Empfehlungen Signe von Scanzoni: Als ich noch lebte. Ein Bericht über Erika Mann. Hg. Irmela von der Lühe.
Signe von Scanzoni: Als ich noch lebte. Ein Bericht über Erika Mann. Hg. Irmela von der Lühe.
Rezension von Doris Hermanns
Noch ein Buch über Erika Mann? Ist nicht langsam alles gesagt und geschrieben über die Familie Mann? Schon allein, dass es von der letzten Lebensgefährtin von Erika Mann geschrieben ist, deren Existenz bis vor kurzem noch nicht einmal wahrgenommen wurde, lässt aufhorchen, auch dass diese bewusst Abstand zu dieser Familie gehalten hat.
In der ersten Fassung der Biografie Erika Manns von der Herausgeberin dieses Buches, Irmela von der Lühe, fehlte Signe von Scanzoni völlig, in der späteren Neuauflage wird sie eher am Rande erwähnt, als ob sie keine wirkliche Bedeutung gehabt hätte. In diesem Buch nun, in dem ihre Wichtigkeit in den letzten Lebensjahren Erika Manns überdeutlich wird, geht Irmela von der Lühe jetzt im Nachwort näher auf Scanzonis Lebensweg ein.
Signe von Scanzoni, die Dramaturgin und Musikjournalistin war, hat einen Abschiedsbrief an die Frau geschrieben, mit der sie deren letzte zwölf Jahre geteilt hat. Eingearbeitet in den bewegenden Bericht über die letzen Monate, die Erika Mann nach einer Hirnoperation bis zu ihrem Tod im Zürcher Kantonsspital verbrachte und in denen Signe von Scanzoni täglich an ihrer Seite war, sind Erinnerungen an ihren gemeinsamen Jahre: wie sie sich 1957 zufällig wieder trafen, wie sehr sich Erika Mann um sie bemühte, wie sich ihre Beziehung entwickelte. Zahlreiche Gespräche über die unterschiedlichsten Themen, z.B. über Literatur, Musik, Kunst, Theater, Politik und aktuelles Tagesgeschehen, werden nacherzählt, immer wieder spielt Thomas Mann eine große Rolle, sei es als Autor, sei es sein Nachlass, sei es sein Werk. Und all das wirft ein teilweise anderes Licht als das bislang bekannte auf diese Familie, gerade weil es nicht literarisch aufbereitet wird, sondern aus Alltagsgesprächen hervorgeht. So kann Erika Mann ihren Vater dann auch beiläufig einen „gewöhnlichen Homosexuellen“ nennen, kann verdeutlichen, warum sie die Aufgabe der „Nachlasseule“ auf sich genommen hat und reflektieren, was die Rolle der Ältesten in der Familie ihr Leben lang für sie bedeutet hat. Vieles ist erhellend, weil sie es einer vertrauten Person erzählt.
Es ist das Porträt von zwei Frauen, die sich mit 52 bzw. 62 Jahren wiedertrafen; als Kinder in München hatten sie sich nur flüchtig gekannt. Es beschreibt die Schwierigkeiten zweier Persönlichkeiten, die einen sehr unterschiedlichen Lebensweg gegangen sind. Wo Erika Mann als direkt Bedrohte 1933 keine andere Wahl hatte, als ins Exil zu gehen, war Signe von Scanzoni, die als damals 18jährige nicht akut gefährdet war, in Deutschland geblieben: „Ich konnte mir den Luxus einer Stellungnahme nicht leisten.“
Wie einschneidend diese Entscheidung für Erika Mann war, zeigt sich an diversen Gesprächen in diesem Buch, auch wie unterschiedlich die beiden Frauen gewisse Situationen und Menschen sahen, was vor allem an ihrer Auseinandersetzung über Gustaf Gründgens deutlich wird.
Aber es gab auch zahlreiche Gemeinsamkeiten; die beiden unterstützen sich in ihrer jeweiligen Arbeit wo immer möglich und wurden wichtige Vertraute füreinander. Es wird deutlich, wie sehr die editioriale Arbeit an Familienwerken Erika Mann zur Last geworden war, wie sehr sie sich angekettet fühlte, wie sehr sie sich mit Arbeit überhäufte, die sie nicht mehr erfreuen konnte (aber Hilfe von anderen Familienmitgliedern lehnte sie ab). Selber nannte sie die Zeit vor dem „Nachlasseulen-Amt“ mit „als ich noch lebte.“
Signe von Scanzoni zeigt, dass ein Ausbruch Erika Manns aus dem „Familiengefängnis“, das für sie zur Sackgasse geworden war, in ein eigenes Leben sehr wohl geplant war. Im Jahr vor ihrem Tode trafen sie sich häufiger zu „Höhlenexpeditionen“, wie sie ihre gemeinsamen Aufenthalte in Hotels nannten, als Vorbereitung zur Loslösung aus Erika Manns häuslicher Situation. Auch ein gemeinsames Haus in Klosters hatten sie bereits gefunden, dass „Fluchtziel für Dich und neue Heimstätte für mich“ werden sollte, das sie „Niemandsland“ nannten.
Wie Erika Mann sagte: „Wir wollen zusammen noch was hinbringen!“ Durch ihre Krankheit ist es nicht mehr zum geplanten Zusammenleben gekommen.
Auch Pläne für ihr eigenes Schreiben hatte Erika Mann sehr wohl noch, zu deren Ausführung es jedoch leider auch nicht mehr gekommen ist. Zu lange hatte sie andere an erste Stelle in ihrem Leben gestellt, wodurch sie letztendlich nicht mehr zu ihrem eigenen kam.
Die gleichzeitige Nähe und Distanz lassen diesen langen Abschiedsbrief zu einem liebevoll geschriebenen Porträt Erika Manns werden, das ihre Stärken aufzeigt, wie auch Signe von Scanzonis Faszination vor deren „unbedingtem Passioniertsein,“ aber das auch vor Kritik nicht Halt macht: Scanzoni thematisiert auch den jahrzehntelangen schrittweisen Selbstmord mit Tabletten und Alkohohl, ohne ihr Verhalten zu bewerten. Reflexionen über die andere gehen in Überlegungen über das eigene Leben über.
„Alles, was wir gedacht, geplant und getan haben – in den letzten Jahren -, es hat nicht mehr die Kraft, Dich diesem Sog zu entziehen. Du scheinst lebenstüchtig, überwältigend sicher, dominant und lebensvoll strahlend. Die Abseite, das Dunkel-leidenschaftliche war doch immer die stärkere Kraft.“
Auch ohne näheres Interesse an der Familie Mann ein überaus lesenswertes Buch, das durch seine Vielschichtigkeit fesselt.
Nächster Eintrag: Rolf Löchel: Utopias Geschlechter. Gender in deutschsprachiger Science Fiction von Frauen. 2012.
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