Fembio Specials Berühmte Lyrikerinnen Denise Levertov
Fembio Special: Berühmte Lyrikerinnen
Denise Levertov
(Priscilla Denise Levertov)
geboren am 24. Oktober 1923 in Ilford, Essex, UK
gestorben am 20. Dezember 1997 in Seattle, WA, USA
britisch-US-amerikanische Lyrikerin
25. Todestag am 20. Dezember 2022
100. Geburtstag am 24. Oktober 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
And I walked naked
from the beginning
breathing in / my life,
breathing out poems
(A Cloak. Relearning the Alphabet. 1970)
“Und ich ging nackt // von Anfang an // mein Leben einatmend, // Gedichte ausatmend, //”
Früh schon fand Denise Levertov ihre Berufung als Dichterin. 1923 in der Nähe von London geboren, verbrachte sie ihre prägenden Jahre in England. Sie wurde von ihrer walisischen Mutter, die sie vergötterte, zu Hause unterrichtet. Diese brachte ihr und ihrer älteren Schwester Olga Sprachen, die Literatur des 19. Jahrhunderts von Jane Austen bis Leo Tolstoi, Kunst und Musik nahe und vermittelte ihnen eine tiefe Kenntnis des Christentums und die Liebe zur Natur. Die Londoner Museen waren genauso Unterrichtsorte wie die Parks der Umgebung. Ihr russisch-jüdischer Vater, ein angesehener Gelehrter, widmete sich nach seinem Übertritt zum Christentum und der Weihe zum anglikanischen Priester der Versöhnung von Christentum und Judentum. Die Eltern unterstützten die republikanische Seite im spanischen Bürgerkrieg, halfen Flüchtlingen aus Nazideutschland und erweckten in ihren Töchtern ein starkes soziales Bewusstsein.
Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Levertov als Krankenschwester in London und erlebte aus erster Hand die ständige Lebensgefahr und die “Tristesse” des Lebens im Krieg. Als einzige Frau gehörte sie zu einer Gruppe junger neo-romantischer Dichter und ihr erster Gedichtband, The Double Image (1946), entstand in dieser Zeit.
Neue Möglichkeiten eröffneten sich für sie, als sie nach einer unglücklichen Liebesaffäre und einer Abtreibung 1947 in Genf ihren Mann, den amerikanischen Schriftsteller Mitchell Goodman, kennenlernte. Sie heirateten schnell und zogen 1948 nach New York. Ein Jahr später wurde ihr Sohn Nikolai geboren. Levertov war froh, das vom Krieg verwüstete Europa hinter sich zu lassen.
In den USA wurde William Carlos Williams bald ihr Mentor. Er zeigte ihr das Lyrische im Rhythmus der gesprochenen Sprache (“the rhythm of speech as poetry”) und half ihr, eine eigene Stimme als amerikanische Dichterin zu finden. In Robert Creeley und Robert Duncan von der Black Mountain School fand sie “Kameraden”, mit denen sie sich über das Handwerk des Dichtens austauschen konnte.
Es war Kenneth Rexroth, der schon 1949 sechs ihrer Gedichte in seine bei New Directions veröffentlichte Anthologie New British Poets aufgenommen und den Gründer des Verlages, James Laughlin, auf Levertov aufmerksam gemacht hatte. Nachdem Laughlin 1960 Levertovs vierten Gedichtband With Eyes at the Back of Our Heads zur Veröffentlichung angenommen hatte, wurde sie zu einer festen Größe im Verlagsprogramm von New Directions. Zu dieser Zeit war sie eine der wenigen Frauen, die in diesem renommierten Verlag veröffentlicht wurde, neben so berühmten modernistischen Schriftstellerinnen wie Gertrude Stein und H.D. Ihre Biografin Donna Krolik Hollenberg schreibt dazu: “Autorin eines Verlages zu werden, der so viele amerikanische und europäische Schriftsteller, die sie als Mentoren betrachtete, veröffentlichte, gab ihr eine Bestätigung, die kein anderer Verlag ihr geben konnte. Im Laufe der Jahre wurde Laughlin zu einem engen persönlichen Freund, dessen literarischem Urteil Levertov vollkommen vertraute.” (Hollenberg, 161-62).
Levertov, die jetzt zum elitären Kreis linker Avantgarde-Künstler gehörte, wurde zu Lesungen in den USA und im Ausland eingeladen, erhielt ein Guggenheim-Stipendium und arbeitete als Lyrikredakteurin bei der progressiven Zeitschrift The Nation. Zahlreiche Lyrikpreise wie der Shelley Memorial Award und der lukrative Lannan Award wurden ihr verliehen und sie wurde in die American Academy of Arts and Letters gewählt. Außerdem unterrichtete sie fast 30 Jahre lang Lyrikseminare als Professorin an der Stanford University und anderen Universitäten in den USA.
Ihr ganzes Leben lang engagierte sich Levertov für soziale Gerechtigkeit und gegen Krieg. Aktiv unterstützte sie u.a. die Friedens- und die Antiatomkraftbewegungen, setzte sich für revolutionäre Bewegungen in Zentralamerika ein und später dann für Umweltschutz. Sie und ihr Mann waren ausgesprochene Kritiker des Vietnamkriegs. Levertov war Mitbegründerin von The Writers' and Artists' Protest against the War in Vietnam, gab 1967 für die Draft Resisters League eine Anthologie mit Anti-Kriegs-Gedichten heraus und rief bei ihren Lesungen und in ihren Seminaren an der Universität zu politischen Aktionen auf.
Bei Demonstrationen erlebte sie den Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken und wurde mehrfach festgenommen - Erfahrungen, die sie in Gedichten und Essays verarbeitete. Der Essayband The Poet in the World (1973) enthält einen Bericht über ihren Besuch in der Volksrepublik Vietnam mit ihrer Freundin und Mitstreiterin, der Dichterin Muriel Rukeyser, im Jahr 1972. Inmitten der Zerstörung und des Leids sah Levertov “echte revolutionäre Solidarität” und schrieb: “Ich klammere mich an die Notwendigkeit eines revolutionären Optimismus.”
In ihren Gedichten thematisiert Levertov immer wieder die Orte und Erfahrungen ihres Lebens. Viele ihrer Gedichte handeln vom Leben als Frau im 20. Jahrhundert - es geht um Ehe und Mutterschaft, sexuelles Begehren, ihre Mutter, aber auch um Schwester und Vater. Über die Form von Gedichten schreibt Levertov, die Reim und Metrum schon früh als anachronistisch hinter sich gelassen hatte, in Some Notes on Organic Form: “Form is never more than a revelation of content”. Aus dem Rhythmus der Erfahrung im Zentrum des Gedichtes entsteht seine Form. Das geschriebene Gedicht versteht sie als eine Art Partitur, die laut vorgetragen werden soll.
Levertov betrachtete das Schreiben als einen heiligen Akt der Transformation, es ging ihr nicht darum, Gefühle unvermittelt auszudrücken. Für sie liegen die Wurzeln der Dichtung “in song, magic and ... high craft.” (Light up the Cave, 126) und viele ihrer Gedichte vermitteln eine zutiefst sinnliche Reaktion auf die Schönheit und das Geheimnis der Natur.
Mit 12 Jahren hatte sich Levertov von der Religion ihrer Eltern abgewandt, die sie als zu restriktiv empfand. In den turbulenten Jahren nach ihrer Scheidung 1975 und dem Tod ihrer Mutter zwei Jahre darauf suchte sie jedoch auf ihre ganz persönliche und unorthodoxe Art nach Spiritualität und Gotteserfahrung. Als sie schließlich mit Mitte 60 zum Katholizismus konvertierte, sah sie es auch als ihre Aufgabe an, die Hierarchie und das starre Dogma der Kirche von innen heraus zu kritisieren. Sie schrieb ein Requiem für Bischof Romero und die vier in San Salvador getöteten amerikanischen Nonnen und sammelte später ihre religiöse Dichtung in dem Band The Stream and the Sapphire, der 1997, ihrem Todesjahr, veröffentlicht wurde. In ihrem letzten Interview mit Nicholas O'Connell sprach sie über die Verbindung zwischen dem Schreiben von Gedichten und Beten: “...in gewisser Weise ist das Schreiben eine Form des Gebets.”
Levertov wird als eine Frau mit leidenschaftlichen Überzeugungen und als eine der bedeutendsten amerikanischen DichterInnen des zwanzigsten Jahrhunderts in Erinnerung bleiben.
(Text von 2022, Übersetzung, auch der Zitate, von Gabriele Koch mit Hilfe von DeepL./translator)
Verfasserin: Gabriele Koch & Barbara Hyams
Zitate
Obwohl meine Lieblingsdichter alle Männer waren, hatte ich genug Vertrauen in mich selbst, oder genauer gesagt, genug Ehrfurcht vor den magischen Kräften, die - wie ich wusste - manchmal durch mich wirkten, um mir darüber keine Sorgen zu machen ... Ich nahm nicht an, dass mein Geschlecht mich an irgendetwas hindern könnte, das ich wirklich tun wollte.”
(Autobiographical Sketch 1984. New and Selected Essays, 262)
Die Dichterin liegt in den Wehen. Man hat ihr gesagt, dass es nicht wehtun wird, aber die Schmerzen waren so stark, dass Schmerz und Kampf jetzt die einzige Realität zu sein scheinen. Genau aber in dem Moment, als sie das Gefühl hat, sie wird sterben oder dass sie bereits in der Hölle gelandet ist, hört die den Arzt sagen “Das sind die Schultern, die Sie jetzt spüren”- und dann weiß sie, dass der Kopf schon draußen ist, und dass das Kind aus ihr herausdrängt und herausgleitet, beharrlich, ein Gedicht.”
(Denise Levertov, The Poet in the World, 107)
Dichter schulden der Dichtung gegenüber eine Loyalität, die zeitweise in Konflikt mit den Anforderungen des häuslichen Lebens oder anderer Aspekte des Lebens stehen kann. Aus diesen Konflikten entsteht manchmal Dichtung selbst. Der Impuls das, was man für seine menschliche Integrität als notwendig erachtet (wie Formen des politischen Handelns), mit den Notwendigkeiten des eigenen Innenlebens in Einklang zu bringen, kann zum Beispiel der Anstoß zu dem Versuch sein, engagierte oder “politische” Lyrik zu schreiben, die Dichtung im wahren Sinne des Wortes ist, magisch und sinnlich.” (Autobiographical Sketch 1984. New and Selected Essays, 263)
Links
Poetry Foundation: ausgezeichnete Webseite auf Englisch mit Biografie, ausführlicher Bibliografie, Gedichttexten, Audio einer Lesung Levertovs, Links zu Rezensionen und Artikeln
Literatur & Quellen
Levertov, Denise. 2013. Der Trauertanz (zweisprachig). Aus dem am. Englisch von Judith Pouget, mit Nachwort. Wenzendorf. Stadtlichter Presse.
Levertov, Denise. 2010. Luftspiegelung: Gedichte vom Berg. Aus dem am. Englisch von Ingrid und Reinhard Harbaum. Edition SAXIFRAGA Nr. 48 Juni 2010. Göttingen. altaQuito
Levertov, Denise. Jenseits des Feldes: Vierzehn Gedichte & sieben Briefe an W.C. Williams. Aus dem am. Englisch von Ingrid und Reinhard Harbaum. Edition SAXIFRAGA Nr. 23. Mai 2001. Göttingen. altaQuito
Levertov, Denise. 2013. The Collected Poems of Denise Levertov. Edited and annotated by Paul A. Lacey and Anne Dewey. New York. New Directions.
Levertov, Denise.1995. Tesserae: Memories and Suppositions (autobiographical essays). New York. New Directions.
Levertov, Denise. 1992. New and Selected Essays. New York. New Directions.
Levertov, Denise. 1981. Light up the Cave. New York. New Directions.
Levertov, Denise. 1973. The Poet in the World. New York. New Directions.
Gilbert, Sandra M. 1990. “On 'Life at War'” In: Conversant Essays: Contemporary Poets on Poetry. Edited by James McCorkle. Wayne State University Press. pp. 277-281.
Greene, Dana. 2012. Denise Levertov: A Poet’s Life. Champaign, IL. University of Illinois Press.
Hollenberg, Donna Krolik. 2013. A Poet’s Revolution: The Life of Denise Levertov. Berkeley, CA. University of California Press.
Hollenberg, Donna Krolik. 2010. “Denise Levertov's ambivalence about feminist poetry: biographical context, interpretive possibilities.” In: Renascence. Essays on Values in Literature 62, no. 2. Winter 2010. 141-155.
Hyams, Barbara. 2014. “Reading Rilke with Denise Levertov”. In: New England Quarterly 34, nos. 3-4. 317-332.
Jarman, Mark. 2014. “Lives of a Poet: Denise Levertov.” In: Hudson Review. Winter 2014.
O'Connell, Nicholas. 1998. “Levertov's Final Interview. A Poet's Valediction.” In: Poets & Writers 26, no. 3. May/June 1998.
Pawlak, Mark. 2021. My Deniversity: Knowing Denise Levertov. MadHat Press.
Spears Brooker, Jewel (ed.) 1998. Conversations with Denise Levertov. Literary Conversations Series. Jackson, MS. University Press of Mississippi.
(Alle Links geprüft am 28. Mai 2022)
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.