Fembio Specials Berühmte Schweizerinnen Marianne Werefkin
Fembio Special: Berühmte Schweizerinnen
Marianne Werefkin
(Marianne von Werefkin; Марианна Владимировна Верёвкина; Marianna Wladimirowna Werjowkina; Marianna Vladimirovna Verëvkina [wissenschaftliche Transliteration])
geboren am 11. September 1860 in Tula, Russland
gestorben am 6. Februar 1938 in Ascona, Schweiz
russische Malerin, Kunsttheoretikerin und Mäzenin
85. Todestag am 6. Februar 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Das kühne Selbstporträt der 50jährigen Marianne Werefkin mit den leidenschaftlich rotglühenden Augen, dem stolzen Blick, den »nicht naturgetreuen Farben … und wirbelnden Pinselstrichen« wird gern als Titelbild für Sammelbände über Malerinnen ausgewählt. Erst spät haben Malerinnen sich die Zulassung zu ihrem Beruf erkämpfen können, und die Revolutionärin Werefkin verkörpert und gestaltet diesen Durchbruch so triumphal und überzeugend wie kaum eine andere. Das Porträt entspricht »dem persönlichen dramatischen Selbstbild der Werefkin« (Manigold) und so gar nicht dem, was sich damals für eine Dame schickte. Werefkin war nicht nur als Malerin und Kunsttheoretikerin ihrer Zeit weit voraus, sondern auch als Frau – aber erst, nachdem sie die »weibliche« Entsagung und Aufopferung auf eine uns heute kaum nachvollziehbare Spitze getrieben – und überwunden hatte.
Werefkin wuchs in einer gebildeten und begüterten Adelsfamilie auf; ihre Mutter war Malerin, ihr Vater General – für seine Verdienste im Krimkrieg schenkte ihm Zar Alexander II. das Gut Blagodat in Litauen, beliebte Sommerfrische der Familie. Werefkin hatte dort ihr eigenes Atelierhaus. Nachdem die Eltern 1874 das außergewöhnliche Talent ihrer Tochter entdeckt hatten, bekam sie sofort professionellen Zeichenunterricht. 1880 wird Ilja Repin, der bedeutendste Maler des russische Realismus, ihr Privatlehrer.
1888 hatte Werefkin einen Jagdunfall und durchschoss ihre rechte, die Malhand. Werefkin wäre nicht Werefkin gewesen, wenn ein fehlender Mittelfinger sie bei der Verfolgung ihrer Ziele behindert hätte. Weit hinderlicher wurde ihre 27 Jahre währende Beziehung zu Jawlensky. 1892 lernte sie den vier Jahre jüngeren, mittellosen Offizier kennen, der gerade mit dem Malen begonnen hat, während sie bereits durch Ausstellungen als »russischer Rembrandt« anerkannt war. Werefkin wusste, dass Jawlensky ein Schürzenjäger war: »Die Liebe ist eine gefährliche Sache, besonders in den Händen Jawlenskys«. Sie lehnte eine Heirat ab, nicht zuletzt wegen der großzügigen Rente des Zaren, die sie als verheiratete Frau verloren hätte. Aber sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, ihn als Künstler in jeder Hinsicht zu fördern. Er sollte an ihrer Stelle künstlerisch all das erreichen und verwirklichen, was einem »schwachen Weibe« ja ohnehin verwehrt war.
»Drei Jahre vergingen in unermüdlicher Pflege seines Verstandes und seines Herzens. Alles, alles, was er von mir erhielt, gab ich vor zu nehmen – alles, was ich in ihn hineinlegte, gab ich vor, als Geschenk zu empfangen … damit er nicht als Künstler eifersüchtig sein sollte, verbarg ich vor ihm meine Kunst.« (Werefkin, zitiert nach Fäthke 1980:17)
Jawlensky dankte es ihr, indem er sich an der neunjährigen Helene Nesnakomoff verging, der Gehilfin von Werefkins Zofe, mit der er schon ein Verhältnis hatte. 1902 gebar Helene einen Sohn. Im selben Jahr begann Werefkin mit ihrem Tagebuch »Lettres à un Inconnu«. Jawlensky hatte mit seinem Hang zum Küchenpersonal als Partner dermaßen versagt, dass sie sich einen »Unbekannten« als Gesprächspartner erfand. 20 Jahre später geruhte Jawlensky, die Mutter seines Sohnes zu heiraten, als es ihm passend schien, sich gänzlich von der inzwischen verarmten Werefkin zu distanzieren.
1896, nach dem Tod des Vaters, war Werefkin mit ihrer Entourage nach München-Schwabing gezogen, wo sie bald einen berühmten Salon unterhielt, in dem sich die Kunstwelt traf und die neusten Entwicklungen diskutierte. Werefkin war die große Theoretikerin und Anregerin. 1906 hatte sie ihre zehnjährige Jawlensky-Krise überwunden, griff wieder selbst zum Pinsel und schuf in der Zeit bis zum Beginn des ersten Weltkriegs bahnbrechende, weit in die Zukunft weisende Werke, so auch ihr berühmtes Selbstporträt.
Im Sommer 1908 wurde Murnau zur Geburtsstätte der abstrakten Malerei, als die Paare Münter und Kandinsky sowie Werefkin und Jawlensky dort miteinander lebten, malten und debattierten. Als führender theoretischer Kopf des Quartetts gilt Kandinsky mit seiner Schrift Über das Geistige in der Kunst (1911/12). Dass er viele seiner Ideen von Werefkin übernahm (ohne die Urheberin zu erwähnen), konnte inzwischen nachgewiesen werden. (Fäthke 1 und 2) 1909 wurde die Neue Künstlervereinigung München (N.K.V.M) gegründet. Nach einer unschönen Intrige, initiiert von Kandinsky, Marc und Macke, spaltete sich 1911/12 von der N.K.V.M der »Blaue Reiter« ab. Werefkin verließ 1912 ebenfalls die N.K.V.M. und wurde zu »des blauen Reiterreiterin«, wie ihre Freundin Else Lasker-Schüler sie nannte.
Mit Ausbruch des ersten Weltkriegs ging Werefkin mit Jawlensky in die neutrale Schweiz. Durch die russische Revolution verlor sie ihre zaristische Rente. Völlig verarmt, aber ungebrochen schöpferisch und unterstützt von guten FreundInnen und BewunderInnen ihres Werks, verbrachte sie das letzte Viertel ihres langen Lebens in Ascona. Sie schenkte der Stadt, die heute den reichsten Bestand an Werefkin-Werken besitzt, viele ihrer Bilder. Sie sind zu bewundern im Museo comunale di Ascona, dem Sitz der Fondazione Marianne Werefkin.
Verfasserin: Luise F. Pusch
Zitate
Die Werekfina hatte eine sonderbare Art zu sprechen: sie zeigte dabei ihre breiten gelben Zähne, die gar nicht in den schmalen Mund passen wollten, der fein gezeichnet war, wenn sie ihn geschlossen hielt. Ihr Lachen war angenehm versöhnlich und durchaus kameradschaftlich. Wie alt mochte sie wohl sein? Es war schwer zu sagen. Zeitlos sah sie aus und geschlechtslos. »La Signora« hiess sie bei den Fischer- und Winzerfrauen, die gern vor ihr ihr Leid ausbreiteten. Und stets ward ihnen einfacher Trost zuteil: Die Malerin streichelte die Kinder, und die armen Frauen machten große Hofknickse und küssten die braunen Hände der großen Frau mit dem bunten Kopftuch, welche die Tracht des Landes trug und die Sprache des Landes sprach, so, als sei das Tessin ihre Heimat und nicht das ferne Land der Skythen.
(Friedrich Glauser, gefunden hier)
Je einfacher das Element des Gefühls wiedergegeben wird, um so mehr wird es eins mit der Form seines Ausdrucks.
(Marianne Werefkin, gefunden hier)
Links
Artcyclopedia: Marianne von Werefkin Online. Linksammlung.
Online verfügbar unter http://www.artcyclopedia.com/artists/werefkin_marianne_von.html, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Internet Movie Database: Marianne von Werefkin - Ich lebe nur durch das Auge (2009) (TV).
Online verfügbar unter http://www.imdb.com/title/tt1542701/, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Werefkin, Marianne von, 1860-1938. Veröffentlichungen.
Online verfügbar unter http://d-nb.info/gnd/118631365, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
kunstaspekte: Marianne von Werefkin. Ausstellungen, Sammlungen, Galerien.
Online verfügbar unter http://kunstaspekte.art/person/marianne-von-werefkin, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Kunstkopie: Marianne von Werefkin.
Online verfügbar unter http://www.kunstkopie.de/a/von-werefkin-marianne.html, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Lenbachhaus: Der Blaue Reiter.
Online verfügbar unter https://www.lenbachhaus.de/entdecken/der-blaue-reiter, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Museo Ascona: Fondazione Marianne Werefkin. Stiftung verwaltet den Nachlass von Werefkin.
Online verfügbar unter http://museoascona.ch/, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Museum Wiesbaden. Das Museum beherbergt Werke von Marianne Werefkin.
Online verfügbar unter http://www.museum-wiesbaden.de, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Schlossmuseum Murnau. Dauerausstellung und Sonderausstellungen zu Werefkin, dem »Blauen Reiter« und der »Neuen Künstlervereinigung München«.
Online verfügbar unter http://www.schlossmuseum-murnau.de/, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Verein der Berliner Künstlerinnen 1867 e.V.: Marianne-Werefkin-Preis. Der Verein schreibt seit 1990 den Marianne-Werefkin-Preis aus (5.000,- € aus privatem Sponsoring), der in zweijährigem Turnus an eine Künstlerin verliehen wird.
Online verfügbar unter https://www.vdbk1867.de/werefkin-preis/, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Weiss, Hermann (2008): Ein historischer Sommer. In: Welt online, 6. Juli 2008.
Online verfügbar unter http://www.welt.de/wams_print/article2183270/Ein_historischer_Sommer.html, zuletzt geprüft am 24.01.2023.
Literatur & Quellen
Behling, Katja; Manigold, Anke (2009): Die Malweiber. Unerschrockene Künstlerinnen um 1900. München. Sandmann. ISBN 978-3-938045-37-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Behr, Shulamith (Hg.) (1988): Künstlerinnen des Expressionismus. Aus dem Englischen von Anne Steeb und Bernd Müller Oxford. Phaidon. ISBN 0-7148-9005-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Brögmann, Nicole (1996): Marianne von Werefkin. Oeuvres peintes 1907 – 1936. Textes de Madeleine Strobel Neumann … Gingins. Bibliothèque des Arts. ISBN 2-88453-023-1. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Fäthke, Bernd (1988): Marianne Werefkin. Leben und Werk, 1860-1938. Ausstellungskatalog München. Prestel. ISBN 3-7913-0886-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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Hahl-Koch, Jelena (1965): Marianne Werefkin und der russische Symbolismus. Studien zur Ästhetik und Kunsttheorie. Dissertation Heidelberg. Universität
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Merges-Knoth, Annekathrin (2004): Marianne Werefkins russische Wurzeln [Elektronische Ressource]. Neuansätze zur Interpretation ihres künstlerischen Werkes. Dissertation Trier. Universität
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Salmen, Brigitte (2008): 1908 – 2008, vor 100 Jahren. Kandinsky, Münter, Jawlensky, Werefkin in Murnau. Mit Beiträgen von Bernd Fäthke, Annegret Hoberg und Brigitte Salmen Murnau. Schloßmuseum. ISBN 978-3-932276-29-3. (WorldCat-Suche)
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Werefkin, Marianne (1999): Lettres à un inconnu. Présentation par Gabrielle Dufour-Kowalska Paris. Klincksieck. (L'esprit et les formes) ISBN 2252032855. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Neuerscheinungen Seit 2010 (Auswahl)
Bowlt, John E. (2010): Artisti russi in Svizzera. Marianne Werefkin (Tula 1860-Ascona 1938). Ausstellungskatalog. Firenze. Alias. ISBN 978-88-96532-18-8.
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Cattaneo Moresi, Patrizia (Hg.) (2016): Marianne Werefkin. I colori di un'anima in viaggio = colours of a travelling soul. Ausstellungskatalog. Artrust Melano. Artrust SA. (Artrust, 6) ISBN 978-88-9899209-6.
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Danella, Utta (2014): Der blaue Vogel. Roman. Vollst. Taschenbuchausg. München. Heyne. (Heyne, 41780) ISBN 9783453417809.
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Folini, Mara (2016): Marianne Werefkin, 1860-1938. Ausstellungskatalog. Locarno. Armando Dadò editore. (Artisti del museo, n. 1) ISBN 978-88-8281-454-0.
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Frey, Stefan (Hg.) (2013): »In inniger Freundschaft«. Alexej Jawlensky, Paul und Lily Klee, Marianne Werefkin ; der Briefwechsel. Zentrum Paul Klee Unter Mitarbeit von Katja Förster. Zürich. Zurich InterPublishers. (Klee-Studien, 4) ISBN 978-3-909252-14-5.
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Malycheva, Tanja und Wünsche, Isabel (Hg.) (2017): Marianne Werefkin and the women artists in her circle. s.l. Brill. (Avant-garde critical studies) ISBN 978-90-04-32897-6.
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Pfeiffer, Ingrid und Hollein, Max (Hg.) (2015): Sturm-Frauen. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1932. Ausstellungskatalog. Köln. Wienand. ISBN 978-3-86832-277-4.
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Poppe, Birgit (2011): »Ich bin Ich«. Die Frauen des Blauen Reiter ; Gabriele Münter, Marianne von Werefkin, Maria Marc. Literaturangaben. Köln. DuMont. ISBN 9783832193591.
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Röder, Kornelia und Napp, Antonia (Hg.) (2011): Sommergäste. Von Arp bis Werefkin ; klassische Moderne in Mecklenburg und Pommern. Ausstellungskatalog. München. Hirmer. ISBN 978-3-7774-5011-7.
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Salmen, Brigitte (2012): Marianne von Werefkin. Leben für die Kunst. Ausstellungskatalog. München. Hirmer. ISBN 978-3-7774-2048-6.
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Salmen, Brigitte und Delank, Claudia (Hg.) (2011): Die Maler des “Blauen Reiter” und Japan. »… diese zärtlichen, geistvollen Phantasien …«. Ausstellungskatalog. Murnau. Schloßmuseum. ISBN 978-3-932276-39-2.
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Schneidereit, Gerhard M. und Fäthke, Bernd (Hg.) (2011): Aufbruch 1911. Erich Heckel - Marianne von Werefkin - Alexej Jawlensky ; Expressionismus auf dem Darß. Fischerhude. Verl. Atelier im Bauernhaus. ISBN 978-3-88132-325-3.
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Werefkin, Marianne von (2012): Viaggio in Italia. Herausgegeben von Mara Folini. Firenze. Le Lettere. (Atelier, 16) ISBN 978-88-6087-452-8.
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Bildquellen
- Blog von Nina Kouletaki
- Kunst für alle
- Wikimedia Commons
- jawlwnsky.ch
- ErnstFrick.ch
- George Eastman House
- Lituanus. Lithuanian quarterly journal of arts and sciences
- Kunstkopie.de
- ETH Zürich
- Русские художники Литвы. Марианна Веревкина
- Schlossmuseum Murnau
- ticinARTE
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