie witterte die Gefahr, »bei dieser dauernden, intensiven Ich-Beobachtung die eigentliche Ausnutzung des Tages« zu vernachlässigen (2004, S. 47). Auch realitätsferne Künstlerattitüden und abendfüllende kunsttheoretische Diskurse schreckten sie: »Was nützt denn all die imposante Künstlergroßzügigkeit, die hinter den Kulissen so doppelt kleinlich und ganz, ganz eng ist« (Juni 1925, S. 55).
»Verbitterung ist Dummheit«: Abschied vom Bauhaus
Alma Siedhoff-Buscher gilt heute als konkurrenzlose Spezialistin für Spielzeug und Kindermöbel am Bauhaus. Außer ihr glückte es keiner zweiten Frau, sich ohne Werkstattanbindung über vier Jahre an der Kunststätte zu halten. 1932 gelang ihr, was reichsweit nur zwei weiteren Zeitgenossinnen – Ella Briggs und Grete Schütte-Lihotzky – vergönnt war: Walter Müller-Wulckow nahm sie in seine einflussreichen vier Blauen Bücher zur »Architektur der Zwanziger Jahre in Deutschland« auf.
Interessanterweise lag ihre Karriere damals bereits fünf Jahre brach: 1926 hatte sie Bauhaus-Schauspieler Werner Siedhoff geheiratet und Sohn Joost geboren. Von bohrenden finanziellen Nöten geplagt, bat sie Gropius um Festanstellung und ein eigenes Atelier. Er lehnte ab. Das Bauhaus habe zu wenig Geld. Zudem stünde sie mit ihren Arbeiten für Kinder thematisch »nur an der Peripherie« des Unternehmens (zit. n. Will, 1997, S. 46). Gemäß damals gängiger Meinung, Kinder verkörperten »das natürliche Reich der Frau« (Hildebrandt, 1928, S. 157), waren es ursprünglich möglicherweise niemand andere als die Meister selbst, die sie in das beengende Metier gedrängt hatten, denn Siedhoff-Buscher plante anfangs ausgiebig Arbeiten für Erwachsene.
Seit 1927/28 hatte sich Siedhoff-Buscher bauhauslos durchs Leben zu schlagen. Gebunden an wechselnde Theater-Engagements ihres Mannes, zog sie mehrfach um.
1928 kam Tochter Lore zur Welt. Durchschlagende künstlerische Aktivitäten sind seither nicht mehr überliefert. Im Nachlass finden sich u.a. Tapeten- und Stoffentwürfe. Ob sie auftraggebergebunden entstanden, ist unklar.
1933, als vertraute KünstlerInnenkreise – NS-bedingt – zusehends weiter auseinanderdrifteten, offenbarte sie ihrem Mann: »Nein, verbittert bin ich kein bisschen. Ich finde, Verbitterung ist Dummheit.« Aus den wenigen publizierten Dokumenten jener Tage spricht ein bewundernswerter Kampfgeist. Am 21. September 1944, sie lebte jetzt in Frankfurt/Main, schrieb sie ihrem Sohn, einem heute bekannten Schauspieler, »in jeder trostlosen Zeit gibt es auch heitere Stunden, und man soll sie mitnehmen.« Es war der letzte Brief an Joost Siedhoff. Vier Tage später, mit 45 Jahren, starb Alma Siedhoff-Buscher während eines Bombenangriffs.
Verfasserin: Annette Bußmann
Zitate
was ist spiel? spiel ist arbeit. – arbeit (gern getane arbeit) ist spiel. – kindesspiel ist allmähliches hinein wachsen in arbeit.
(Alma Siedhoff-Buscher: kindermöbel und kinderkleidung. In: Vivos voco. Zeitschrift für neues Deutschtum 5 (1926), H.4, S. 157)
spielzeug: sollte man dem kinde nicht entgegen kommen? Sollte im spielzeug – dem werkzeug des kindes – nicht auch schon ernst sein dürfen? nicht ein fertiges – wie die luxusläden es bieten – das kind entwickelt, vielmehr es strebt – es sucht. Ein scheinbar fertiges kann in diesem suchenden streben nur ein zerstörtes werden.
(Alma Siedhoff-Buscher: kindermöbel und kinderkleidung. In: Vivos voco. Zeitschrift für neues Deutschtum 5 (1926), H.4, S. 157)
Links
Das Haus am Horn. Kinderzimmer.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6PWCM4I7a.
Bauhaus Online: Alma Siedhoff-Buscher. Biografie, Werkauswahl.
Online verfügbar unter https://www.bauhaus100.de/das-bauhaus/koepfe/studierende/alma-siedhoff-buscher/, zuletzt geprüft am 02.01.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6PWCNymPv.
bauhaus-shop: bauhaus-bauspiel. design: alma siedhoff-buscher, 1924. bauhaus-shop.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6PWCQ4F8k.
Deutsche Digitale Bibliothek: Alma Buscher.
Online verfügbar unter https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/searchresults?query=alma+buscher&isThumbnailFiltered=false&offset=0, zuletzt geprüft am 02.01.2019.
Sachs, Brita: »Bauhaus reloaded«: Gruppenarbeit in München. FAZ online, 19.06.2009.
Online verfügbar unter http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstmarkt/auktionen/bauhaus-reloaded-gruppenarbeit-in-muenchen-1810730.html, zuletzt geprüft am 02.01.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6PWCSyEOH.
Literatur & Quellen
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Bildquellen
Toys of the Avant-Garde | Jess Quinn on WordPress.com
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