Balla balla, mon Schiri!
Heute früh schickten mir zwei LeserInnen den Link zu einem Interview der Sportschau vom 1. Juli über „die neue Fußballsprache“. „Sprachguru“ Bastian Sick gibt darin erschöpfend Auskunft zu der Frage „So spricht Frau Fußball, oder?“
Ähnlich wie bei den fast ausschließlich männlichen TV-Kommentatoren der Spiele dieser WM wollte mann offenbar auch hier keine Fachfrau zu Wort kommen lassen. Die internationale feministische Sprachkritik blickt auf 40 Jahre erfolgreicher Arbeit zurück, ohne die es auch für dieses Interview keinen Anlass gäbe - aber als Experte wird nun Bastian Sick herangezogen, der sich gerade dadurch auszeichnet, dass er zu dem gesellschaftlich relevantesten Problem der deutschen Sprache - nämlich wie sie mit Frauen umgeht - nichts Nennenswertes beizutragen hat und sein Publikum stattdessen lieber mit oberflächlichen Späßchen unterhält. Manche seiner Kolumnen habe ich gern gelesen - umso mehr enttäuschten mich seine sexistischen Ausfälle in diesem Interview.
Üblicherweise halte ich mich mit Auffassungen, wie Sick sie hier vertritt, nicht lange auf und verweise nur auf die Literatur zum Thema, die inzwischen Bibliotheken füllt. Da Sick aber ein großes Publikum bedient, ist es sinnvoll, seine Thesen zu untersuchen und zu widerlegen. Los geht’s:
Auf die Frage der Interviewerin Susanne Mayer „Was wäre denn die Alternative zum Manndecker? Ist es nicht absurd, von einer Manndeckerin zu sprechen?“ fällt Sick nichts Besseres ein als dies:
Es gibt viele schöne absurde Wörter im Deutschen, auf die ich nicht verzichten wollte. Zum Beispiel die Obmännin, die Landsmännin, die Schirmherrin, das Erdmännchenweibchen, Herrchens Frauchen, der weibliche Ein-Mann-Betrieb und natürlich die Damenmannschaft. Oder spricht man bereits von der "Fußballnationalfrauenschaft"?
Das letzte Wort ist eine hinterhältige Anspielung auf die NS-Frauenschaft (NSF), die Frauenorganisation der Nazis. Ein Schlag über die Gürtellinie, sozusagen. Diese Leistung verdient ein kräftiges „Sick Heil“!
„Schön absurd“ war es ja auch, unverheiratete Frauen mit „Fräulein“ zu bezeichnen und erwachsene schwarze Männer mit „boy“. Wir Frauen können auf Sicks Lieblingswörter schon lange verzichten und haben sie abgeschafft. Der springende Punkt ist hier nicht, ob Sick die Wörter schön findet, sondern ob die bezeichneten Personen damit lächerlich gemacht werden und ihre Identität beschädigt wird. Sicks Antwort ist eine unakzeptable Trivialisierung ernster Anliegen sprachlicher Identitätspolitik, die an verantwortlicher Stelle zum Glück nicht so leichtfertig auf Erdmännchen-Niveau abgetan werden.
Vom Fußball hat Sick auch nicht viel Ahnung. Haben Sie je das Wort „Torwärter“ gehört? Ich auch nicht. Aber Sick findet: "Kürzlich wurde ich gefragt, ob es für den Begriff 'Keeperin' keine deutsche Entsprechung gäbe. Es gibt sogar zwei: Torwartin und Torwärterin. Nicht zu verwechseln mit der 'Torwartsfrau', die gibt es auch, aber die hat andere Aufgaben.“
Neckisch, unser Sprachguru. Die nächstliegenden Wörter - Torfrau und Torhüterin - fielen ihm nicht ein. Ob er sich mit dem fragwürdigen Vorschlag "Torwärterin", für den es kein männliches Pendant gibt (wir kennen höchstens den "Gefängniswärter") wieder über weibliche Anliegen lustig machen will, ist nicht zweifelsfrei auszumachen. Interessanter als die „Aufgaben der Torwartsfrau“ wäre hier die Beobachtung, dass es im Deutschen weder den Torwartinmann noch die Torwartinfrau gibt, genau so wenig wie die Spielerinnenmänner oder -frauen als Pendant zu den Spielerfrauen, die immer zur Siegerehrung mit auf den Römerbalkon dürfen. Dabei wären die doch auch "schön absurd".
Referee lehnt Sick auch ab. Da hat er mal Recht. Es heiße
"Schiedsrichter" oder kurz „Schieri“. Für die Frau "Schiedsrichterin“ oder kurz "Schierie" - hierbei aber mit "ie"!
Frau kommt aus dem Staunen nicht heraus. Erstens heißt es Schiri, nicht Schieri (aber das mag auch ein Tippfehler der Redaktion sein), und zweitens wird „die Schiri“ doch nicht am Ende mit „ie“ geschrieben. Wir sagen der Studi und die Studi. Eine Studie ist was anderes, die hätte vielleicht Bastian Sick verdient. Eine Studie zu "Sexismen bei Bastian Sick" bzw. "Sicksismen".
Die Interviewerin findet: "Das Deutsche ist in vielen Bereichen eine Männersprache. Beim Sport zeigt sich das ganz besonders. Oder wie sehen Sie das?" Darauf Sick:
Das Deutsche ist in dieser Hinsicht flexibler als manche unserer Nachbarsprachen. Im Englischen ist es nicht möglich, mithilfe eines Suffixes eine weibliche Form zu bilden; im Französischen kann man zwar zwischen "Sängerin" und "Sänger" (Chanteur/Chanteuse) und zwischen Kanzler und Kanzlerin (Chancelier/Chancelière) unterscheiden, nicht aber zwischen Arzt und Ärztin oder zwischen Präsident und Präsidentin. Das französische Wort "homme" bedeutet sowohl "Mensch" als auch "Mann". Dagegen erscheint mir die deutsche Sprache weit weniger mannbezogen.
An dieser Antwort ist so ziemlich alles daneben. Natürlich ist es im Englischen möglich, mit Hilfe eines Suffixes eine weibliche Form zu bilden (z. B. actor/actress, waiter/waitress etc) - aber zum Glück ist das meist nicht nötig, da die englischen Personenbezeichnungen zu 99 Prozent wirklich neutral sind. Auf the writer, the doctor, the teacher, the nurse kann ich mich mit she oder he beziehen, je nach Geschlecht. Das geht im Deutschen nicht. Ich kann nicht sagen Der Schriftsteller betrat das Podium. Sie wurde mit herzlichem Applaus begrüßt.
Die deutsche Sprache weniger mannbezogen? Das ist Blödsinn. Alle Genussprachen sind "mannbezogen" und folgen dem Gesetz MAN = Mann als Norm. Zwar ist es schön, dass wir feminine Bezeichnungen leichter bilden können als andere Sprachen, aber dieser Vorteil wiegt doch das Fehlen neutraler Bezeichnungen nicht auf. Die männliche Bezeichnung wird für beide Geschlechter gebraucht; sie wird uns als neutral verkauft: 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind auf Deutsch 100 Sänger, auf Französisch 100 chanteurs. Die Frauen können selbst zusehen, wo sie geblieben sind. Sie sind buchstäblich nicht der Rede wert.
Und zum traurigen Schluss wartet Bastian Sick noch mit diesem Unfug auf:
Frage: Ist ein radikaler Sprachwandel nicht längst überfällig, hin zu mehr Gleichberechtigung?
Sick: Der Wandel hat doch längst eingesetzt. Schauen Sie sich nur mal an, was die in der Schweiz machen! Dort werden seit einiger Zeit alle "geschlechtsspezifischen" Formen aus der Amtssprache getilgt. […] Selbst die Wörter "Vater" und "Mutter" sollen im Schweizer Amtsdeutsch künftig vermieden werden. Stattdessen soll man "der Elternteil" schreiben - oder - noch besser: das "Elter"! Der Muttertag wird dann wohl irgendwann zum "Tag des austragenden Elters" und der "Vatertag" entsprechend zum "Tag des einschenkenden Elters".
Dass Sick da einer frauenfeindlichen Zeitungsente aufgesessen ist, hat er bis heute nicht mitgekriegt. Im Juni 2010 wurde der frei erfundene Elter-Unsinn von dem Schweizer Boulevardblatt Blick in die Welt gesetzt und sofort von allen Nachrichtenagenturen und Zeitungen abgeschrieben und verbreitet unter dem Motto: „Jetzt sind die Sprachfeministinnen endgültig durchgeknallt“.*
Diese Einstellung vertritt auch Sick, anders lässt sich die folgende Entgleisung nicht erklären:
Auch in Deutschland sind die Sprachkastrationsbeauftragten eifrig am Werk: Der Spielmannzug in meinem Heimatdorf hat sich vor einiger Zeit umbenannt in "Musikzug". Ich sage dazu: "Das kann man machen, das muss frau aber nicht."
Die „Fußballnationalfrauenschaft““ und die „Sprachkastrationsbeauftragte“ verdienen beide die saure Gurke oder die goldene Schwanzfeder für sexistischen Overkill. Früher hieß es immer, wir Feministinnen vergewaltigten die deutsche Sprache. Sie hat anscheinend im Laufe der Jahre das Geschlecht gewechselt: Nunmehr kastrieren wir sie.
Damit wollte Sick uns zum Schluß noch so richtig einen reinwürgen. Aber - um zum Fußball zurückzukehren - es ist ein Eigentor. Zuerst befindet unser Sprach-Schiri, gegen alle Vernunft und guten Sitten, die deutsche Sprache sei nicht besonders männlich. Andererseits meint er, sie werde kastriert. Ja wie denn nun? •••••••••••••••• *Ich habe über die haarsträubende Geschichte, die das Sommerloch 2010 vom Juni bis zum September füllte, zwei Artikel geschrieben, einen für die NZZ und einen für die EMMA. Sie können sie hier nachlesen: Pusch/NZZ, Pusch/EMMA. Hilfreich könnte auch noch dieser Link sein, (mit weiterführenden Links): (Link aufrufen) (Dank an Rolf Löchel und Doris Hermanns für die Zusendung des Links zum Sick-Interview).
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18 Kommentare
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03.07.2011 um 20:19 Uhr susanna
Die Frage nach dem weiblichen Pendant zu Manndecker ist doch inzwischen uralt und zudem längst obsolet, weil die Frauennationalmannschaft doch nur noch mit Viererkette spielt. Aber für einen billigen Witz taugt sie immer noch. Und die Fernsehkommentatoren haben auch keine Schwierigkeiten mit “Torhüterin” und “Torfrau”. Sie sind schon viel weiter als Bastian Sick.
03.07.2011 um 18:24 Uhr anne
passend zum `fußball`, eine gute steilvorlage bietet der selbsternannte sprach-guru Sick.
weitere kuriositäten im internet bieten maskulinisten z.b. zum begriff `nationalmannschaft` und bringen sich selbst ins abseits:
nationalmännInnenschaft - nationalInnenFrau/Mann_Innenschaft - nationInnenfrau*innenschaftInnen
spielerinnen-männer
die uralte begriffsdefinition `fräulein` wird auch wieder von der männerpresse (welt)zur fußball-wm aus der mottenkiste geholt - überschrift “....das neue deutsche fräuleinwunder”.
MAN schaff`s einfach nicht.
dafür heisst es an anderer stelle abwertend “lesbischer zickenkrieg”.
denn natürlich sind lesben unerwünscht, da sie keine identitätsfiguren der MAN-presse sind.
nicht nur für die man-presse (bild) muß fußball und sport in bezug zu frauen sexy sein: “heißer frankreich-dreier” heisst es dort.
da auch in frankreich die aufmerksamkeit am fußball so gering ist, müssen einige spielerinnen in playboy-manier nackt auflaufen; damit eben männer zu den fußballspielen kommen. schnell, schön und scharf sollen die spielerinnen sein. sex sells, die neue normative kraft dieser alten patriarchalen werberegel ist immens.
zitat:
“der sport spiegelt eine gesellschaft , in der sexismus weiterhin eine grosse rolle spielt. von einem konservativen element wie dem fußball zu erwarten, dass er zum aufbrechen von rollenbildern beiträgt, ist illusionär. stattdessen herrscht klammheimliche freude, dass das lesbenklischee im frauenfußball langsam vom sexy-girl-klischee verdrängt wird - es passt besser ins patriarchale weltbild.” (der tagesspiegel, 12.06.2011 fußballerinnen i.d. nachschminkzeit)
und der oben zitierte sprach-guru spiegelt seinen sexismus zur “fußball-sprache” und passend zum patriarchalen weltbild.
auch balla balla, mon schiri ist wieder prima gelungen!!
03.07.2011 um 16:36 Uhr lfp
@Luisa:
Nein, das habe ich nicht verpasst. Ich schrieb gerade an meiner Glosse zu dem Thema, da kam mir der Sick-Artikel auf den Tisch.
Über die lesbophobische FIFA und den ganzen Mist werde ich mich bald äußern.
03.07.2011 um 16:23 Uhr Luisa
Na, jetzt dachte ich, es kommt die Glosse zur Säuberungsaktion der nigerianischen Nationaltrainerin von ihren lesbischen Fussballerinnen ... und der fast tatenlosen FIFA ... Hast du das etwa verpasst ?
Herzlich Luisa
03.07.2011 um 15:06 Uhr lfp
@bigmouth:
Es geht um den feinen Unterschied zwischen
• “Frauschaft”, dem feministischen Pendant zu “Mannschaft” auf der einen Seite und
• “Frauenschaft” auf der anderen Seite, das an die Nationalsozialistische Frauenschaft (NSF), die Frauenorganisation der Nazis, erinnert und erinnern soll. Wenn die allgegenwärtige “Mannschaft” zu “Männerschaft” mutiert, könnte frau eventuell über “Frauenschaft” neu nachdenken. Bis dahin: indiskutabel.
03.07.2011 um 14:50 Uhr bigmouth
“Das letzte Wort ist eine hinterhältige Anspielung auf die NS-Frauenschaft (NSF), die Frauenorganisation der Nazis. “
sicher? ich bin geschichtsstudent, und mir ist diese assoziation bisher noch NIE gekommen
03.07.2011 um 14:16 Uhr Lena Vandrey
FuBtritt!
Die Männersprache ist ein tödliches Gift, das alle Welt infiziert. Viel zu wenige protestieren dagegen. Unser Landespräsident hat eine Journalistin öffentlich eine “dicke Schlampe” genannt. Die feministische Gruppe “Wachhündinnen” hat ihm eine Entschuldigung abgezwungen. Blumen hat er ihr gesandt zum Trost. Dieser Kerl hat eine Frau und zwei Töchter und obendrein eine Mutter. Merkt dieser Sozialist denn nicht, dass er auch SIE beleidigt?
M/S Diallo hat gelogen, deshalb ist der Verbrecher DSK auf freiem FuBe. Darüber freut sich die Chefin der SP ein Bein aus. Über die(höchswahrscheinlich) Notlüge eines Opfers wird das Verbrechen aufgehoben. Eine vergewaltigte Lügnerin ist keine Victim mehr; eine Lügnerin zu vergewaltigen, wie eine Prostituierte, wie eine Ehefrau, das sind keine Verbrechen in der Männersprache. Und was nicht in der Sprache ist - ist nirgendwo. Lügen sind ein Männersprachprodukt gegen die feministische Evidenz = Wahrheit. Die Lügen des DSK und der Seinen passen verbal ins Konzept dieser bösen Zunge zur Verteidigung der Mordwaffe in der Unterhose. Die arme Afro wird keine Sympathisanten mehr finden, alles katapultiert. Dass ihr Vergewaltiger auch gelogen hat und weiter lügt, interessiert niemanden mehr. Zur Freilassung des Verbrechers waren keine Frauen zu sehen mit “Shame on you”. Die StraBen sind leer, die Ehefrauen strahlen, die schwarzen Mädchen in Paris jubeln, sie alle haben ihren Phallus wieder. Wer denkt noch an Ophelia? Und warum wurde sie so genannt? Weil alles den Bach hinunter geht. Und warum hat nicht eine weiBe, feministische Anwältin sie verteidigt und aufgeklärt über Rechte und Pflichten? Cyrus Vance ist ein neuer Eliott Ness. Das ist fatal für die Frauen, ein ganz fürchterlicher FuBball-FuBtritt.
Politisch korrekt? Für WEN ist denn das?
Eine andere Neuigkeit über unsere Christine Lagarde: Sie sei Jüdin, eine Tochter des Hauses Levy und eine Lesbe. Die frühere Ministerin Simone Veil habe das behauptet. Wir würden uns ja darüber freuen, aber die Männersprachler sagen, dass das gelogen ist: eine solche Frau kann keine “lesbische Jüdin” sein.
Woher kommt das? Ein Wort im Internet macht sich selbstständig für Geschäfte mit anderen Wörtern, das tut sich flott von alleine.
Vergewaltigte Lügnerinnen, lesbische Jüdinnen, geschmähte Journalistinnen - einen Blumenladen sollten wir öffnen für alle Lügen des Patriarchats!
Zu guter Letzt das Wort einer jungen Mutter über ihren gerade geborenen Sohnemann:“Das ist ein richtiger Kerl! Der säuft, furzt und pennt!”
Dem ist nichts hinzuzufügen, auBer:
Der Kriegsschauplatz und das Spielfeld VULVA-VAGINA werden ZUERST über Wörter besiegt.
03.07.2011 um 11:34 Uhr Christine
Liebe Luise, Du schreibst: “Auf the writer, the doctor, the teacher, the nurse kann ich mich mit she oder he beziehen, je nach Geschlecht.” Das mag sein, trotzdem scheint es auch hier Klärungsbedarf zu geben: Hope Powell, diese wunderbare englische Trainerin, hat für ihr Team die Bezeichnung “the three lionesses” erfunden - in Anlehnung ans englische Wappen auf dem Trikot heißt das Männerteam “the three lions”. Das wollte sie wohl nicht auf sich und ihrem Team sitzen lassen.
“Tag des einschenkenden Elters” finde ich übrigens klasse; da wird doch endlich mal deutlich gesagt, wer an diesem Tag immer so sturzbesoffen durch die Gegend torkelt.