(Hannelore Katz [Geburtsname]; Lorley Katz [Künstlerinnenname])
geboren am 27. August 1930 in Chemnitz
gestorben am 20. März 2013 in München
deutsche Soziologin, Autorin, Feministin, Pazifistin und Provokateurin
10. Todestag am 20. März 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Hannelore Mabry war eine leidenschaftliche Kämpferin und tiefe Denkerin, sie war überzeugte Pazifistin, glühende Feministin und eine absolut solidarische Frau. Sie war ihrer Zeit weit voraus, auch den Feministinnen der ersten Stunde in Deutschland. Ihre radikale feministische Position, ihr Engagement für Kinder und Mütter, ihre Forderung, Männer und Frauen zusammen müssen unsere Gesellschaft ändern, ihre Kritik an der bestehenden Männerpolitik sowie an der “überhöhten Anpassung” der Frauen brachte ihr weder von der einen noch der anderen Seite Zustimmung und Anerkennung, im Gegenteil, sie hatte immer wieder Auseinandersetzungen – stieß mit der Münchner Polizei zusammen, wurde vor Gericht zitiert, sogar in Gewahrsam genommen und von Frauen wurde sie schlichtweg aus Veranstaltungen entfernt, hinausgetragen, wenn sie nicht von selber ging, oder erst gar nicht mehr zugelassen. Ich habe sie zwei- oder dreimal persönlich getroffen, auf der Düsseldorfer Frauenmesse oder wenn sie zu meinen Vorträgen kam, und einmal wurde ihr von den Veranstalterinnen der Zutritt verwehrt. Das konnte nicht angehen – ich verbürgte mich für Hannelore Mabry: sie würde meinen Vortrag nicht stören, sie würde nicht unterbrechen, und sie würde die Diskussion nicht an sich reissen. Sie war eine wunderbare Zuhörerin – auch das konnte sie.
Hannelore Mabry hatte ein reiches Leben voller Menschen, Erlebnisse und vor allem voll von den unterschiedlichsten Tätigkeiten, von der Bühne bis zum Film bis zur Studentin, von der Autorin und Publizistin bis zur Agitatorin und Provokateurin, nicht zuletzt ihre Rolle als alleinerziehende Mutter, die enorm wichtig für ihr Denken wurde. Sie wusste, wovon sie sprach, wenn sie von Männern mit berufstätiger Ehefrau 50% Beteiligung im Haushalt und bei der Kindererziehung forderte, und zwar sollte das gesetzlich festgelegt sein, denn auf die freiwillige Arbeitsteilung der Männer sei kein Verlass. Mit diesem Denken war sie selbst den Feministinnen ihrer Zeit weit voraus; erst heute, über 40 Jahre später, stehen diese Themen zur Diskussion, aber auch nur in aufgeklärteren Ländern.
Sie hatte auch ein hartes Leben, vor allem finanziell, da sie sich und ihre Tochter allein ernährte und keine Abhängigkeit von einem Mann wollte. Zudem hatte sie intellektuell und politisch keine große Anhängerinnen- und Verehrerinnenzahl, von dem kleinen Kreis begeisterter Jüngerinnen abgesehen, die sie umgaben und in ihrer Arbeit unterstützten, den einen jungen Mann, den es immer gibt, nicht zu vergessen.
Was hat Hannelore Mabry ausgemacht? Ihr Gerechtigkeitsgefühl, ihre Identifizierung mit den Schwächeren, mit Kindern und Frauen, ihr kämpferischer Geist – sie kämpfte gegen Unterdrückung jeglicher Art, gegen Herrschaftssysteme jeglicher Art. Damit könnte sie ein Vorbild für die junge Generation von heute sein, die meint, ohne Feminismus auskommen zu können. Viel wäre erreicht, wenn wir all unseren SchülerInnen und StudentInnen eine Identifizierung mit den Mädchen in Indien, Pakistan, Afghanistan, Afrika mitgeben könnten, damit sie sich einsetzen für mehr soziale und ökonomische Gerechtigkeit in diesen Ländern, auf diesem Kontinent. Ökonomische Gerechtigkeit - das würde heißen gleiche Verteilung unserer Weltressourcen, gleiche Bezahlung, vielleicht sogar Mabrys Welteinheitslohn, diese großartige Idee – es gäbe keine Armut mehr, keinen Hunger, die Bankdirektoren, Banker, Politiker und CEOs in aller Welt würden genau so viel verdienen wie die Fabrikarbeiterinnen in Bangladesh. Warum klingt es so utopisch für uns – gleiche Bezahlung für geleistete Arbeitsstunde? Für Mabry war es weder Utopie noch Idealismus, sondern nichts anderes als ökonomische Gerechtigkeit.
Mabry hat als fast 40-jährige Soziologiestudentin, als sie ihre Diplomarbeit schrieb, genau hingeschaut und zu verstehen versucht, warum so wenig Frauen in den Parlamenten vertreten sind. Sie verfolgte die Frage in einer empirischen Untersuchung (veröffentlicht unter dem Titel UNKRAUT INS PARLAMENT, 1971), gewann radikale Erkenntnisse, aus denen sich die Forderung nach einer Frauenpartei ergab, und sie blieb ihr Leben lang bei dem Anliegen, dass Frauen/FeministInnen sich autonom organisieren. Sie ließ sich nicht ablenken, ließ sich nicht verführen, auch nicht von dem später gängigen oberflächlichen Feminismus, in dem beispielsweise Schwarzer Frauen ins Militär schicken wollte, auch nicht von den Grünen, die die Prostitution legalisierten, sie blieb, wie die Feministinnen der ersten Frauenbewegung, selbstverständlich Pazifistin und Feministin. Diese Beständigkeit bewundere ich an ihr. Warum haben wir nicht zehn oder hundert oder tausend Frauen von ihrem politischen Kaliber in der Bundesrepublik oder hundert Frauen von ihrer Sorte im Bundestag? Wir hätten längst andere Gesetze in der Bundesrepublik. Aber wir haben ja noch nicht einmal 50% Frauen in allen Parlamenten. Und schon ist Feminismus nicht mehr nötig.
Mabry wurde 1930 in Chemnitz geboren. Sie hatte ein liebevolles Verhältnis zu ihrem Vater, der aber starb, als sie 14 war. An seine Worte “Du hast immer einen Freund in mir” erinnerte sie sich zeitlebens voller Liebe. Die Beziehung zu ihrer Mutter war schwieriger. Nach dem Abitur besuchte sie die Schauspielschule und arbeitete bei Theater, Film und Rundfunk. Zwei Ehen, 1953 wird eine Tochter geboren, zwei Scheidungen, USA- Aufenthalt von 1956 - 1958. Zurück in Deutschland beginnt sie 1966 ein Universitätsstudium in München: Soziologie, Politische Wissenschaften, Volkswirtschaft, Psychologie und Philosophie und schließt mit einem Diplom in Soziologie ab. Ihre Diplomarbeit “Die Bedeutung weiblicher parlamentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau” wurde mit Sehr Gut benotet.
Schon im Dezember 1971 gründete Mabry das Frauenforum München e.V., um Frauen zu organisieren und am Ende eine Frauenpartei aufzubauen. Frauen sollten selbstbestimmt ihre eigene Identität finden. Männer waren im Frauenforum willkommen, denn sie sollten beitragen, “die Scheiße des Patriarchats wegzuräumen”. Im übrigen sei es “die Aufgabe jedes Menschen, Ausbeutung und irrationale Herrschaft zu bekämpfen,” denn “ Feminismus ist nicht eine Frage der Geschlechtszugehörigkeit, sondern eine Frage der politischen Moral.” Das Frauenforum hatte zeitweise zwischen 400 – 500 Mitglieder und war eine der größten feministischen politischen Organisationen der BRD.
Gleichzeitig gab Mabry die Zeitschrift das Frauenforum - Stimme der Feministen heraus; es war die erste überregionale feministische Zeitschrift in der BRD, noch vor Emma und Courage. Ab 1971 hatte Mabry jahrzehntelang einen Infostand auf dem Marienplatz in München und diskutierte mit jeder und jedem, die an den Stand kamen.
1976 rief sie den Förderkreis zum Aufbau der Feministischen Partei (FFP), später umbenannt in Förderkreis Der Feminist (FF) ins Leben. Ihre Zeitschrift hieß nun provokativ DER FEMINIST.
Im Januar 1980 organisierte sie eine Protestaktion beim Gründungsparteitag der GRÜNEN in Karlsruhe und erreichte, dass bei den GRÜNEN Parität zwischen Frauen und Männern hergestellt wurde – zum Vorbild für andere Parteien.
In den 1980er Jahren kam es zu einigen Großaktionen:
1983 Dombesetzung in München: “Helft Müttern im Kampf gegen die Gewalt! Endlich: Die Waffen nieder!”
1987 aus Anlass des Papstbesuchs in München war geplant, ein Transparent am Siegestor aufzustellen mit dem Text: “Schützt Kinder vor Allmächtigen”. Dazu kam es nicht, sondern Mabry wurde schon auf dem Weg in polizeilichen Gewahrsam genommen. Ein siebenjähriger Prozess, der in Freispruch endete, gab ihr ein Podium und Publicity. Mit gutem Unbewussten und in weiser Voraussicht hat Mabry das Thema Gewalt gegen Kinder und sexuelle Gewalt von allmächtigen Kirchenmännern gegen Kinder schon lange vor der Zeit öffentlich gemacht.
1988 gründeten zehn Frauen und ein Mann den Verein zur Förderung des Bayerischen Archivs der Frauenbewegung – Ziel: Förderung wissenschaftlicher Arbeiten zur Frauenbewegung, denn ”die Geschichte der Frauenbewegung musste in den letzten 15 – 20 Jahren von Feministinnen mühsam wieder ausgegraben und im Selbststudium erforscht werden. Noch immer hat diese Geschichte keinen Eingang in die obligatorische Volksschul- und Berufsschulbildung, auch nicht in die Hochschulbildung gefunden: nach wie vor werden fast ausschließlich Männer und ihre Institutionen als gesellschaftspolitische Vorbilder herausgestellt.”
Mabrys Diplomarbeit kam in Buchform mit dem hinreißenden Titel UNKRAUT INS PARLAMENT (1. Aufl. 1971) bei Ernst Vögel, München heraus. Es ist heute vergriffen ist und hätte eine Neuauflage verdient.
Zu dem Titel ließ Mabry sich von einem bayerischen Landtagspräsidenten inspirieren, der meinte, als Einzelne wirke die Frau wie eine Blume im Parlament, in der Masse aber wie Unkraut. Inhaltlich ging es ihr um die Teilnahme von Frauen am politischen Leben, und sie setzte bei den Frauen im Landtag, in den Männerparteien und Männergewerkschaften an. Sie sah, wie es ihnen dort ergeht und dass sie nur durch Anpassung an Männerinteressen und Männergepflogenheiten überleben können – aber selbst da nur auf den schlechtesten Listenplätzen und mit Ressorts von geringstem Prestige – und sonst hinausgedrängt werden. Daraus ergab sich ihre Forderung, dass eine Frauenpartei oder feministische Partei nötig ist, um den politischen Einfluss von Frauen zu sichern.
Die 2. Auflage kam 1974 bei Andreas Achenbach, Lollar über Giessen, heraus. Im neuen Vorwort stellt Mabry mit Erstaunen fest, dass die Ergebnisse und Vorschläge ihrer Untersuchung in den drei Jahren seit der 1. Auflage kaum diskutiert worden waren. Offensichtlich wusste sie nicht, WIE weit sie im Deutschland von 1971 ihrer Zeit voraus war. Wie schon erwähnt, gründete Mabry auch 1971 das Frauenforum München und gehört damit zu den Gründerinnen der 2. deutschen Frauenbewegung. In anderen Städten entstanden weitere Frauenforen, in denen, wie Mabry im Vorwort schreibt, versucht wird, “den Feminismus als eigenständige politische Theorie und Praxis weiterzuentwickeln und die Möglichkeiten der Frau im Rahmen patriarchalischer Ideologien, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften etc. aufzudecken und alternative Strategien zu entwerfen.” (S.V)
Von Anfang an ist ihr Blick auf beide Geschlechter gerichtet; sie will die Männer einbeziehen in eine “soziale Elternschaft.” Wie modern sie im Jahr 2013 klingt! Ich zitiere aus dem Vorwort von 1974 (S.V,VI):
Die Ursachen unserer jahrtausendelangen Unterdrückung liegen in Missbrauch und Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft und in der Erniedrigung der Frau als Sexualobjekt durch den Mann. Will man die Verkümmerung, Infantilisierung und Enteignung aufheben, die der Mann der Frau zufügt, indem er die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als ein Naturgesetz festschreiben möchte, so ist dies nur im gemeinsamen politischen Kampf gegen den, der uns in diese Strukturen presst - also gegen den Patriarchen – möglich ... Die Verantwortung und die vielen Belastungen, die gerade mit der Heterosexualität verbunden sind, sollen nicht mehr ausschließlich von Frauen getragen, sondern im Gegenteil nach der Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit vorrangig auf den Mann verlagert, sozusagen ein Lastenausgleich vorgenommen werden. Je konsequenter wir die Lösung der Frauenfrage anstreben, um so stärker wächst bei Feministen die Erkenntnis, dass der erste und wichtigste Schritt unserer Befreiung der Kampf für eine auf 4-5 Stunden gesetzlich begrenzte Arbeitszeit für beide Geschlechter sein muss. Feministen fordern eine Erziehung zur sozialen Elternschaft, die Infragestellung und Demaskierung der patriarchalischen Mutterschaftsideologie. Nach bald vierjähriger Praxis in der zweiten Frauenbewegung bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass die Realisierung dieser und anderer feministischer Ziele nur durch eine eigene Partei zu leisten ist.
So weit das Vorwort zur zweiten Auflage, von dem Hannelore Schröder 2013 schreibt:
Angesichts der heutigen Prostitutions-Republik ist das Vorwort absolut wichtig und programmatisch aktuell!. Hellsichtig radikal!!! Ich habe mich damals dem Frauenforum angeschlossen, weil ich unabhängig von Mabrys Pionierin-Arbeit (Wer in Bayern fragte Ende 1969 nach Frauen?!) durch die Forschung zu meiner Dissertation damals - wie heute - zu dem gleichen Schluss gekommen bin: feministische Partei! autonome Theorie und Wissenschaften, Programm und Organisation.
Mabry will also eine gerechte Verteilung der sozialen Lasten zwischen den Geschlechtern; sie braucht deshalb faire Männer und glaubt an sie. Sie spricht sie deshalb spezifisch an mit dem Begriff DIE FEMINISTEN in der männlichen Form, schließt sie ein in der Form, obwohl sie im gleichen Abschnitt Frauen und Mütter mit DEN FEMINISTEN gleichsetzt. (S. IX). DER FEMINIST und DIE FEMINISTEN haben bei ihr semantisch Aufforderungs- und Einladungscharakter. Wir müssen ihr zugutehalten, dass sie diese Termini mit ihrer eigenen Intention füllte lang vor jeder, auch der US- amerikanischen, feministischen Sprachanalyse und Sprachkritik. Sie intendierte, Männer heranzuziehen und zu motivieren, wenn sie schrieb: “Feministen verbinden sich mit den körperlich, intellektuell und ökonomisch Schwächeren. Feministen sind nur gemeinsam stark.” (S.IX) Leider folgten die Männer der Einladung nicht und es blieb bei meist EINEM Feministen in der aktiven Feministinnengruppe.
Kleine linguistische Nebenbemerkung: Möglicherweise lag bei Mabry in ihrer Begriffswahl auch eine Interferenz mit dem Englischen vor - sie las US-amerikanische und skandinavische Feministinnen auf Englisch - , denn im Englischen schließt THE FEMINIST, THE FEMINISTS tatsächlich Frauen und Männer ein. Mabry wollte es nicht wahrhaben, dass das im deutschen Sprachsystem anders ist und dass sich auch nur die wenigsten deutschen Männer als Feministen verstehen wollen. Und vielleicht hat es auch mit den beiden Sprachen zu tun und nicht nur mit ihrer Fairness, dass wir in den USA mehr Männer hören, die sich selbstverständlich als “FEMINISTS” bezeichnen.
Jede Studentin, jede Politikerin, jede Feministin sollte heute UNKRAUT INS PARLAMENT wieder lesen. Die Ergebnisse von damals sind heute – vierzig Jahre später – noch gültig: Wir haben immer noch den Geschlechteregoismus in den Parteien und Gewerkschaften, wir haben immer noch keine 50% Frauen im Bundestag oder in den Länderparlamenten, wir haben immer noch keinen feministischen Anspruch bei den meisten Politikerinnen, wir haben immer noch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Parteien und keine paritätische Besetzung der Parteiämter, Frauen werden immer noch schnell aus hohen Positionen hinausgedrängt, vor allem haben wir heute – nach der zweiten Frauenbewegung – wieder wie damals die VERDRÄNGUNG der Geschlechterproblematik. Weit entfernt sind wir von einer gesetzlichen Verpflichtung des Mannes zur Mitarbeit bei Haushalt und Kindererziehung, weit entfernt von einer gesetzlich geregelten Bezahlung für Haushaltführung und Kindererziehung. Wir haben noch immer keine Lohngleichheit, keine gleichen Renten, keine ökonomische Gleichberechtigung, eher sogar mehr Frauenarmut als damals. Wir haben immer noch die Doppelbelastung von Frauen, ja eher einen Rückfall in vorfeministische Zeiten mit jungen Frauen, die dem Berufsleben fernbleiben, weil sie mit der hohen familiären Belastung genug ausgelastet sind.
Anne Roiphe sagt ganz richtig in ihrem Buch FRUITFUL von 1996, dass der Feminismus in der Kinderfrage versagte:
Männer sind nicht in großen Zahlen hervorgetreten, um sich liebevoll um die Kinder zu kümmern. Auch der Staat ist nicht dazwischengetreten. Die Frauenbewegung hat sich offensichtlich spannenderen Dingen wie Vergewaltigung, sexuelle Belästigung, Abtreibung, “glass ceiling” und Pornographie zugewandt. Sie ist nicht geplatzt vor neuen kreativen Lösungen für Kinderbetreuung. Sie hat Firmen und Konzerne nicht unter Druck gesetzt, damit sie Kindergärten aufmachen. Es gab nur wenige große Demonstrationen, die Gleitzeiten, längeren Mutterschaftsurlaub, freie Tage wenn ein Kind krank ist, verlangen. Sogar die Frauenstudien an Universitäten schweigen über Mutterschaft, zumindest so wie Frauen sie erleben.” (S. 36, Übersetzung S T-P)
Natürlich haben nicht nur die US-amerikanischen Feministinnen versagt, sondern auch die deutschen. Ebenso die deutschen Politiker und Politikerinnen, und alle Frauen und Männer in Deutschland. Keine und keiner griff das traditionelle Familiensystem an. Mabry war allein auf weiter Flur. Wir sollten uns Skandinavien als Beispiel nehmen, wo offenbar das selbstverständliche Gerechtigkeitsgefühl und der selbstverständliche Feminismus bei Männern und Frauen eher zuhause ist.
Von 1972 – 1999 gab Mabry die Zeitschriften FRAUENFORUM – STIMME DER FEMINISTEN und DER FEMINIST heraus – ein wahrlich beachtliches Oeuvre. Ich kann hier nur wenige Punkte herausgreifen.
Die erste Information des Frauenforums München e.V. vom 1. Juni 1972 beginnt sehr spannend mit einem Bericht über eine Großveranstaltung des Frauenforums München, in der sieben Kandidatinnen für die Kommunalwahlen vorgestellt wurden. Mit sofortigem Erfolg: drei Stadträtinnen mehr zogen in den Münchner Stadtrat ein und durch Häufeln der Stimmen rutschten Kandidatinnen aller Parteien auf den Listen nach vorne.
Die zweite Information kommt schon im September 1972 und organisiert eine Reihe von Arbeitsgruppen; außerdem beginnt der Kampf um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit.
Mit Elan und Begeisterung begann die Arbeit des Frauenforums, aber schon nach ein paar Jahren wird klar, wie mühsam es war, an Geld zu kommen, um die Zeitschrift weiter herausgeben zu können, wie mühsam es war, die Presse, vor allem die Münchner Presse, positiv zu stimmen. So verwechselte eine Journalistin der Süddeutschen Zeitung die Frauenunion der CSU mit dem Frauenforum. Auch Feministinnen stellten sich gegen Mabry und wollten mit einer Frauenpartei oder feministischen Partei, wie Mabry später forderte, nichts zu tun haben. Es erfolgte keine Anerkennung der Gemeinnützigkeit und keine Subvention, nicht einmal im Internationalen Jahr der Frau 1975.
Von Anfang an ist Mabry ihrer Zeit weit voraus – wer spricht schon 1974 über die Pille für den Mann? – vor allem mit der Idee der Frauenpartei – eine Konsequenz ihrer Untersuchung über Frauen in den Männerparteien und Männergewerkschaften. Mabry hielt den Eintritt der Frauen nach der Aufhebung des Versammlungsverbots 1908 in die Parteien der Männer für einen schweren strategischen Fehler: ihre Interessen und Bedürfnisse gingen unter, ihre Arbeit wurde vereinnahmt, ihr Einfluss wurde entschärft (Siehe FF 4. Jahrgang, Nr. 2/75, S. 20 ff.)
Mabry kannte die Geschichte, z.B. dass die Frauen in den USA schon im 19. Jh. und wieder 1920 für eine Frauenpartei kämpften. 1976 schrieb sie in einem Muttertagsflugblatt (FF Nr. 2/75, S. 23):
Wir werden nicht mehr wählen bis wir unsere eigene Partei aufgebaut haben. Wir werden aus den Männerparteien und der Kirche austreten. Wir werden unsere ehrenamtliche Arbeit in diesen Institutionen einstellen. Wir werden all unsere Energie, Zeit und Opferbereitschaft für die Lösung der Frauenfrage einsetzen: für eine 4-5 stündige gesetzlich verankerte außerhäusliche Arbeitszeit, für die gleichmäßige Teilung der Haus- und Erzieherarbeit zwischen Mann und Frau, für Lohn für die Hausarbeit, für Bezahlung für alle die Menschen, die Kinder, Kranke und Alte betreuen, für die restlose Abschaffung des Paragrafen 218 sowie für die Beseitigung der Prostitution. Wir werden für die Aufhebung des Sexismus in allen Bereichen kämpfen! (Sexismus = generelle Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung auf Grund des Geschlechts) Frauen, kommt zu uns - helft alle mit beim Aufbau unserer FEMINISTISCHEN PARTEI!
Von Anfang an ist Mabry Pazifistin und sieht Pazifismus als Bestandteil des Feminismus. Sie demonstriert gegen den Militarismus, gegen Atomkraftwerke und natürlich gegen Schwarzers “ Frauen in die Bundeswehr” mit ihrem Gegen-Slogan “Männer raus aus dem Militär” oder der ironischen Frage: ein Denkmal für die unbekannte Soldatin?
Inzwischen wissen wir - vielleicht sogar Schwarzer – wie gefährlich das Militär für Frauen ist – sie werden dort noch häufiger als im Zivilleben vergewaltigt. Mabrys Pazifismus hängt eng zusammen mit ihrer Verantwortung für die Kinder, die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Ihre Sorge, dass sie nicht Soldaten und Massenmörder werden, dass sie geschützt werden müssen, kommt immer wieder zum Ausdruck, sowohl in der Dombesetzung 1983 mit dem Aufruf: “Helft Müttern im Kampf gegen die Gewalt. Endlich: Die Waffen nieder” als auch in der Papstaktion mit dem Transparent “Schützt die Kinder vor den Allmächtigen”. Im Flugblatt dazu steht u.a.:
Kein Papst hat je einen Konstrukteur, einen Befehlshaber oder Anwender von Massenmordwaffen exkommuniziert. Die Allmächtigen haben Frauen und Kinder noch nie vor Vergewaltigern und Kriegern geschützt.
Das Transparent wurde von der Münchner Polizei in Beschlag genommen; Mabry landete in Vorbeugehaft einschließlich Leibesvisite, bei der sich Frauen, aber nicht Männer nackt ausziehen mussten.
Mabry kämpfte erfolgreich in mehreren Prozessen gegen die Stadt München und ihre Gesetze. Als Münchnerin kann ich ein Lächeln nicht unterdrücken: über die Zeitungsberichte zu dem Vorfall, über den Zufall, dass sich Mabry von allen deutschen Städten die antifeministischste und zurückgebliebenste aussuchte. Kein Wunder, dass sie jahrelang um die Förderung des Bayerischen Archivs der Frauenbewegung kämpfen musste und gegen die Stadt prozessierte.
Aber Mabry gab nicht auf. Sie gab auch nicht auf, an Männer zu glauben und zu appellieren: So korrespondierte sie in den 70er Jahren mit Marcuse, der 1974 noch nichts von Feminismus wusste und von dem sie 1979 einen Diskurs zwischen Feministen und Marxisten erwartete, der im gemeinsamen Kampf gegen das Patriarchat enden sollte.
Vergeblich. Auch bei Anders hatte sie noch 1993 die Hoffnung, einen Freund, Feministen und Mitstreiter zu finden, aber er verweigerte sich. Sie gab nicht auf, war insistent, bettelte immer wieder um ein Gespräch, sah, dass er Männern von PSYCHOLOGIE HEUTE, NATUR, FAZ Interviews gab, durchschaute ihn schließlich – Anders war auch nur ein Mann; ihre feministische Kritik an ihm interessierte ihn nicht. Trotzdem nimmt sich DER FEMINIST Nr. 23/1993/1 wie eine Hommage an Anders aus. Nur ob so viel Interesse an ihm gerechtfertigt war? Ihre Energie wäre vielleicht besser auf das Gespräch mit anderen Frauengruppen verwendet worden. Stattdessen hatte sie mit vielen unnötige Konflikte. Ihre guten Ideen kamen deshalb leider nicht an die Frau. Ihr Engagement für Kinder, ihr Wissen um feministische Geschichte, ihre theoretische und praktische politische Erfahrung hätte all diese Gruppen bereichert. Und zudem hätte sie sich mit der klaren Formulierung von 1993, warum Patriarchat nicht mit Männerherrschaft gleichzusetzen ist, mit allen anderen Feministinnen einigen können:
Denn alle Männer als Geschlecht verantwortlich zu machen, lenkt ab von den konkreten Tätern und Täterinnen. Zu untersuchen wäre hingegen, wer trifft die Entscheidungen über Waffenproduktion, Waffenkäufe und Waffeneinsatz? Wer herrscht mit Feindbildern und Verleumdungen? Wer manipuliert? Wer foltert, vergewaltigt, schießt, lyncht, vergast? Wer unterdrückt Kritik und Opposition? Wer ist verantwortlich für kinder- und frauenfeindliche Gesetze, Witze, Artikel, Videos etc.? So viel ist sicher, wenn wir alle Männer, alle Väter zu Schuldigen, zu Vergewaltigern erklären, dann ist das sehr entlastend für die tatsächlichen Täter. In Wahrheit ist die Lage der meisten Männer im Patriarchat keineswegs beneidenswert. Denn ein ‘richtiger’ Mann lässt sich sogar ‘freiwillig’ zum potentiellen Mörder ausbilden und schützt lieber das ‘Vaterland’ als ‘sein’ Kind, ‘seine’ Frau, ‘sein’ Eigentum. Er hat gelernt – wie (s)eine Frau – sich einzuordnen, zu gehorchen. Die meisten Männer wissen, wenn sie aus der Reihe tanzen, dann landen sie bald da, wo die Mehrheit der Frauen seit Jahrhunderten zu finden ist, bei den Waffen- und Besitzlosen. (Basler Magazin No 7, 20.2. 1993)
1996 erschien die vorletzte Ausgabe des FEMINISTEN, Nr. 25, 1999 die letzte, Nr. 26. Bis zum Ende bleiben die finanziellen Probleme, die Konfrontation und der Kampf. Mabry bleibt sich treu, bis sie von Alzheimer heimgesucht wird und nicht mehr kämpfen muss.
Das Bayerische Archiv der Frauenbewegung und der Nachlass Hannelore Mabrys sind heute beim Institut für Zeitgeschichte in München untergebracht.
(Text von 2024)
Verfasserin: Senta Trömel-Plötz
Zitate
Der Mann hat bei der Abschaffung des Patriarchats eine wichtige Aufgabe. Er muss die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung mit uns aufheben im Interesse der Kinder – ja auch in seinem eigenen Interesse. Das Patriarchat war und ist eine kulturelle Sackgasse. Seit Beginn der Neuen Frauenbewegung Ende der sechziger Jahre versuche ich, eine Theorie und Strategie des Feminismus mit dem Mann, einen politischen Feminismus, zu formulieren und zu praktizieren.
Ich möchte mit anderen Menschen das Patriarchat abschaffen und bin deshalb für alle unbequem, die es individuell oder kollektiv weiter stützen. Leider sind darunter auch viele Frauen, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen, z.B. feministische Theologinnen, die meinen, frau könne die Bibel einfach anders interpretieren, oder Freudianerinnen, die Freud einfach anders interpretieren, oder Marxistinnen, die Marx feministisch 'erweitern' usw. Das halte ich für unmöglich und auch für unredlich den Verfassern der Bibel, Freud und Marx gegenüber. Auf diese Weise habe ich eine Menge Gegner und Gegnerinnen. Denn ich weigere mich, sowohl theoretisch wie praktisch, Feminismus mit Christentum, Psychoanalyse oder Marxismus zu verquicken.
Beide Zitate von Mabry; in: Marie-Luise Blatter (1986)
Links
FRAUEN: Inhaltlich quer. DER SPIEGEL 6/1987.
Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13520576.html, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Lorley Katz - IMDb.
Online verfügbar unter https://www.imdb.com/name/nm0441773/, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Institut für Zeitgeschichte München – Berlin: Bayerisches Archiv der Frauenbewegung – Bestand Hannelore Mabry. Findbuch + Bestandsangaben. Mit Vita.
Online verfügbar unter https://www.ifz-muenchen.de/fileadmin/user_upload/Leuchttuerme/2021-08_Hannelore_Mabry/01_Downloads/Findbuch_Mabry_ED_900_Bestandsangaben.pdf, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Institut für Zeitgeschichte München – Berlin (2013): Gedenkausstellung für Hannelore Mabry.
Online verfügbar unter https://www.ifz-muenchen.de/aktuelles/aus-dem-institut/artikel/gedenkausstellung-fuer-hannelore-mabry, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Mabry, Hannelore. Veröffentlichungen.
Online verfügbar unter http://d-nb.info/gnd/107897733, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Lechner, Isabella (2013): Hannelore Mabry: Ein Leben gegen die “Scheiße des Patriarchats”. dieStandard.at, 12. Mai 2013.
Online verfügbar unter https://derstandard.at/1363708893575/Die-Scheisse-des-Patriarchats-wegraeumen, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Mabry, Hannelore (1980): »Wir sollen bereit sein, daß ich nicht lache!« Kritik am Programmentwurf der Grünen.
Online verfügbar unter http://library.fes.de/cgi-bin/courage.pl?id=07.00702&dok=198002&f=198002_011&l=198002_012, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Senft, Solveig (2013): Hannelore Mabry ist am 20.3.13 verstorben. de.indymedia.org.
Online verfügbar unter http://de.indymedia.org/2013/04/343191.shtml, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Senft, Solveig (2013): Inhaltlich quer - Zum Tod von Hannelore Mabry. hpd – Humanistischer Pressedienst.
Online verfügbar unter https://hpd.de/node/15533, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Voss, Julia (2014): Feminist Chic! - Ich. Heute. 10 vor 8. Frankfurter Allgemeine, 14. Mai 2014.
Online verfügbar unter http://blogs.faz.net/10vor8/2014/05/14/feminist-chic-1408/, zuletzt geprüft am 17.03.2023.
Literatur & Quellen
Lenz, Ilse (Hg.) (2008): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied ; eine Quellensammlung. Wiesbaden. VS Verl. für Sozialwiss. ISBN 978-3-531-14729-1.
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Mabry, Hannelore (1971): Die Relevanz weiblicher parlamentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau. Versuch einer politisch-soziologischen Studie über die weiblichen Abgeordneten des Bayrischen Landtages von 1946-1970. München. Ludwig-Maximilians-Universität. (WorldCat-Suche)
Mabry, Hannelore (1971): Unkraut ins Parlament. Die Bedeutung weiblicher parlamentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau. München. Vögel. (Politik und politische Bildung) (WorldCat-Suche)
Mabry, Hannelore (1974): Unkraut ins Parlament. Die Bedeutung weiblicher parlamentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau. 2. aktualisierte Aufl. Lollar über Gießen. Achenbach. (Theorie und praktische Kritik, 34) ISBN 3879581347.
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Sander, Helke (2017): Edition der Filmemacher – Helke Sander. 6 DVDs (1107 min). Enthält u.a. Hannelore Mabry – Ein Porträt (32 min). Neue Visionen Medien.
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Zellmer, Elisabeth (2011): Töchter der Revolte? Frauenbewegung und Feminismus der 1970er Jahre in München. Berlin/Boston, Germany. De Gruyter. (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, v.85) ISBN 978-3-486-70254-5.
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Quellen
Hannelore Mabry (1971/1974): Unkraut ins Parlament: Die Bedeutung weiblicher parlamentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau. 1. Aufl. 1971, Ernst Vögel, München; 2. aktualisierte Aufl. 1974, Andreas Aschenbach, Giessen/Lollar.
Hannelore Mabry (Hg.): Frauenforum: Stimme der Feministen; 1972 – 1975
Hannelore Mabry (Hg.): Der Feminist: Beiträge zur Theorie und Praxis; 1976 – 1999
Hannelore Mabry (1984): The New Women’s Movement and the Party & Trade Union Question. In: German Feminism: Readings in Politics and Literature. Edith Hoshino Altbach et al. (Hg.), Albany: State University of New York Press.
Hannelore Mabry (1984): The Feminist Theory of Surplus Value. In: German Feminism: Readings in Politics and Literature. Edith Hoshino Altbach et al. (Hg.), Albany: State University of New York Press.
Hannelore Mabry (1993): Feministin zwischen allen Stühlen. In: BASLER MAGAZIN, Nr. 7, 20 Februar 1993
Marie-Luise Blatter (1986): Verfechterin eines politischen Feminismus: Hannelore Mabry – ein Gespräch über ihre Positionen und Aktionen mit Marie-Luise Blatter. In: BASLER MAGAZIN, Nr. 30, 26. Juli, 1986.
Hannelore Mabry (1978): Politischer Feminismus. In: BASLER MAGAZIN, Nr. 4, 28. Januar, 1978.
Helke Sander (2005): Hannelore Mabry: Ein Portrait. Dokumentarfilm.
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Mein Dank gebührt Monika Brandmair für die Beschaffung von Materialien und für ihre einfühlsamen Informationen. Monika Brandmair ist Vorsitzende des Hannelore-Mabry-Vereins zur Förderung des Bayerischen Archivs der Frauenbewegung. Die Ressourcen des Vereins sollen dem Institut für Zeitgeschichte zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten zur Geschichte der Frauenbewegung und zur Frauen- und Kinderfrage bereitgestellt werden. Ansprechpartnerin für den Nachlass Mabry am Institut für Zeitgeschichte München ist die Historikerin und Archivarin Ute Elbracht. Senta Trömel-Plötz
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