Fembio Specials Exilantinnen (1933-1945) Sylvia von Harden
Fembio Special: Exilantinnen (1933-1945)
Sylvia von Harden
(Sylvia von Halle [eigentlicher Name]; Sylvia Lehr [Ehename])
geboren am 28. März 1894 in Rotherbaum, jetzt Hamburg
gestorben am 4. Juni 1963 in Croxley Green, Rickmansworth, Herts
deutsche expressionistische Lyrikerin, Feuilletonistin, Bohemienne
130. Geburtstag am 28. März 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Legendäre Figur des Berliner Romanischen Cafés, Modell Otto Dix' und anderer, war sie eine Grenzgängerin und sich selbst lebenslang unerschrocken – sie rauchte, liebte und trank gern – auf der Spur. Seltsamerweise fand sie sich schrecklich hässlich. Aus Hamburger bürgerlicher Familie riss Sylvia von Harden 1915 »ohne einen Pfennig Geld von zu Hause« aus. Geriet in die Boheme und ins Café, das ihr zur Bühne wurde.
1919 erschien ihre erste Prosaarbeit Die Maske in der Zeitschrift Die Bücherkiste, ein Jahr später ihr Lyrikband Verworrene Städte (Auflage 100 Stück). Sylvia von Harden schrieb wunderbare kleine Feuilletons und Glossen – liebevoll und pointiert über Frauen –, verfasste Film- und Literaturkritiken und unter Pseudonym vermutlich Groschenromane. Ihre wenigen Gedichte, einer pathetischen Aufbruchsidee hingegeben, verraten eine stete Traurigkeit.
Befreundet war sie mit den Dichterinnen Paula Ludwig, Else Rüthel und Emmy Ball-Hennings. Ferdinand Hardekopf, den sie liebte, verließ sie nach wenigen Jahren; die Ehe mit Felix Lehr (1922) war nur kurz. 1927 erschien Die italienische Gondel, Gedichte (Auflage 105 Stück).
Sie war reiselustig, in den europäischen Metropolen unterwegs. Ihre Spur verliert sich in den frühen 1930er Jahren. Um 1936 floh sie in die Schweiz, später nach Italien und England. Nahe London verbrachte Sylvia von Harden die letzten Jahre mit zwei Frauen, einer Miss Jones und einer Freundin, Gert, einer Photographin aus Dresden. Sie schrieb für die Frankfurter Rundschau Zeitungsgeschichten, pflegte eine umfangreiche Korrespondenz und arbeitete an ihren Memoiren Meine platonischen Lieben, die nie erschienen. 1958 publizierte sie noch Das Leuchtturmmädchen von Longshine. Was aus ihrem Nachlass und jener Gert aus Dresden geworden ist, niemand weiß es.
Alt war sie schön wie als junge Frau: imposant, herb, immer mit einer Zigarette. Anerkennung als Dichterin fand sie nie; heute ist sie gänzlich vergessen.
Verfasserin: Anna Rheinsberg
Zitate
Ich glaube kaum, dass ich die Verkörperung jener Berliner Boheme war nach dem ersten Weltkrieg, vielmehr behauptet man heute noch, dass ich überhaupt die letzte Romantikerin Berlins zwischen 20-30 war.
(Sylvia von Harden in einem Brief an Hans Sahl vom 22. Juli 1969)
Links
Bendix, Reimar (2002): »Sie repräsentieren eine ganze Zeitepoche« – Dix‘ Bildnis der Journalistin Sylvia von Harden als Leitfigur einer neuen Kultur? In: Weber, Klaus-Dieter (Hg.) (2002): Verwaltete Kultur oder künstlerische Freiheit? Momentaufnahmen aus der Weimarer Republik 1918-1933. Kassel: Kassel University Press, S. 99–134. Onlinefassung des gesamten Werkes (PDF, nicht druckbar). Online verfügbar unter http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-3-89958-005-1.volltext.frei.pdf, abgerufen am 18.02.2014.
Link geprüft am 16. Mai 2023 (AN)
Literatur & Quellen
Archiv Bibliographia Judaica (Hg.) (2002): Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Band 10: Güde – Hein. München, New York, Berlin, Boston. De Gruyter/Saur; Saur; De Gruyter. ISBN 978-3-598-22690-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Harden, Sylvia (1924): Robespierre. Eine Novelle. Mit 5 Original-Holzschnitten von G. B. R. van Hoboken. – Buch ist nie im Handel erschienen, Benutzung nach Rücksprache in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main. Berlin. Verlag der Gesellschaft von Freunden neuer deutscher Kunst. (WorldCat-Suche)
Harden, Sylvia von (1920): Verworrene Städte. Dresden. R. Kaemmerer. (Das neuste Gedicht, 35) (WorldCat-Suche)
Harden, Sylvia von (1927): Die italienische Gondel. Gedichte. Auflage: 105 Stk. Berlin. Hoboken-Presse. (WorldCat-Suche)
Harden, Sylvia von (1958): Das Leuchtturmmädchen von Longstone. Zeichnungen von Walter Rieck. Kassel. Oncken. (Silberstern, 74) (WorldCat-Suche)
Jentzsch, Bernd (Hg.) (2012): Sylvia von Harden – Iwar von Lücken. Enthält Gedichte aus »Die italienische Gondel« und »Verworrene Städte«, außerdem Bilder und Lebenszeugnisse. Flamersheim. Chidher-Verl. (Poesiealbum, Band 152) (WorldCat-Suche)
Rheinsberg, Anna (Hg.) (1993): Wie bunt entfaltet sich mein Anderssein. Lyrikerinnen der zwanziger Jahre ; Gedichte und Portraits. Mannheim. Persona-Verl. ISBN 3-924652-21-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Vollmer, Hartmut (Hg.) (2012): ›In roten Schuhen tanzt die Sonne sich zu Tod‹. Lyrik expressionistischer Dichterinnen. Mit einem Vorwort und bio-bibliographischen Angaben. s.l. Igel Verlag; Diplomica Verlag. (Dichterinnen des Expressionismus, 2) ISBN 978-3-86815-609-6. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wall, Renate (op. 1995): Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933 bis 1945. 2 Bände. Freiburg i. Br. Kore. ISBN 3-926023-48-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weber, Klaus-Dieter (Hg.) (2002): Verwaltete Kultur oder künstlerische Freiheit? Momentaufnahmen aus der Weimarer Republik 1918-1933. Kassel. Kassel University Press. ISBN 978-3-89958-005-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
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