Fembio Specials Frauen aus Nord- und Südtirol und dem Trentino Ingeborg Bauer Polo
Fembio Special: Frauen aus Nord- und Südtirol und dem Trentino
Ingeborg Bauer Polo
(Dr. Ingeborg Bauer Polo)
geboren am 2. Juli 1940 in Innsbruck
gestorben am 8. Juni 2011 in Meran
Südtiroler Lehrerin, Schuldirektorin, Politikerin und Bozner Stadträtin, Kulturfrau
10. Todestag am 8. Juni 2021
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
»Nicht mit scharfen Strichen wie politische Grenzen der Staaten lassen sich die natürlichen Grenzen der Völker, die Sprachgrenzen, bezeichnen; das bewegliche Element der lebenden Bevölkerung verwischt und verschiebt sie, unbekümmert um politische Zugehörigkeit.«
Diese Zeilen hat die junge Inge Bauer 1962 an den Anfang ihrer Doktorarbeit gestellt und damit schon früh und traumwandlerisch sicher ihr eigenes Lebensmotto formuliert. Sie, ihre Herkunftsfamilie, ihre eigene Familie, sie alle waren immer wieder mit der Grenzthematik befasst, oft bewusst auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, oft aber auch aus dem widerständigen Kontext ihrer Lebenszusammenhänge heraus.
Die Familie Erna und Walter Bauer kommt aus Österreich und findet im Zweiten Weltkrieg in St. Pauls und Frangart bei Bozen erste Unterkünfte. Die Volksschule besucht Inge teils in Bozen, teils auf Wunsch des Vaters in Innsbruck. Er schätzt die deutsche Schule nicht, die nach den langen Jahren des Faschismus in Südtirol gerade erst neu aufgebaut werden muss, und zieht es vor, Inge bei der Großmutter in Innsbruck wohnen und zur Schule gehen zu lassen. Das Italienisch-Lernen wird im Sommer am Gardasee mit einer italienischen Kinderfrau nachgeholt, dies ist im zweisprachigen Bozen unverzichtbar. So gehören das Hüben und Drüben der Brennergrenze und die Zweisprachigkeit zu den Grunderfahrungen der Ältesten von drei Geschwistern. Nach Abschluss der Lehrerbildungsanstalt studiert sie Germanistik und Kunstgeschichte in Innsbruck. Der Vater, Jurist, kann im Nachkriegs-Südtirol nicht so leicht Fuß fassen, als Hoteldirektor aber schließlich doch seiner Familie ein gutes Auskommen sichern. 1958 bringt sein früher, unerwarteter und nie ganz aufgeklärter Tod während Inges erstem Studienjahr neue Unsicherheiten. Jetzt ist schnelles, zielgerichtetes Studieren vonnöten.
Diese schwierigen Lebensverhältnisse im Aufwachsen begründen das familiäre Zusammenhalten als ein Leitmotiv in Inge Bauers Leben; sie wird nach Aussage ihrer Schwester zur »Lebenshelferin«.
Ihr Studienabschluss fällt mit jener Schulreform zusammen, die 1962 in Italien und damit auch in Südtirol die Einheitsmittelschule einführt. Die Norm, die für alle Kinder von der sechsten bis zur achten Klasse die gleiche Ausbildung vorschreibt, verändert die Schullandkarte grundlegend. Viele neue Schulen werden eröffnet. Inge Bauer steigt genau in diesem Jahr in den Schuldienst ein und unterrichtet dann jahrelang Deutsch, Geschichte, Geografie und Latein.
Parallel zum Aufbau einer soliden Berufskarriere gründet Inge mit dem italienischsprachigen Friulaner Vincenzo Polo, Prokurist in den Bozner Stahlwerken, ihre eigene Familie. Damit handelt sie gegen die Erwartungen ihrer Herkunftsfamilie, die für sie auf eine Heirat mit einem Mann aus dem deutschsprachigen Bozner Bürgertum gehofft hatte. Auch im beruflichen Umfeld erfährt sie durch diese Verbindung und ihre Mutterschaft ohne Trauschein Widerstände. Sie erlebt immer wieder schmerzhaft, wie Grenzen im Denken ihrer Mitmenschen das Zusammenleben von Deutschsprachigen und Italienischsprachigen erschweren.
In diesen 1960er-Jahren tobt im erzkatholischen Italien ein heftiger politischer Streit um das erste Scheidungsgesetz, das 1970 gegen den erbitterten Widerstand des Vatikans schließlich im Parlament eine Mehrheit findet. Der Sieg der »divorzisti« eröffnet Vincenzo Polo die Möglichkeit, seine erste Ehe scheiden zu lassen. Am 18. Juni 1971 finden im Bozner Rathaus die ersten beiden Trauungen von Geschiedenen statt; eine davon ist die Eheschließung Bauer-Polo. Die Kinder Sabrina und Marco wachsen jetzt in einer eherechtlich regulären Familie auf.
Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, aber auch die Ermutigung jener Direktorin, die in dieser Zeit die Mittelschule Kaltern leitet und ihr freundschaftlich verbunden ist, motivieren die engagierte Schulfrau 1976, in Bozen-Gries die Führung der Mittelschule Adalbert Stifter zu übernehmen. Sie zählt jetzt zu jener Generation von Direktorinnen, die in den 1970er und 1980er Jahren als Schulentwicklerinnen das pädagogische Profil der neuen Schulstufe maßgeblich prägen. Inge Bauer Polo verwandelt »ihre Stifter« in Bozen-Gries mit ihrer Devise »Was fehlt wo?« schnell in ein zukunftsorientiertes pädagogisches Labor. Mit dem damals innovativen Konzept der Projektarbeit eröffnet sie Schülerinnen mit Lese- und Rechtschreibproblemen neue, bis dahin verschlossene Bildungswege bis hin zum akademischen Abschluss. Zum Sinn von Schultheater, das starre Stundenpläne außer Kraft setzen darf, meint sie: »Wer einmal auf der Bühne seine Rolle gemeistert hat, hat Selbstsicherheit fürs Leben gewonnen.« Für hörbeeinträchtigte Kinder richtet sie die ersten kooperativen Klassen ein.
In all ihren Führungsrollen setzt Inge Bauer Polo auf zwei kluge Strategien: Sie ermächtigt ihre Mitarbeiterinnen, fachlich neue Wege zu gehen, radikal Neues auszuprobieren; überall, wo sie tätig ist, entwickelt sie so hochqualifizierte Teams. Zu den verschiedensten Themen sucht sie Kontakte mit Fachleuten, die ihr Engagement teilen. Sie knüpft fachliche Beziehungen und Freundschaften weit über Südtirol hinaus und pflegt den Austausch zwischen dem deutschen und dem italienischen Sprachraum. Danksagungen für dieses vernetzte Arbeiten sind im e-Kondolenzbuch heute noch nachzulesen.
Das Jahr 1989 markiert Inge Bauer Polos Einstieg in die Bozner Gemeindepolitik als Vertreterin der deutschen Sammelpartei SVP. Damit setzt sie konsequent ihre Arbeit für das Gemeinwohl und für eine ausgewogene Kulturpolitik in einem größeren Rahmen fort. Über einen Zeitraum von 16 Jahren und über viele Krisen der Gemeindepolitik hinweg gestaltet und verwaltet sie als Vollzeit-Stadträtin die unterschiedlichsten Ressorts, vom Schulwesen über den Verkehr und die öffentlichen Arbeiten bis hin zu den Finanzen. In ihrem Handeln vereint sie langfristige, systemwirksame Zukunftsperspektiven und alltagstaugliches Handeln. Mit ihrem innovativen Projekt Zeiten der Stadt orientieren sich Dienste mehr als vorher an den Bedürfnissen der Bürgerinnen; seither können viele BoznerInnen ihre Tagesabläufe selbstbestimmter organisieren und die Mittagsöffnung von Friseursalons oder die verlängerte Donnerstag-Öffnung der Ämter nutzen. Für den Verkehrsfluss erscheinen der Verkehrsstadträtin Kreisverkehrslösungen geeignet. Die Zweifel ihrer Techniker können sie nicht mehr von ihrer Entscheidung abbringen; sie baut den ersten Bozner Kreisverkehr. Inge Bauer Polo will nicht selbstbezogen das Rad neu erfinden, lieber greift sie sinnvolle Modelle auf, auch wenn sie zunächst gewöhnungsbedürftig erscheinen.
Sie agiert in der politischen Arbeit meist mit folgender Strategie: zuerst viele Meinungen einholen, kontrovers diskutieren und die Haltung auch der größten Gegnerinnen zulassen, sich einen möglichst weiten Überblick verschaffen, dann aber gut begründet entscheiden und konsequent und zielsicher umsetzen, was beschlossen ist. Inge Bauer Polo hat so einen beispielgebenden Stil von Fairness, Klarheit und Professionalität entwickelt. Ihr Sohn nennt ihr politisches Vorgehen »brutal ehrlich«, mit dem einzigen Ziel des Gemeinwohls.
In diesen Jahren grenzt die Ehe mit einem Italiener, der sich politisch rechts positioniert hatte, Inge Bauer Polo innerhalb der Südtiroler Volkspartei immer wieder aus. Sie darf nicht die zweite Bürgermeisterin, die deutsche Bürgermeisterin ihrer Stadt, werden. Im Rückblick werden viele, die damals gegen sie agiert, sie nicht unterstützt haben, zugeben müssen, dass sich die Stadt damit viele Chancen vergeben hat. Das Führungsduo Salghetti-Bauer Polo an der Spitze der Stadtregierung hätte sicher viele nachhaltige Perspektiven eröffnet, die Bozen weit nach vorne gebracht hätten. Die öffentlich weniger sichtbare, aber umso konfliktträchtigere Arbeit als Vorsitzende des SVP-Ausschusses für Schule und Kultur wird ihr dagegen zugestanden.
2005 beschließt Inge Bauer Polo bei den Gemeinderatswahlen nicht mehr anzutreten. Jetzt will sie sich mehr Zeit für ihre Familie nehmen. Sie betreut und pflegt zusammen mit ihrer Schwester ihre Mutter, die an Alzheimer erkrankt ist. Der grausame Tod ihrer Mutter, die sich in der Badewanne verbrüht, ist Anlass, sich in der Alzheimer Gesellschaft Südtirols A.S.A.A. zu engagieren, als Vorsitzende, mit aller Kraft, gemeinsam mit vielen Verbündeten.
Gleichzeitig unterstützt Inge ihre Tochter, eine erfolgreiche Rechtsanwältin in Udine, die zwei Söhne hat. Sie lernt nähen, um ihre Enkel mit Selbstgemachtem einzukleiden, und holt damit wohl nach, was sie für ihre Kinder aus Zeitmangel nicht leisten konnte. Ihre Tochter Sabrina sagt dazu: »Es war meine Mutter, die die Familie zusammengehalten hat, auch wenn sie diejenige war, die beruflich am meisten engagiert war und wenig Zeit hatte. Meine Mutter hatte einfach immer für jede/n Zeit.« Sie hat jenen Satz mit in ihr Leben genommen, der die pflichtbewusste Haltung ihrer Mutter in schwierigen Zeiten ausdrückt: »Man kann sich auch zwingen, glücklich zu sein.«
Bis wenige Tage vor ihrem Lebensende ist sie als Präsidentin des Südtiroler Bildungszentrums, als Mitfrau des Beirats für Kultur der Südtiroler Landesregierung und als Stiftungsrätin der Südtiroler Landessparkasse tätig. Die Vita activa bleibt trotz lebensbedrohender Krankheit ihr Weg.
Inge Bauer Polo war eine elegante Erscheinung, äußerlich zurückhaltend, innerlich eine Frau mit großer Passion. Privates und Öffentliches trennte sie glasklar, die Erfahrungen aus dem Privaten waren für sie aber immer wieder eine starke Motivation, sich im Öffentlichen als »Lebenshelferin« zu engagieren. Sie hat vorgelebt, dass im Grenzland Südtirol Deutschsprachige und Italienischsprachige einen gemeinsamen, Frieden versprechenden Weg gehen können.
Verfasserin: Berta Linter Schlemmer
Zitate
Sie ist leise von uns gegangen, unerwartet eigentlich, denn sie war noch nicht alt und trotz ihrer Krankheit voller Tatendrang. Sie lebte nach der schlimmen Diagnose weiter wie immer, radelte von Sitzung zu Sitzung, beriet, gab Ratschläge und Tipps, dachte über die Entwicklung dieser Stadt nach, was ja eher selten ist, betreute ihren weiten Freundeskreis, ein regelrechtes Netzwerk im kulturellen und sozialen Bereich, das sie sich im Lauf ihrer langen, engagierten Jahre aufgebaut hatte, und das sie zu einem Mittelpunkt Bozner Sozial- und Kulturpolitik werden ließ. Mit Ingeborg Bauer Polo verliert die Stadt eine große Politikerin, die die Stadt geprägt hat und die mit ihrem Wirken und mit ihrer Erscheinung im konfusen politischen Gefüge der Landeshauptstadt einen Stabilitätsfaktor darstellte. […]
In einer Zeit, in der Behinderung noch als Schande und Schmach empfunden wurde, als man Behinderte noch abschob und in Sonderklassen versteckte, glaubte sie an die Integration und richtete die erste integrierte Klasse des Landes ein, […] Sie hatte immer ein besonderes Gespür für die Anliegen jener, die im Schatten stehen, für die Bedürftigen und Leidenden, und niemand weiß, wie sehr sie sich für die Angehörigen von Parkinsonkranken eingesetzt hat. […]
Sie war eine Karrierefrau, klar, aber sie war auch eine rührend zärtliche Frau und Mutter. Eine Frau von gerechter, milder Weisheit, mit heller, wacher, kritischer Klugheit hat uns nun verlassen. Ein großer Verlust für die Stadt, für eine Politik, die noch an menschliche Werte glaubt. […]
(Arnold Tribus)
Literatur & Quellen
Quellen
ASAA - Alzheimer Südtirol Alto Adige.
Online verfügbar unter http://www.asaa.it/, zuletzt geprüft am 27.05.2021.
Bauer Polo, Ingeborg (1962): Sprachliche Monographie der Fersentaler deutschen Gemeinden im Trentino. Dissertation, Innsbruck, 1962.
Deutsches Schulamt Bozen. Autonome Provinz Südtirol: Personalfaszikel Ingeborg Bauer Polo.
Kondolenzbuch stol.it: Ingeborg Bauer Polo. URL: http://kondolenzbuch-online.de/cgi-bin/2011/books/000258.pl – nicht mehr online, zuletzt geprüft am 27.05.2021.
Linter Schlemmer, Berta (15.03.2012): Interview mit Waltraud Staudacher. Montan (Bz).
Linter Schlemmer, Berta (04.04.2012): Telefon-Interview mit Othmar Heinz. Montan (Bz).
Linter Schlemmer, Berta (11.04.2012): Interview mit Iris Tatz. Montan (Bz).
Linter Schlemmer, Berta (01.05.2012): Interview mit Helga Bauer. Montan (Bz).
Linter Schlemmer, Berta (31.05.2012): Telefon-Interview mit Frau Grabmayer. Montan (Bz).
Linter Schlemmer, Berta (03.06.2012): Telefon-Interview mit Marco Polo. Montan (Bz).
Linter Schlemmer, Berta (04.06.2012): Mail-Interview mit Sabrina Polo. Montan (Bz).
Mumelter, Renate: Ingeborg Bauer Polo. In: Alpenrosen. Jahresschrift für Frauenkultur. Bozen. Autonome Provinz Südtirol.
SBZ | Südtiroler BildungsZentrum.
Online verfügbar unter http://www.sbz.it/, zuletzt geprüft am 27.05.2021.
Stadt Bozen.
Online verfügbar unter http://www.gemeinde.bozen.it, zuletzt geprüft am 27.05.2021.
Zukunft in Südtirol ZiS. Organ der Südtiroler Volkspartei SVP. (9/2011), S. 9.
Werke
Bauer-Polo, Ingeborg (Hg.) (ca. 1988): Bozen, deine Stadt. Gemeinde Bozen.
Brückner, Alfred; Bauer Polo, Ingeborg (1982-84): Geschichte für Südtiroler Mittelschulen. 3 Bände. Wien. Österr. Bundesverlag.
Bildquellen
privat/Tanna
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