(geb. Frances Matilda van de Grift, verh. Osborne)
geboren am 10. März 1840 in Indianapolis (Indiana/USA)
gestorben am 18. Februar 1914 in Santa Barbara (Kalifornien/USA)
US-amerikanische Abenteurerin, Amateurmalerin und Autorin; Ehefrau von Robert Louis Stevenson
110. Todestag am 18. Februar 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Unendlich klein, kurioser grauer Lockenschopf, schönes, wächsernes Gesicht wie das Napoleons, irrwitzige schwarze Augen, Jungenhände, winzige nackte Füße, eine Zigarette, wildes blaues Kleid einheimischer Machart, das meist mit Gartenerde gesprenkelt ist. In Gesellschaft nimmt ihr Verhalten Züge einer ängstlichen, pedantischen alten Jungfer aus prüderen Zeiten an; fehlte nur noch das Ridikül* … Höllische Energie, unterbrochen von Zeiten völligen Winterschlafs. Kann alles, vom Hausbau bis zum Ehestreit, alles groß und imponierend in seiner Art … Verarztet alle, verarztet dich, lässt sich aber selbst nicht verarzten. Ein Partisan, wie er leibt und lebt: leidenschaftlicher Freund, gnadenloser Feind … Wird entweder gehasst oder sklavisch angebetet; Gleichgültigkeit unmöglich. Die Einheimischen finden sie unheimlich und glauben, dass Teufel ihr dienen. Träumt Träume und hat Visionen.
(Robert Louis Stevenson)
*Anm.: Ein Ridikül ist ein Handgelenksbeutel.
Diese bemerkenswerte Beschreibung seiner Ehefrau Fanny verfasste Robert Louis Stevenson in den Jahren 1892/93 während des Aufenthaltes in ihrer Wahlheimat Vailima auf der Pazifikinsel Samoa. Fanny Osbourne und der später berühmte schottische Autor und Dichter hatten sich 1876 in Grez-sur-Loing, einer KünstlerInnenkolonie in der Nähe von Paris, kennengelernt. Fanny, die zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern war, hatte bereits ein abenteuerliches Leben in den Goldgräbercamps im amerikanischen Westen hinter sich und lebte in Trennung von ihrem Ehemann Sam Osbourne.
Fanny und Louis unternahmen nach ihrer Hochzeit zahlreiche gemeinsame Südsee-Reisen, die der Lungenerkrankung Robert Louis Stevensons geschuldet waren und später zu einem dauerhaften Umzug in diese Gegend führten. Fanny Stevenson war eine große und starke Frau an der Seite eines berühmten Mannes. Ihr gemeinsames Leben in der Südsee dokumentierte sie in ihren zwei posthum erschienen Südsee-Tagebüchern.
Wer war diese couragierte Frau? Fanny, als älteste von sechs Kindern des Holzhändlers und Immobilienmaklers Jacob Vandegrift und seiner Frau Esther Keen am 10. März 1840 in Indianapolis/Indiana geboren, hatte eine überwiegend sorgenfreie Kindheit. Fanny erlebte die rasante Entwicklung Indianas von der Wildnis zur Zivilisation und den Aufstieg von Indianapolis zum Industrie- und Handelszentrum mit. Ihre späteren Fähigkeiten, unerschrocken und unter schwierigsten Umständen die Probleme des täglichen Lebens zu bewältigen - weitestgehend unabhängig von gesellschaftlichen Konventionen - wird ihren in Kindheit und Jugend erworbenen „Frontier- und Pionierqualitäten“ zugeschrieben.
Im Alter von 17 Jahren heiratete sie 1857 den drei Jahre älteren Sam Osbourne, Sekretär des Gouverneurs von Indiana. Bereits ein Jahr später wurde die gemeinsame Tochter Isobel (Belle) geboren. Sam Osbourne, im amerikanischen Bürgerkrieg in kürzester Zeit zum Captain aufgestiegen, entschloss sich 1863 in den Zeiten des „Goldrausches“, mit einem Freund in die Silberminen von Nevada aufzubrechen, um dort sein Glück zu machen. Fanny sollte bald nachkommen. Sie war 23 Jahre alt, als sie mit ihrer fünfjährigen Tochter Belle allein und ohne Anstandsperson die lange, beschwerliche und gefährliche Reise per Schiff und über die Landenge von Panama auf die andere Seite Amerikas antrat, um ihrem Mann in eine unsichere Zukunft in die Silberminen nahe San Francisco zu folgen. Es war die erste von unzähligen abenteuerlichen Reisen, die sie zeit ihres Lebens unternehmen sollte.
Sie würde sich mit ihrer kleinen Tochter auf dem Atlantischen Ozean einschiffen und gen Süden segeln bis Aspinwall, die Landenge von Panama überqueren und dann den Pazifischen Ozean wieder hinauffahren, um in San Francisco von Bord zu gehen und danach ins Hinterland zu ziehen, dessen Erde von den Indianerkriegen blutgetränkt war. Die Bahnstrecke von Osten nach Westen, die schon in fünf Jahren, 1869, die beiden Enden des Kontinents verbinden würde, gab es noch nicht. Für Reisende, die nach Kalifornien wollten, ohne mit dem Planwagen die Berge, weiten Ebenen und Wüsten eines ganzen Kontinents hinter sich zu bringen, war die „Panama-Route“ der sicherste Weg. Oder sagen wir, wenigstens der kürzeste. Zweiunddreißig Tage anstelle von sechs Monaten. Die Tatsache, daß gerade zwei Schiffe mit Mann und Maus untergegangen waren und daß normalerweise mehr als die Hälfte der Passagiere an Ruhr, Gelbfieber oder Cholera zugrunde gingen, strich man geflissentlich aus dem Gedächtnis. Gerade Kinder wurden sehr leicht vom berüchtigten „Panamafieber“ erfaßt…
(Alexandra Lapierre)
Der vorläufige Zielort, die Minenstadt Austin, glich dem Ende der Zivilisation: Eine raue, gebirgige und unwirtliche Umgebung, provisorische Holzhütten, unzählige Männer auf der Suche nach dem großen Geld und insgesamt nur sieben Frauen. Fanny lebte unter katastrophalen hygienischen und medizinischen Bedingungen. Die Verpflegungssituation war prekär, mit Indianerüberfällen jederzeit zu rechnen. Aber das konnte die junge pragmatische Frau von diesem Leben nicht abschrecken. Sie lernte, unter einfachsten Bedingungen zu gärtnern, zu kochen und zu nähen, mit Pistolen zu schießen und selbst Zigaretten zu drehen.
Diese Zeit war eine gute Lehre für Fanny, denn in den nächsten Jahren sollte sie sehr häufig auf sich allein gestellt sein. Mehrere Ortswechsel und Trennungen von ihrem Mann folgten – Sam Osborne war ein über alle Maßen untreuer Ehemann. Das zwischenzeitliche Gerücht, er wäre bei einem Indianerüberfall ums Leben gekommen, bewahrheitete sich nicht. Ein neuer gemeinsamer Anfang gelang trotz der beiden 1868 (Samuel Lloyd) und 1871 (Hervey) geborenen Söhne nicht. Fanny Osbourne begann sich gegen Ende der Beziehung stärker mit ihren eigenen Neigungen und ihrer Zukunft zu beschäftigen – sie würde sich in absehbarer Zeit selbst ernähren müssen: Sie gärtnerte viel und besuchte zusammen mit ihrer mittlerweile 16jährigen Tochter die Kunstschule von Virgil Williams in San Francisco.
1875 entschloss sich Fanny, ihren Mann zu verlassen und in Europa Kunst zu studieren. Es war ein mutiger Schritt zur Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit, mit drei kleinen Kindern nach Europa zu ziehen mit dem Ziel, sich auf diesem Weg eine bessere Zukunft zu erkämpfen. Weiterhin war Fanny jedoch auf die finanzielle Unterstützung ihres Ehemannes angewiesen. Nach drei Monaten in Antwerpen, wo Fanny und Belle die örtlichen Kunstakademien verschlossen blieben (Frauen wurden nicht zugelassen), zogen sie nach Paris. Dort schrieben sich Mutter und Tochter in die Académie Julian ein, einer bekannten privaten und auch für Frauen offenen Kunstakademie. Fanny wachte jedoch mehr am Krankenbett ihres kleinsten Sohnes als dass sie studierte. Hervey, von Geburt an eher kränklicher Natur, erkrankte an einer Form von Tuberkulose und starb schließlich am 5. April 1876 im Alter von vier Jahren. Der Tod Herveys stürzte Fanny in tiefe Depressionen – starke Stimmungsschwankungen sollten auch in späteren Phasen ihres Lebens immer wieder eine Rolle spielen. Der Arzt verordnete Fanny und ihren Kindern zur Erholung den Aufenthalt auf dem Land: Grez-sur-Loing, eine KünstlerInnenkolonie in der Nähe von Paris, schien dazu bestens geeignet.
In Grez, inmitten einer kleinen Gruppe von Künstlern und Literaten, traf Fanny Osbourne 1876 zum ersten Mal Robert Louis Stevenson. Es war wohl keine Liebe auf den ersten Blick. Erst im Winter 1876 in Paris kamen sich Fanny und Louis näher, verbrachten den Sommer 1877 erneut gemeinsam in Grez. Aber Fannys Verbindung zu ihrem in Amerika gebliebenen Ehemann war noch nicht beendet: Im folgenden Jahr kehrte sie noch einmal zu Sam zurück, da er die Unterhaltszahlungen eingestellt hatte. In dieser Zeit war sie gleichzeitig voller Zweifel über ihre Beziehung zu Robert Louis Stevenson - im Bewusstsein der Verantwortung für ihre Kinder und unter dem Druck der gesellschaftlichen Konventionen.
Während Stevenson versuchte, seine Gefühle für Fanny in seinen Essays und Geschichten zu verarbeiten, scheiterte der Versöhnungsversuch der Osbournes, Ende 1879 wurde das Paar geschieden. Fünf Monate später heirateten Fanny Osbourne und Robert Louis Stevenson in San Francisco. Ihre Hochzeitsreise verbrachten sie unkonventionell in einer verlassenen Silbermine im milden Klima des Napa Valley – der Gesundheit Robert Louis zu liebe.
Im August 1880 reisten die Stevensons nach Großbritannien. Fanny wollte eine Versöhnung zwischen Louis und seinem Vater bewirken - das Verhältnis war aufgrund Stevensons Berufswahl zum Schriftsteller nicht das Beste. Louis' Eltern begegneten Fanny anfangs skeptisch - schließlich war sie eine geschiedene Amerikanerin mit zwei Kindern und elf Jahre älter als ihr Sohn. Die Beziehung verbesserte sich aber, und sie behandelten Fanny schließlich wie eine eigene Tochter. (Stevensons Mutter war später sogar auf den Reisen in die Südsee mit dabei und lebte auch in Vailima.)
Das kalte und feuchte Klima Großbritanniens verschlechterte Louis´ Lungenerkrankung. Eine siebenjährige Reise über das schottische Hochland, Bournemouth, Südfrankreich, die Schweizer Alpen und die Adirondacks in den USA begann, immer auf der Suche nach klimatischen Bedingungen, die Louis` Gesundheit zuträglich waren. In dieser Zeit schrieb Stevenson seine weltbekannten Bücher „Die Schatzinsel“, „Entführt“ und „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“. Die Ärzte rieten schließlich zu einem milden tropischen Klima: Fanny und Louis unternahmen daraufhin drei Südseereisen auf gecharterten Schiffen und fanden auf dem Südseearchipel Samoa im Dorf Vailima endlich ihre Heimat für die nächsten gemeinsamen Jahre. Das Paar plante eine kleine Farm mit etwas Vieh, den Anbau von Obst und Gemüse für den Eigenbedarf und vielleicht auch eine Kakao- und Kaffeeplantage, mit der sie Erträge erzielen könnten.
Begleitet wurden die Stevensons von ihrer Familie: Fannys Sohn Lloyd, Margaret, die Mutter von Louis, später auch Belle und ihr Ehemann Joe Strong mit dem gemeinsamen Sohn Austin. Nicht nur Louis, auch Fanny war in dieser Zeit ungeheuer produktiv, schrieb wenig bekannte Erzählungen und dokumentierte die Reise und den Aufenthalt in Vailima in Form von Tagebüchern.
Das erste Tagebuch thematisierte die Südseereise der Stevensons mit der „Janet Nicholl“ vom 11. April bis zum 26. Juli 1890. Neben Themen wie der umstrittenen Kontraktarbeit (die Verschleppung von InselbewohnerInnen in andere Gebiete des Pazifiks, wo sie für Handelsfirmen und auf Plantagen unter weißer Herrschaft arbeiten mussten) und dem Handel zwischen den InselbewohnerInnen und ihren BesucherInnen, beobachtete und schilderte Fanny die unterschiedlichen Sitten der Einheimischen. Ihr besonderes Augenmerk galt dabei den Frauen der Südsee und ihrem sozialen, häuslichen und materiellen Leben.
Das zweite Tagebuch schrieb Fanny während ihres Aufenthaltes auf Samoa. Das Buch ist eine Art Anleitung über das Leben auf der Südseeinsel. Fanny Stevenson berichtete in lebendigen Schilderungen über ihr tägliches Leben in Vailima, über die zahlreichen Schwierigkeiten auf ihrer Farm, das Klima und die Probleme mit den Einheimischen. Privates blieb dabei weitestgehend außen vor - vor allem die „mysteriöse Gemütskrankheit“, die Fanny zwischen 1892 und 1893 befiel und an ihre depressive Zeit nach dem Tod ihres kleinen Sohnes Hervey erinnerte. Ein möglicher Hinweis darauf, dass die starke emanzipierte Fanny auch zerbrechlich sein konnte.
Beide Tagebücher und die entstandenen Fotos, die anfangs nur wenig oder lediglich als Quelle für die Stevenson-Forschung betrachtet wurden, gewähren einzigartige Einblick in die Inselwelt des Pazifik und die traditionellen Sitten und Gebräuche der Einheimischen vor der kolonialen Machtübernahme.
Am 3. Dezember 1894 starb Robert Louis Stevenson an einer Gehirnblutung. Fanny blieb nach seinem Tod noch einige Zeit auf der Farm, 1897 verließ sie endgültig Vailima. Die Farm und das Land wurden verkauft mit Ausnahme der Grabstätte Stevensons.
Fanny unternahm noch einige Reisen nach Mexiko und Europa, bevor sie sich ganz in Kalifornien, erst in San Francisco, später in Santa Barbara niederließ. Neben dem Immobiliengeschäft widmete sie sich vorrangig dem Andenken an ihren verstorbenen Mann, seinem Werk und seinem Nachlass. Wie viel Einfluss Fanny auf die Werke ihres Ehemannes hatte, ist unter BiografInnen und LiteraturkritikerInnen umstritten und letztendlich nicht belegt. Sie heiratete nicht wieder, doch weiterhin spielten Männer eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Einer davon war der Schriftsteller Edward (Ned) Salisbury Field, 40 Jahre jünger als Fanny, der zeitweise zu ihrem ständigen Begleiter wurde.
Am 10. Februar 1914 starb Fanny Stevenson in Santa Barbara ebenso wie Robert Louis Stevenson an einer Gehirnblutung. Ihre Südsee-Tagebücher, deren Druckfahnen sie noch bis kurz vor ihrem Tod durchgesehen hatte, erschienen posthum. 1915 nahm Belle die Asche ihrer Mutter mit nach Samoa, wo sie neben Robert Louis Stevenson auf dem Gipfel des Mount Vaea begraben wurde. Das ehemalige Wohnhaus der Stevensons ist heute ein Museum. Das Leben von Fanny und Louis auf Samoa wurde 2005 von arte verfilmt.
Verfasserin: Claudia Diekmann
Links
- http://robert-louis-stevenson.org/family/
- http://stevensonmuseum.org/robert-louis-stevenson/the-life/family/fanny-stevenson/
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Literatur & Quellen
Erzählungen von Fanny Stevenson
- Too Many Birthdays` (St. Nicholas, 1878)
- Sargent´s Rodeo (Lippincot’s Magazine, Jan. 1880)
- Chy Lung, The Chinese Fisherman (St. Nicholas, 1880)
- The Warlock`s Shadow (Belgravia, 1886)
- Miss Pringle’s Neighbors’ (Scribner’s Magazine, 1887)
- The Nixie (Scribner’s Magazine, 1888)
- The Half-White (Scribner’s Magazine, 1891)
- Under Sentence of the Law: The Story of a Dog (McClure’s, 1893)
- Anne (Scribner’s Magazine, 1899)
- More new arabian nights: The Dynamiter (zusammen mit Robert Louis Stevenson) 1885
http://www.gutenberg.org/files/647/647-h/647-h.htm
Posthum veröffentlicht:
- The Cruise of the Janet Nichol, London/New York 1915.
- Fanny and Robert Louis Stevenson: Our Samoan Adventure, London 1956.
Weiterführende Literatur
- Deprijck, Lucien (Hg.): Fanny und Robert Louis Stevenson: Südseejahre. Eine ungewöhnliche Ehe in Tagebüchern und Briefen. Hamburg 2011.
- Jolly, Roslyn (Hg.): Kurs auf die Südsee. Das Tagebuch der Mrs. Robert Louis Stevenson. München 2005.
- Kister, Cornelie: Straße der Dankbarkeit. Die Geschichte der Mrs. Robert Louis Stevenson. Biografischer Roman. München 2013. (eBook)
- Lapierre, Alexandra: Die Vagabundin. Fanny Stevenson und die „Schatzinsel“. Frankfurt am Main 1996. (Romanbiografie)
- Sanchez, Nellie: The Life of Mrs. Robert Louis Stevenson, London/New York 1920
http://www.gutenberg.org/files/24332/24332-h/24332-h.htm vom 22.02.2015. - Nellie Sanchez war die Schwester von Fanny Stevenson.
Film
- Im Bann der Südsee (Les aventuriers des mers du sud), 2005.
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