Fembio Specials FemBiografien von Swantje Koch-Kanz (1939-2022) Jacqueline du Pré
Fembio Special: FemBiografien von Swantje Koch-Kanz (1939-2022)
Jacqueline du Pré
geboren am 26. Januar 1945 in Purley, Oxford
gestorben am 19. Oktober 1987 in London
englische Cellistin
35. Todestag am 19. Oktober 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Etwa vor 40 Jahren, ein Cellokonzert im Radio: Ein blühender, gesanglicher Ton von unerhörter Intensität und eine leidenschaftliche Interpretation, die ganz anders war als alles, was ich bis jetzt aus dem Konzertsaal, z.B. von dem noblen Pierre Fournier, gewohnt war: Jacqueline du Pré! Kaum über zwanzig war sie. Als Vierjährige bekam sie den ersten Cellounterricht, gewann mit elf das renommierte Suggia-Stipendium, war Meisterschülerin von Casals, Tortelier und Rostropowitsch – ein »Wunderkind«. Sie musizierte mit den besten Dirigenten und Orchestern sowie, auch kammermusikalisch, einer Anzahl nur wenig älterer aber ebenso bekannter Solisten. Und wer je ein Konzert mit ihr hörte, war überwältigt von ihrer schieren Musikalität, ihrer Sinnenhaftigkeit und Spontaneität.
Gerade die unmittelbare Natürlichkeit und das Feuer ihrer musikalischen Präsenz überdeckte jedoch ihr Lebensschicksal, und über dem immer strahlenden Star geriet die Frau Jacqueline du Pré bald in Vergessenheit. Die erst 26jährige muss eine Einspielung abbrechen – es wird ihre letzte bleiben. Nach zwei Jahren sich immer weiter verschlechternder Gesundheit gibt sie am 25. Januar 1973, einen Tag vor ihrem 28. Geburtstag, in New York das letzte Konzert mit ihrem Mann Daniel Barenboim. Das Brahms-Doppelkonzert mit Pinchas Zukerman unter Bernstein im Februar wird zum katastrophalen Ende ihrer Karriere.
Sieben verzweifelte Monate noch, mit ständig sich steigernden Selbstvorwürfen, bis zur Diagnose: nicht Stress und weibliche Hysterie sondern – Multiple Sklerose! Es ist ein mühsames Sich-Aufraffen, sich ab 1975 – nun im Rollstuhl – für die Bekämpfung der MS einzusetzen. Drei Jahre kann sie noch – nicht mehr spielend, nur mühsam sprechend – Meisterklassen geben; 1980 ist auch das vorbei. Zwar bleiben ihr Lebenswille und ihr Witz ungebrochen, doch sind die letzten sieben Jahre ein quälender und nie gelungener Abschied vom eigentlichen Sinn und der einzigen Möglichkeit, dem buchstäblich eigensten »Instrument« ihres Lebens – dem geliebten Cello. (Text von 1991)
—Nachtrag 2002 von Luise F. Pusch
In ihrer 1997 veröffentlichten Doppelbiographie A Genius in the Family (deutsch: Hilary und Jackie, so auch der Titel der Verfilmung mit Emily Watson) machen uns Jacquelines Geschwister, die Flötistin Hilary du Pré und ihr Bruder Piers, mit einigen bis dahin unbekannten Zügen des ungestümen Genies vertraut. Wenn man den Geschwistern und dem Film glauben darf, war die sich rückhaltlos verausgabende Künstlerin liebebedürftig bis zur Zerstörung ihrer engsten Bindungen und schreckte auch nicht davor zurück, »der Schwester den Mann wegzunehmen«.
In dem jüngsten, fünften du-Pré-Film von Christopher Nupen (Who Was Jacqueline du Pré?), der im September 2002 auch im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde (Jacqueline du Prè: Wie war sie wirklich?), wird diese dunkle Seite keiner Silbe gewürdigt; das Porträt ist auch als Antwort auf die »Verleumdungen« der Geschwister gegen eine, die sich nicht mehr wehren kann, gemeint. Es ist noch verehrungsvoller als alle vorhergegangenen du-Pré-Filme von Nupen (Jacqueline du Pré and the Elgar cello Concerto 1967, Neufassung 1980; The Trout 1969; The Ghost 1970 und ' Remembering Jacqueline du Pré' 1995 ).
Die von Nupen interviewten FreundInnen und KollegInnen (u.a. Zubin Mehta, Pinchas Zukerman, Itzhak Perlman, Toby Perlman, Dietrich Fischer-Dieskau, die Herzogin von Kent, Lady Evelyn Barbirolli, Vladimir Ashkenazy, Fou Ts'ong sowie Jackies Freundin und Biographin, die Cellistin Elizabeth Wilson) bezeugen einstimmig: Jacqueline du Pré strahlte musikalisch und menschlich einen ungeheuren Zauber aus, dem alle erlagen.
Verfasserin: Swantje Koch-Kanz
Zitate
Von all den hochberühmten Mitgliedern des Barenboim Clans [Mehta, Perlman, Brendel, Zukerman, Ashakenazy, auch Stern, Rubinstein, Fischer-Dieskau] zog Jacquelines Name das meiste Publikum an, und ihre Gagen waren [...] die höchsten. (Easton)
Sie hatte ein natürlich funkelndes Lächeln, das ganz sicher oft spontan war. Aber während ihres ganzen Lebens war es auch, wenn nötig, eine praktische und undurchdringliche Maske. (Easton)
Ich hatte keine Ahnung, was zum Teufel mit mir los war. Ich kam in die Konzerthalle und konnte weder meinen Cellokasten fühlen noch das Cello aus dem Kasten herausbekommen. Der Gang auf das Podium war wie der Gang zum Schafott – ich war unfähig, Kraft in meinen Armen und Fingern aufzubringen. Ich wußte nicht, wo sie waren und was sie machten. (Jacqueline du Pré über ihr letztes Konzert)
Links
Jacqueline du Pré. Offizielle Webseite (engl.) – Biografie, Diskografie, Bücher und Filme, Memorabilia, Linksammlung. (Link aufrufen)
Jacqueline du Pre, Noted Cellist, Is Dead at 42 (1987). New York Times, October 20, 1987. (Link aufrufen)
DNB, Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: du Pré, Jacqueline. Bücher und Medien. (Link aufrufen)
Find A Grave Memorial: Jacqueline du Pré (1945 - 1987) (Link aufrufen)
Internet Movie Database: Jacqueline du Pré. Filme. (Link aufrufen)
musicianguide.com: Jacqueline DuPré Biography (Link aufrufen)
Weihe, Wolfgang (2011): Wer war Jacqueline du Pré? (Teil 1) (Link aufrufen)
Weihe, Wolfgang (2011): Wer war Jacqueline du Pré? (Teil 2) (Link aufrufen)
Weihe, Wolfgang (2011): Wer war Jacqueline du Pré? (Teil 3) (Link aufrufen)
YouTube: Jacqueline du Pré. Videos. (Link aufrufen)
Links geprüft und korrigiert am 23. Januar 2020 (AN)
Literatur & Quellen
Quellen
Burgess, Patricia (1990): Jacqueline du Pré. In: Burgess, Patricia: The annual obituary 1987. Chicago. St James. ISBN 9781558620216 S. 612–614. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Du Pré, Hilary; Du Pré, Piers (1999): Hilary und Jackie. Das Buch zum Film. (=A genius in the family) Herausgegeben von Christine Röhmeier. Berlin. Ullstein. (Ullstein-Bücher, 24644) ISBN 3-548-24644-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Easton, Carol (1991): Jacqueline du Pré. Musik war ihr Leben ; eine Biographie. Wien, Darmstadt. Zsolnay. ISBN 3-552-04306-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wilson, Elizabeth (1999): Jacqueline du Pré. London. Faber and Faber. ISBN 9780571200177. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Barenboim, Daniel; Huscher, Phillip et al. (2008): Die Musik - mein Leben. (=A life in music) 4. Aufl. Berlin. List. (List-Taschenbuch, 60454) ISBN 3-548-60454-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Buschey, Monika (2001): Geliebte, die Geschichte machten. Leidenschaft und Inspiration. Stuttgart ; Zürich. Kreuz. ISBN 3-7831-2009-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Du Pré, Hilary; Du Pré, Piers (2002): Jacqueline du Pré. Ein Genie in der Familie. (=A genius in the family) 3. Aufl. Berlin. Propyläen. ISBN 3549053193. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Lemke-Matwey, Christine (Hg.) (2007): Jacqueline du Pré. lesen & hören ; Leben und Musik der großen Cellistin ; Jacqueline du Pré spielt Elgar: Cellokonzert, Brahms: Cellosonate F-Dur. Buch und CD. Hamburg. Zeitverl. Bucerius. (DIE ZEIT-Klassik-Edition, 14) ISBN 9783476022141. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Rode-Breymann, Susanne (Hg.) (2011): Krankheiten großer Musiker und Musikerinnen. Reflexionen am Schnittpunkt von Musikwissenschaft und Medizin. Hildesheim. Olms. (Ligaturen, 4) ISBN 978-3-487-14328-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wordsworth, William (Hg.) (1989): Jacqueline du Pré. Impressions. London. Grafton Books. ISBN 0246135735. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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