Fembio Specials Frauen aus München Elsa Bruckmann
Fembio Special: Frauen aus München
Elsa Bruckmann
(Geburtsname: Elisabeth Prinzessin Cantacuzène)
geboren am 23. Februar 1865 in Gmunden / Oberösterreich
gestorben am 7. Juni 1946 in Garmisch-Partenkirchen
deutsche Salonnière und Gönnerin Hitlers
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Wer an die literarischen Salons des 18. bis beginnenden 20. Jahrhunderts denkt, verbindet dies wahrscheinlich mit geselligen Treffen in großbürgerlichem Ambiente, wobei den oft hoch gebildeten und belesenen Gastgeberinnen die Aufgabe zufiel, eine illustre Mischung aus Honoratioren, DichterInnen und DenkerInnen sowie (Lebens-)KünstlerInnen zusammenzustellen, die sich an literarischen und/oder musikalischen Darbietungen ergötzten und zu intellektuellen und gesellschaftlichen Themen der Zeit austauschten. Nicht zufällig wird diesen Zusammenkünften zumeist eine liberale, tolerante Grundhaltung unterstellt. Die im alltäglichen Umgang üblichen Barrieren zwischen den Geschlechtern, der Religion und zum geringeren Teil auch der sozialen Klasse waren hier aufgehoben. Der freie Gedankenaustausch ließ neue Ideen entstehen und beförderte die Aufklärung. Die bekanntesten Salons dürften jene der Johanna Schopenhauer, Henriette Herz, Rahel Varnhagen, Bettina von Arnim, Caroline Schelling, Caroline von Humboldt und Fanny Lewald gewesen sein.
Auch in München fanden sich einige Salons, neben denen der Malerin Marianne von Werefkin, der Naturwissenschaftlerin Therese von Bayern und der Schriftstellerin Carry Brachvogel vor allem jener von Elsa und Hugo Bruckmann. Der Unterschied zu allen Vorgenannten ist jedoch, dass sich Atmosphäre und Gästeliste im Laufe der Zeit drastisch änderten. Zwar war der Grundtenor des Salons ohnehin ein eher national-konservativer gewesen, ohne deswegen völkisch zu sein – auch Juden wie Karl Wolfskehl, Max Reinhardt, Walther Rathenau oder Hermann Levi waren willkommene Gäste –, aber im Laufe der 1920er Jahre wandelte sich der Bruckmannsche Salon, oder genauer: etablierte Elsa Bruckmann ein Refugium für reaktionär-antisemitische Propaganda. Nicht nur das: Neben Helene Bechstein und Winifred Wagner gehörte sie zu den großen Förderinnen Hitlers; sie führte ihn in die „bessere Gesellschaft“ ein, unterstützte ihn mit Geld und Sachwerten und stellte ihm einflussreiche Industrielle vor. Ohne ihre Hilfe wären Hitlers politische Ambitionen vermutlich nicht so rasch – oder womöglich gar nicht – zu verwirklichen gewesen.
Elsa Bruckmann, geborene Prinzessin Cantacuzène, ist die älteste von drei Töchtern des königlich-bayerischen Ulanenoffiziers Fürst Theodor Cantacuzène und seiner böhmischen Frau Sophie, geborene Gräfin Deym von Střítež. Fürst Theodor stammt vom rumänischen Zweig des byzantinischen Adelsgeschlechts Kantakuzenos ab, das bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Doch so hochherrschaftlich und situiert der Name auch klingt, die tatsächlichen Lebensverhältnisse sind deutlich weniger mondän: Zwar hat Theodor ein Schloss bei Passau geerbt, jedoch ohne Ländereien oder sonstige Einkünfte. Die Familie lebt in einer Villa am Starnberger See, wo auch Elsa aufwächst. Sie ist klein und graziös, gilt aber nicht gerade als Schönheit, da sie von einer Pockenerkrankung als Kind Narben im Gesicht zurückbehalten hat. Aus altem Adel stammend, wird sie trotz der fehlenden materiellen Voraussetzungen in dem Bewusstsein erzogen, einer exklusiven, elitären Schicht anzugehören, der Hochachtung qua Geburt zusteht.
Den Töchtern wird eine gute Schulbildung zuteil. Elsa besucht von 1871 bis 1876 das Lehr- und Erziehungs-Institut Louise Siebert in München, anschließend die Höhere Töchterschule ebendort. 1880 wird Elsa nach Genf geschickt, um dort zwei Jahre die École Secondaire et Supérieure zu besuchen. Sie erwirbt zudem zahlreiche praktische Fertigkeiten, z.B. lässt sie sich zur Schneiderin ausbilden. Ihre Zeugnisse sind stets ausgezeichnet. Besonders interessiert sie sich für Literatur und schreibt selbst Gedichte, Märchen, kleine Prosastücke und Dramen sowie Aufsätze zu Schneiderei und Mode. Später veröffentlicht sie sogar einige belletristische Artikel in Illustrierten und übersetzt Bücher aus dem Französischen und Italienischen.
Es ist nicht leicht, die Töchter standesgemäß zu verheiraten, da sie nicht als gute Partie gelten. Elsa verdingt sich ab 1890 als Gesellschafterin bei der Wiener Baronin Franziska Worms-Todosco. Mit dem Geld, das sie dort verdient, unterstützt sie auch ihre Eltern. Obwohl sie beinahe zur Familie gehört, ist ihr stets bewusst, dass sie als alleinstehende junge Frau unter den ganzen reichen Familien eher auf der Schattenseite steht. Ihr tut gut, wenn sie mit „Prinzessin“ angesprochen wird. Auch später, nach ihrer Heirat, wird sie ihre Korrespondenz stets mit dem Zusatz „Fürstin Cantacuzène“ unterschreiben.
Im Hause Worms-Todosco lernt Elsa 1893 den gerade 19-jährigen Dichter Hugo von Hofmannsthal kennen, der von ihrer Klugheit und ihrem Esprit hingerissen ist. Doch nach einer kurzen leidenschaftlichen Phase entwickelt sich die Beziehung zu einer lang anhaltenden innigen Freundschaft, denn im Vorjahr hat sich Elsa in den Münchner Verlegersohn Hugo Bruckmann verliebt. Heiraten können Elsa und Hugo allerdings erst 1898, nachdem Fürst Theodor gestorben ist. Er war gegen die Verbindung seiner Tochter mit einem „Bürgerlichen“. Elsa ist nun 33 Jahre alt, Hugo 35 – kein ideales Alter, um noch eine große Familie zu gründen. Das Paar bleibt kinderlos, und Elsa richtet all ihre mütterlichen Gefühle auf ihren Neffen Norbert von Hellingrath, den Sohn ihrer Schwester Marie.
Hugo Bruckmann ist zusammen mit seinem Bruder Alphons Erbe der Verlagsanstalt F. Bruckmann, die auf kunsthistorische Standardwerke, hochwertige Kunstdrucke, illustrierte Klassikerausgaben und Kunstzeitschriften spezialisiert ist. Er kann seiner Frau alle Annehmlichkeiten eines großbürgerlichen Lebens bieten. Besonders genießt sie es, wenn sie sich im offenen weißen Mercedes durch die Stadt chauffieren lässt, um ihre Aufwartung bei den angesehensten Familien der Stadt zu machen. Trotzdem lässt sie es sich nicht nehmen, immer wieder Aufgaben im Verlag, z.B. im Lektorat oder der Verwaltung, zu übernehmen.
Ab Januar 1899 laden die Eheleute Bruckmann erstmals zum Jour fixe in die Verlagsräume in der Nymphenburger Straße. Das Gebäude war vom belgischen Jugendstilarchitekten Henry van de Velde entworfen worden. Auslöser für das Treffen ist das von Houston Stewart Chamberlain verfasste und im Verlag Bruckmann erschienene Werk Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, aus dem der Autor vortragen soll. Eingeladen sind Familienangehörige, FreundInnen und engere Bekannte. Aus diesen festen Freitagabenden entwickelt sich der „Salon Bruckmann“ – ab 1908 im frisch bezogenen neuen Wohnhaus, dem repräsentativen Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz 5. Der Salon Bruckmann gehört zu den langlebigsten überhaupt: Bis zum Tode von Hugo Bruckmann im Jahr 1941 besteht diese gesellschaftliche Institution.
Die These Chamberlains von „den Juden“ erklärt das ambivalente Bild, das Elsa Bruckmann zeitlebens von „den Juden“ hat: Das „Jüdisch-Sein“ sei unabhängig von der tatsächlichen Konfession, es markiere angeblich jüdische Eigenschaften, Gesinnungen und Bestrebungen, von denen sowohl [konfessionelle] Juden wie auch Nicht-Juden „befallen“ sein können. Man könne demzufolge „Jude“ sein, ohne [konfessioneller] Jude zu sein und umgekehrt. Kein Wunder, dass sich selbst der (assimilierte) jüdische Dirigent Hermann Levi dieser Auffassung anschließt.
Um 1900 begreifen sich die meisten Gäste der Bruckmanns als AnhängerInnen der ästhetischen Moderne. So auch die Gastgeberin selbst: Elsa Bruckmann interessiert sich für modernen (Ausdrucks-)Tanz und besucht Kurse am Institut von Émile Jaques-Dalcroze, bei dem auch Mary Wigman ausgebildet wurde. Legendäre Tanzveranstaltungen finden u.a. bei den Münchner Faschingsbällen statt, an denen auch Elsa gelegentlich teilnimmt: „Ich gehe in einer roten (anstatt schwarzen!) Richter-Robe mit violettem (anstatt schwarzem) Sammtbarett, weißer Allonge oder Zopfperücke […] Feder hinter’m Ohr.“ Zu den gelegentlichen oder häufigeren BesucherInnen des Salons zählen Elsa Bruckmanns alter Freund Hugo von Hofmannsthal, Henry van de Velde, Julius Meier-Graefe, Thomas Mann, Harry Graf Kessler, Rainer Maria Rilke, der Kreis um Stefan George, ferner Wissenschaftler und Industrielle – und auch Constanze Hallgarten, die der Gastgeberin regelmäßig Hinweise auf ihre pazifistischen Aktivitäten zukommen lässt. Mit Ausnahme von Verwandten und den Gattinnen der Gäste finden eher weniger Damen zu den Bruckmanns, da Elsa als eifersüchtig gilt. Besonders beeinflussen lässt sie sich von dem Philosophen und Graphologen Ludwig Klages, dem sie Schriftproben von Menschen schickt, die sie gerade kennengelernt hat, um sich von ihm Expertisen über deren Charakter anfertigen zu lassen.
Eine einschneidende Zäsur für Elsa Bruckmann stellt der Erste Weltkrieg dar: Norbert von Hellingrath, aufstrebender Hölderlin-Kenner und Elsa Bruckmanns „Ersatz-Sohn“, fällt 1916 vor Verdun. Sein Tod trifft Elsa Bruckmann mitten ins Herz; sie ist völlig am Boden zerstört. Die Kapitulation im November 1918 empfindet sie als Schmach; sie wird darüber schließlich depressiv. Zu den Aufregungen während der anschließenden Münchner Räterepublik gehören nicht zuletzt die im Mai 1919 im Innenhof des Karolinenplatz 5 vorgenommenen Erschießungen von 21 Mitgliedern eines katholischen Gesellenvereins, die irrtümlich für „Rote“ gehalten werden.
Von der Moderne haben nun auch die meisten Salon-Gäste genug – man sehnt sich nach Ruhe und Ordnung und der „guten alten Zeit“ mit einer unbeschädigten Identität. Der Mischung aus Verlustängsten, völkischen Ressentiments und einer geradezu esoterischen Heilserwartung mit dem Ziel der Wiederaufrichtung Deutschlands wird im Salon Bruckmann Raum gegeben. So referieren beispielsweise Oswald Spengler zum Untergang des Abendlandes und Alfred Schuler zur Bedeutung des Symbols der Swastika. In ihrer Verzweiflung und Verlorenheit hört Elsa Bruckmann 1920 erstmals Hitler sprechen, der trotz allem zum „Glauben an Deutschland“ aufruft. Er ist Aushängeschild und Paraderedner einer der zahlreichen rechten Splitterparteien, die sich vor allem in Bierkellern Gehör verschaffen. Sie berauscht sich an seinem Aufruf; für sie klingt er wie eine Verheißung – scheint er doch dem Tod ihres Neffen nachträglich einen tieferen Sinn zu geben. Sie gewinnt neuen Lebensmut und besucht zahlreiche Parteiversammlungen, z.B. im Circus Krone-Bau.
Als Hitler nach dem Novemberputsch 1923 zu Festungshaft in Landsberg verurteilt wird, trifft Elsa Bruckmann erstmals persönlich mit ihm zusammen, als sie ihn dort besucht: „Im Mai 1924 war es – da fuhr ich zum Führer, fuhr in die Festung nach Landsberg, um ihn, den ich so oft und oft gehört, dessen Reden mir einen Glauben gegeben, mir eine neue deutsche Welt aufgebaut hatten – zum ersten Mal das Bekenntnis der Zugehörigkeit zu ihm und zu seinem Werk zu bringen. […] Und das Herz pochte mir, dass ich heute dem würde Aug‘ in Aug‘ danken können, der mich und so Viele geweckt hatte und aus dem Dunkel uns wieder Licht gezeigt und den Weg, der zum Licht führen sollte.“
Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung Ende 1924 lädt Elsa Bruckmann ihn in ihren Salon ein und bietet ihm während seines öffentlichen Redeverbots eine Bühne für seine Agitation. Mit dem Erscheinen Hitlers im Salon Bruckmann ändert sich allmählich die Zusammensetzung der Gäste. FreundInnen wenden sich ab. Wo sich bisher KünstlerInnen und Gelehrte trafen, gehen künftig AnhängerInnen nationalsozialistischer Ideen ein und aus: Erich von Ludendorff, Alfred Rosenberg, Rudolf Heß, Baldur von Schirach, Unity Valkyrie Mitford, die ArchitektInnen Albert Speer sowie Gerdy und Paul Ludwig Troost. Diese Wandlung Elsa Bruckmanns wird nicht ohne Bedauern zur Kenntnis genommen, z.B. von Constanze Hallgarten: „Ihr Salon, früher ein Sammelpunkt des geistigen Münchens, verödete bald, und der Personenkreis ihres gesellschaftlichen Verkehrs, veränderte sich […] von Grund auf. Man zuckte die Achseln über Frau Elsa und sagte nur – schade! Sie war eine kluge, charmante Frau, aber Herrn Hitler bei sich zu empfangen, das galt mindestens als geschmacklos – man hätte es von dieser kultivierten Dame nicht erwartet.“
Elsa Bruckmann unterstützt Hitler auch persönlich. Die Lücke, die ihr Neffe Norbert hinterlassen hat, füllt sie mit Adolf Hitler: Sie schenkt ihm Geld, kauft ihm neue Garderobe, schickt ihm eine kostbare Armbanduhr. Als er aus seinem Untermietzimmer in der Thierschstraße in eine repräsentative Wohnung am Prinzregentenplatz umzieht, übernehmen Hugo und Elsa Bruckmann die Bürgschaft für seine Miete, und Elsa steuert Möbel aus ihrem Besitz bei. Sie sorgt dafür, dass er Parteischulden bezahlen kann („Ich hatte für die Partei einen Wechsel über vierzigtausend Mark unterschrieben. Gelder, die ich erwartete, blieben aus, die Parteikasse war leer […] Vier Tage vor dem Fälligkeitstermin erzählte ich Frau Geheimrat Bruckmann von meiner mißlichen Lage, die sofort die Sache in die Hand nahm…“, A.H.), betätigt sich als Geldkurierin für Parteispenden aus der Schweiz und hilft ihm beim Lektorat der zweiten Auflage des ersten Bandes von Mein Kampf. Ihrem Ansinnen, den zweiten Band im Verlag Bruckmann erscheinen zu lassen, widerspricht Hugo erfolgreich; nicht weil er anderer politischer Auffassung wäre – im Gegenteil: ab 1932 sitzt er für die NSDAP im Reichstag – sondern weil er seine konservative und liberale Kundschaft nicht vergraulen will. Am wertvollsten für Hitlers Ambitionen dürften Elsa Bruckmanns Kontakte in die gesellschaftliche Oberschicht sein: Sie vermittelt u.a. die Bekanntschaft mit dem Ruhr-Industriellen Emil Kirdorf, mit dem er die Abscheu vor der Demokratie und dem „kommunistischen und sozialistischen Gesindel“ teilt und der der Wegbereiter für die ideelle und finanzielle Unterstützung seiner „Bewegung“ durch die deutsche Großindustrie wird. 1930 verhelfen die Bruckmanns Hitler zum Erwerb seiner Parteizentrale, dem „Braunen Haus“, in einem ehemaligen Adelspalais in der Brienner Straße, nicht weit entfernt vom Karolinenplatz. Sie selbst ziehen kurze Zeit später aus dem Viertel fort in die Leopoldstraße.
Verhältnismäßig spät (1932) treten Elsa und Hugo Bruckmann in die NSDAP ein. Ihre Mitgliedschaft wird „ehrenhalber“ auf 1925 zurückdatiert, und sie erhalten die Mitgliedsnummern 91 und 92. 1933 wird Elsa das Goldene Parteiabzeichen verliehen. Im März 1933 ernennt Hitler sie zur Vorsitzenden der GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen), nachdem deren Gründerin und bisherige Vorsitzende, die Jüdin Ida Dehmel, zurücktreten musste.
Nach seiner Machtübernahme ist Hitler nur noch selten bei den Bruckmanns. Elsa Bruckmann muss erkennen, dass er sich ihrem vermeintlichen Einfluss immer mehr entzieht. Sie ist von der Brutalität abgestoßen, mit der er die parteiinternen Widersacher Strasser und Röhm 1934 ermorden lässt, sowie von der Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg 1936/37. Allmählich beginnt sie sich von ihrem einstigen Protegé zu distanzieren – allein die ganzen martialischen Aufmärsche sowie Hitlers penetrante Selbstbeweihräucherung sind ihr zu viel. Spätestens ab 1938 bröckelt die geradezu blinde Ergebenheit gegenüber Hitler: Nach dem Münchner Abkommen, als sie froh ist, dass alles ohne Blutvergießen ausgegangen ist, stellt sie bestürzt fest, dass er lieber den Krieg gewollt hätte. Noch ist Hitler in der Lage, ihre Zweifel zu zerstreuen und ihre Loyalität zu sichern, sobald er wie in alten Zeiten bei ihr zu Gast ist. Aber nach der Pogromnacht am 9. November ist damit Schluss. Sie ist entsetzt über die barbarischen Judenverfolgungen und sinnlosen Zerstörungen. Sie schließt sich enger an Ulrich von Hassell und seine Frau an – er ist seinerzeit deutscher Botschafter in Rom und später Mitglied des nationalkonservativen Widerstands um Carl Friedrich Goerdeler – und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn Hitler einen seiner seltenen Besuche abstattet.
Als Rudolf Heß im Mai 1941 seinen England-Flug unternimmt, um eigenmächtig die Briten zu einem Friedensschluss zu bewegen und daraufhin von Hitler für „geisteskrank“ erklärt wird, verteidigt Elsa Bruckmann diese Tat und hält zu seiner Frau Ilse, die von den übrigen Parteigranden geschnitten wird. Das Jahr 1941 hält für Elsa Bruckmann einen weiteren tiefen Einschnitt in ihr Leben bereit: Im September stirbt Hugo im Alter von 78 Jahren nach einem Herzinfarkt. Hitler ordnet zu diesem Anlass zwar einen Staatsakt an, ist aber selbst nicht anwesend, sondern lässt sich durch den Gauleiter Wagner vertreten. Eine weitere Enttäuschung für Elsa.
Von der Verfolgung von Jüdinnen und Juden ist Elsa Bruckmann auch persönlich tangiert. Als sie erfährt, dass ihre Jugendfreundin Emma Noether samt Tochter Clara ins französische Internierungslager Gurs deportiert wurden, schickt sie ihr Briefe und Päckchen. Inwieweit sie auch darauf Einfluss nimmt, dass Beiden die Emigration gelingt, ist ungeklärt. 1942 wendet sich Elsa Bruckmann – erfolgreich – an die höchsten Stellen, um ihre langjährige, noch aus Zeiten im Hause Worms-Todosco stammende Freundin Jella Oppenheimer vor der Deportation zu bewahren.
Im April 1944 wird ihr Wohnhaus in der Leopoldstraße von Brandbomben schwer getroffen, und Elsa Bruckmann zieht in eine Pension nach Garmisch-Partenkirchen, wo sie auch das Kriegsende erlebt. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches schreibt sie an einen Bekannten: „Er [= Hitler] hätte sich – gleich den Bürgern von Calais – den Feinden zu Füßen werfen und alle Schuld auf sich nehmen müssen.“ Von Nachbarn in Garmisch-Partenkirchen wird sie gleichwohl nach wie vor als unbelehrbare Anhängerin des Nazi-Regimes geschildert. Im Juni 1946 stirbt die in ihren Ansichten und Handlungen höchst zwiespältige und widersprüchliche Elsa Bruckmann im Alter von 81 Jahren.
(Text von 2018)
Verfasserin: Christine Schmidt
Zitate
[…] dass ich trotz der Fremdheit meines Mädchennamens durch und durch Deutsche bin: mein Vater war Deutscher, hatte eine deutsche Frau und hat uns so deutsch erzogen, dass wir als Kinder die Wacht am Rhein und das Deutschlandlied sangen, noch ehe wir recht sprechen konnten.
Voll im Leben stehn, mit offenen Augen für Alles was ringsum sich erschließt und doch sich selbst nicht verlieren – an dieser Haltung zeigt sich, ob man eine starke Eigenart besitzt.
Sie ahnen nicht, was ich an meinem Vater verloren hab. Meine ganze Kindheit war von ihm durchweht, hat ihre Bedeutung durch ihn bekommen. So voll, so wenig schattenhaft wie er sind Wenige im Leben gestanden.
Schöne alte Bilder und Möbel, Skulpturen und Vasen und überall Bücher (in Harmonie ruhiger Farben) verbreiteten jene leicht beschwingte Atmosphäre geistiger Geselligkeit, die wir aus besseren Zeiten hatten herüberretten können.
Der Augenblick erster Begrüssung [sic!] ist für mich entscheidend geworden, weil ich in dem Menschen, der mir so nahe gegenüberstand, die gleiche schlichte Größe, die gleiche gewachsene Echtheit und das unmittelbar aus der Wurzel strömende Leben empfand, wie bisher im grossen [sic!] Führer und Redner in der Distanz des Gesamterlebnisses der Versammlungen.
Jede dieser Stunden aber befestigte in uns die Ueberzeugung [sic!], dass dieser Mann und nur er unsere Hoffnung und unser Führer sein würde auf dem dornenvollen Weg zu Deutschlands Wiederaufstieg.
Das Entsetzen über die schamlosen Judenverfolgungen ist bei ihnen [= den Bruckmanns] so groß wie bei allen anständigen Menschen. Nach Bruckmanns Erzählungen sind durch und durch treue Nationalsozialisten jetzt restlos bekehrt, nachdem sie die teuflische Barbarei mitangesehen haben, mit der die SS die unglücklichen verhafteten Juden behandelt haben. (Ulrich von Hassell, deutscher Botschafter in Rom und späterer Widerstandskämpfer, am 9.11.1938)
Frau Bruckmann ist immer stärker verzweifelt über die Entwicklung des Mannes, für den sie alles eingesetzt hat. Sie klammert sich noch an die Restbestände ihrer sentimentalen Anhänglichkeit und ihrer Hoffnungen, aber mit ihrem Verstand hat sie ihn gänzlich abgeschrieben. (Ulrich von Hassell, 1938)
Aber alles kommt mir auch bei hellichtem Tag wie ein unglaubhafter Traum vor: ganz Deutschland feindüberzogen, unterjocht, überflutet – dazu: gehaßt, verachtet u. tief von Schuld belastet, – das deutsche Volk um Alles betrogen, was man ihm glauben gemacht u. was es treuherzig hingenommen. Ich selbst, mir heute unverständlich in meiner damaligen Verblendung, bitterlich enttäuscht, ohnmächtig u. allein!
Links
Auerbach, Hellmuth: Hitlers politische Lehrjahre und die Münchner Gesellschaft 1919 – 1923. Versuch einer Bilanz anhand der neueren Forschung. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd. 25, H.1, 1977, S. 1–45
Bauer, Reinhard et al. (Hg.): München – „Hauptstadt der Bewegung“. Bayerns Metropole und der Nationalsozialismus. München 2002 (Münchner Stadtmuseum / Edition Minerva)
Bohnenkamp, Klaus E. (Hg.): Hugo von Hofmannsthal, Rudolf Kassner und Rainer Maria Rilke im Briefwechsel mit Elsa und Hugo Bruckmann 1893 – 1941. Göttingen 2014 (Wallstein)
Festner, Katharina & Christiane Raabe: Spaziergänge durch das München berühmter Frauen. Zürich / Hamburg 1996, S. 147f (Arche)
Hallgarten, Constanze: Als Pazifistin in Deutschland. Stuttgart 1956 (Conseil)
Käfer, Miriam: Hitlers frühe Förderer aus dem Münchner Großbürgertum – das Verlegerehepaar Elsa und Hugo Bruckmann. In: Krauss, Marita (Hg.): Rechte Karrieren in München. Von der Weimarer Zeit bis in die Nachkriegsjahre. München, S. 52–79 (Volk Verlag)
Large, David Clay: Hitlers München. Aufstieg und Fall der Hauptstadt der Bewegung. München 1998 (C.H. Beck)
Martynkewicz, Wolfgang: Salon Deutschland. Geist und Macht 1900 – 1945. Berlin 2009 (Aufbau)
Panzer, Marita A.: „Volksmütter“ – Frauen im Dritten Reich 1933 – 1945. In: Krafft, Sybille et al.: Frauenleben in Bayern von der Jahrhundertwende bis zur Trümmerzeit (Hg. Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit). München 1993, (v.a.) S. 234–236
Schaake, Erich & Bäurle, Roland: Hitlers Frauen. München 2000 (List)
Schad, Martha: Elsa Bruckmann – Hitlers Kampfgefährtin. In: Sie liebten den Führer. Wie Frauen Hitler verehrten. München 2009, S. 11–40 (Herbig)
Schad, Martha: „Das Auge war vor allen Dingen ungeheuer anziehend“ – Freundinnen und Verehrerinnen. In: Leutheusser, Ulrike (Hg.): Hitler und die Frauen. Stuttgart / München 2001, S. 21–127 (Deutsche Verlags-Anstalt)
Teibler, Claudia: Elsa Bruckmann (1865 – 1846). In: Münchnerinnen, die lesen, sind gefährlich. München 2010, S. 112–119 (Elisabeth Sandmann)
Literatur & Quellen
http://www.linkfang.de/wiki/Elsa_Bruckmann
https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1977_1.pdf
http://www.deutschlandfunk.de/salon-voller-bereiter-geister.1310.de.html?dram:article_id=194091
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