geboren am 22. April 1873 in Richmond, Virginia
gestorben am 21. November 1945 in Richmond, Virginia
US-amerikanische Schriftstellerin, Feministin, Literaturkritikerin
150. Geburtstag am 22. April 2023
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Bereits in der Erzählung A woman of to-morrow (1895), der frühesten Prosaveröffentlichung der gerade 22jährigen (und, 1897, in ihrem ersten von 19 Romanen) ergreift Ellen Glasgow eines ihrer zentralen Themen, den Konflikt zwischen den traditionell klar umrissenen Welten der Frau und des Mannes - zwischen Heirat, Kindern und Häuslichkeit einerseits und Macht und öffentlichem Erfolg andererseits. Ihre erste weibliche Hauptfigur, die ehrgeizige Patricia Yorke, löst sich “als eine Frau des 20. Jahrhunderts ... und Verkörperung von Freiheit ... von den Phantomen der Vergangenheit” (ihr namenloser Jugendfreund verliert sich selbst im Verharren in ländlicher Mühsal und Enge und der konventionell weiblichen aufopfernden Pflege der alten Mutter - er “wird zur Frau”) und macht als Juristin eine Staatskarriere. (Erst 1920 erhalten Frauen in den USA generell das Wahlrecht; erst 1981 übernimmt eine Frau tatsächlich ein entsprechendes Amt beim Obersten Gerichtshof!)
Allerdings: schon damals, wie in ihren weiteren literarischen und literaturtheoretischen Werken kann/mag - auch das macht sie für uns so modern - Ellen Glasgow selbst utopisch schreibend das Problem, wie denn weibliche Selbstfindung und -verwirklichung in einer Welt männlich geprägter Erwartungen konkret gelebt werden könnte, auch für Patricia nicht eindeutig lösen; ironisch gebrochen zeichnet die Autorin deren (voraussehend auch den eigenen) Zukunftsglauben und Erfolg sowie die unterliegenden ambivalenten Gefühle in bezug auf traditionelle Werte wie Patriarchat, Mutterschaft und heterosexuelle Liebe - Probleme, die ebenso das Leben Ellen Glasgows durchdringen. Dieses war für die umfassend gebildete Autodidaktin, trotz komfortabler äußerer Umstände und immer wachsender literarischer Anerkennung, vielfältig belastet: Der frühe Tod der warmherzigen, feinsinnigen, geliebten Mutter und der Verlust lieber Geschwister, lebenslange Wut auf die eisenharte Religiosität, Rücksichtslosigkeit und Selbstgerechtigkeit des Vaters, das Aufwachsen in einer Welt des schönen Scheins und der Unaufrichtigkeit, sexuelle Belästigungen, die Selbstmorde einiger nahestehender Menschen und auch ein eigener Suizidversuch, das Misslingen von Liebesaffären und Verlobungen, eine zarte Gesundheit und früh einsetzende Schwerhörigkeit bzw. zunehmend schmerzhaftere Taubheit sowie schwere Krankheiten. Immer jedoch gab es ein stützendes, intensiv gepflegtes Netz von Freundinnen und Vertrauten.
Schwierig ist es, Ellen Glasgows Werk - wie auch das Willa Cathers, die ebenfalls aus Virginia kam, oder Edith Whartons - einzuordnen. Einerseits steht sie in der literarischen Erzähltradition des Südens und des 19. Jahrhunderts, untersucht aber andererseits die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen im vom Bürgerkrieg gebeutelten Virginia, auf dem Weg in das Industriezeitalter und im Umfeld zweier Weltkriege. In der leere Konventionen entlarvenden, ehrlicheren Darstellungsweise jedoch, sowie von ihrem gesellschaftskritischen, politisch-sozialen Anliegen (u.a. Frauenstimmrecht oder Demaskierung des frauenmörderischen Schönheitskultes) und dem Einsatz für ein realistischeres Schreiben her (Sheltered Life, 1932, erscheint kurz nach Faulkers The Sound and the Fury und Wolfes Look Homeward, Angel) ist sie durchaus Streiterin für eine moderne nationale Literatur.
(Text von 1997)
Verfasserin: Swantje Koch-Kanz
Zitate
Nur selten hat im modernen Roman eine Freundschaft zwischen zwei Frauen ... einen bedeutenden Platz eingenommen. Obgleich eine solche Verbindung im Leben nicht ungwöhnlich zu sein scheint, haben die Schreibenden, da es sich ja normalerweise um Männer handelt, diese Beziehung immer als unzulänglich sowohl hinsichtlich sexueller Erregung wie auch maskulin-aktionsreicher Dramatik befunden. Jedoch: zunehmend kommen in der modernen Welt die Frauen dahin zu begreifen, dass sie, als menschliche Wesen, wechselseitig aufeinander angewiesen sind.
(aus dem Vorwort zu They Stooped to Folly, zit. nach Matthews 1994: 17)
... ich finde es bedauerlich, dass [die Frauenwahlrechtsbewegung] die Tendenz hat, den Antagonismus zwischen den Geschlechtern zu begünstigen. Ich mag es nicht, wenn Männer und Frauen als gegensätzlich betrachtet werden, egal in welcher Hinsicht auch immer. ... warum sollte das nötig sein.
Miss Glasgow .. ist sowohl hübsch und jung - eine ungewöhnlich unerwartete Kombination bei einer Autorin von mehr als nur nationalem Ruhm.
(aus dem Interview Giving Votes to Women, zit nach Raper 1988: 21)
Ich glaube ..., dass der private Besitz von Vermögen beschränkt werden sollte; dass unsere natürlichen Ressourcen nicht zu /lediglich/ individuellem Nutzen ausgebeutet werden sollten; dass jedermann sicher sein sollte, sich seinen Lebensunterhalt und einen fairen Lohn verdienen zu können; dass der Absatz von Gütern unseren wachsenden Bedürfnissen angepasst werden sollte und dehr hohle Schrei “Überproduktion!” aus einer Welt verbannt werden sollte, in der Millionen verhungern; dass ... menschlicher Fortschritt nicht nach Lärm gewichtet und nach der Anzahl von Erfindungen gemessen werden kann; dass die größte Erfindung des Geistes weder das Feuer noch die Elektrizität war, sondern die empathische Kraft, die Schmerzen anderer zu teilen; dass Selbstmitleid, die Lieblingssünde einer Generation, die zu hartgekocht ist für Mitleiden, die weichste und und primitivste Form der Sentimentalität ist; dass Kunst älter, aber auch jünger ist als Propaganda und daher dem Prozess von Veränderung und Verfall weniger unterworfen; dass Freiheit in der Literatur nicht nur Freiheit zum derb-obszönen Wort, sondern auch zum ehrlichen Wort bedeuten sollte - Freiheit also nicht nur, der tough guy der Literatur zu sein, sondern Freiheit sogar auch, um ohne Zurechtweisung die weiße Blume einer untadeligen Sprache zu tragen ...
(aus What I Believe [1933], zit nach Raper 1988: 222)
Meine Nachbarin, die übrigens sehr intelligent ist, vertraute mir an, dass nur das Ungewöhnliche es wert sei, gedruckt zu werden. Aber für meinen simpleren Geschmack ist ein ehrliches Protokoll des gewöhnlichen Lebens aufregender als ein Melodrama. .. Große Romane sind große Erzählungen von Wahrheit, und der echte Roman ist nicht nur ‘eine gute Story gut erzählt’ - er ist Geschichte, erhellt durch Imagination.
(aus What Is a Novel, zit. nach Raper 1988: 121-22)
Mein Vater .. war der letzte, den [meine Mutter] hätte heiraten sollen. Obgleich er sie bewunderte, hat er sie doch in seinem Leben auch nicht eine Minute lang verstanden.
(Glasgow 1955: 14-15)
Ich glaube, dass die Qualität von Überzeugungen wichtiger ist als ihre Quantität, dass die Welt sehr gut mit weniger und dafür besseren Überzeugungen auskäme und dass ein vernünftiger Zweifel das Sicherheitsventil der Zivilisation ist.
(aus What I Believe, zit. nach Raper 1988: 221)
Literatur & Quellen
Glasgow, Ellen. 1955 [1954]. The Woman Within. [Autobiographie]. Hg. von Irita Van Doren & Frank V. Morley. London. Eyre & Spottiswoode.
Glasgow, Ellen. 1988. “A Woman of To-Morrow” [1895] - “Woman Suffrage in Virginia: Ellen Glasgow Interviewed” [1909] - “The Call” [1912] - “No Valid Reason Against Giving Votes to Women: An Interview” [1913] - “Feminism” [1913] - “Some Literay Woman Myths” [1928], in: Raper. 1988. S. 1-45.
Glasgow, Ellen. 1994 [1938]. The Sheltered Life. Afterword by Carol S. Manning. Charlottesville & London. The University Press of Virginia.
Kelly, William W. 1964. Ellen Glasgow: A Bibliography. Charlotteville. University Press of Virginia.
Lavergne-Peguilhen, Marietta von. 1992. Undermining Gender, Overcoming Sex: Identität und Autorschaft bei Mary Wilkins Freeman, Edith Wharton und Ellen Glasgow. Europäische Hochschulschriften 14.321. Frankfurt etc. Lang. [= München Univ. Diss. 1996].
MacDonald, Edgar E. & Tonette Bond Inge. 1986. Ellen Glasgow: A Reference Guide. Boston, MA. Hall.
Matthews, Pamela R. 1994. Ellen Glasgow and a Woman’s Traditions. Feminist Issues: Practice, Politics, Theory. Charlottesville & London. University Press of Virginia.
Raper, Julius Rowan. 1982 [1971]. Without Shelter: The Career of Ellen Glasgow.
Raper, Julius Rowan. Hg. 1988. Ellen Glasgow’s Reasonable Doubts: A Collection of her Writings. Southern Literary Studies. Baton Rouge & London. Louisiana State UP.
Scura, Dorothy M. Hg. 1995. Ellen Glasgow: New Perspectives. Feminist Studies in Literature 36. Knoxville, TN. University of Tennessee Press.
Wagner, Linda W. 1982. Ellen Glasgow: Beyond Convention.
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